Cinema Moralia – Folge 79: Mas que nada – die Kunst der Maskerade
Der Schauspieler denkt, die Rolle lenkt: Aneignungen, Abgrenzungen, Verschmelzungen – wenn Schauspieler unter die Haut von Prominenten schlüpfen – Cinema Moralia, Tagebuch eines Kinogehers, 79. Folge
Bevor wir uns heute mal komplett der Kunst des Schauspiels zuwenden, ist ein dringender Hinweis nötig: Auf die Howard Hawks Retrospektive, die noch bis zum 30. Januar im Berliner Arsenal zu sehen ist. Wem der Weg zu weit ist, dem empfehlen wir den Gang zur Videothek. Denn bei Hawks kann man auch viel über Schauspielführung lernen. Und das ist unser Thema.
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Der Mensch ist das nachahmende Tier. Auch wenn Forschungen längst belegt haben, dass Nachahmung bei Tieren nicht vorkommt, gilt weiterhin: Das »Nachäffen« wird Kindern schon verboten, die Schauspieler müssen es im Fall des Falles mühsam lernen. Ihnen zu Hilfe kommt die Maskenkunst, neuerdings auch Computertechnik. Der Mensch also – ein maskenbildender Affe?
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Der Mensch, schrieb der protestantische Pfarrer Johann Caspar Lavater im 18. Jahrhundert in seinen »Physiognomischen Fragmenten«, bestehe aus Oberfläche und Inhalt. Das Äußere sei allerdings nichts als der Ausdruck des Innern. Auch wenn Lavater diese Grundannahme dann zu einer eher schlichten Moraltheorie weiterentwickelte, die allzugradlinig vom »Hässlichen« aufs »Böse« schloss, lohnt es sich, einen Moment bei ihr zu verweilen.
Nicht nur enthält sie implizit eine frühe Theorie des »Method Acting« – die hat Lavaters Schema nur umgedreht, und demzufolge mehreren Schauspielergenerationen weisgemacht, um einen Charakter wirklich gut spielen zu können, müsse auch der Darsteller selbst sich in ihn verwandeln, müsse er die Leiden, die Traumata oder das Glück seiner Figur selbst empfinden und also weniger »spielen« als »sein«. Das ging in der Praxis dann bekanntlich bis zu körperlichen Entstellungen: Fress- oder Abnehmorgien, antrainierte Muskeln und abtrainiertes Fett schinden bei Schauspielpreisjurys bis heute oft mehr Eindruck, als Nuancen und Subtilitäten.
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Da steht er, der Schauspieler, mit feuerrotem Kunststoff über größeren Partien seines Kopfes. Auch der Anzug, den er trägt, ist knallrot, bis auf die dicken Werbebanner, auf denen »Ferrari« zu lesen ist, und das gelbschwarze Wappen der italienischen Autofirma. Sein Unterkiefer ist leicht zurückgezogen, so dass die Schneidezähne auch zu ahnen sind, wenn er nicht spricht. Und wenn er es tut, dann ist es ein leicht ätzender, unverkennbar niederösterreichischer Dialekt, der in knappen Sätzen, langsam und doch stoßweise seine schmalen Lippen verlässt – das muss einfach Niki Lauda sein, denkt man; es ist aber dann doch Daniel Brühl in einem eindrucksvollen Auftritt in der Rolle der »Formel 1«- Legende in Ron Howards RUSH, der im letzten Herbst ins Kino kam.
Schauspielkunst, das ist unter anderem die Kunst des Typischen und des Typisierens – und gerade wo sie mit der Nachahmung einer allgemein bekannten, medial präsenten Person verbunden ist, ist es auch die Kunst der Reduktion auf ganz wenige Gesten und Eigenschaften. Es geht um schnelle, eindeutige Wiedererkennbarkeit, um Verschmelzung mit dem Vorbild.
