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Die Staatsministerin für Kultur und Medien Claudia Roth. | Foto © Kristian Schuller

In sieben Wochen läuft das Filmfördergesetz aus. Politik und Branche läuft die Zeit davon. Durch den Koalitionsbruch ist die Lage noch unklarer geworden. Dabei drängen alle auf eine schnelle Lösung für alle Teile der großen Reform.

In drei Monaten, am letzten Tag der Berlinale, wird in Deutschland gewählt. Solange regiert die Restkoalition ohne Mehrheit, und unklar ist, welche Pläne sie noch umsetzen kann. Zum Beispiel die große Förderreform, die auch ohne den Bruch in der Regierung, bislang kaum vorankam. Das Filmfördergesetz ist zwar durch den Kulturausschuss des Bundestags, doch das ist erst ein Teil der Strecke – und auch nichts wert, wenn die anderen beiden Säulen nicht stehen. Um die Investitionsverpflichtung ringt die BKM mit Streamern und Mediatheken, bei den Steueranreizen sind sich Bund und Länder uneins, wer das bezahlen soll. Und für beides liegt noch nicht einmal ein Gesetzesentwurf vor.    

Dass nun alles bis zum Jahresende plötzlich fertig sein soll, mag keiner mehr glauben. Klappen könnte das schon – wenn alle nur wollten, glaubt Julia Maier-Hauff, die Geschäftsführerin des Produzent*innenverbands, in „Blickpunkt Film“. Das müsse es auch, „denn ohne Haushalt und die angekündigten Gesetze wird es zu einer Abwanderung des Filmschaffens in benachbarte Länder und zu Insolvenzen kommen. Wir fürchten den Verlust von mehr als 120.000 Arbeitsplätzen in der Filmproduktion.“ Das wären wohl, nach Zählung des jüngsten Appells, alle Arbeitsplätze der Branche.

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70.000 neue Arbeitsplätze könnten durch die große Förderreform entstehen, glauben Produktionsallianz, Produzent*innenverband und Deutsche Filmakademie. Wo aber sollen die herkommen? | Foto © DFA/Hans-Christian Plambeck

Kurz vor der Regierungskrise hatte der Kulturausschuss das neue Filmfördergesetz abgesegnet. Mit einigen Änderungen: Die geplante Altersvorsorge für die Filmschaffenden wurde gestrichen.

Die gute Nachricht zuerst: Der Kulturausschuss [ab 1:31] hat am Mittwoch das neue Filmfördergesetz (FFG) angenommen. Es geht nun zur zweiten Lesung zurück vor den Bundestag. 

Eigentlich hätte der Ausschuss schon früher entscheiden sollen. Doch nach einer Anhörung der Interessengruppen sah man noch einigen Nachbesserungsbedarf und vorschob die Abstimmung auf diese Woche. Dazu hatten die Regierungsparteien einen umfassenden Änderungsantrag vorgelegt, den „Blickpunkt Film“ [Bezahlschranke] im Vorspann so zusammenfasst: „Medialeistungen gerettet, Sperrfristenregelungen deutlich verändert und die sozialen Belange der Beschäftigten gestärkt.“ Was in zwei Fällen richtig sein mag, im letzten aber überhaupt nicht.

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Dreharbeiten zu „Downhill“ in Tirol 2020. Als Kulisse war Österreich zwar schon vorher beliebt, durch das neue Anreizsystem werde der internationale Werbe- und Markenwert aber gesteigert, meinen die Förderungen. | Foto © Jaap Buitendijk/20th Century Fox

In Österreich hat die Förderreform schon vor zwei Jahren stattgefunden. Und gilt als Erfolgsmodell: Das neue Anreizsystem FISAplus brachte nicht nur einen Standorteffekt von 300 Prozent, sondern auch mehr „internationale Sichtbarkeit“, erklären Nina-Anica Keidies und Juliane Buchroithner von der Film Commission ABA – Film in Austria. 

