Förderreform: Ein Plan ohne Plan
Acht Punkte hatte BKM Claudia Roth angekündigt, drei Säulen sind es geworden. Oder vielleicht auch vier. Bei der großen Reform der Filmförderung ist noch einiges offen und vieles in Bewegung. Ein Überblick zum Zwischenstand.
Die erste Säule steht. Das war erstmal die gute Nachricht inmitten all der Skepsis, ob’s noch was wird mit dem angekündigten großen Wurf, mit dem es wieder aufwärts gehen soll beim Deutschen Film. Ein Jahr hat Claudia Roth, die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM), auf sich warten lassen seit ihrem Acht-Punkte-Plan zur großen Reform der deutschen Filmförderung und FFA.
Die Erwartungen sind hoch. Die große Reform wird schon seit Jahren erwartet und wurde zweimal verschoben. Und der Branche geht inzwischen überhaupt nicht gut. Streamer und Sender fahren ihre Produktionen herunter, den Kinos fehlt immer noch Publikum, Firmen melden Insolvenz, Filmschaffende verlassen die Branche – die Auftragslage sei „katastrophal“. Beziehungsweise „desaströs“. Sagen nicht nur viele Betroffene, sondern bestätigt auch ein Blick in die Datenbank von Crew United.
Wie es besser werden soll, skizziert der Referentenentwurf, den die BKM im Februar zur Berlinale vorstellte. Dann hatten die vielen Interessengruppen der Branche Zeit für ihre Stellungnahmen. Ende Mai verabschiedete das Kabinett den Gesetzentwurf, der zum nächsten Jahr in Kraft treten soll. Diesmal war die Frist für Stellungnahmen etwas knapper, denn laut Plan (wir berichteten auf „Outtakes“) soll das Gesetz im Juni durch den Bundestag, der es wiederum durch den Kulturausschuss schickt. Und dann schaut auch noch der Bundesrat, was er davon hält. Kurzum: Es kann sich noch einiges ändern – schon zwischen Referentenentwurf und Kabinettsvorlage gibt es „umfangreiche Änderungen“, die Marc Mensch bei „Spot“ dokumentiert hat.
Am großen Reformplan ändert das nichts. Den stellt Claudia Roth bekanntlich auf „drei Säulen“ (hier nochmal im Überblick der BKM): Eine neue Filmförderungsanstalt (FFA), dazu ein Steueranreizmodell und eine Investitionsverpflichtung für Sender und Streamer.
Säule 1: Mit dem neuen FFG erhält die FFA eine „grundsätzlich neu aufgestellten Fördersystematik“: Die Förderkommissionen sollen überwiegend abgeschafft werden, die Vergabe automatisiert ablaufen: „Ein Referenzpunkt für eine entsprechende Förderung ist beispielsweise der wirtschaftliche oder kulturelle Erfolg früherer Filme. Damit werden die Transparenz, Effizienz und Planbarkeit der Förderverfahren – ohne lange Wartezeiten und Unwägbarkeiten durch Juryentscheidungen – entscheidend erhöht. Zudem wird der Zugang zur Förderung für Produktion und Verleih niedrigschwelliger ausgestaltet.“ Soweit die Pressemitteilung der BKM.
Das sind tatsächlich große Änderungen. Mehr Transparenz, Effizienz und Planbarkeit hatten sich wohl alle gewünscht. Doch von dem angekündigten „großen Wurf“ sei nichts zu sehen, meint etwa Ulrich Höcherl bei „Blickpunkt Film“ [Bezahlschranke]. „Weniger ist mehr, war viel gepriesene Devise und letztes Jahr noch Konsens. Weniger Filme fördern und dafür bei Produktion und Herausbringung besser ausstatten. […] Die Produzent*innen scheinen immer noch begeistert, Verleiher und Kinos sehen sich in einem wiederkehrenden Albtraum gefangen. Von der Stärkung der Herausbringung ist nicht mehr die Rede. Die Verleihverbände, die vertrauensvoll zugewartet hatten, in der Hoffnung, ihre Eingaben würden berücksichtigt werden, melden sich jetzt umso deutlicher zu Wort.“
Auch bei der Produktion sind der Begeisterung Grenzen gesetzt. Denn das neue Fördersystem gilt nur für Spiel- und Dokumentarfilme in abendfüllender Länge und mit ausreichenden Referenzen. Was zu neu ist, zu kurz oder zu anders, muss sich weiterhin vor Jurys mit kleineren Töpfen bewerben. „Somit entscheidet auch der wirtschaftliche oder kulturelle Erfolg früherer Filme eines Filmschaffenden mit darüber, ob er die Förderung erhält oder nicht“, merkt „EPD Medien“ dazu an.