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Mehr denn je ist Schauspielkunst heute aber auch die Kunst der Maske. Vielleicht liegt es am schieren technischen Fortschritt, der das Handwerk des Maskenbildners zunehmend in eine Gesichtschirurgie zweiter Ordnung verwandelt, in plastisches Design, unterstützt noch durch die neuen Möglichkeiten der computergraphischen Manipulation von Bildern. Das Kino, das einst als Medium der Wahrhaftigkeit, der »Errettung der äußeren Wirklichkeit« (Siegfried Kracauer) antrat, ist dies allein schon längst nicht mehr – es ist ebenso das Medium ihrer Veränderung, der Vortäuschung einer anderen, zweiten Welt.
Vielleicht liegt es auch am »Visual Turn«, an der schieren Menge der Bilder, ihrer Dauerpräsenz und am qualitativen Bedeutungszuwachs, den man ihnen zuspricht. Dem Publikum, das am Ende ja zumeist weiß, dass es nicht der Prominente Y ist, sondern der Schauspieler X, der da als Y auf der Leinwand zu sehen ist, möchte trotzdem das X für ein Y vorgemacht bekommen, und das immer perfekter.
Obwohl zum Beispiel jeder deutsche Zuschauer weiß, wie Adolf Hitler aussah, obwohl man auch ohne eigene Bemühung bewegten Bildern und Tonaufnahmen des deutschen Diktators und Völkermörders begegnet, und obwohl die allermeisten Besucher von Dani Levys Komödie Mein Führer vermutlich auch eine recht genaue Vorstellung des Komikers Helge Schneider hatten, war dessen Auftritt in der
Titelrolle ganz und gar von der Maske und dem – allzu! – erkennbaren Streben nach äußerlicher Ähnlichkeit dominiert.
So sehr diese äußerlichen Ähnlichkeiten immer verblüffender werden, so sehr gilt, dass es mit ihr allein und der reinen Maske trotzdem nicht getan ist. Erinnern wir uns an Meryl Streeps gefeierten Auftritt in der Rolle der Margaret Thatcher. So sehr Streep mit Maske und Kostüm sich dem Vorbild auch annäherte – der Eindruck eines großen Auftritts und der großen Ähnlichkeit mit ihrem Vorbild entstand durch etwas anderes: Es war die Stimme und es waren die Bewegungsabläufe, durch die Streep mit der ehemaligen britischen Premierministerin nahezu vollkommenen zu verschmelzen schien.
Der Auftritt Brühls als Lauda ist übrigens eher die Ausnahme von der Regel, weil es einen noch Lebenden betrifft, und er in das Paradoxon mündet, dass der Dargestellte die Darstellung nun wieder seinerseits im Vorfeld des Filmstarts kommentiert und das geneigte Publikum darüber informiert, inwiefern er sich getroffen fühlt.
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Allemal ist schon die Maske als solche ein höchst doppelsinniges widersprüchliches Ding, und die ursprüngliche Vorstellung von Maske und Maskerade hat sich stark gewandelt: Waren Masken von der Antike bis in die frühe Neuzeit ursprünglich noch Mittel zur Stilisierung, also des oben erwähnten Typisierens, zeigten sie als ins Stereotype zugespitzte Ausdrucksformen Temperamente und Gefühlszustände – zum Beispiel Freude, Trauer, Wut, Gelassenheit –, war ihr Zweck also vor allem die Reduktion von Individualität, deren Sitz traditionell im Gesicht angenommen wurde, so dienen moderne Masken, also Make-Up und plastische Veränderungen des Gesichts vor allem zur Steigerung und Herausarbeitung des Individuellen einer Rollenfigur.
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Warum aber nun die Faszination der Zuschauer für die Darstellung Prominenter? Es ist die Lust an der perfekten Nachahmung und die Lust am Voyeurismus. Auch die berühmte, durch Medien und Wissenschaft längst »abgedeckte« Person, soll durch den Auftritt als Hauptfigur eines Kinospielfilms und durch einen prominenten Schauspieler, der sie »verkörpert«, noch einmal anders, nämlich als Individuum und vor allem »als Mensch« wahrgenommen werden; es soll ihre den Medien geschuldete Entrücktheit reduziert, sie soll »dem Publikum nahegebracht« und ihr Charisma veralltäglicht werden – selbst wenn es sich um so ein moralisch-politisches Monster handelt, wie Hitler, dessen Darstellung durch Bruno Ganz in Der Untergang von Produktion und Werbekampagne offensiv mit der Feststellung vermarktet wurde, hier nun sei endlich »Hitler als Mensch« zu sehen. Der Spielfilm als imaginäre Home-Story.