Deutschland hofft auf die große Förderreform, in Österreich gab’s die bereits vor zwei Jahren. Die Presseberichte klingen begeistert: Vor allem das neue Anreizprogramm FISAplus sorge für „Aufbruchstimmung“ und „Rückenwind“ im Land. Was heißt das in Zahlen?
Nina-Anica Keidies: Die anfänglichen Erwartungen wurden bei FISAplus weit übertroffen. Seit Anfang 2023 wurden mit FISAplus 113 Projekte mit einem Gesamtzuschuss von rund 109,9 Millionen Euro genehmigt, wodurch 2.900 Drehtage und ein Österreich-Effekt von rund 347 Millionen Euro entstanden. Dadurch wurde ein Gesamtumsatz von rund einer Milliarde Euro erwirkt, inklusive indirekter und induzierter Effekte. Auch ein erheblicher Beschäftigungseffekt konnte festgestellt werden.
Juliane Buchroithner: Durch das neue Anreizsystem FISAplus wird zudem der Werbe- und Markenwert für Österreich gesteigert. Entlang der Wertschöpfungskette sind bereits deutliche Effekte bemerkbar. Jeder Euro an Förderung durch das neue Anreizsystem löst rund 3 Euro an direkten Produktionsausgaben im Land aus. 

Der Direktor des ÖFI sieht Filme aus Österreich inzwischen gar als internationale Marke. Aber Erfolge hatten die doch auch vorher schon vorzuweisen – allein zwei „Oscars“ für den besten internationalen Film 2008 und 2013. Wo lag das Problem?

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Gleich fünffach gewann „Das Lehrerzimmer“ im vorigen Jahr den „Deutschen Filmpreis“, unter anderem als bester Film. Kurz zuvor hatte Kulturstaatsministerin Claudia Roth (2. von rechts) ihre Ideen für eine bessere Förderung skizziert und Hoffnungen geweckt. | Foto © Deutscher Filmpreis/Eventpress

Acht Punkte hatte BKM Claudia Roth angekündigt, drei Säulen sind es geworden. Oder vielleicht auch vier. Bei der großen Reform der Filmförderung ist noch einiges offen und vieles in Bewegung. Ein Überblick zum Zwischenstand. 

Die erste Säule steht. Das war erstmal die gute Nachricht inmitten all der Skepsis, ob’s noch was wird mit dem angekündigten großen Wurf, mit dem es wieder aufwärts gehen soll beim Deutschen Film. Ein Jahr hat Claudia Roth, die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM), auf sich warten lassen seit ihrem Acht-Punkte-Plan zur großen Reform der deutschen Filmförderung und FFA. 

Die Erwartungen sind hoch. Die große Reform wird schon seit Jahren erwartet und wurde zweimal verschoben. Und der Branche geht inzwischen überhaupt nicht gut. Streamer und Sender fahren ihre Produktionen herunter, den Kinos fehlt immer noch Publikum, Firmen melden Insolvenz, Filmschaffende verlassen die Branche – die Auftragslage sei „katastrophal“. Beziehungsweise „desaströs“. Sagen nicht nur viele Betroffene, sondern bestätigt auch ein Blick in die Datenbank von Crew United. 

Wie es besser werden soll, skizziert der Referentenentwurf, den die BKM im Februar zur Berlinale vorstellte. Dann hatten die vielen Interessengruppen der Branche Zeit für ihre Stellungnahmen. Ende Mai verabschiedete das Kabinett den Gesetzentwurf, der zum nächsten Jahr in Kraft treten soll. Diesmal war die Frist für Stellungnahmen etwas knapper, denn laut Plan (wir berichteten auf „Outtakes“) soll das Gesetz im Juni durch den Bundestag, der es wiederum durch den Kulturausschuss schickt. Und dann schaut auch noch der Bundesrat, was er davon hält. Kurzum: Es kann sich noch einiges ändern – schon zwischen Referentenentwurf und Kabinettsvorlage gibt es „umfangreiche Änderungen“, die Marc Mensch bei „Spot“ dokumentiert hat.

