Weihnachtswundern ums FFG
Trotz neuer Versprechen der BKM wird’s wohl nichts mehr mit der ganzen Förderreform. Das FFG hat zwar noch Chancen, aber Investitionsverpflichtung und Steueranreize werden vertagt. Der Vorwurf: Für eine Reform von „von existenzieller Bedeutung“ für Land und Branche habe sich Deutschland oberste Filmförderin ganz schön viel Zeit gelassen. Und reihenweise Fehler gemacht.
Der Countdown läuft, und alle drängeln. Vier Wochen noch bis Silvester, dann muss ein neues Filmfördergesetz her. Ansonsten droht der Untergang für Deutschlands Filmbranche. So schildert die Produktionsallianz die Aussichten und hat auch allen Grund dafür, nämlich die aktuelle Herbstumfrage unter ihren Mitgliedsfirmen: 77 Prozent der Unternehmen in der Produktionsallianz schätzten die Lage als „schlecht oder sehr schlecht“ ein (im Vorjahr waren es noch 56 Prozent). Nur für 0,5 Prozent ist die sehr gut oder gut. 80 Prozent der Unternehmen im Fiction-Bereich gaben an, das Auftragsvolumen internationaler Streamer sei seit 2022 stark beziehungsweise sehr stark gesunken.
„Fast ein Drittel der Fiction-produzierenden Unternehmen macht derzeit Verluste. Ein weiteres Viertel liegt im Bereich von prekären Gewinnmargen zwischen 0 und 2,5 Prozent. Gleichzeitig sind bei Fiction-Produktionen die Risiken, dass Produktionen teurer werden als geplant besonders hoch – Risiken, die fast ausschließlich das Produktionsunternehmen trägt.“ Sollte die Förderreform scheitern, sei eine Abwanderung der Produktionen ins Ausland „unvermeidlich“, meinen knapp 70 Prozent der Unternehmen. „Wenn alle Unternehmen diese Ankündigung realisieren würden, droht demnach rund eine halbe Milliarde Euro Fiction-Produktionsvolumen ins Ausland verlagert zu werden.“ Wie dramatisch die Lage tatsächlich ist, zeigt sich in einem Detail: In der Rangliste der „voraussichtlichen Probleme und Herausforderungen“ landet der Fachkräftemangel nur noch auf Platz zehn.
Dieselbe Stimmung meldete schon der Verband Technischer Betriebe für Film und Fernsehen (VTFF) von Studios und Dienstleistern. Nun meldet sich auch der Nachwuchs. „Der deutsche Film steht vor dem Abgrund – und mit ihm unsere Zukunft“ schreiben Studierende von sechs deutschen Filmhochschulen in einem Brandbrief an die Politik. „Die Reform der Filmförderung in ihrer Gesamtheit ist unsere letzte Chance, die kulturelle Vielfalt, die Kreativität und die Arbeitsplätze unserer Branche zu retten. Ohne diese Reform wird der Filmstandort Deutschland den Anschluss an Europa und die Welt endgültig verlieren. Wir haben Angst. […] Angst, dass wir als junge Filmschaffende in Deutschland keine Zukunft mehr finden und gezwungen sind, in Länder abzuwandern, die die Bedeutung von Kultur und Filmförderung längst erkannt haben. […] Der aktuelle Trend: Wenn gestrichen wird, dann zuerst bei uns. Unsere Stimmen, unsere Geschichten, unser Potenzial – es verschwindet.“ Ihre Forderung: Die gesamte Reform soll noch in diesem Jahr vollendet werden. „Ein weiteres Hinauszögern wäre ein Desaster.“
Auch die BKM findet die Herbstumfrage der Produktionsallianz alarmierend. In einer Pressemitteilung drängte sie vorige Woche nochmals: „Wir brauchen jetzt die Reform der Filmförderung“. Die umfassende Reform der Filmförderung sei „von existenzieller Bedeutung für den Filmstandort Deutschland und für die gesamte Filmbranche hierzulande.“ Dafür habe sie „gute Vorschläge vorgelegt. Die erste wichtige Säule dieser Reform der Filmförderung, die Novellierung des Filmfördergesetzes, ist bereits auf der Ziellinie. Wir sollten und wir könnten dieses wichtige Vorhaben jetzt unbedingt noch in dieser Legislaturperiode abschließen. […] Wir haben auch bereits ein Steueranreizmodell mit dem Filmförderzulagengesetz sowie ein Investitionsverpflichtungsgesetz in die Ressortabstimmung gegeben. Aufgrund der anstehenden Neuwahlen ist heute leider klar, dass aufgrund der europarechtlichen Vorgaben, der Stillhaltefrist, ein Investitionsverpflichtungsgesetz nicht mehr in den Bundestag eingebracht werden kann in dieser Legislaturperiode. Eine solche Investitionsverpflichtung bleibt aber weiter sehr wichtig für die Stärkung unseres Filmstandortes. Das Filmförderzulagengesetz für ein Steueranreizmodell könnten wir aber in dieser Legislaturperiode noch umsetzen.“ Dafür brauche es nur „eine gemeinsame, parteiübergreifende Kraftanstrengung“.
