Vertrauen am Set

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Die Erwartung an Vertrauenspersonen sind hoch. Sie sollen die Abläufe in der Filmproduktion kennen, beratungssicher sein und vor allem unabhängig. „Das ist nicht einfach“, sagt Thomas Biniasz. | Foto © Pexels

Im September startet die erste Weiterbildung zur Vertrauensperson – sogar mit Zertifikat. Thomas Biniasz und Christine von Fragstein von Fair Play Film + Kultur haben die  Weiterbildung entwickelt, die Produktionsallianz ist Co-Veranstalterin.

Wie kam es zur Zusammenarbeit?
Thomas Biniasz:
In Kooperation mit der Produktionsallianz veranstalten wir ja bereits Workshops zum Thema Leadership. Nun gibt es seit vorigem Herbst den Respect Code Film, den die Produktionsallianz mit Verdi, dem BFFS und vielen weiteren Sendern und Verbänden initiiert hat …

… und der unter anderem und vor allem Vertrauenspersonen am Set vorsieht.
Thomas Biniasz:
Und weil es bislang keine zertifizierte Weiterbildung zur Vertrauensperson gibt, gingen wir auf die Produktionsallianz zu und wir entschieden, das gemeinsam in die Welt bringen. Die inhaltliche Arbeit kommt vor allem von Christine und mir. Wobei wir viele Gespräche mit Produktionen und Geschäftsführenden führten und schauten, ob das auch für sie passt.

Den RCF haben Sender, Streamer und Verbände unterschrieben. Darin ist zwar viel geregelt, aber doch mit sehr viel „kann“ und „sollte“. Wie verbindlich ist denn da eine Weiterbildung für Vertrauenspersonen? Oder ein Zertifikat?
Christine von Fragstein:
Der RCF ist ja zuerst mal eine Selbstverpflichtung und eine Handlungsabsicht. Und jetzt kommen im Zuge der ganzen Diskussion aus der Branche schon viele Wünsche. Die Produktionsallianz entwickelt zurzeit eine Handlungsempfehlung für Filmproduktionen aus dem Respect Code Film. Und darin ist der Einsatz von externen Vertrauenspersonen ein ganz wichtiger Baustein. Der Gedanke: Damit schaffen wir einen „Safe Space“ und können auch ein Stück weit dieses Schweigen und diese Angst, die oft herrscht, durchbrechen. Die Weiterbildung ist also ziemlich maßgeblich zur Erfüllung des RCF.

Ein Standard ist sie aber noch nicht?
Thomas Biniasz:
So weit ist es noch nicht! Wir sind ja jetzt in einer Pionierphase: Es gibt diese Selbstverpflichtung, respektvoll zusammenzuarbeiten – und nun geht es darum, das Ganze zu systematisieren.
Aber die Frage ist richtig: Wie verbindlich macht man jetzt das Ganze? Noch gibt es keine Verbindlichkeit. Da sind zum Beispiel die Green Consultants schon weiter, weil am Thema Nachhaltigkeit schon länger und intensiver gearbeitet wird und es dementsprechend Verpflichtungen gibt.
Es geht aber um mehr als bloß Standards. Wenn man über die Filmbranche hinausblickt, gibt es so ein Thema, das immer wieder (und jetzt ja auch) unser Thema ist: Social Sustainability. Soziale Nachhaltigkeit wird bislang aber erst nachrangig bearbeitet. Doch jetzt mit dem Respect Code geht es ja genau darum. Ich glaube, dass Social Sustainability als Thema auch in der Filmbranche angekommen ist. Und auch verstanden wird, dass es noch stärkere Verpflichtungen braucht, also quasi systemische Verankerungen.
Christine und ich sind jetzt auf einem neuen Terrain, das noch nicht so bestellt ist und auch noch keine Regularien hat. Man muss das Ganze als „work in progress“ sehen, und ich bin optimistisch, dass die Vereinbarungen verbindlicher werden, als sie jetzt sind. 

Im RCF gibt es außerdem noch „Team Captains“ oder „Setsprecher*innen“. Sind die bei der Weiterbildung mitgemeint?
Christine von Fragstein:
Es gab ja bereits vor dem RCF vereinzelt Modelle, das umzusetzen. Für uns ist es wichtig, dass Vertrauenspersonen unabhängig sind. Also nicht Festangestellte, sondern Externe. Da ist der Respect Code Film im Moment noch ein bisschen unklar formuliert. Darauf weisen wir auch hin.
Thomas Biniasz:
Es ist ein unbedingtes Qualitätsmerkmal, dafür unabhängige Personen ans Set zu holen. Ich glaube aber nicht, dass das immer passieren wird. Beispielsweise sind die eingesetzten Vertrauenspersonen zwar nicht Teil der aktuellen Produktion, haben aber ein anderweitiges Arbeitsverhältnis mit der Produktionsfirma, was zu Parteilichkeitskonflikten führen könnte. Selbst wenn es jetzt klare Vereinbarungen gibt, wird man ja immer auch nach ökonomischen Wegen suchen das Ganze umzusetzen.
Gerade deshalb finde ich unsere Weiterbildung so wichtig. Also die Leute genau darauf vorzubereiten und ihnen deutlich zu machen: Wenn sie jetzt hier den Hut aufhaben als Vertrauensperson, dann geht es in erster Linie bei entstehenden Vorfällen darum, ganz Partei für die Person zu ergreifen, die uns anspricht.
Und das ist Teil der Weiterbildung– die ganze Situation auch systemisch zu betrachten: Woher kommt das? Was ist hier passiert? Das ist dann nicht nur ein Dialog zwischen betroffener Person und verantwortlicher Person, sondern es wird immer auch geschaut werden: Wie können wir in Zukunft vermeiden, dass so was noch passiert? Das sind ja nicht nur individuelle Fragen, sondern betrifft das gesamte System und die jeweiligen Organisationen.
Abhängigkeiten wird es immer geben. Vertrauenspersonen müssen auch in diesen Situationen eine möglichst klare innere Unabhängigkeit zeigen können. Das ist nicht einfach.
Christine von Fragstein: Deshalb brauchen wir gestandene Persönlichkeiten, die zudem Ahnung von der Filmproduktion haben. Und ebenfalls wichtig: Vertrauenspersonen sollen nicht als Aufpasser in der Ecke sitzen, sondern richtig eingeführt werden bei einem Warm-up, auf der Stabliste stehen, und im Fall der Fälle stand-by innerhalb von 48 Stunden reinkommen können. 

