Kopierte Gefühle: KI und die Stimme 

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Der Held kommt aus dem Rechner, die Stimme ist noch echt: Tom Hanks spricht „Woody“ in Pixars „Toy Story 3“. Es gibt keinen Algorithmus, der Emotionen überzeugend nachahmen kann, hoffen die Synchronsprecher*innen. Geklaut werden ihre Stimmen trotzdem. | Foto © Disney/Deborah Coleman

Mit einer Grundsatzerklärung stellen sich die United Voice Artists vor. 27 Verbände und Gewerkschaften professioneller Sprecher*innen aus Europa und Amerika melden sich gemeinsam zu Wort. Es geht um die KI. 

„Der wahllose und unregulierte Einsatz künstlicher Intelligenz stellt ein Risiko dar, das zum Aussterben des künstlerischen Erbes der Kreativität und des Staunens führen könnte – ein Gut, das Maschinen nicht hervorbringen können“, schreiben die United Voice Artists in ihrer ersten Stellungnahme. Gewerkschaften und Verbände quer durch Europa und Amerika haben sich zusammengetan, um ihre Bedenken zur Künstlichen Intelligenz vorzutragen – und ihre Forderungen, die sie in mehreren Sprachen darlegen. 

Nach Meinung der Verbände ignoriert die Europäische Union das Problem: Der mangelnde Schutz der Stimme von Künstler*innen –  mit dem Risiko, dass das persönliche Timbre geklont und künstlich reproduziert wird. Vor kurzem prangerte die Dubliner Synchronsprecherin Remie Michelle Clarke auf Twitter den Diebstahl ihrer Stimme durch eine Software an, die sie repliziert hatte, um benutzerdefinierte Lautsprecher für ein paar Dollar zu verkaufen.

In Italien kämpfen die Branchenverbände ANAD und ADAP um den Schutz von Schauspieler*innen und Sprecher*innen. Eine Mission, die in jüngster Zeit an mehreren Fronten an Intensität zugenommen hat. Worum es ihnen geht, erklären ANAD-Präsident Daniele Giuliani, Vizepräsidentin Georgia Lepore, die Schauspielerin und Synchronsprecherin Laura Romano und der Sprecher David Chevalier.

Wie lange ist die Künstliche Intelligenz schon eine Bedrohung für die Synchronisation?
Georgia Lepore:
Wir gehörten wohl zu den ersten, die erkannten, dass dies eine echte Gefahr sein könnte. Vor ein paar Jahren hatten zwei Kolleginnen, eine aus Rom und eine aus Mailand, ihre Stimmen, die sie für zwei Produkte von zwei sehr wichtigen Kunden gegeben hatten, wiederentdeckten – offensichtlich „gestohlen“ und auf elektronischen Geräten, Produkten anderer Kunden und sogar einer Pornosite gesampelt. Es war der erste große Weckruf, um zu verstehen, wie leicht die Stimme eines jeden, nicht nur die professioneller Synchronsprecher*innen, gestohlen und ohne ihr Wissen verwendet werden kann.
David Chevalier: Konkret ist es seit einigen Jahren real, seit jemand daran gedacht hat, die Technik des maschinellen Lernens auch auf die Synchronisation anzuwenden. Angesichts einiger noch zu definierender regulatorischer Lücken und der allgemeinen Verwirrung, die durch die Unkenntnis vieler in Bezug auf das Urheberrecht herrscht, ist die Synchronisation in einer vergleichbaren Lage wie wie Illustrator*innen, Autor*innen, Musiker*innen und so weiter. Die Informationen über die Verfügbarkeit einer Technik sind sicherlich schneller als die Informationen über die Vorschriften, die ihre Verwendung regeln. Die Leute wollen alles, sofort und kostenlos, niemand will die Bedienungsanleitung lesen. Vor allem, wenn bei einem Verstoß nichts passiert. Ich selbst wurde Opfer eines Sprachdiebstahls durch eine amerikanische Website. Meine Stimme, die von dieser Site ohne meine Anfrage oder Genehmigung aufgenommen wurde, wurde von einigen TikTokern verwendet, um Video-Memes zu machen, in denen sie mich ohne mein Wissen sagen lassen, was sie wollen.