Wenn ein Darsteller sich auf eine solche Rolle einlässt, kommt es zwischen beiden zu widerstreitenden Anziehungs- und Abstoßungsbewegungen, die beide Teile nicht unberührt lassen. Drei Fragen stellen sich in so einem Fall immer wieder: Was macht dies mit der Figur, also mit dem, der dargestellt wird? Was macht es mit dem, der sie darstellt? Und was macht es mit uns, dem Publikum?
Die Rede ist hier zwangsläufig nur von solchen Prominenten, die im Bildgedächtnis des Publikums gut genug verankert sind, so gut, dass es eine deutliche und präzise Vorstellung vom Aussehen des Vorbilds hat. Das können auch Personen längst vergangener Jahrhunderte sein – etwa der britische König Heinrich VIII., der in zahlreichen Gemälden des 16. Jahrhunderts visuell verewigt worden ist. An diese knüpften auch sämtliche Kinodarstellungen an, von Charles Laughton bis Richard Burton bewegen sie sich in einem relativ eng definierten Bild- und Darstellungsrahmen. Für Heinrichs Tochter, die »Virgin Queen« Elizabeth I. gilt das viel weniger, was nicht zuletzt daran liegt, dass es von ihr viel weniger Bildmaterial gibt, und diese Vorlagen in sich viel unpräziser, und schlechter im breiten Bildgedächtnis verankert sind. So sieht der Zuschauer viel eher Elisabeth Taylor oder Cate Blanchet als Königin Elizabeth.
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Das eigentliche Problem, aber auch Reiz und Faszination der Aneignung stellt sich naturgemäß vor allem bei modernen Vorbildern, deren sinnliche Erscheinung durch Photographie, Film und Tonaufnahmen recht präzis festgehalten und ein Vergleich zwischen echt und unecht jederzeit leicht möglich ist. Katja Flint als Marlene Dietrich (Marlene) scheiterte zwischen
Tingeltangel und Grande Dame vor allem am übergroßen Vorbild. Leonardo di Caprio als Aviator Howard Hughes hat es leicht, weil man vom Vorbild zu wenig Bilder kennt; von di Caprio als J. Edgar Hoover in Clint Eastwoods Biopic bleibt unter lauter Maske, die sein Spiel wie plumpes Grimassieren, die Mimik wie Chargieren wirken lässt, nicht viel mehr übrig als ein grotesker Gesamteindruck, gelegentlich unterbrochen von einer tatsächlich sensiblen Sprache der Augen. Ansonsten dominiert die Maskerade, und entwickelt ihren Eigensinn. Der Schauspieler denkt, die Rolle lenkt.
In solchen Auftritten kehrt das Maskenhafte in seiner ursprünglichen Bedeutung zurück, die Maske löst sich vom Gesicht.
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Gerade unsympathische, »böse« und furchtbare Figuren machen die fürs Spiel notwendige Aneignung schwer, und oft ist hier etwas von der Spannung des Schauspielers zwischen Widerwillen und Faszination erkennbar.
