Machtmissbrauch und die Kultur der Stille
Einmal noch nehmen wir uns heute die Arbeitsbedingungen vor, denn langsam wird’s interessant. Ein paar Geschichten von Strukturproblemen und Alltagsanstand.
Hat’s schon jemand bemerkt? Über die Arbeit beim Film wird zurzeit viel geschrieben. Doch das meiste steht hinter Bezahlschranken.
„Etwas überdreht“ findet Andreas Scheiner in der „Neuen Zürcher Zeitung“ die Aufregung um Til Schweiger: „Vermutlich hat Schweiger ein Alkoholproblem. Aber wie toxisch geht es überhaupt zu beim deutschen Film?“ Die Antwort muss warten, denn erst wird doch lieber über Psyche und Talent eines Regisseurs unter Druck spekuliert. Anschließend wird „Der Spiegel“ verdächtigt, mit seinen Enthüllungen gar ein „Geschäftsmodell“ zu verfolgen (was sonst sollte wohl das Geschäftsmodell eines Nachrichtenmagazins sein?). „Müssen ausserdem Menschen, denen offenbar ein Unrecht angetan wurde, zwingend zum ,Spiegel’, oder gibt es auch andere Wege?“
Nein. Da sind die drei Filmschaffenden, die Scheiner schließlich zitiert, eindeutig: „Ich kann es mir nicht leisten, jemanden zu outen“, sagt eine Kostümbildnerin. Wer als „troublemaker“ gelte, werde nicht mehr gebucht. Scheiners dürres Fazit: „Ganz unrecht“ seien die Vorwürfe wohl nicht. Was er offenbar noch nicht wusste: „Der Spiegel“ hat sich das gar nicht selber ausgedacht. So schreibt es Julia Encke in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“; im „Altpapier“ beim MDR fasst Klaus Raab zusammen: Demnach sollte die Recherche „wohl eigentlich in der ,Süddeutschen Zeitung’ erscheinen. Es habe einen Fragenkatalog an Constantin Film und Schweiger gegeben. Die ,SZ’-Chefredaktion habe nach den Antworten der Filmfirma aber erklärt, ,die Recherche könne in der Form nicht erscheinen’, so Julia Encke in der ,FAS’. Sie schreibt, dass ,die ,Süddeutsche Zeitung’ und die Constantin nach Angaben von ‚Horizont‘ eine exklusive Partnerschaft verbindet, die vorsieht, dass Redakteure und Autoren der ,SZ’ die Produzenten und Drehbuchautoren von Constantin bei TV- und Filmprojekten exklusiv beraten und Recherchen aus der ,Süddeutschen’ dabei in die neuen Projekte einfließen könnten’. Die Chefredaktion der ,SZ’ antwortete der ,FAS’, die Kooperationsvereinbarung berühre ,in keiner Weise die Unabhängigkeit der Redaktion’. Die Redaktion zog am Mittwoch die Berichterstattung des ,Spiegels’ auch nicht in Zweifel, sondern veröffentlichte eine Recherche, die sie eher bestätigte, wie Encke schreibt.“
Eine Antwort auf den vorletzten Absatz versucht die Degeto. Man wolle den „Teufelskreis durchbrechen“ – und zwar „gemeinsam“. In einem Schreiben hat sich die Produktionstochter der ARD an sämtliche Mitarbeiter*innen gerichtet, die aktuell Projekte für das Unternehmen umsetzen, berichtet Timo Niemeier bei „DWDL“. In diesem Schreiben fordere man auf, „sich bei einem möglichen Fehlverhalten oder anderen Problemen zu melden […]. ,Wir als Redaktionspartner und Auftraggeber in der ARD Degeto wollen für ein achtsames, wertschätzendes, kreatives und professionelles Miteinander einstehen – frei von Diskriminierung, Machtmissbrauch und sexueller Belästigung’, heißt es in dem Schreiben. Jede Abweichung von diesem Grundsatz werde man entschieden verurteilen und ahnden.“ Man versuche, „auch die Angst zu nehmen, bei einem möglichen Aufzeigen von Missständen künftig nicht mehr für weitere Projekte berücksichtigt zu werden. Man nehme entsprechende Aussagen sehr ernst. […] Außerdem können betroffene Personen auch an ein anonymisiertes Mail-Postfach schreiben.“
Ein vielversprechender Anfang, dem dennoch die Frage folgt: Warum gibt’s das erst jetzt? Und eine branchenweite, unabhängige Lösung ersetzt das auch nicht. Es fehlt noch an neuen Strukturen, um gegen die alten Strukturen zu wirken. Die Deutsche Filmakademie hat das anscheinend erkannt, und will „Themis“ zur generellen Ansprechstelle bei Machtmissbrauch und Gewalt auch ohne sexuellen Kontext machen. Beantwortet wird das Problem damit jedoch immer noch nicht. Denn die „Themis“ ist keine Ombudsstelle und hätte kaum Möglichkeiten, einzuschreiten. So bleibt wohl einstweilen doch nur der Weg zum „Spiegel“.
