Kulturelle Aneignung

Wenn das Fernsehen von Ostdeutschland erzählt, wimmelt es meist von Klischees und Stereotypen. „Es fehlt einfach an Entdeckungslust, am Blick für Überraschendes, an Neugierde“, findet der Drehbuchautor Torsten Schulz. Das war mal anders (Szenenfoto aus „Polizeiruf 110: Vor aller Augen“, 2013). | Foto © RBB/Conny Klein
35 Jahre nach der Wiedervereinigung hat der Westen immer noch ein schräges Bild vom Osten. Film und Fernsehen tragen eifrig dazu bei – an den Entscheidungspositionen sind Ostdeutsche eine verschwindende Minderheit. Das muss sich ändern, fordert das Netzwerk Quote-Ost noch einmal in einem Offenen Brief.
Wieso gilt Diversität eigentlich nicht für Ostdeutsche? In einem Offenen Brief fordert das Netzwerk Quote-Ost mehr Ostdeutsche in Entscheidungspositionen. 35 Jahre nach der Wiedervereinigung seien sie gerade in der Film- und Fernsehbranche noch „erschreckend“ unterrepräsentiert: „Es handelt sich hier ganz klar um eine strukturelle Benachteiligung.“
Den Brief gab’s zwar schon im Februar zur Bundestagswahl, doch nun ging er auch an den neuen Kulturstaatsminister und findet mehr Beachtung. Michael Hanfeld hält die Forderungen in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ [Bezahlschranke] für „ziemlichen Nonsens“: „Quotenvorgaben bedeuten das Ende der Kreativität und der Kunstfreiheit“ und führten eh „auf den Holzweg“.
Ganz so einfach macht es sich Torsten Schulz nicht. Er ist Professor für Drehbuch an der Filmuniversität Babelsberg und Mitbegründer der Initiative. „Grundsätzlich und von Hause aus“ sei er selbst „immer noch gegen solche Quoten. […] Aber die Ungerechtigkeiten erscheinen mir hier zu massiv und verfestigt“, erklärt er im Interview mit Michael Pilz in der „Welt“ [Bezahlschranke].
„Was mir aber noch wichtiger ist, auch weil es ja um Filme geht: Themen, Stereotypen, Klischees. Ganz Ostdeutschland ist voller Neonazis, alte Stasi-Seilschaften und so weiter. Das ist nicht totzukriegen, verwundert aber auch nicht weiter, wenn ein Autor aus Köln für drei Wochen nach Dessau fährt, recherchiert und dann ein Drehbuch schreibt, das in Sachsen-Anhalt spielt. Oder wenn auch Ostautoren unter Anpassungsdruck in die gleichen Stereotypen verfallen, die da vorgegeben sind. Und es ist ja auch einfacher, mit eindimensionalen Figuren zu erzählen. Wobei die im deutschen Film wahrlich kein reines Ostproblem sind.
[…] Wenn man allerdings die Filme mit den üblichen Stereotypen rausrechnet, ist der Osten, wie er war und ist, ziemlich unterrepräsentiert. Es fehlt einfach an Entdeckungslust, am Blick für Überraschendes, an Neugierde. Das würde aber in den Sendern bei allerhand Leuten wohl auch für Verunsicherung sorgen. In den Neunzigerjahren war das nach meiner Erfahrung noch anders. Da war die Neugierde auf den Osten noch da, zumindest deutlich stärker als heute.“
Es gibt zwar auch Westdeutsche, die das hinbekommen bekommen haben. „Irritierend ist es hingegen, wenn in einem Drehbuch steht: ,Konrad (spricht Ostdeutsch): …’ Gemeint ist meist Sächsisch. Das würde einem Ostkollegen eher nicht unterlaufen,“ meint Schulz und wünscht sich, dass es häufiger so wäre: „Erzählen von innen heraus. Ich würde auch keine Geschichte aus dem Allgäu erzählen, wo ich noch nie war. Kulturelle Aneignung ist aber möglich. Wenn ich schon länger im Allgäu leben würde, dort eine Frau und eine Familie hätte, hätte ich vielleicht auch ein geeignetes Maß an kultureller Kenntnis und an gefühlsmäßiger Beteiligung.“