„So geht es einfach nicht mehr weiter“ – ein Arthouse-Verleih in der Pandemie
In zwei Jahren Pandemie haben sich die Filmförderungen für das Kino stark gemacht. Doch die Filmverleiher werden im Regen stehen gelassen – zumindest jene, die auch „etwas schwierigere Filme und Themen“ im Kino möglich machen wollen. In einem Offenen Brief erklärt Björn Koll, Geschäftsführer von Salzgeber, die Unsinnigkeiten des Fördersystems. Hier der Text in ganzer Länge:
Liebe Filmemacherinnen und Filmemacher, liebe Produzentinnen und Produzenten,
seit fast 40 Jahren sind wir bei Salzgeber ein hoffentlich guter, verlässlicher und treuer Partner für Eure Filme und gemeinsam haben wir gerade auch für den deutschen Nachwuchs, die Dokumentarfilme und die etwas schwierigeren Filme und Themen vieles im Kino möglich gemacht und schöne Erfolge feiern können. Nun landen hier immer mehr Projekte auf meinem Schreibtisch: Ihr wollt einen neuen Film drehen, habt vielleicht schon eine erste Förderung bekommen und benötigt nun einen Verleihvertrag, um es mit den nächsten Bausteinen der Finanzierung einfacher zu haben oder gar DFFF-Mittel zu erhalten. Ich sage Euch immer häufiger ab und ganz zurecht verdienen diese nicht-inhaltlichen Absagen eine Begründung:
Am 12. März 2020 haben wir als letzten Film vor der ersten Kinoschließung Sandra Kaudelkas Film „Wagenknecht“ mit 30 Kopien gestartet, beziehungsweise mit 2.638 Besucher*innen versenkt, denn ab dem 16. März waren die Kinos ja geschlossen und die geplante Kinotour, die Folgeeinsätze – alles fiel ins Wasser. Natürlich ist da für uns als Verleih ein Minus geblieben, aber darum soll es erst mal nicht gehen.
In Zeiten der Pandemie hätte es eigentlich Solidarität, ein engeres Zusammenrücken, pragmatische Lösungen für drängende Probleme benötigt. So habe ich gleich am Montag – mit der ersten Kinoschließung – bei der FFA schriftlich um Aufhebung der Sperrfristen für „Wagenknecht“ gebeten, um dann nahtlos das Publikumsinteresse über den Salzgeber Club, also online, bedienen zu können. Die Anfrage wurde nicht beantwortet und nach mehreren Wochen kam dann der „Känguru-Vorschlag“, die Kinos doch mit 50 Prozent an den VoD-Erlösen zu beteiligen. Dann könne man einen entsprechenden Antrag innerhalb von ein paar weiteren Wochen prüfen. Bei aller Solidarität gegenüber den Filmtheatern, die wir während der Pandemie auch zur Genüge geübt haben: Wir Filmverleiher müssen Geld – auch für Euch Filmemacher*innen – verdienen und zumindest eine Chance haben, unser in die Filme investiertes Kapital zurückzuerhalten. Erst dann kann man andere beteiligen.
Es ging 2020 unerfreulich weiter: Auf der Berlinale hatten wir den Heimat-Horror- und Erstlingsfilm „Schlaf“ von Michael Venus vorgestellt und uns an die Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein mit der Bitte um Verleihförderung gewendet. Schon im Vorgespräch wurden die benötigten 20.000 Euro auf 15.000 Euro heruntergeschraubt und dann entschied das Gremium „Director’s Cut“ den Film nur mit 12.000 Euro zu unterstützen. Der 29. Oktober 2020 war natürlich auch ein beschissener Starttermin, denn am 2. November waren wir im 2. Lockdown. Immerhin konnte der Film an den vier Tagen 2.984 Besucher einsammeln, aber auch das hat natürlich nicht ansatzweise gereicht, um z.B. unsere Eigenmittel von 50 Prozent zu erwirtschaften.
Warum allerdings die frisch umbenannte MOIN Filmförderung uns gerade bei einem Erstlingsfilm und mitten in der Pandemie so wenig unterstützen wollte, blieb ein Geheimnis und wurde mit „Kürzungen kommen halt vor“ kommentiert. Und wie wir Filmverleiher 150 Prozent Regionaleffekte erbringen sollen und wie das mit sparsamer Wirtschaftsführung oder ökologisch sinnvollem Handeln zu vereinbaren sein könnte, müsste auch mal diskutiert werden.
Springen wir kurz zum BKM, wo wir eine durchschnittliche Ablehnungsquote von über 50 Prozent haben und wie ein Kind, das zu häufig auf die heiße Herdplatte gefasst hat, eigentlich gar nicht mehr beantragen. Beim BKM hat sich im August 2020 etwas ganz Merkwürdiges vollzogen: „Eingeführt wird eine Untergrenze von 40.000 Euro an Herausbringungskosten für geförderte Verleihprojekte“, hieß es da auf einmal in den neuen
Richtlinien, und diese und andere Formulierungen stamm(t)en aus einer Stellungnahme des Verbands der Filmverleiher aus dem März 2016. Im Verband der Filmverleiher sind übrigens traditionell die Majors und großen Filmverleiher organisiert, die kleinen Filmverleiher findet Ihr in der AG Verleih. Zumindest diese Richtlinienänderung wurde nach massiven Protesten zurückgenommen, aber wo um Himmels Willen kommt der nachweislich falsche Gedanke her, dass kulturelle Verleiharbeit nur mit immer mehr Geld und größeren Budgets funktionieren kann? Und warum die Bundesregierung Richtlinien mittels Copy-&-Paste von Lobbyisten-Papieren ändert, wäre ein gesondertes Thema.