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Die Kunst mag frei sein, aber manchmal will die AfD schon sehr genau wissen, wer denn nun sowas schon wieder gefördert hat und warum und ob man nicht etwas dagegen tun will … Zum Beispiel den deutschen „Oscar“-Kandidaten „Und morgen die ganze Welt“. | Foto © Alamode

Die AfD weiß, warum es beim Deutschen Film klemmt: Gleichberechtigung und Umweltschutz stehen der Kunstfreiheit im Weg – Filmförderung dürfe keine „ideologischen Vorgaben“ machen. Nur eine: Wenn’s ums Kaiserreich geht, hört die Kunstfreiheit auf. Das ist ein echtes Dilemma, wenn man ins Grundgesetz schaut. 

Die AfD sorgt sich um die Freiheit der Kunst. Vorige Woche stellte die Bundestagsfraktion einen Antrag zur Novellierung des Filmförderungsgesetzes (FFG), der sich gegen die Pläne aus dem Kulturstaatsministerium (BKM) richtet, Kriterien wie „Green Culture“, „Diversität“ oder „Geschlechtergerechtigkeit“ zum Förderkriterium zu machen. Dies stelle eine „Einengung künstlerischer Freiheit durch ideologische Gängelung“ dar, heißt es in dem AfD-Antrag. Zudem spricht sich Fraktion gegen die angekündigte Umwandlung der Filmförderungsanstalt (FFA) in eine Filmagentur aus, die alle filmpolitischen Aufgaben der Bundesförderungen übernehmen soll. Damit würde der Bund, der die künstlerische Qualität des deutschen Films bislang mit einem Volumen von 27 Millionen Euro fördert, seine besondere Stellung aufgeben. Beides zeige, „dass ideologische Vorgaben in der Bundesfilmförderung aus Sicht der BKM vorrangig sind und filmkulturelle oder filmästhetische Aspekte nachrangig.“ 

Acht Eckpunkte für das neue FFG hatte die BKM Claudia Roth im Februar skizziert.  Diversität, Nachhaltigkeit und Geschlechtergerechtigkeit sowie die Filmagentur waren nur zwei davon. Der Rest behandelt filmkulturelle oder filmästhetische Aspekte – und vor allem filmwirtschaftliche. Über alles wird ausgiebig diskutiert, lediglich die AfD hatte dazu bislang nichts zu sagen. 

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Vom neuen Filmförderungsgesetz erhoffen sich viele einen gewaltigen Schubs für die Branche. Dann gehen die Probleme aber erst richtig los, mahnt Martin Blankemeyer. Es gibt ja jetzt schon nicht mehr genügend Leute für die Arbeit. | Foto © HFF München

Die Personalprobleme in der Branche beschäftigt auch die Münchner Filmwerkstatt seit langem. Was zu tun wäre, hat deren Vorstand Martin Blankemeyer für die Zeitschrift „Black Box“ aufgeschrieben. Sein Vorschlag kommt mit nur sechs Eckpunkten aus.

Es tut sich was beim deutschen Film: wenn man in diesen Tagen Produzent*innen und Lobbyist*innen der Produktionsfirmen trifft, blickt man allerorten in hoffnungsvoll strahlende Augen: zum 1. Januar 2025 könnte durch ein neues Filmförderungsgesetz (FFG) Deutschland das Schlaraffenland der Filmbranche werden, mit einem opulenten Anreizmodell (ähnlich dem neuerdings in Österreich) und einer Investitionsverpflichtung für Streamingdienste (ähnlich der in Frankreich) und damit – so wird gerechnet – mit bis zu 60 Prozent automatischer Finanzierung für deutsche Kinoproduktionen. Von der Einigkeit der Branchenakteur*innen Deutsche Filmakademie, Produzentenverband, Produzentenallianz und AG Dok beeindruckt scheint sich auch die Kulturstaatsministerin für deren gemeinsamen Vorschlag zu begeistern, wie sie unter der Überschrift „Acht Vorschläge für die Zukunft des deutschen Films“ in der Süddeutschen Zeitung vom 15. Februar 2023 und bei mehreren Auftritten rund um die Berlinale durchblicken ließ.