Ob es eine „Reform mit Substanz?“ werde, hatte schon nach dem Referentenentwurf ein Panel beim Kongress Zukunft Deutscher Film gefragt (hier auf Youtube). Da zeigte sich nur die Lisa Giehl zufrieden, die für mehrere Produktionsverbände sprach. Der Schulterschluss von Produktionsallianz, Produktionsverband, AG Dok und den Produzent*innen in der Deutschen Filmakademie sei nur „Teil unseres Erfolgs in dieser großen Förderreform. Wir haben der BKM die Lösung präsentiert.“
Für einen Filmverleih wie Salzgeber ist das keine Lösung, sondern „der Sargnagel“, sagte dagegen Jakob Kijas. „Natürlich müssen wir auch in einem gewissen Sinne erfolgreich wirtschaftlich arbeiten, wir definieren uns aber nicht nur darüber“ – man habe auch einen kulturellen Auftrag. Und dabei sei man auf Förderung angewiesen. Im Referentenentwurf vermisst Kijas die kulturelle Perspektive: „Sorry, da fehlen ungefähr 50 Prozent.“
Säule 4. Was anscheinend auch die BKM gemerkt hat. In der zitierten Pressemitteilung zum Kabinettsbeschluss ist plötzlich von einer vierten Säule die Rede – es gibt ja noch die kulturelle Filmförderung! Die neue Richtlinie befinde sich „bereits in der Branchenanhörung“.
Da sollen zwar weiterhin Jurys entscheiden, aber der Prozess soll einfacher werden. „Doch schon jetzt ist klar, wo es haken könnte“, schrieb Katharina Dockhorn auf „Blickpunkt Film“ zum Entwurf bei „Blickpunkt Film“ [Bezahlschranke]: Die Produktionsverbände „fürchten, dass die Etats angesichts der aktuellen Diskussionen um den Bundeshaushalt nicht oder kaum erhöht werden“, die Verleiher hätten sich „gleiche Regeln“, nämlich eine automatisierte Förderung gewünscht, um Filme schneller ins Kino zu bringen. „Oft fällt auch das Wort Respekt, wenn es um die unterschiedliche Herangehensweise in der wirtschaftlichen und kulturellen Filmförderung geht. […] Die BKM sieht den Kurzfilm aber als Genre für den Nachwuchs, in Frankreich ist er als eigenes Genre betrachtet. Durch die mangelnde Förderung kommt es zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung.“
Säule 2. An den anderen beiden Säulen wird noch mühsam gebastelt. Etwa am am Steueranreizmodell für große Film- und Serienproduktionen, die von Deutschen Filmförderfonds (DFFF) I und II und German Motion Picture Fund (GMPF) gefördert werden. Die sollen künftig keine Zuschüsse mehr vergeben, sondern eben Steuererleichterungen. Denn die Nachfrage sei groß und der Standortfaktor noch viel gewaltiger: „Rund das 6-fache der eingesetzten Fördergelder“ würden die Folgeinvestitionen am Filmstandort Deutschland betragen, so die BKM.
Es ist das Modell, „nach dem die Branche geradezu lechzt“, meint Achim Rohnke, Geschäftsführer des Verbands Technischer Betriebe für Film und Fernsehen (VTFF). Ohne die Steueranreize drohe den technisch-kreativen Dienstleistern eine Insolvenzwelle, warnt er in einem Gastbeitrag auf „Spot“. Und die Zeit laufe ab: „Hier liegen 16 Monate nach der Ankündigung durch die BKM nur ,Diskussionsentwürfe’ vor, die intensiv innerhalb der Bundesregierung und mit den Ländern erörtert werden müssen.“
Säule 3. Auch über die Inverstitionsverpflichtungen wird noch heftig diskutiert. „Audiovisuelle Mediendienstanbieter, wie etwa Streamingplattformen“ sollen investieren, also ihre Abgabe an die FFA leisten. Die sind nicht begeistert, doch angeblich sei inzwischen alles auf einem guten Wege. Für „Blickpunkt Film“ [Bezahlschranke] hat Katharina Dockhorn nachgefragt, kann aber auch noch keinen Durchbruch melden. Zwar habe die BKM mit Wirtschaftsminister Robert Habeck „einen wichtigen Unterstützer ihres Dreisäulenmodells zur Reform der Filmförderung gewonnen. Von der ARD bis Netflix sind sich die Anbieter dagegen einig in der Ablehnung der Investitionsverpflichtung. Die Länder haben verfassungsrechtliche Bedenken.“
Die Produktionsallianz hat derweil die Kampagne „Film Reform Jetzt“ gestartet. Zahlen, Statistiken und Bespiele sollen für das Dreisäulenmodell werben.
