Dreh unter Corona: Wie war das mit der Solidarität?

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Trotz Abstand: 1999, bei „Eyes Wide Shut“, sah der Dreh mit Maske noch anders aus. | Foto © Warner Brothers

Mit Sicherheitskonzepten allein ist es nicht getan, wenn es an der richtigen Einstellung fehlt. Ein erster Erfahrungsbericht eines*r Filmschaffenden zeigt, wie ein Dreh unter Corona-Bedingungen nicht ablaufen sollte. Namen spielen dabei keine Rolle – es geht um Grundsätzlicheres.

Jetzt, da sich der Corona-bedingte Stillstand aufzulösen scheint, möchte ich das Forum nutzen, um Missstände anzusprechen, die durch den neuerlichen Aufbruch verursacht werden können. Einerseits dürfen wir froh sein, dass es vielen von uns wieder möglich ist, Geld zu verdienen. Andererseits sollten wir dabei aber auch nicht unsere Gesundheit und unsere Rechte aus den Augen verlieren: eben nicht arbeiten um jeden Preis. Deswegen möchte ich eine Begebenheit schildern, die mich zutiefst erschüttert hat und mir gezeigt hat, dass trotz der „Normalisierung“ Vorsicht geboten ist. Daraus ergibt sich dann auch die Frage, wie wir Filmschaffende uns vor ähnlichen Fällen schützen können.

Mein Filmprojekt, das aufgrund der Corona-Pandemie für sechs Wochen unterbrochen wurde, hatte die Dreharbeiten wieder aufgenommen, um das Projekt in zwei Wochen abzudrehen. Alle Mitarbeiter*innen mussten vor Beginn die „Arbeitsanweisung Covid-19“ unterschreiben, die für jede einzelne Abteilung die vorgeschriebenen Sicherheit- und Hygiene-Maßnahmen aufgelistet hat (Sicherheitsabstände, Mund-Nasen-Schutz, Handhygiene etc.). Mit der Unterschrift haben wir uns verpflichtet, unbedingt und in jedem Falle diese Regeln einzuhalten. Darüberhinaus wurden wir jedoch zu keinen weiteren Maßnahmen (Corona-Test etwa, vor Ort bleiben am Wochenende oder ähnliches) aufgefordert. Lediglich die Schauspieler wurden getestet (der Haupt-Cast vor Drehbeginn, Episodenrollen vor ihrem jeweiligen Drehtag).

Nachdem das Drehpensum weitgehend reibungslos bewältigt wurde, trat ein Vertreter der Produktionsfirma nach der letzten Klappe vor das Team und teilte uns mit, dass am Vortag ein Schauspieler am Set anwesend war, der am Folgetag positiv getestet wurde. Er forderte uns auf, „ruhig zu bleiben“ und uns „diskret zu verhalten“. Wir sollten den Wiederholungstest am folgenden Tag abwarten, denn wahrscheinlich würde es sich um einen „ja relativ häufig auftretenden Falsch-Positiv-Test“ handeln. Allerdings sollten sich alle Personen am Set in eine Liste eintragen, die den Mindestabstand zu diesem Kollegen nicht konsequent eingehalten hatten.

Mittlerweile weiss ich aus sicherer Quelle, dass die Produktionsfirma zirka sechs Stunden vor dem Ende des Drehtags und der Teamansprache von dem Positiv-Test des Schauspielers erfahren hat. Sie hat zugelassen, dass zwei Schauspieler, die zu diesem Zeitpunkt noch nicht am Set waren, weil sie später disponiert waren, ans Set kamen und ihre Einstellungen drehten.

Die Produktion hat also die mögliche Infektion der beiden Schauspieler in Kauf genommen und auch zugelassen, dass das ganze Team sechs weitere Stunden Zeit hatte, sich gegenseitig zu infizieren. Ein solches Verhalten ist an Scheinheiligkeit kaum zu überbieten. Es ist ein Vertrauensbruch gegenüber der gesamten Crew. Ständig wird von der Sicherheit des Teams, der Gesundheit als dem wichtigsten Aspekt der „Arbeit in Corona-Zeiten“ geredet, und dann wird aus mir unklaren Erwägungen (Unsicherheit, Überforderung, finanzielle Aspekte) beschlossen, das Projekt abzudrehen statt es sofort abzubrechen.