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Die Kulturstaatsministerin will soziale Standards in der Filmförderung. Die Initiative Fair Film hat schon konkrete Vorschläge dafür. Dahinter stehen 29 Berufsverbände und Organisationen der Branche.

Bei den Arbeitsbedingungen hat die Branche noch einiges aufzuholen. Das weiß auch Kulturstaatsministerin. In ihren Eckpunkten zur Reform des Filmfördergesetzes (FFG) forderte Claudia Roth die Einhaltung sozialer Standards als Fördervoraussetzung. 

Die Branche nimmt sie beim Wort, denn das sei mehr als überfällig, schreibt die Initiative Fair Film in einem Offenen Brief an die BKM. Dahinter stehen 29 Organisationen und Initiativen, darunter fast alle Berufsverbände: „Die durch zahlreiche Presseberichte in die Öffentlichkeit geratenen Missstände bei der Produktion ,Manta Manta – Zwoter Teil’ werfen ein Schlaglicht auf unsere Branche. Aus eigener Erfahrung können wir bestätigen, dass dies kein Einzelfall ist. Die Fallzahlen der Themis, aber auch die Umfrage von ,Vielfalt im Film’ belegen, die Strukturen in der Film- und Fernsehbranche fördern systemischen Machtmissbrauch. Zeitdruck, zu lange Arbeitszeiten sowie mangelnde finanzielle Mittel bei vielen Produktionen führen oft zu einer physischen und psychischen Überlastung der Filmschaffenden. Daher müssen wir Strukturen schaffen, die den dringend nötigen Kulturwandel in der Filmbranche ermöglichen.“ 

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Mit Geld allein hat der Deutsche Film keine Zukunft. Es braucht auch Spielraum, damit schräge Ideen schiefgehen können. Und ein anderes Fördersystem, finden die Teilnehmer*innen beim Kongress in Frankfurt. | Foto © Elisa Grehl

Zwischen Berlinale und „Deutschem Filmpreis“ wurde in Frankfurt weiter an der Zukunft des Deutschen Films gearbeitet. Der Kongress schloss mit einer Erfolgsmeldung. Darum soll es in Zukunft regelmäßig weitergehen.

„Die Berlinale ist vorüber. Die Blamage war ziemlich ungeheuerlich, und der große Preis ging konsequenterweise an den falschen Film. Die Bundesfilmpreise sind auch wieder einmal vergeben. Es war eine prachtvolle Veranstaltung“, schrieb Uwe Nettelbeck in der „Zeit“. Und fand die Entscheidung „eine indiskutable Verwendung fiskalischer Gelder. Mit dem deutschen Film geht es vielleicht wirklich aufwärts, aber nicht mit dem erhofften neuen, sondern mit dem alten, mit dem, den wir satt haben, der abgeschmackt ist und fade. […] Wo sind die Rebellen von damals, die von Oberhausen ihren Namen haben? Sie sind heute müde, in alle Winde verstreut und haben sich fast alle, abgefunden. Für manche ist es schon Zeit geworden, sich um ihre Rente zu kümmern. Das Manifest war glühend und blieb ein Stück Papier. […] Eine Filmhochschule haben wir noch immer nicht, aber dafür sicher bald – wenn die Parlamentarier erst aus der Sommerfrische heimkehren – ein Filmhilfsgesetz, das die Etablierten stützt, dem Ehrgeiz Grenzen zieht und für brave Knaben ein Almosen vorsieht. […] Eine Filmhochschule haben wir noch immer nicht, aber daran liegt es nicht allein. Und man kann ein schlechtes Gesetz nicht für alles verantwortlich machen. Daß die trivialsten Filme das meiste Geld bekommen oder einspielen, ist weder neu noch besonders tragisch und auch kaum zu ändern. […] Die Filmförderung liegt im argen, zugegeben, und höheren Orts wird durch bornierte Funktionäre manches verdorben, zum Zuge kommt das Schlechte, und bei den Produzenten liegen noch immer die alten Rezepte auf dem Tisch. Es kommt aber auch keiner mit neuen.“

Nettelbeck schrieb das 1964, und auch Kritik und Publikum kommen in seiner Bestandsaufnahme zum Deutschen Film (West) nicht davon. Inzwischen hat sich vieles geändert: Ein Filmfördergesetz gibt es, Filmhochschulen sogar mehrere, und die Rebellen von Oberhausen hatten sich bald darauf auch noch gezeigt. Und doch klingt vieles 60 Jahre später seltsam bekannt. Man dürfte getrost alle Hoffnung fahren lassen.

