Doch kein Tarif
Fast ein Jahr wurde um einen neuen Tarifvertrag gerungen. Vorige Woche erklärte Verdi die Verhandlungen für gescheitert. Bis es weitergeht, gilt das Arbeitszeitgesetz – mit 48-Stunden-Woche.
Über acht Runden hatten Gewerkschaften und Produktionsallianz um den nächsten Tarifvertrag (TV FFS) für auf Produktionsdauer Beschäftigte gerungen. Nach zehn Monaten hatte man sich endlich „auf Eckpunkte einer vorläufigen Tarifeinigung verständigt“, meldete die Filmunion in Verdi im Juli, der Schauspielverband BFFS und die Produktionsallianz nannten es beide einen „Durchbruch“.
Doch die Freude war nicht überall und kam zu früh. Die Tarifkommission von Filmschaffenden in Verdi hat vorige Woche die Einigung als „unzureichend bewertet. Damit wird auch das Scheitern der Tarifverhandlungen beschlossen“, teilte die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (Verdi) mit. Die Produktionsallianz habe daraufhin weitere Verhandlungen angeboten. Ein Termin stehe noch nicht fest. Die Produktionsallianz selbst hat sich noch nicht geäußert.
Offenbar hängt es an den Regelungen zur Arbeitszeitverkürzung – andere strittige Punkt nennt die Gewerkschaft nicht. Durch einen zusätzlichen bezahlten und arbeitsfreien Tag will sie den „Einstieg in die Vier-Tage-Woche“ erreichen. Das vorläufige Tarifergebnis sah einen solchen „Arbeitszeitverkürzungstag“ erst ab einer Produktionsdauer von 21 Drehtagen vor. Bei weniger (aber mindestens fünf) Arbeitstagen sollte der Anspruch im Zeitkonto gutgeschrieben werden. Die Tarifkommission will die Grenze bei 19 Drehtagen ziehen und das Zeitkonto bereits ab dem ersten Tag aktivieren. Das folgt dem gewerkschaftlichen Ideal: Arbeit ist Arbeit – da darf’s auch keine Ausnahmen geben.
An Ausnahmen hat man aber doch einiges mehr hinnehmen müssen in den acht Verhandlungsrunden: Erstens werden ausschließlich Drehtage angerechnet, keine Vorbereitungszeiten. Zweitens bestimmt die Produktionsdauer, nicht die geleistete Arbeitszeit: Wenn weniger als 21 Drehtage geplant sind, gibt’s auch keinen Anspruch fürs Zeitkonto. Beim „Tatort“ dürfte das mit den 21 Tagen noch hinkommen, aber da waren es auch mal 30 Drehtage und mehr. Und viele Produktionen dürften jetzt schon mit weniger rechnen, wenn die Tarifkommission die Grenze bei 19 Drehtagen sehen will. An der Grenze selbst aber lässt sich anscheinend nicht mehr rütteln. Obwohl sich da schon die Frage stellt, wie das zum Gleichbehandlungsgrundsatz im Arbeitsrecht passt.
Bis weder verhandelt wird, gelten nun erstmal andere Regeln. Denn der alte Tarifvertrag wurde ja schon zum vorigen Oktober gekündigt und war nur noch solange in Kraft, wie um den neuen verhandelt wurde. Stichtag ist der 16. September, an dem die Tarifkommission die Verhandlungen für gescheitert erklärte: Arbeitsverträge, die bereits davor bestanden, gelten weiterhin. Doch Verträge, die seitdem abgeschlossen werden, basieren nicht mehr auf dem bisherigen TV FFS; für sie gilt stattdessen generell das Arbeitszeitgesetz.
Die Unterschiede und Auswirkungen hatte die Mediengewerkschaft VRFF (die nicht an den Tarifverhandlungen teilnimmt) schon vor drei Jahren in ihrem Newsletter ausführlich und übersichtlich erklärt, als Tarifverhandlungen schon einmal zu scheitern drohten: Bis zu 60 Stunden pro Woche und 13 Stunden am Tag ermöglicht der TV FFS – Ausnahmen darüber hinaus sind möglich. Das Arbeitszeitgesetz lässt nur 8, höchstens 10 Stunden am Tag zu, aber insgesamt nur 48 Stunden pro Woche. Strenger sind auch die Regelungen zur Arbeit an Sonn- und Feiertagen und Nachtarbeit, zu Pausen, Ruhezeiten und Urlaub. Und Mehrarbeit kann auch nicht mehr über das Zeitkonto, sondern muss direkt ausgeglichen werden – wodurch sich die Dauer des Beschäftigungsverhältnisses „gegebenenfalls verlängern würde“. Bei Verstößen drohen den Verantwortlichen Geldstrafen. Kommt es gar zu einem Arbeitsunfall, wären auch Freiheitsstrafen möglich.
