So können wir nicht arbeiten!
Die Initiative Fair Film schlägt Alarm: ARD und ZDF sparen seit Jahren auf Kosten der freien Produktionslandschaft! Das wirkt sich auf Arbeit und Qualität aus. Und das „Produzentensterben“ geht weiter.
In einem Offenen Brief an ARD und ZDF schlägt die Initiative Fair Film Alarm: An den Produktionsbedingungen fürs öffentlich-rechtliche Fernsehen müsse sich „dringend etwas ändern“. Die „Problemanalyse“ sieht das Bündnis von mehr als 30 Berufsverbänden und Organisationen der Branche als hoffentlichen „Auftakt eines gemeinsamen, konstruktiven Dialogs“.
„In dem siebenseitigen Schreiben werden die Probleme der freien Filmszene geschildert, insbesondere schwindende Aufträge, niedrige Budgets, Insolvenzen und die Abwanderung der Mitarbeitenden in andere Branchen. Die hohen Qualitätsansprüche der öffentlich-rechtlichen Sender seien nicht an entsprechend hohe Budgets gekoppelt. ,Es soll aussehen wie Netflix, aber nur einen Bruchteil davon kosten’, heißt es in dem Brief“, berichtet Lara Marmsoler in der „Süddeutschen Zeitung“ [Bezahlschranke]. Und: „ARD und ZDF äußerten sich zu den Vorwürfen aus der Filmbranche auf Anfrage am Montag nicht“.
Die Vorwürfe: „Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten […] erfüllen ihre Sparvorgaben seit Jahren vor allem auf Kosten der freien Produktionslandschaft“, heißt es im Brief. „Der Verbraucherpreisindex weist laut statistischem Bundesamt seit 2020 eine Steigerung von bis zu 20 Prozent aus, doch die Budgets der öffentlich-rechtlichen Sender für Ihre Projekte sind nahezu unverändert.“
Die Folge: „An den Sets führt der Kostendruck zur Reduzierung der Drehtage, die Quelle prekärer Produktionsbedingungen. Die Anzahl der Drehtage richtet sich nicht nach den Anforderungen der Projekte. Die im fiktionalen Produktionsbereich ohnehin fragwürdige Untergrenze von 21 Drehtagen für einen abendfüllenden Spielfilm wird oft noch unterboten. Der Zeitdruck verschärft die Stimmung entsprechend am Set, was zu Lasten der psychischen und physischen Gesundheit der Teammitglieder geht.“ Und „Überstunden, Nacht- und Wochenendarbeit werden auf Kosten der oft pauschal bezahlten Arbeitskräfte (Kamera, Regie, Schnitt, Kostüm, Szenenbild) in Kauf genommen.“
Das gehe auch zu Lasten der Qualität: „Der Zeit- und Geldmangel führt dazu, dass Produktionen immer öfter mit nicht abgenommenen oder nicht final abgestimmten Drehbüchern starten. Das verursacht Mehrarbeit und belastet das gesamte Team: Regie und Kamera können nicht rechtzeitig planen, Motive können nicht gebucht, Kostüme nicht vorbereitet werden. Drehpläne und Drehbuchauszüge müssen ständig neu erstellt werden.“
Entwicklungskosten würden die Anstalten auf Produktionsfirmen oder freie Autor*innen abwälzen, doch „Entscheidungen über Herstellungszusagen ziehen sich oft über Monate oder Jahre hin“.
