Blick in die Zukunft: Interstellar von Christopher Nolan
Jungs und Frauen: Die fröhliche Wissenschaft des Sehens im Kinojahr 2014 – Ein etwas anderer Jahresrückblick in drei Teilen. Cinema Moralia, Tagebuch eines Kinogehers, 99. Folge
»Was wir Sinn nennen, wird verschwinden.«
Max Horkheimer, vor ziemlich genau 45 Jahren, im lesenswerten Spiegel-Interview am 5.1.1970
Fehlenden Mut zum Neuartigen und »eine fast depressive Grundstimmung« führe dazu, »dass Bauherren sich nicht trauen, eine mutige Architektur zu machen, und Architekten keine Aufträge für mutige Architektur bekommen«, so klagte der Architekturwissenschaftler Friedrich von Borries, der an der Hamburger Hochschule für bildende Künste lehrt. Durch einen konservativen Umschwung in den 1980er-Jahren sei das Vertrauen in die Architektur als Zukunftsmotor verlorengegangen.
Die HfbK ist bekanntlich auch eine Filmhochschule, und das, was Borries sagt, könnte man genauso über das Kino sagen: seit den 80ern gibt es viel Spektakel, aber wenig Mut. Man redet dem breiten Volk nach dem Mund, will Beifall statt Irritation. Es gilt für die Kunst wie für die Politik, wie für unsere gesamten Lebensverhältnisse. Und dieser Befund belegt nur einmal mehr: Das Kino ist ein gesellschaftliches Phänomen.
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Eine Woche nach dem letzten »Wetten das…?« starb Udo Jürgens. Sagt uns das irgendetwas? Der Tod der 70er Jahre vielleicht?
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Jetzt ist sie schon fast wieder vorbei, die Zeit der Jahresrückblicke. Auch von mir kommt noch einer, klar. Weiter unten dann, ganz konventionell. Zuerst aber ein etwas anderer Blick zurück, einer, der allerdings nicht weniger erzählt, als die dankenswerten und geschätzten Listen mit den besten, interessantesten und schlimmsten Filmerlebnissen und den »Magischen Momenten«.
I.Teil: 604 Filme sind immer noch zu wenig
»Human kind cannot bear very much reality.«
T. S. Eliot: »Four Quartets: I. Burnt Norton«
604 Filme kamen 2014 in die deutschen Kinos. Krasse Zahl, kaum zu glauben. Die allermeisten von ihnen hat niemand gesehen. Und vieles, was wir gesehen haben, ist schon wieder vergessen. Manchmal zu Unrecht, oft zu Recht, in beiden Fällen.
Wer erinnert sich zum Beispiel noch an Das erstaunliche Leben des Walter Mitty von Ben Stiller, den ersten Film, der 2014 startete, gleich am ersten Tag des Jahres? Oder an Terry Gilliams The Zero Theorem, an Das Verschwinden der Eleanor Rigby von Ned Benson oder an Nadav Schirmans The Green Prince, die erst vor einem Monat starteten ? Oder Patong Girl, einer der besten deutschen Filme des Jahres, unverständlicherweise zwischen Weihnachten und Sylvester gestartet.
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