Bruno Ganz als Hitler sieht insgesamt viel zu gut aus, verglichen mit dem verkniffenen Ausdruck des lichtscheuen Kleinbürgers im Führerbunker; sein Mund ist groß und breit, verglichen mit dem kleinen des Diktators. Ganz verwandelt den Schurken in einen Kranken: Man sieht einen, der zunehmend den Kontakt zur Realität verliert, keinen, der fortwährend mordet, und bald schleicht sich Empathie, irgendwann Mitleid in die Betrachtung ein. Der Hitler Tobias Morettis – in Speer Und Er – dagegen hat zwar in der Sprache Hitlers authentische österreichische Färbung, ist aber in seiner ganzen übrigen Anmutung, seinen Wiener Schmäh, zu sehr ein schmieriger Gossenkomödiant, eher ein Ferdinand Marian (den Moretti in Roehlers Jud Süss hervorragend verkörperte), um das dämonische Charisma des Führers und Reichskanzlers auf dem Gipfel seiner Macht zum Ausdruck zu bringen. Wie dieser ist auch der Hitler Martin Wuttkes zu kräftig, zu körperlich in-sich-ruhend, um die Nervosität, die Angespanntheit und das gleichzeitig Schlaffe, Teigige der sehr speziellen Körperlichkeit Hitlers zu fassen – allen diesen Hitler-Darstellungen fehlt es am Entscheidenden: Ihnen gelingt es nicht, ein Gefühl dafür zu wecken, wie dieser Mann ein ganzes Volk in seinen Bann ziehen und zur Aufgabe aller zivilisatorischen Hemmungen verführen konnte. Je näher man eine Gestalt wie Hitler anschaut, desto ferner blickt sie zurück.
Am ehesten »funktioniert« in dieser Hinsicht immer noch Chaplins Grosser Diktator, doch auch die Karikatur ist nur eine andere Form des Ausweichens vor dem Gegenstand. Doch immerhin die Dämonie, das Böse bleibt hier gesichert – darum zeigt auch Fritz Lang in seinem harten Film Noir über das Attentat auf Heydrich Hangmen Also Die! (»Auch Henker sterben«) gerade die Nazi-Größen, wo sie einen Namen und ein reales Vorbild haben, als Witzfiguren.
Eine andere Form der Distanzierung und der Vermeidung gewisser Stereotypen wählte Todd Haynes: In seinem Bob-Dylan-Biopic I’m Not There ließ er die Hauptfigur abwechselnd von nicht weniger als sechs verschiedenen Darstellern verkörpern. Die sechs Figuren stehen für sechs Facetten sowie Lebensphasen Dylans, für seine gewissermaßen multiple Persönlichkeit.
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Ein anderes Phänomen: Dass Schauspieler und Rolle verschmelzen. Bekanntestes Beispiel: Otto Gebühr, der die Rolle des »Alten Fritz« Friedrich II. von Preußen seit 1923 in den folgenden Dekaden über zwanzig Mal spielte. In der ständigen Ausstellung des Frankfurter Filmmuseums ist Gebührs verblüffende Verwandlung schrittweise dargestellt – das Ergebnis wird zur Ikone des deutschen Kinos. Das liegt auch daran, dass sich der Schauspieler bereits an einer ikonischen Darstellung orientierte: An Adolph Menzels verklärendem Bilderzyklus, gipfelnd im Flötenkonzert Von Sanssouci, dessen Nachdrucke zwischen Reichsgründung und Stunde Null in keinem bürgerlichen Wohnzimmer fehlten. Der Preußenmythos, den bereits Menzel begründet, wird also von Gebühr gewissermaßen verdoppelt. Gebühr und Menzels Friedrich und das reale Vorbild verschmelzen sich zu einer Figur, deren einzelne Elemente ununterscheidbar geworden sind.
Wenn dagegen Tom Cruise in der Rolle des Hitler-Attentäters Claus Graf Schenk zu Stauffenberg zu sehen ist, dann leiht der Darsteller sein als Actionheld erworbenes Glamour-Kapital, sein Charisma dem neuen Objekt, das politisch nicht völlig unumstritten ist, zudem in der Realität körperlich schwerbehindert war. Plötzlich ist Stauffenberg selbst ein Actionheld – mochte er auch in Wirklichkeit gescheitert sein.