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Die Sektion „Perspektive Deutsches Kino“ ist längst keine Nische für den Nachwuchs mehr. Die Filme greifen aktuelle Brennpunkte auf und zeigen an, welche Themen die nächste Generation beschäftigt. Der Dokumentarfilm „Vergiss Meyn Nicht“ basiert auf dem Originalmaterial eines Filmstudenten, der während einer Räumung im Hambacher Forst starb. | Foto © Made in Germany

Wenn alle nur auf den Wettbewerb starren, zieht hinten vielleicht unbemerkt die Zukunft vorbei. Gerade in der kleinsten Sektion bot sich eine echte „Perspektive Deutsches Kino“.

Längst ist die Sektion Perspektive Deutsches Kino kein Nebenschauplatz, bespickt mit deutschen Nischenproduktionen. Jetzt sollte man auch endlich mal die pauschale und oft maulig dahingeworfene Abwertung der Beiträge als „deutsche Perspektivlosigkeit“ ablegen. Leicht haben es die Filme der Sektion dieses Jahr in Konkurrenz mit den Haupt- und Nebensektionen der Berlinale trotzdem nicht gehabt. Wenn im Hauptwettbewerb des Festivals gleich fünf deutsche Filme antreten, ist es ungleich schwerer, Redaktionen und Publikum für die „Perspektive“ zu begeistern. Auch die Nebensektionen fuhren jede Menge Titel aus Deutschland ein. Das Generation-14plus-Programm öffnete mit „Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war“ von Sonja Heiss, die 2007 mit „Hotel Very Welcome“ Perspektive-Teilnehmerin war. Im Berlinale Special zeigte Robert Schwentke seinen „Seneca“-Film. Auch er hatte von der Perspektive bereits eine Chance bekommen. 2003 liefen seine „Eierdiebe“ im Programm. Es gab noch mehr Titel, die von der Aufmerksamkeit für die kleinste Reihe des Festivals (was die Anzahl der Produktionen betrifft), weglenkten. Davon demnächst an anderer Stelle, in einem anderen Text. Um es noch einmal zu betonen: fünf deutsche Filme liefen im Wettbewerb. Zum Teil alte Bekannte mit Dauerabonnement. Wer neue Namen, neue Talente entdecken wollte, musste also die Sektion wechseln.

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Ernestine Hipper und Christian M. Goldbeck freuten sich sichtlich über ihre „Oscars“ fürs beste Szenenbild. Noch in drei weiteren Kategorien wurde „Im Westen nichts Neues“ ausgezeichnet – auch als bester internationaler Film. | Screenshot

Vier „Oscars“ für „Im Westen nichts Neues“! Da wird das Filmland gleich ein bisschen mitgefeiert. Dabei kann das gar nichts dafür.

Am Montag gab’s nur ein Thema, denn den Titel haben nicht wir uns ausgedacht, sondern German Films, die Außenhandelsorganisation der deutschen Filmbranche. Weil nämlich endlich mal wieder ein Film aus Deutschland den „Oscar“ für den besten internationalen Film gewonnen hat. Und nicht nur das: Insgesamt vier der neun Nominierungen konnte „Im Westen nichts Neues“ verwandeln! „Dies ist ein Meilenstein in der knapp 100-jährigen Geschichte der ,Oscar’-Zeremonie. Die beeindruckende Anzahl von insgesamt vier ,Oscars’ für den Film ist nicht nur ein Zeichen für die herausragende Qualität deutschen Filmschaffens auf internationalem Parkett, sondern auch Anerkennung und Wertschätzung für ein filmisches Werk, dessen politische Aussage nach wie vor zeitlos ist und nicht an Brisanz verliert“, schreibt Simone Baumann, die Geschäftsführerin von German Films heute in einem Newsletter.

