Keine Angst vorm Klinkenputzen 

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Caster wollen neue Gesichter entdecken, da ist sich Ali Bulgan sicher. „Es gibt ja so viele Schauspieler*innen – die kennen die gar nicht alle.“ Doch auch bei Initiativbewerbungen gebe es einiges zu beachten. | Foto © Joachim Gern

Anfang November startet bei Sky die neue Mystery-Serie „Souls“. Ali Bulgan ist dabei. Und auch sonst in mehreren Nebenrollen zu sehen. Dass es grade so gut läuft, liegt nicht an Talent und Glück allein – man muss sich auch selber kümmern, hat der Schauspieler gelernt. Und findet: Das geht prima.

Ali Bulgan, wir müssen Sie vermutlich noch vorstellen. Also ganz auf Anfang: Wie kamen Sie zur Schauspielerei?
Das war mir schon vor dem Abi klar: Ich wollte Schauspieler werden. Ich war damals auch ein recht talentierter Fußballer und sogar Chancen, da weiterzukommen. Aber irgendwann hatte ich das Gefühl, es reicht nicht, um Profi zu werden. 

Das klingt eher nach Plan B als nach dem großen Traum …
So hat sich mir die Frage nicht gestellt. Ich mochte immer beides. Als kleiner Junge, wir hatten ja nichts, habe ich mir Filme eingesaugt. Und dann nacherzählt, Szene für Szene, mit Freunden. So hat sich ein Faible für Filme entwickelt. Ich war dann an der Schule auch in der Theatergruppe und habe dann weitergemacht. Aber warum genau ich unbedingt spielen will, weiß ich nicht. Das müsste ich therapieren.

In der Regel führt der Weg dann an eine Schauspielschule.
Da habe ich auch vorgesprochen, an den drei großen. Soviel Selbstbewusstsein hatte ich. In Berlin hatten sie mich gleich wieder weggeschickt, drei Wochen später war ich in Bochum sogar in der Endrunde. Das ist auch schon skurril. Aber irgendwie hatte ich wieder das Gefühl: Das ist es nicht, was ich will. Ich wollte nie ans Theater, sondern Filme machen wie meine Helden. Es hat ja dann auch nicht geklappt mit dem Vorsprechen. Also sagte ich mir: Ich mache das jetzt einfach. 

So einfach geht das.
Natürlich nicht. Und ich würde auch allen angehenden Schauspieler*innen zu einer richtigen Ausbildung raten. 2003 drehte ich jedenfalls mit dem Filmemacher und Kameramann Jens Fischer unseren ersten großen Kurzfilm „Ikiz“, eine 50-minütige Doku-Fiction. Der lief sogar auf dem Kasseler Dokfest. Das fing schon mal gut an, fand ich. Und 2006 machte ich richtig ernst und zog von Aachen nach Berlin. Da konnte man noch mit wenig Geld leben. Ich bekam auch erste kleine Rollen – natürlich Türken-Klischees.
Daneben habe ich Off-Theater gemacht, auch ein Solostück. War mehrere Jahre mit Kindertheater im Atze-Musiktheater auf Tour. Keine Ahnung, wie ich das alles geschafft habe … Aus dem Musiktheater sind dann auch Sprecherrollen abgefallen. Das war auch eine Lehrzeit und hat mich fit gemacht. Ich stamme ja aus Aachen und hatte einen ziemlich starken Dialekt. 

Sie sind Quereinsteiger mit Migrationshintergrund – das ist ein doppeltes Handicap.
Ja, von meinem „Migrationshintergrund“ höre ich immer wieder. Aber den hab’ ich gar nicht. Meine Eltern haben den. Mit Quereinstieg ist wohl gemeint, dass ich keine Schauspielschule besucht habe. Das stimmt. 

Letztlich haben Sie doch viel Theater gemacht. Was war mit dem Traum vom Film?
Das ging halt langsam. Nebenrollen natürlich, aber mit tollen Regisseur*innen wie Denis Gansel oder Annette Ernst. So richtig los ging’s, als ich mich selber um meine Rollen gekümmert habe. Das war so Anfang 2019 …

Sie hatten keine Agentur?
Doch. Sogar bei drei, nacheinander im Laufe von 17 Jahren – man merkt schon: der Fehler liegt bei mir. Ich war einfach unzufrieden. Ich bekam zwar immer mal wieder so eine feine Rolle und natürlich Werbung, wo man ja auch viel lernt, aber irgendwie kam da nichts Richtiges weiter, fand ich. Ich will größere Rollen und größere Herausforderungen. 