Jetzt haben wir fast zwei Jahre Pandemie hinter uns und können nicht so tun, als ob das alles morgen oder übermorgen vorbei wäre, und wir können auch nicht so tun, als ob sich der Kinomarkt oder die Herausbringung von Filmen nicht grundsätzlich geändert hätten. Und dann schauen wir doch einfach mal auf die Sperrfristen, die immer noch sechs Monate betragen, und natürlich nur für die deutschen Filme gelten und uns immer mehr in unserer Arbeit behindern. Und wir schauen auf Video-on-Demand-Rechte, die immer häufiger und länger an die deutschen Sender gehen, und wir schauen auch auf total bescheuerte Regelungen im Filmförderungsgesetz, die uns zum Beispiel vorschreiben, mit 25 Prozent der DVD- oder VoD- Umsätze zurechtzukommen. Eine Regelung, die ja okay ist, wenn man alles über eine Tochterfirma verschiebt, aber mit 25 Prozent kann niemand eine DVD programmieren, pressen, lagern und bewerben.
Ihr merkt, bei mir herrschen Trauer und Verzweiflung dem deutschen Film gegenüber – vor allem aufgrund der Summe von miserablen Gesetzen und aus der Zeit gefallenen Regelungen und natürlich des Desinteresses und der mangelnden Unterstützung der eigentlich Zuständigen. Es wird einfach langsam sehr eng. Und das hat natürlich vor allem auch damit zu tun, dass wir zukünftig einfach mit sehr viel geringeren Kinozuschauer*innen rechnen müssen.
Dazu ein bisschen Kopfrechnen: Wir gehen intern von 2,36 Euro aus, die bei uns als Verleih von der Kinokarte landen. Und wenn Euer Film 5.000 Besucher*innen erzielt, dann sind bei uns knappe 12.000 Euro in der Kasse. 35 Prozent sogenannte Verleihspesen billigt uns das FFG zu, also 4.000 Euro. Und von diesen 4.000 Euro müssten sich 20 Menschen bei Salzgeber ernähren, müssten Telefon, Miete und alle anderen Kosten bezahlt werden, und es bleiben 8.000 Euro für die Bewerbung, das Marketing und die technischen Kosten. Ihr alle kennt die aktuellen Besucherzahlen der deutschen Filme, die jeden Montag veröffentlicht werden und könnt erahnen, dass nicht nur bei Salzgeber die Kinoexperimente durch Erlöse aus DVD und VoD querfinanziert werden müssen. Und das geht nur bis zu einem gewissen Umfang.
Für Salzgeber sehe ich die folgenden Chancen: Bei europäischen Filmen darf ich mit einer festen Referenzförderung und einem fixen Betrag pro Besucher:in rechnen und die bewilligten Mittel sinnvoll und eigenverantwortlich ausgeben. Sperrfristen sind kein Thema, ich habe Vertragsfreiheit, in der Regel verhandele ich Fernsehrechte, auch beim VoD funkt mir niemand dazwischen und ich kann meinem Auftrag und meiner Pflicht, das Beste für den jeweiligen Film zu erreichen, nachkommen. Und auch der chilenische, südafrikanische und sonst-woher-Film oder der deutsche Film, der durch alle Förderraster gefallen ist, sind mir natürlich weiterhin höchst willkommen, denn Handlungsfreiheit ist wertvoller als Verleihförderung.
Ich glaube, wir müssen einfach Folgendes verstehen: Niemand hatte und hat wirklich Lust, sich mit den Auswertungsproblemen des deutschen Films zu beschäftigen. Filmverleih war nie sexy und wird es nie sein. Und niemand analysiert wirklich die Folgen der Pandemie. In dilettantischer Flickschusterei wird ein bestimmtes Verleiher-Produzenten-Klientel bei Laune gehalten, deren Produktionen und Releases Unsummen an Steuermitteln verschlingen und die dann mit den teuer erkauften Besucherzahlen pseudo-erfolgreich sind. Und anstatt dass sich da jetzt jemand schützend vor die Kultur stellt und überhaupt mal eine Definition versucht, was Filmkultur überhaupt ist oder sein könnte … Pustekuchen.
Und warum man Euch beim BKM, der FFA oder den Regionalförderungen nicht gleich sagt, dass es jetzt zwar für Eure Projekte Unterstützung in der Produktion geben mag, aber die Herausbringung aller Wahrscheinlichkeit nicht unterstützt wird, ist einfach nicht ehrlich. Und selbst wenn wir die Herausbringung ohne Förderung stemmen – was wir in der Regel bei den meisten unserer Filme tun –, werden Eure Projekte einfach mit viel zu viel Ballast von Sperrfristen, überbordender Bürokratie, Einschränkungen in der Vertragsfreit und Beschränkungen in den Rechten zu uns kommen.
Und zur Ehrlichkeit gehört auch: Dieser ganze DFFF-Blödsinn hat auch uns allzu häufig an Filme gefesselt, bei denen wir auf Drehbuchbasis einen festen Vertrag mit einer Herausbringungsgarantie abschließen mussten. Nicht jeder diese Filme konnte sein Versprechen, ein wirklich guter Film zu werden, auch tatsächlich einlösen. Und auch davon will ich weg: Filme ins Kino zwingen zu müssen, die da einfach nicht hingehören und letztendlich niemanden glücklich machen.
In dieser Melange und trotz bornierter Förderungen und eines dysfunktionalen Systems verliebe ich mich zwar noch immer gerne in Eure Stoffe und Ideen, darf diese Liebe aber immer seltener zulassen. Und dafür bitte ich um Euer Verständnis – aber so geht es einfach nicht mehr weiter.
Björn Koll
im Februar 2022