Erinnerungen an Menschen am Sonntag und die Neunziger Jahre; der X-Filmpreis und der öffentliche Selbstmord des ZDF – Cinema Moralia, Tagebuch eines Kinogehers, 85. Folge
Längst hat der Berlin-Hype ein Ende, auch unter Filmemachern. Noch vor fünf Jahren gab es gute objektive Argumente für die Letzten der deutschen Filmszene, nach Berlin zu ziehen: Eine vibrierende, moderne, unspießige Hauptstadtkultur, dazu billige Mieten, billiges Leben, viele freie Wohnungen, und eine großzügige, vergleichsweise stark an Kunst und Independent-Kultur interessierte Filmförderung. Mit alldem ist es vorbei: Die Kultur hat schon lange den Charme der Wendezeit und der 90er verloren, der noch bis in die frühen Nullerjahre anhielt. Heute muss man in den Kneipen von Berlin-Mitte – falls man da zwischen den ganzen Backpackern überhaupt einen Platz bekommen hat – und auch in Kreuzberg früher reingehen als in München, weil sonst die Nachbarn anrufen. Die Küche macht dann auch gleich zu. Die Mieten werden immer teurer, die Lokale immer doofer. Und die Filmförderung, die vor Jahren noch stolz darauf war, »kleine schmutzige Berlin-Filme« zu fördern, hat für dergleichen kein Interesse mehr. Gefördert werden die Großkopferten von »X-Filme« und den zwei, drei anderen größeren Verleihern, die Firma Teamworxx und die Amerikaner. Aber selbst diejenigen Independent-Filmemacher, die nach meiner Ansicht schon vor Jahren nur noch als Feigenblatt die ganz anderen Pläne des Medienboard ein wenig verdecken sollten, bekommen heute ihre Projekte nicht mehr finanziert, von anderen erstaunlichen Entscheidungen einmal ganz zu schweigen. Kein Wunder, wenn man allein schon daran denkt, dass der RBB der einzige sogenannte »Haussender« des Medienboards ist – lassen wir es mal bei dieser sachlichen Feststellung, ohne weiteren Kommentar.
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