Auch die Kulturstaatsministerin freut sich: Das sei „ein so noch nie dagewesener Rekord für den deutschen Film“ und werde „dem deutschen Film weltweit Beachtung bringen und ihm neue Bedeutung verschaffen“, lässt Claudia Roth gleich per Rund-Mail vermelden. Von der Filmförderungsanstalt gratuliert ihr Vorvorgänger und heutiger Förder-Präsident Bernd Neumann: „Dies ist auch eine große Anerkennung für die Qualität des deutschen Filmschaffens und die Kreativität und Kompetenz der Filmschaffenden in Deutschland.“ In Bayern gratuliert Judith Gerlach, die eigentlich das Staatsministerium für Digitales leitet, sich zur Feier aber eigens als „Bayerns Digital- und Filmministerin“ bezeichnen lässt. Das sei nämlich auch „ein großartiger Erfolg auch für den Filmstandort Deutschland“ und „unterstreicht, dass die deutsche und bayerische Filmbranche auch international ganz vorne dabei ist.“

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Die Gewinner*innen des „Fair Film Award 2023“ mit Moderatorin in der Kulturbrauerei in Berlin. | Foto © Alena Sternberg

Nach drei Jahren Corona-Pause stieg endlich wieder der Crew Call zur Berlinale. Wichtiger noch: Auch der „Fair Film Award Fiction“ wurde wieder live vergeben. Und von der BKM kam eine Ankündigung, die Hoffnung macht.  

Während die Schutzpatronin des Deutschen Films vormittags die Produzent*innen aufbaut und abends Deutschlands größtes Festival eröffnet,  steigt in der Kulturbrauerei die coolere Party. Nach drei Jahren Zwangspause ins der Pandemie lud Crew United endlich wieder zum Crew Call nach Berlin. Wichtiger noch: Vorab wurde auch der „Fair Film Award Fiction“ wieder live vergeben, moderiert von Sonia Hausséguy. Beim Gala-Dinner wurden die vorbildlichsten Film- und Serienproduktionen des vergangenen Jahres ausgezeichnet. Die Übersicht mit allen bewerteten Produktionen gibt es hier. 

Am Vormittag hatte die Kulturstaatsministerin beim „Produzententag“ skizziert, wie sie sich ein neues, besseres Filmfördergesetz vorstellt. Abends beim „Fair Film Award“, erklärten  Benesch und Judith Frahm, worauf es wirklich ankommt bei der Neuordnung der deutschen Filmlandschaft. Mit neuen Programmen und Förderungen allein sei es nicht getan, sagten sie in ihrer Keynote zur Preisverleihung. Die beiden Produktionsstudentinnen haben an der Filmuniversität Babelsberg eine Gesprächsreihe gestartet, die nach mehr fragt, nämlich „wie wir miteinander arbeiten wollen“.

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Die einen gehen, die anderen kommen gar nicht erst. Das zeigt: Etwas läuft ganz gewaltig schief in der Filmbranche – doch die kämpft nur gegen die Symptome, finden Fritzie Benesch und Judith Frahm. | Foto © Alena Sternberg

Die Branche hat ein Personalproblem. Mit neuen Programmen und Förderungen ist es nicht getan, finden Fritzie Benesch und Judith Frahm. Die beiden Produktionsstudentinnen haben an der Filmuniversität Babelsberg eine Gesprächsreihe gestartet, die nach mehr fragt, nämlich „wie wir miteinander arbeiten wollen“. In ihrer Keynote zum „Fair Film Award Fiction“ erklärten sie, worauf es wirklich ankommt bei der Neuordnung der deutschen Filmlandschaft:

„Als Studentinnen der Filmuniversität Babelsberg und angehende Producerinnen stehen wir kurz davor, in die Branche einzutreten und können es eigentlich kaum erwarten. Endlich die Menschen bezahlen, mit denen wir arbeiten. Endlich auch mal selbst bezahlt werden. Und Filme machen, die auch gesehen werden. Gleichzeitig blicken wir in eine Branche, deren Strukturen so alt und verkrustet sind, dass es fast unmöglich scheint, darin noch gute, innovative, qualitativ hochwertige Filme zu machen. Strukturen, die von starken Hierarchien geprägt sind und von einem teilweise extrem rauen Umgangston; von der Erwartungshaltung, dass die Arbeit beim Film wichtiger ist, als alles andere. In denen Leidenschaft mit absoluter Opferbereitschaft verwechselt wird. Strukturen, denen ein Förder- und Finanzierungssystem zu Grunde liegt, das den Anforderungen der Realität kaum noch gerecht werden kann. Weiterlesen

Kulturstaatsministerin Claudia Roth (links) und MFG-Geschäftsführer Carl Bergengruen beim „Deutschen Produzententag 2023“. | Foto © Filmstiftung NRW/Severin Wohlleben

Die BKM hat eine filmpolitische Grundsatzrede gehalten. Das war Zeit, denn Claudia Roth ist seit mehr als einem Jahr im Amt, und das neue Filmförderungsgesetz wird dringlich erwartet. Die große Reform soll es werden, die dem Deutschen Film zu neuem Schwung verhilft.

Auf dem „Deutschen Produzententag“ stellte die Bundesbeauftragte für Kultur und Medien am Donnerstag voriger Woche acht Eckpunkte für eine Reform der Filmförderung vor. Als Beispiel, was möglich sein sollte, nahm Claudia Roth den aktuellen deutschen Vorzeigeerfolg: Der  nämlich „konfrontiert uns mit der Frage, warum unser gut ausgestattetes deutsches Fördersystem selten vergleichbare Erfolge erzielt. Denn, wie wir alle wissen: ,Im Westen nichts Neues’ ist eine Netflix-Produktion“, sagte Roth auf dem „Deutschen Produzententag“. Ihr Fazit: „Ziel einer Reform der Filmförderung kann deshalb nur sein, sie effizienter, sie schneller und ganzheitlicher zu machen.“   

„Ganzheitlich“ ist ein großes Wort. Erst recht, wenn dabei ein Teil der Filmlandschaft ignoriert wird, der schon seit Jahren rapide wächst: Festivals sind längst zu einer eigenen wichtigen Auswertungs- und Werbeschiene geworden und haben offenbar auch keine Probleme, ihr Publikum zu finden. In den Eckpunkten der BKM werden sie nicht mal erwähnt – was allerdings auch keine Neuigkeit ist. Obwohl es doch, sechstens, darum gehe, „auch die Sichtbarkeit deutscher Filme zu erhöhen.“ Und wo doch die BKM ihre Ankündigung selbst nicht ohne Grund vor der Kulisse ihrer Berlinale machte. 

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Festivals und Kinos sind natürliche Verbündete, meinen Tanja C. Krainhöfer und Joachim Kurz. Es brauche Strukturen, damit beide enger zusammenarbeiten können. | Foto © Kenneth Hujer

Die Kinos suchen ihr Publikum, die Festivals hingegen können nicht klagen. Selbst in Zeiten von Pandemie und Lockdown sind neue hinzugekommen. Tanja C. Krainhöfer und Joachim Kurz untersuchten in einem Sammelband*, wie die Festivals die Krisen meisterten – und welche Chancen und Perspektiven sie für die Filmkunst zeigen.

[*Tanja C. Krainhöfer und Joachim Kurz (Hg.): „Filmfestivals – Krisen, Chancen, Perspektiven“. Edition Text + Kritik, 2022. Mehr zum Thema gibt’s auf der Website zum Buch, die weiter ausgebaut werden soll.]