Was ist daran der Fehler?
Ich habe zu lange darauf gehört, was man angeblich unbedingt machen muss oder bloß nicht machen darf. Kurz: Ich bin irgendwelchen Regeln gefolgt, wie das wohl die meisten machen. Willst du als Schauspieler zum Film, brauchst Du eine Agentur. Die kann vieles besser, womit ich als Schauspieler gar nichts zu tun haben will. Casting, Verträge – meine Agentur macht das schon. So hatte ich mir das wohl vorgestellt und habe jahrelang auf den einen großen Anruf der Agentur gewartet. Etwas naiv also …

Das war die Erkenntnis?
Mehr oder weniger. Wichtiger ist die Folgerung: Wenn ich es anders will, muss ich es selber machen. Wenn man nur auf Casting-Aufrufe wartet, dann passiert wahrscheinlich nicht viel. Man muss schon selber aktiv werden und beharrlich bleiben. Also habe ich angefangen, mich selbst zu bewerben. Und ich bin froh, dass das Gefühl richtig war. 

Wie waren die Reaktionen?
Meine Agentin hat sich gefreut, ihren Anteil bekam sie ja. Also unterstütze ich damit auch meine Agentur. 

Stört das nicht den üblichen Ablauf?
Wo steht der denn geschrieben? Ich bin sicherlich nicht der Erste, der den tollen Einfall hatte, sich selber vorzustellen. Das machen viele und eigentlich ständig. Und nicht jede*r hat ja auch eine Agentur.
Eigentlich ist das doch nur konsequent. Beim Vorsprechen präsentiere ich mich als Schauspieler, Mensch und Kollege. Das kann auch nur ich selbst. Aber das Vorsprechen ist je erst der zweite Schritt zur Rolle. Beim ersten bin ich gar nicht dabei, das läuft zwischen Agentur und Casting. Da liefert also jemand anderes einen ersten Eindruck von mir.

Man könnte das auch eine Empfehlung nennen – samt weiterer Informationen und Showreels.
Klar. Ich habe das ja auch lange als gegeben angenommen. Aber es ist halt nicht der einzige Weg. Und bei so einigem, was man angeblich unbedingt machen muss oder bloß nicht machen darf, habe ich ganz andere Erfahrungen gemacht. Ich glaube, dass Caster neue Talente entdecken wollen. Es gibt ja so viele Schauspieler*innen – die kennen die gar nicht alle. Da sehe ich etwas Eigeninitiative nicht als Konkurrenz, sondern als Ergänzung.
Klar, die Agentur kommt zuerst. Aber man kann die Strukturen doch erweitern. Die Regeln bestimmen doch wir alle zusammen. Ich finde jedenfalls, solche Initiativbewerbungen sollte jeder machen. Aber mit Bedacht!

Fast 130.000 Schauspieler*innen sind bei Crew United vertreten. Das wird turbulent, wenn die alle zum Telefon greifen.
Die Caster brauchen keine Angst zu haben. Ich bin sicher, dass viele Kolleg*innen das doch lieber ihrer Agentur überlassen. Nicht jede*r mag Klinkenputzen oder fühlt sich wohl dabei. Sonst würde ich auch gar nicht drüber reden. Es geht ja eben nicht darum, mal eben zum Telefon zu greifen.   

Sondern?
Man sollte sich schon für eine konkrete Rolle bewerben, so wie andere Berufe auch. „Hallo, ich bin Schauspieler, hätten Sie was für mich?“ bringt wenig und nervt auch nur. Recherche ist das Erste: Gibt es bei dem Projekt überhaupt eine Rolle, für die ich mich vorstellen könnte? Wenn Heimatcolorit gefragt ist, bin ich eher zögerlich. Bei einer Miniserie mit sechs Folgen würde ich mich immer bewerben – da gibt’s viele Rollen, gute Gagen und die Prime Time!
Genauso schaue ich mir an, wer das Casting macht. Da habe ich inzwischen ein gutes Gespür, wo ich entspannt anrufen und konkret nachfragen kann, und bei wem es besser wäre, einfach nur eine Mail zu schreiben. Dazwischen gibt es ein weites Feld, da melde ich mich einmal im Jahr und berichte kurz, was ich in letzter Zeit so gemacht habe. Also keine Anfrage, sondern ein Update meinerseits. Die beschweren sich auch nicht, sondern freuen sich.