Noch schmaler sind die Budgets, wenn für die Mediatheken gedreht wird. Auch dokumentarische Produktionen sind betroffen: „Der Wunsch der Sender nach ‚Hochglanz‘ verlangt einen Aufwand, der sich nicht in den Etats widerspiegelt. Der wesentliche Kern dokumentarischer Arbeit dagegen gerät ins Hintertreffen: Fundierte Recherche und die Vorarbeit, um das Vertrauen der Protagonist*innen zu gewinnen. Diese Entwicklung führt zur Aufgabe journalistischer Standards und zu einer Verflachung der Themen und Inhalte.“
Ein Problem ist auch das Machtgefälle zwischen Sendern und Auftragsproduktionen: „Einzelne Redakteur*innen bedingen sich immer mehr kreative und produktionstechnische Entscheidungen aus, die ihren Kompetenzbereich überschreiten. Teilweise nehmen sie sich als die “eigentlichen” Kreativen wahr. Produktionsfirmen, Autor*innen und Heads of Departments sind oft willkürlichen Einflussnahmen ausgesetzt. Unklare Abnahmeprozesse und kleinteilige Einmischungen in kreative Prozesse zeugen von mangelndem Vertrauen und Respekt. Oft hat dies eine Störung der Produktionsabläufe zur Folge, verursacht unnötige Mehrkosten und führt zu nervenaufreibendem Mehraufwand für die kreativen Fachkräfte.“
Als Vorbereitung für den Dialog haben die Verbände ihr „Positionspapier“ angehängt. Beginnend mit vier „grundsätzlichen Forderungen“:
# Mehr Geld in Auftragsproduktionen.
# Mehr Zeit und Geld für Drehbuchentwicklung. Kein Greenlighting einer Produktion ohne fertiges Buch.
# Bezahlte Stoffentwicklung und Recherche bei Dokumentarfilmen.
# Einhaltung sozialer und ökologischer Mindeststandards. Dazu gehöre auch eine angemessene Ausstattung mit Dreh- und Produktionstagen.
Weiterhin sollen Auftragsproduktionen auf Tariftreue und gemeinsame Vergütungsregeln verpflichtet werden. „Faire und angemessene Gagen müssen in den Budgets sichergestellt sein. Dabei sind die Tarifgagen des TV FFS und die Basishonorare der mit den Verbänden ausgehandelten GVR Mindestgagen nur für Berufseinsteiger*innen anzuwenden und sich bei erfahrenen Filmschaffenden an die Gagenempfehlungen der jeweiligen Berufsverbände zu halten. […] Die Vergütung von (Solo) Selbstständigen, Kleinstunternehmer*innen sollte um 40 Prozent über der Vergütung für Angestellte liegen, um auf ein ,Equal-Pay-Niveau‘ zu kommen. […] Bei den Gagen für pauschal bezahlte Teammitglieder dürfen Überstunden nicht unvergütet bleiben.“
Für Auftragsproduktionen fordert die Initiative einen „verpflichtenden und überprüfbaren Code of Ethics, nach dem Vorbild des Österreichischen Filminstituts“. Mehr Transparenz sollen ein jährliche Monitoring zur Auftragsvergabe der Sender und zur chancengleichen Beschäftigung bringen. Die Beteiligung an OMNI soll obligatorisch werden. Ähnlich der „Looking-Glass“-Studie [auf Englisch] in Großbritannien sollen jährlich die Arbeitsbedingungen und ihre Auswirkungen auf die Gesundheit der Beschäftigten untersucht werden.
Zudem sollen die Sender „zukunftsweisende Arbeitsstrukturen“ fördern. Gemeint sind vor allem „familienfreundliche“ Strukturen: „79 Prozent der Filmschaffenden sagen, Familie und Beruf sei nicht vereinbar.“ Dafür brauche es einen gesonderten Topf, „finanziert von Sendeanstalten und Filmförderung und nicht aus dem Produktionsbudget.“
Auch an Ausbildungsstrukturen für den Nachwuchs in Filmberufen, die an den klassischen Ausbildungsstätten keine Möglichkeit der Ausbildung finden, sollen die Sender mitwirken.
Und schließlich sollen sie einen regelmäßigen runden Tisch „mit allen wichtigen Verbänden und Branchenteilnehmer*innen zur Evaluierung der Dokumentarfilm, Film- und Serienproduktion“ einrichten.