Sie finden die Berichterstattung in Italien zu diesen Problemen zu oberflächlich, gar irreführend?
Georgia Lepore:
Man fragt uns nicht. Sie machen sensationelle Schlagzeilen, die Likes bekommen, aber schreiben dann Ungenauigkeiten, weil sie Leuten eine Stimme geben, die mit dem Job angeben. Fragt einfach uns, die Synchronprofis, wie er wirklich ist. Wir arbeiten jeden Tag im Studio, einige von uns seit wir Kinder waren. Wir arbeiten an der Erneuerung unseres Tarifvertrags, wir arbeiten mit 24 Verbänden von Schauspieler*innen und Sprecher*innen auf der ganzen Welt zusammen, um das gemeinsame große Problem der KI mit den Regierungen der jeweiligen Länder und dem Europäischen Parlament anzugehen; kurz gesagt, wir sind jeden Tag vor Ort. Niemand kennt die aktuelle Situation besser als wir, wir brauchen keine angeblichen Sprecher.
Daniele Giuliani: Das Problem mit der Verbreitung und den Presseartikeln ist, dass es für sie ein Spiel ist. Ein Spaß. Ein Instagram-Reel, das man auf der Toilette anschaut. Wir sprechen hier von einer besorgniserregenden gesellschaftlichen Entwicklung. 

Innerhalb weniger Jahre wurden die synthetischen Stimmen fast ununterscheidbar von den menschlichen – zumindest mit einem unaufmerksamen Ohr. Es fehlt noch an Natürlichkeit, Spontaneität und Wärme. Glauben Sie, dass die eines Tages auch künstlich erfüllt werden?
Laura Romano:
Ich glaube nicht. Trotz allem werden sie nie in der Lage sein, Emotionen nachzubilden. Der Fehler, der Schmutz, der Atem, ein Bruch in der Stimme sind nur einige der unersetzlichen Elemente. Wie bei Musikinstrumenten: der Klang der Fingerspitze, der über die Saite der Gitarre gleitet, ist Teil der Interpretation, die Luft, die durch unsere Luftröhre geht, begleitet unsere Worte, macht sie lebendig. Eine Maschine wird nie so perfekt sein wie ein Mensch, sie wird nie einzigartig sein.
Georgia Lepore: Ich glaube nicht, dass eine Maschine, so anspruchsvoll sie auch sein mag, jemals die Kreativität, das Gefühl, die Inspiration und die Seele eines Menschen haben wird. So ähnlich es auch sein mag, es wird immer nur die „Kopie“ eines Gefühls sein, das als Artefakt niemals Empathie hervorrufen wird.
Daniele Giuliani: Die Technologie geht so schnell wie der Wind. Vielleicht schneller. Zurzeit gibt es keinen Algorithmus, der die Emotionen von Massimiliano Manfredi oder Alessia Amendola oder anderen Kolleg*innen replizieren kann. Wir müssen sicherlich an unserer Einzigartigkeit arbeiten. Wenn unsere Arbeit zu einer standardisierten Schauspielerei wird, tun wir der Künstlichen Intelligenz einen Gefallen. Jeder von uns ist anders. Jeder von uns muss den Mut haben, sich anderen nicht ähnlich zu machen. Nicht zu kopieren. Um die eigenen einzigartigen Eigenschaften auszudrücken. Was auch immer die sind.
David Chevalier: Je tiefer die Qualität der Synchronisation sinkt (und sie sinkt, weil uns eine zehnmal höhere Produktivität auferlegt wird als vor 25 Jahren), desto weniger wird es möglich sein, die Einzigartigkeit einer Emotion wiederherzustellen, die das Ergebnis einer hochwertigen Handwerkskunst ist, die diesen Sektor jahrzehntelang zu einer italienischen Exzellenz gemacht hat.

Was muss passieren, damit die Stimme geschützt ist?
Daniele Giuliani:
Ein Weg der politischen Institutionen zu einer klaren, linearen Gesetzgebung, die die menschliche Arbeit begünstigt. Kunst ist das Erbe, das wir zukünftigen Generationen überlassen. Lassen Sie uns dafür sorgen, dass dies nicht irgendwelchen Algorithmen überlassen wird. Und auch das Publikum spielt eine entscheidende Rolle. Wenn die Zielgruppe der künstlerischen Produkte auf eine „Fake“-Linie abwandert, dann wird sie sich in wenigen Jahren in einem Konzert wiederfinden, wo ein Computer auf der Bühne steht, und nicht mehr Damiano von Maneskin oder Vasco Rossi.
Georgia Lepore: Es braucht eine ernsthafte Regulierung des Einsatzes von KI. Wir brauchen eine Aktualisierung der Rechteabtretungen. Wir brauchen die Möglichkeit, dass unsere Stimme, die tatsächlich ja ein biometrisches Datum nach der DSGVO ist, als solche zertifiziert wird.

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