Tatsächlich?
Bisher hat jedenfalls noch niemand zu mir gesagt: Rufen Sie bloß nie wieder an. Liza Stutzky zum Beispiel arbeitet gerne mit mir, und ich hatte nie das Gefühl, dass ich störe. Im Gegenteil: Alle Projekte in den vergangenen vier Jahren habe ich selbst an Land gezogen Allein voriges Jahr waren das knapp 40 Drehtage. Und ein paar Projekte waren richtig stark: zwei Prime-Time-Serien, ein Kino- und ein Fernsehfilm.

Schauspieler*innen auf Rollenjagd kommen in Film und Fernsehen ja eher nicht so gut weg.
Naja, so wie es da dargestellt wird, würde ich es auch nie machen. Sowas weiß man aber doch. Dass Caster und Produzent*innen auf Empfängen nicht unbedingt Vorstellungsgespräche führen wollen, versteht sich eigentlich von selbst, wenn man sich ein wenig ins Gegenüber hineinversetzt.
Aber ja, es ist ein schmaler Grat. Darum melde ich mich, wie gesagt, nur zu konkreten Projekten. Und wenn ein*e Casting Director drei Filme betreut, rufe ich nicht dreimal an, da muss eine einzige E-Mail reichen. Und wenn’s nicht klappt, immer freundlich und professionell bleiben. Manchmal heißt es „Jetzt noch nicht, aber meld’ Dich nochmal in zwei Monaten“ oder die Produktion kommt selber plötzlich auf einen zurück … Vielleicht habe ich keine Rolle, aber ich habe mich vorgestellt, habe einen neuen Kontakt und manchmal auch frische Informationen.

Wie recherchieren Sie?
Als erstes über die Datenbanken. Ich bin Premium-Mitglied bei Crew United. Ich finde auch Filmmakers und Schauspielervideos super – aber hier hast du die Daten. 

Die Projekte „in Vorbereitung“?
Die sind eher eine Mogelpackung, finde ich.

Wie bitte?
Da werden die Projekte ja erst öffentlich gemacht. Das Casting ist da schon längst gelaufen. Ein paar Rollen habe ich trotzdem so bekommen, einmal ist ein Schauspieler abgesprungen … Aber insgesamt sind die Chancen selbst auf eine Tagesrolle sehr klein, und die Chancen, dass ich jetzt eher störe, viel größer. Das meinte ich mit „sich ein wenig ins Gegenüber hineinversetzen“.
Interessanter sind Projekte „in Planung“. Da ist noch vieles offen.

„In Planung“ heißt, es dauert noch.
Das kann auch ganz schnell gehen. Wer weiß denn schon, wie weit die Planung ist? Sowas erfährt man aber mitunter, wenn man mit Produktionen und Castern spricht: Sorry, schon alles besetzt, aber hattest du’s vielleicht schon da und da versucht?
Dann schreibe ich eine E-Mail oder rufe an. Stelle mich kurz vor, dazu ein, zwei lockere Sätze, die mehr von mir erzählen, und warum wir beide zusammenpassen: Sie drehen ein Musical – ich singe gern und selten falsch oder so … Aber alles muss ich ja jetzt auch nicht diktieren.

Sie schreiben direkt die Produktion an?
Wenn ich die Möglichkeit hatte, habe ich immer die Caster angerufen. Manchmal auch beide, je nach Gefühl. Manche Caster haben grad wenig Zeit, übersehen die E-Mail … Seit ich alles selber mache, weiß ich, dass es keine „ruhigen Monate“ gibt. Und durch meine Akquise habe ich sogar mit einigen Produzenten guten Kontakt.
In der dritten Staffel von „Druck“ hatte ich 2019 eine Tagesrolle. Da hatte ich, glaube ich, die Regisseurin Pola Beck angeschrieben. Sie hat mich anschließend Aaron Lehmann für eine Nebenrolle in „Das letzte Wort“ vorgeschlagen. Parallel hatte ich mich selber schon bei Aaron vorgestellt (lacht). Beide hatten total entspannt auf meine Mails reagiert, und es war eine tolle Zusammenarbeit.
Eine andere Rolle habe ich bekommen, weil der Regisseur mich wollte. Und weil jetzt vermutlich gleich die Frage kommt: Nein, die Casterin war nicht sauer wegen meiner Doppelbewerbung. Glaube ich zumindest. Denn Unterkunft und Fahrtkosten hätte ich selbst übernehmen sollen – am Ende haben die alles bezahlt. Ich habe das immer sehr professionell und freundlich erlebt. Man muss natürlich auch verhandeln und für sich Grenzen ziehen.
Und letztlich durfte ich mit tollen Regisseur*innen und Kolleg*innen zusammenzuarbeiten. Das ist für mich auch eine Bestätigung. 