Über das beeindruckende Wachstum, den anhaltenden Wandel der Festivallandschaft und welche Funktionen Filmfestivals heute übernehmen, darüber hatten wir bereits vor drei Jahren gesprochen. Dann kam Corona. Die Kinos mussten schließen, die Festivals standen zunächst vor ähnlichen Problemen, fanden dann schnell alternative Wege. Aber ist ein Festival ohne Kino überhaupt vorstellbar?
Tanja C. Krainhöfer:
Zweifelsohne ist das Kino ein natürliches Habitat eines Filmfestivals, aber wenn kein Kino zur Verfügung steht, bedienen sich Festivals anderer Orte, um stattfinden zu können und so ihre Anliegen oder ihren Zweck zu erfüllen. Dies wurde während der Pandemie mehr als deutlich: kein Hinterhof war zu klein, kein Parkdeck zu hoch, keine Industriehalle zu abwegig und selbst die Herausforderungen, virtuelle Räume zu beziehen, wurden selten gescheut. Was jedoch wesentlicher ist, ist die Haltung, die der Festivalsektor in der Pandemie bewiesen hat. Es ging darum Zugänge zur Filmkultur zu schaffen. Die damit verbundenen Bestrebungen haben sich bis heute noch weiter ausdifferenziert und mit Sicherheit werden sich noch weitere Optionen erschließen – onsite wie online.
Joachim Kurz: Andererseits muss man schon feststellen, dass ein Kinoraum für ein Festival der Idealzustand ist und nach Möglichkeit – sofern vorhanden – genutzt werden sollte. Weil es nur im Kino optimale Bedingungen zur Projektion eines Films gibt. Es wäre definitiv sehr wünschenswert, dass Filmfestivals in ländlichen Räumen ohne Kino die Gemeinden so sehr begeistern, dass bei ihnen die Idee wächst, dass ein Kino am Ort vielleicht doch keine so schlechte Idee wäre – und zwar nicht nur als Kultur-, sondern auch als Begegnungsort.

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Seit Jahrzehnten ringt die Branche um bessere Arbeitsbedingungen. Meist vergeblich, weil’s angeblich nicht anders geht. In der Diskussionsreihe „Ausnahmezustand Film?!“ kommen sie zu anderen Antworten. Auf dem Podium (von links): Judith Frahm, Fritzie Benesch, Christine Günther, Katja Rivas Pinzon und Oliver Zenglein. | Foto © Oliver Dietze

Wenn wir gute Filme machen wollen, muss auch das Umfeld stimmen. Gute Idee. Beim Max-Ophüls-Festival wurde diskutiert, wie das aussehen sollte. 

Für den deutschsprachigen Filmnachwuchs ist Saarbrücken die erste Adresse: Schon drei Wochen vor der Berlinale präsentiert der Max-Ophüls-Preis „junge Talente aus Deutschland, Österreich und der Schweiz“. Allein um die Entdeckung geht’s dem Nachwuchs offenbar nicht mehr. Mit Problemen in der Filmkunst hatten sich schon frühere Panels beschäftigt. Doch hier ging’s um Grundsätzliches: um „soziale Nachhaltigkeit und wie wir miteinander arbeiten wollen“. Und das Panel war gut besucht an einem Samstagmorgen um 10. 

Es war bereits die fünfte Veranstaltung in der Diskussionsreihe „Ausnahmezustand Film?!“, die Judith Frahm und Fritzie Benesch erst im November an der Filmuniversität Babelsberg gestartet hatten. Der Titel klingt reißerisch, trifft aber nur die Realität. Darauf stimmten die beiden Produktionsstudentinnen mit ein paar Zahlen aus Großbritannien ein („Varieté“ [auf Englisch] berichtete ausführlich): Neun von zehn Menschen, die dort in der Filmbranche arbeiten, hätten Probleme mit mentaler Gesundheit. Die Wahrscheinlichkeit, an einer Angststörung zu leiden, sei doppelt so hoch wie in der übrigen Bevölkerung, 20 Prozent mehr Menschen seien  im Vergleich zur Gesamtbevölkerung an einer Depression erkrankt. „Das fanden wir ganz schön krass und dachten, wir öffnen mal mit diesen kleinen Zahlen unsere Gespräche.“

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