Einen Ansatz hatte sich übrigens die einstige Bundesvereinigung Die Filmschaffenden vor fast 20 Jahren überlegt. In cinearte 104 (auf Seite 6) hatten wir die Meldestelle in fünf Schritten erklärt.
Was vorfällt an deutschen Filmsets und drumherum, sammelt die Plattform „Let’s Plant Stories“. Filmschaffende berichten anonym von erschreckenden Einstellungen und purer Schikane bis hin zur Vergewaltigung. Durch den Austausch von Geschichten wollen die Initiatoren „die Kultur der Stille, die diese Themen oft umgibt“ aufbrechen, „das Bewusstsein für die Verbreitung dieser Probleme in der Filmindustrie schärfen“ und letztlich „dazu beitragen, systemische Veränderungen in der Filmindustrie herbeizuführen.“
Doch zum „Teufelskreis“ gehören auch die Budgets. Sagt zum Beispiel der Regieverband (BVR). Bereits in einer ersten Stellungnahme hatte der BVR das Fehlverhalten eines Kollegen mit den generellen Arbeitsbedingungen in der Branche begründet. Gestern führte der Verband das etwas genauer aus und antwortet auf Äußerungen von Constantin-Chef Martin Moszkowicz und BKM Claudia Roth. „Ein ,Code of Conduct’ wird diese Strukturen nicht verändern und ist am Ende Augenwischerei zum Schutze eines Systems, das mit öffentlichen Geldern Kreative nicht fördert, sondern ausnutzt. Die Kräfteverhältnisse in der Branche sind nicht ausgeglichen und die Produktionen sitzen am längeren Hebel: Egal ob bei Kino-, TV- oder Streaming-Produktionen. Und daher spricht auch vonseiten der Filmschaffenden niemand über die Bedingungen mit der Produktion. […] Die Einschätzung von Moszkowicz, dass es bessere Drehbedingungen bei wenigen Filmen zu höheren Budgets gäbe, immer auch unter der Voraussetzung, dass diese hoch budgetierten Filme dann von den großen Playern wie der Constantin gemacht werden, teilen wir nicht, zumal sich diese Aussage mit der eigenen Produktion selbst relativieren lässt: ,Manta Manta – Zwoter Teil’ hatte ein hohes Budget – und die Drehbedingungen sind mittlerweile bekannt.“
Die Vorfälle „sind nicht zu entschuldigen“, schreibt der Regieverband und lässt es deshalb gleich bleiben. Und plädiert stattdessen auf Unzurechnungsfähigkeit: „Aber eine Sache gilt es dringend klarzustellen: Die Constantin Produktion hat diese Vorfälle gedeckt – wir meinen sogar erst möglich gemacht.“
Dass es bei der Produzentenallianz merkwürdig still bleibt, hatten wir in am Montag bemerkt. Seinen Mitgliedern hatte sich der Verband aber schon in der vorigen Woche erklärt, und das hätte er ruhig auch öffentlich so schreiben können: „Für die Produzentenallianz gilt uneingeschränkt: Arbeitsrecht und Arbeitsschutzrecht sind auch am Set einzuhalten. Auch treten wir jedweder Form von Belästigung, sexueller Nötigung, Machtmissbrauch oder Diskriminierung entschieden entgegen. Zum konkreten Fall können und wollen wir uns aber mangels näherer Kenntnis und aufgrund der Persönlichkeitsrechte nicht äußern. Wir nehmen die Vorwürfe jedoch ernst.“
Bemängeln könnte man allenfalls, dass der Blick durch die Produzentenbrille vielleicht allzu rosig ist, wenn’s um die „erheblichen Anstrengungen“ geht „für bessere und faire Arbeitsbedingungen“ und Tariftreue. Auf die steigenden Ansprüche bei sinkenden Budgets verweist auch die Produzentenallianz, was aber „niemals eine Entschuldigung für Belästigung, Diskriminierung oder physische wie psychische Gewalt sein kann.“
Am Budget-Argument gibt’s wenig zu rütteln. Daran verzweifeln nicht nur Regieverband und Produzentenallianz und auch nicht erst seit neulich. Da sind die Öffentlich-Rechtlichen gefordert, als Öffentlich-Rechtliche und als größte Auftraggeber der Branche – beziehungsweise Nutznießer. Sofern sie es ernst meinen mit dem Teufelskreis, der durchbrochen werden soll.
Teuflisch ist allerdings auch diese Überlegung: Wenn der Druck schuld ist an schlechten Verhältnissen, und wenn alle unter diesem Druck stehen – herrschen dann überall schlechte Verhältnisse?
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