Nochmal Säule 4: Die große Reform hatte man sich irgendwie anders vorgestellt, als 2016 mit einem ersten Kongress die Zukunft des Deutschen Films diskutiert wurde. Ergebnis waren die „Frankfurter Positionen“, in denen Filmmenschen aus Theorie und Praxis erarbeitet hatten, wie der Deutsche Film tatsächlich gestärkt werden sollte. Im vorigen Jahr spürte man dort noch „Aufbruchsstimmung“ – im 8-Punkte-Plan von Kulturstaatsministerin Claudia Roth hatte man die „Frankfurter Positionen“ wiederentdeckt. Auf ein grundsätzliches Missverständnis hatten wir damals hingewiesen: Die FFA war nie für die Filmkunst gedacht, sondern für die Filmwirtschaft. Ihr Förderbudget bringt sie selber auf: „Kinos, Verleihe und Sender zahlen ein und fördern damit Kinos, Verleihe und Produktionen. Die Sender kommen auch nicht zu kurz, denn sie sind selbst als Koproduzent, Auftraggeber oder mit ihren Produktionstöchtern dabei. Das Ganze ist also mehr Kreislauf als Förderung; Buchhaltung statt Kunst.“
Beim diesjährigen Panel herrschte Ernüchterung: „Zugespitzt würde ich sagen, das ist ein neoliberaler Entwurf“, meinte Jutta Brückner, eine der Pionierinnen des feministischen Films. Die Regisseurin Ay?e Polat fürchtet, dass nun „größtenteils Filme entstehen, wo man sich einen wirtschaftlichen Erfolg wünscht und dadurch so eine ästhetische Vielfalt fehlt – und wenn die fehlt, dann können auch diese Unterhaltungsfilme nicht gefüttert werden.“
Bei der FFA gibt es Zahlen dazu. Zum Beispiel die „Top 20“ der „besuchsstärksten deutschen Filme“ des Jahres 2023 [PDF]. Nur bei einem hat die Bundesförderung nicht mitgemischt: Mehr als 100 Millionen Euro haben FFA und DFFF an Produktionsförderung verteilt – rund 6,60 Euro pro Ticket, weitere Förderungen nicht eingerechnet. Fast 38 Millionen davon flossen aus dem DFFF2 an „John Wick 4“ und „Die Tribute von Panem“, die irgendwie auch als deutsche Filme gelten, sonst die Quote mit 5,10 Euro pro Ticket etwas günstiger aus.
Was das Kinopublikum demnach sonst noch interessierte: Kinderfilme (7), Komödien (5) oder gleich beides (3). Das Drama findet nur dreimal statt, Genre ist nicht dabei.
Die Kunst geht im neuen FFG nicht vergessen, sie kommt sogar zu neuen Ehren: Erste Aufgabe der FFA war von jeher, „die Struktur der deutschen Filmwirtschaft“ zu verbessern. Nun kommt ganz oben auch dazu, „die kreativ-künstlerische Qualität des deutschen Films“ zu fördern. Beides sind große Aufgaben, da erwarte man vielleicht doch eine Art Masterplan, wie das ungefähr gehen soll. Oder wenigstens eine Art Reiseroute. Bislang hat es sowas noch nicht gegeben.
„Neoliberal“ ist sicherlich die Hoffnung, der Markt werde schon alles regeln, wenn nur das Gerüst steht. Letztlich das Mantra zur Reform. Da hatte zwar schon vor einigen Jahren Roths Vorgängerin Monika Grütters die Gegenfrage gestellt: Wo sie als BKM doch immer mehr Geld in die Branche stecke, warum wird’s dann trotzdem nicht besser? Das lag halt am ineffizienten Fördersystem.
Fun Fact: Schon das erste FFG hatte 1967 lediglich eine Referenzfilmförderung vorgesehen. Das wurde gleich mit der ersten Novelle 1971 korrigiert.
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