Ein Nachteil entsteht für Filmschaffende allerdings, wenn etwas schiefgeht: Bei Krankheit oder Unfall wird der Lohn nun erst nach vier Wochen ununterbrochener Dauer des Arbeitsverhältnisses fortgezahlt.
Härter trifft es jedenfalls die Produzent*innen. Die Auswirkungen des Arbeitszeitgesetzes hatten sie zuletzt 2005 gespürt. Damals waren die Verhandlungen tatsächlich gescheitert. Streitpunkt war die Einführung von Arbeitszeitkonten. Im VRFF-Newsletter spricht Constanze Seidl mit zwei anonymen „langjährigen Filmschaffenden“ über den Ausnahmezustand unter fast ganz normalen Arbeitszeiten. Nach gut zwölf Wochen lenkte die Produktionsallianz schließlich ein, „auch wenn der Preis in Form der faktisch gar nicht existierenden ,Bereitschaftszeit’ sehr hoch war und bis heute dazu führt, daß die sehr langen Arbeitszeiten überhaupt per TV FFS ermöglicht werden können.“
Die Arbeitszeiten sind das ewige Thema der Branche. Bis zu 60 Wochenstunden sieht der letzte Tarifvertrag immer noch vor. Anders lassen sich in Deutschland keine Filme produzieren – zumindest keine mit Weltniveau, lautet das Mantra. Und lange wurde kaum widersprochen. Zum Vergleich: Unter regulären Arbeitszeiten werden in Deutschland unter anderem Hochgeschwindigkeitszüge, Weltraumtechnik oder Impfstoffe produziert.
Für die Filmschaffenden ist die Zeit aber wertvoll. Das hatte Verdi unter ihren Mitgliedern erfragt, und darum bei den vorherigen Tarifverhandlungen zur Hauptsache erklärt: Bessere Arbeitszeiten, dafür wurde die Frage nach mehr Geld vertagt. Die Produktionsallianz lobte den „Erhalt der Arbeitszeitflexibilität und Lohnzurückhaltung“. Das sichere „Wachstum und Arbeitsplätze“.
Bloß fehlt es dafür bekanntlich an Fachkräften. Das Abenteuer Film allein zieht nicht mehr genug beim Nachwuchs. Doch selbst langjährige Filmschaffende steigen aus, und das schon in den Jahren vor Corona, als der Deutsche Film bessere Zeiten erlebte. In diesem Jahr sei ein „massiver Anstieg an Branchenflucht“ zu verzeichnen, berichtet ein Insider.
Die Entwicklung der Gagen ist immer noch im grünen Bereich, was die Inflationsrate angeht (die Anmerkung ist nötig, weil auch wir die jeweiligen Tarifabschlüsse kritisch beäugt haben – etwa 2018 auf „Outtakes“): Laut Gagentabelle stieg der Wochenlohn für eine Außenrequisite zwischen 2009 und 2023 von 1.030 Euro auf 1.434 Euro. Auch inflationsbereinigt bleibt immer noch ein Plus von 4 Prozent; 6 Prozent sind es bei der Continuity, eine Schnittassistenz kommt sogar auf mehr als 8 Prozent Zuwachs. Dafür brauchte es allerdings 14 Jahre.
Gestiegen sind in der Zeit aber nicht nur die Preise im Land, sondern auch die Löhne allgemein – nämlich um fast 1,8 Prozent insgesamt. Und da sieht die Sache plötzlich ganz anders aus: 1.825 Euro müsste die Außenrequisite bei einer solchen Steigerung inzwischen verdienen; tatsächlich bleibt sie mehr als 20 Prozent unter dem Bundesdurchschnitt. Zwischen 18 und 23 Prozent pendelt auch das Minus bei den anderen Gewerken.
Die Kurzfassung: Von 2009 bis 2023 stieg die Gage der Außenrequisite um fast 40 Prozent, die Löhne im Bundesdurchschnitt um 77 Prozent.
Der Bundesdurchschnitt hat außerdem 28 bezahlte Urlaubstage. Mindestens 24 Tage schreibt das Bundesurlaubsgesetz vor. Mit den „Arbeitszeitverkürzungstagen“ beim Film wären bestenfalls 10 zu erreichen.
Der Lohn für die Mühe ist derweil auch nicht überall üppig. Selbst bei Vollbeschäftigung wird’s für viele Filmberufe knapp, wenn eine Familie dranhängt – die deutschen Medienstandorte sind teuer! Da muss man zwar nicht unbedingt wohnen, aber das Signal ist fatal: Etliche Positionen gelten nur als Sprungbrett oder Durchlauferhitzer – wer langfristig in der Branche arbeiten will, muss zusehen, weiter nach oben zu kommen. Wo aber alles nur durchläuft, bleibt niemand, um das Fachwissen zu bewahren.
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