Schon sehr ungewöhnlich, dass eine Ministerin einen Brandbrief an sich selbst richtet, findet Helmut Hartung bei „Medienpolitik“: „Aha, denkt man sich, wenn das so dramatisch ist, müsste der oder die Verantwortliche in der Bundesregierung längst mit den anderen Ministerien und auch mit den Bundesländern zu einer Vereinbarung gekommen sein, um der deutschen Filmwirtschaft wieder auf die Beine zu helfen. Doch das ist nicht geschehen. […] Zu oft hat sie auch in der Vergangenheit Warnmeldungen anderer Bereiche der Filmwirtschaft ignoriert. Doch diese Pressemeldung ist eine Offenbarung des Versagens der für die Filmwirtschaft und Filmpolitik der Bundesregierung zuständigen Ministerin. […] Vier Wochen vor Ablauf der Gültigkeit des aktuellen Gesetzes, das bereits zweimal verlängert worden ist und drei Jahre nach der Bildung der Ampelkoalition, ist man auf der ,Zielgrade’. Eine starke Leistung!“
An der neuen Ankündigung der BKM zweifelt auch Katharina Dockhorn bei „Blickpunkt Film“. Das neue FFG (oder eine Verlängerung des alten) „muss nach dem 16. Dezember durch den Bundestag gepeitscht und könnte am 20. Dezember im Bundesrat beschlossen werden“. Das Steuererleichterungssystem „könnte von den Fraktionen der verbliebenen Ampelparteien nach dem Showdown mit der Vertrauensfrage von Olaf Scholz am 16. Dezember in den Bundestag eingebracht und beschlossen werden. Dazu bräuchten sie die Unterstützung von FDP und/oder CDU/CSU. Aber es scheint wenig wahrscheinlich, dass die Opposition dem Gesetzentwurf zustimmen wird, auch wenn die Kulturpolitiker der Fraktionen um die Bedeutung für den Filmstandort wissen. […] Aber dann sind da noch die Länder, mit denen eine Einigung über die zunächst anstehenden Steuerausfälle angedacht war. Die Verhandlungen stocken.“
Das Gesetz zur Investitionsverpflichtung werde aber doch nicht vorgelegt: „Hinter vorgehaltener Hand hört man im politischen Berlin, dass es Bedenken aus dem Justizministerium zum BKM-Entwurf des Gesetzes zur Förderung europäischer audiovisueller Werke durch eine Investitionsverpflichtung gegeben habe. Die BKM begründet die Aufgabe des Vorhabens allerdings damit, dass der Gesetzentwurf entsprechend der EU-Transparenzrichtlinie bei der Kommission in Brüssel angezeigt werden muss. Drei Monate hat sie zur Prüfung Zeit. In diesen Wochen kann das Gesetzesvorhaben nicht vorangetrieben werden.“
Eine Chance auf Verabschiedung im Bundestag hätten beide Gesetze wohl ohnehin nicht, meint Torsten Zarges bei „DWDL“ – „weil Roths Behörde sie schlicht und ergreifend zu lange verschleppt hat.“ Als einziger fragt er sich, ob es mit der Reform auch wirklich getan wäre: „Zwar ist die Hoffnung der Produzenten, ihr Auftragsvolumen mithilfe der Investitionsverpflichtung wieder steigern zu können, gerade in Krisenzeiten durchaus verständlich. Allerdings scheint fraglich, ob ein objektiver Marktbedarf nach deutlich mehr deutschen Streaming-Serien und -Filmen überhaupt besteht. Studien im Auftrag des Europarats zeigten nämlich im Frühjahr eine krasse Schieflage zwischen Angebot und Nachfrage von lokalem Content: Nirgendwo in der EU sind die eigenen Programme so unbeliebt wie in Deutschland – ganze 8 Prozent der Streaming-Viewtime stehen demnach 18 Prozent des verfügbaren Katalogangebots gegenüber, während amerikanische Serien und Filme hierzulande überdurchschnittlicher gestreamt werden als in jedem anderen EU-Land. Um die Krise der Produktionswirtschaft nachhaltig zu überwinden, muss also nicht bloß quantitativ, sondern auch qualitativ aufgerüstet werden.“