Dabei spielt es keine Rolle, wie wahrscheinlich und häufig falsche Positiv-Testergebnisse sind (in der Tat gar nicht so viele…) und dass die Dreharbeiten an einem relativ großzügigen Innen-Außen-Set stattfanden. Ein solches Verhalten ist unmoralisch und unsolidarisch. Die Produktionsfirma verletzte die Sorgfaltspflicht gegenüber dem Drehteam – egal, ob das nun der juristisch korrekte Ausdruck dafür ist.

Wie sichern wir uns als Team gegen ein solches Verhalten ab? Sicherlich lastet ein erhebliches finanzielles Risiko auf den Produzenten und den Produktionsfirmen – wobei in diesem konkreten Fall eine große Produktionsfirma betroffen war, die an einem solchen Drehabbruch voraussichtlich nicht pleite gegangen wäre. Aber wenn es stimmt, dass der Schutz der Mitarbeiter die Voraussetzung für die Aufnahme von Filmarbeiten ist, muss die Produktionsfirma dies auch gewährleisten. Wir als Mitarbeiter müssen die Gewissheit haben, dass man uns informiert, wenn das Infektionsrisiko bei der Arbeit ansteigt, wenn es positive Tests gibt. Wir müssen uns darauf verlassen können, dass auch tatsächlich rechtzeitig getestet wird und Personen mit positiven Tests nicht an den Set kommen.

Um die Geschichte zu Ende zu erzählen: Der Schauspieler und sein privates Umfeld wurden am nächsten Tag negativ getestet. Alle im Team wurden per Mail informiert, und damit war das Thema für die Produktionsfirma erledigt. Weitere Fürsorge und Unterstützung zur Erlangung eines eigenen Tests (denn es gibt auch falsche Negativ-Tests) wurden nicht angeboten, sondern zur Privatsache erklärt. So weit, so unrühmlich.

Wir werden in den kommenden Wochen und Monaten noch oft in ähnliche Situationen kommen. Drehen wird ein Risikofaktor bleiben aufgrund der großen Dichte an Menschen auf engem Raum. Das Wissen über den Corona-Virus wird hoffentlich zunehmen, aber auch geglaubte Sicherheiten widerlegen. Neue Erkenntnisse zum Virus werden neue Maßnahmen erfordern. Damit bleibt derzeit das Vertrauen die einzige wirklich Basis einer Zusammenarbeit. Wir Filmschaffende gehen beim Arbeiten wissentlich ein erhöhtes gesundheitliches Risiko ein – gegenseitige Umsicht und Vorsicht, Respekt und Rücksicht sollten die Zusammenarbeit also bestimmen.

Aber was können wir tun, wenn das nicht der Fall ist? Ist es möglich, die Produktionsfirmen dazu verpflichten, in den Arbeitsanweisungen (die wir alle unterschreiben müssen) oder in den individuellen Verträgen auch eine Selbstverpflichtung der Produktion aufzunehmen, dass wir als Team bei einem Positiv-Test unverzüglich informiert werden?

Ich schreibe das anonym, weil ich Rückschlüsse auf meine Person und auch auf die Produktion vermeiden möchte. Ich habe nicht die Kraft für eine Schlammschlacht mit einer großen Firma. Dennoch möchte ich meine Kolleg*innen dafür sensibilisieren, aufmerksam den Umgang der Produktionsfirmen mit den Herausforderungen durch das Corona-Virus zu beobachten. Dieses Beispiel an schlechter Behandlung des Teams seitens einer Produktion darf sich nicht wiederholen!

1 Kommentar
  1. Leise sagte:

    Ich stimme dem Post zum größten Teil zu, allerdings sollte man nicht vergessen das jeder am Set auch seinen Beitrag leisten muss. (Abstand/ Mundschutz etc.) Das wird leider sehr häufig vergessen, so meine Erfahrung und dies kann man einer Produktion nicht anlasten und in diesen Zeiten während eines Drehs und danach in Hysterie zu verfallen ist glaube auch nicht hilfreich. Ich bezweifle ganz stark das zwei elementare Dinge in dem Post richtig dargestellt wurden. Zum einen die Testmöglichkeit und das wissen um den Zeitpunkt.

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