Vertrauenspersonen sind nicht ständig am Set?
Christine von Fragstein:
Kaum eine Produktionsfirma kann sich leisten, jemand die ganze Zeit mitlaufen zu haben. Das ist auch nicht nötig, aber die Vertrauensperson muss eingeführt, bekannt und zugänglich sein. 

Ist das nicht eigentlich der Aufgabenbereich der Themis?
Thomas Biniasz:
Die Themis ist eine Beschwerdestelle, bei der ich mir Beistand holen kann, wenn etwas geschehen ist. Vertrauensperson kommen früher ins Spiel. Natürlich sind sie auch Ansprechpartner*innen, falls es zu irgendwelchen Vorfällen kommt. Zuerst aber sollen sie für einen guten Teamspirit sensibilisieren und dafür Sorge tragen. Wir gehen da sogar noch ein Stück weiter, weil beim Warm-up präventiv schon ein paar gemeinsame Pflöcke gesetzt werden: Wie wollen wir, dass zusammengearbeitet wird? Und worauf soll man sich verlassen können am Set? Wie schaffen wir eine auf Vertrauen und positive Kooperation basierende Zusammenarbeit? Daraus erarbeiten wir einen individuellen Code of Conduct.

Letztlich geht es also doch ums Coaching?
Thomas Biniasz:
Es geht schon um mehr als individuelle Problemberatung. In dieser Branche können wir es ganz krass mit bestimmten Machtstrukturen zu tun bekommen und Menschen auch die Macht haben, sich nicht korrekt zu verhalten. Vielleicht auch nur, weil sie es nicht merken, gestresst sind und so weiter … Da muss ich als Vertrauensperson die Stärke haben, diese Menschen in den Machtpositionen zu konfrontieren, sei es persönlich oder sei es an den Stellen, wo es dann organisatorische Schwachstellen gibt. Das geht dann über die Arbeit eines Coaches hinaus – ich muss mich als Vertrauensperson trauen die Stellschrauben der Macht zu beleuchten, um damit auch mittelfristig Kommunikationsstrukturen zu verändern. 

Juristisches Know-how ist ebenfalls wichtig. Ein Modul der Ausbildung ist dafür vorgesehen. Reichen dafür drei Unterrichtsstunden?
Christine von Fragstein:
Nein, das Juristische und die arbeitsrechtlichen Implikationen ziehen sich durch die ganzen acht Module der Weiterbildung mit vielen Fallbeispielen aus der Rechtsprechung.
Thomas Biniasz: Bei solchen Vorfällen wäre die Vertrauensperson die erste Ansprechpartnerin für Betroffene. Sie muss also „beratungssicher“ sein: Es gibt jetzt die und diese und jene Möglichkeiten – wie jetzt am besten vorgehen? Die Entscheidung liegt bei den Betroffenen, denn das Ganze hat ja mögliche Konsequenzen. Dafür wollen wir Vertrauenspersonen hier sensibilisieren: Was ist der Ablauf, sobald ich juristische Wege einschlage?

3.800 Euro kosten die fünf Monate Weiterbildung. Für einzelne Filmschaffende ist das ein große Investition.
Thomas Biniasz:
Es gibt Fördermöglichkeiten. Viele Filmförderungen sind schon dabei, andere prüfen noch. Für Solo-Selbstständige ist außerdem das Compass Programm interessant, das auch Weiterbildungen fördert. 

Sie nehmen aber nicht jede*n – man muss sich bewerben.
Thomas Biniasz:
Das ist eine formale Geschichte. Wir haben von vielen Förderungen eine positive Resonanz bekommen, aber gleichzeitig wollen wir auch nochmals persönliche Auswahlgespräche führen, um die Leute kennenzulernen. Also haben wir jetzt ein Bewerbungsverfahren dafür aufgesetzt. 

Das Meiste läuft online in jeweils drei Stunden, plus zweimal drei Tage als Präsenz in Berlin. Lässt sich die Weiterbildung nebenbei absolvieren oder gibt es viele Hausaufgaben?
Thomas Biniasz:
Ja und ja. Wir haben Lerngruppen und von Modul zu Modul ein paar Transferaufgaben dabei. Im ersten Modul zum Beispiel geht es um das Selbstverständnis als Vertrauensperson: Wer bin ich da als Person? Was sind meine Stärken, meine Schwächen? Woran muss ich lernen? Es wird auch für die Persönlichkeitsentwicklung ein paar Lernaufgaben geben, den einen oder anderen Input zu bestimmten Methoden und eine Einstimmung auf die nächsten Module. Darüber hinaus ist uns wichtig, dass die Teilnehmer*innen sich in Lerngruppen regelmäßig zusammenfinden und sich austauschen.

 

Die Bewerbungsphase läuft. Mehr Informationen zur Weiterbildung gibt Fair Play in einer Online-Konferenz am Montag, 16. Juni, ab 18 Uhr.