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Eine weitere Art von Verschmelzung ergibt sich dann, wenn ein bekannter Schauspieler nacheinander zwei ähnlich gelagerte Rollen spielt, dann verbinden sich diese Figuren selbst. So geschehen in den Auftritten von Sebastian Koch, der zunächst 2003 als Stauffenberg, dann nur knapp zwei Jahre später in Speer Und Er als Albert Speer zu sehen war – also als eine NS-Größe, der für sich selbst im Prozess und seinen Memoiren zwar Schuld eingestanden, zugleich innere Reserven und gewisse Widerstandshandlungen in Anspruch genommen hätte. Darin ist er Stauffenberg bei genauerer Betrachtung gar nicht unähnlich – es sei denn, man konzentriert sich ausschließlich auf dessen letzte Lebensphase, in der er zum Widerstand gehörte, und blendet alles Vorherige aus.
In der Entscheidung des Regisseurs Heinrich Breloer, ausgerechnet den – seinerzeit – bekanntesten Stauffenberg-Darsteller für die Rolle des Speer zu verpflichten, liegt bereits eine Interpretation dieser Rolle. Und Koch gab das seinige dazu, um hier – gefährliche? faszinierende? – Nähen zu behaupten.
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Die drei Fragen, was die Darstellung einer prominenten Figur mit Darsteller, Dargestelltem und mit dem Publikum macht, erhalten also die immergleiche Antwort: Es entsteht ein Hybrid, ein Mischwesen, das sich von dem ablöst, was ihm zugrunde liegt, und doch auf es rückwirkt. Hitler wird man nach Bruno Ganz immer nur so sehen, das sein Bild in sich auch einen kleinen Anteil Bruno Ganz trägt, so wie zuvor schon einen Anteil Chaplin – umgekehrt gibt es einen Bruno Ganz vor und einen nach dem Der Untergang.
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Es gibt aber noch eine ganz andere Art des Spiels, eine, die versucht, sich jeder schlichten Maskerade und Nachahmung zu entziehen. Man könnte von Allegorie sprechen, oder von einer Charaktermaske – gemeint ist ein Typisieren und Ausdrücken jenseits aller Nachahmung, das viel näher an der Idee der Interpretation einer Figur, ihrer Deutung angesiedelt ist, als dort, wo es vor allem um äußerliche Übereinstimmungen geht. Barbara Sukowa als Hannah Arendt in Margarethe von Trottas Film gelingt so etwas. Schon äußerlich, aber auch in ihrer Stimme weit entfernt vom historischen Vorbild, führt ihr Auftritt gar nicht erst dazu, fortwährend Vergleiche zwischen beidem anzustellen, und sich damit von dem abzulenken, wovon der Film eigentlich erzählen möchte.
Der immer gleichen Frage, ob es nun das wahre Gesicht sei, das einem hier begegnet, oder das falsche, entkommt auch dieser Film nicht. Die schöne Lüge der Schauspielerei ist erst recht eine Gratwanderung, wo ihr eine Wahrheit zugrunde liegt. Doch signalisiert von Trottas Film wie schon ihre früheren Biopics, dass die Regisseurin um den Eigensinn dieses Genres und der Kinoreproduktion von Realität genau weiß: Jede Nachahmung hat ihre Grenzen, und jeder Film hat etwas jenseits der Nachahmung. Die Begriffe, die hier de facto verhandelt werden, sind klassisch seit der Kunsttheorie Vasaris: Statt der Nachahmung einer vorgegebenen Wirklichkeit (mimesis) soll die Versinnbildlichung eines ideellen Gehalts (idea) erreicht werden. Doch das Kino, und das belegt von Trottas Film recht gut, fügt dem noch eine dritte Dimension hinzu: Wie das Bild der Malerei zeigt sich auch das Filmbild als widerständig gegen die Aufgabe der reinen Abbildung – sei es nun die der Realität oder die einer Idealität.
Die Bilder zeigen immer auch etwas Neues, etwas, das vorher und so noch nie zu sehen war. Sie repräsentieren nicht, sondern sie präsentieren. Und so lugt noch unter der dicksten Maske der Schauspieler hervor, unter der Mimesis die Aura.
(To be continued)
Unter dem Titel »Cinema Moralia« sind auf artechock in loser Folge Notizen zum Kino zu finden, aktuelle Beobachtungen, Kurzkritiken, Klatsch und Filmpolitik, sowie Hinweise. Eine Art Tagebuch eines Kinogehers.