Liza Stutzky hat Sie für die Sky-Serie „Souls“ besetzt.
Auch da hatte ich mich selber beworben. Am Ende kam die Rolle: 20 Drehtage durchgehende Nebenrolle! Ich war stolz wie Bolle. Ich habe mit großen Schauspieler*innen vor der Kamera gestanden. Aber ich kann auch sagen: Ich hab’ jedesmal abgeliefert (lacht).

 „Souls“ wurde dieses Jahr auf dem Serienmarkt „Canneseries“ präsentiert und zweimal ausgezeichnet. Wie war das?
Überwältigend. Sky. Mit „Souls“. In Cannes – und ich dabei! Danke nochmal an Hana Geißendörfer und Malte Can. Ich war überall eingeladen. Ich habe unseren Boss bei Sky getroffen und dessen Boss und dessen Boss. Und die wussten alle, wer ich bin! Das kann mir keiner nehmen. Und am nächsten Tag bin ich wieder in Berlin bei Netto einkaufen (lacht).

Künstlerschicksal?
Nö, ist so. Wir müssen flexibel bleiben, auch im Kopf. Mein Leben jedenfalls läuft in allem assymetrisch. So halte ich es auch bei meinen Bewerbungen. Da gibt’s keinen Plan. Jede Rolle bringt mich auch als Schauspieler weiter. Nach „Souls“ hatte ich mich für „Blackbox“ von Asli Özge beworben. Das war komplett anders. Jede Szene wurde intensiv gedreht, ich habe unheimlich gelernt. Was für ein Coaching! Ich war noch nie so gut. Vielen Dank nochmal an Kristin Diehle, dass du mich damals zurückrufen hast.

Läuft es bei Ihnen auch besser, weil zurzeit alle von mehr Diversität reden?
Die Streamer und bestimmte Caster haben da viel vorangetrieben. Wär das bloß mal 20 Jahre früher aktuell gewesen.

Da gab’s noch keine Streamer.
Ja, blöd, dass sonst keiner auf die Idee mit der Vielfalt gekommen ist. Zumindest gibt’s jetzt mehr und mehr „diverse“ Rollen, allerdings ist auch die Konkurrenz größer. Und es stimmt halt immer noch: Die Hauptrollen spielen in der Regel Deutsche im Standardmaß. Schau dir „Das Boot“ an – alle schön und sehr jung, Mitte 20 …

Also bitte, die Serie spielt im Zweiten Weltkrieg auf einem deutschen U-Boot. Da ging’s ja alles andere als divers zu.
Na und? Ich habe den Leiter der Tabakabteilung im „Haus der Träume“ von Sherry Horman gespielt. Die Serie spielt im Berlin der 1930er-Jahre. Schau dir doch mal Fotos aus dieser Zeit an: Die Leute sahen auch nicht aus wie heute. Divers geht, man muss es nur wollen.
Das machen ja auch andere schon längst: In „Es war einmal in Deutschland“ etwa spielte der großartige Tim Seyfi vor fünf Jahren einen deutschen Juden, der den Holocaust überlebt hat. Eine Hauptrolle.
Das ist leider nur ein Beispiel. Wir stehen da noch ziemlich am Anfang, aber ich finde, wir sind auf dem richtigen Weg. 

Das klingt schon nach Schlusswort. Wie ist der Ausblick in die Zukunft?
Überwiegend optimistisch, würde ich sagen. Ich bin mein eigener Herr, die Datenbanken bieten mir dazu alle Möglichkeiten, die ich nutzen kann. Und ich bin jetzt 45, mitten im Leben, habe eine wundervolle Frau und tolle Kinder. Ich freu mich über jede Rolle, groß oder klein, bunt oder grau – sie muss nur passen (lacht). 

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