„Was Sie schon immer über Sex wissen wollten, aber bisher nicht zu fragen wagten …“ beantwortet Woody Allen (3. von links) auch nicht in seiner eben erschienen Autobiografie. Dafür aber eine unterhaltsame Reise durch mehr als 70 Jahre Filmgeschichte. | Foto © United Artists
Das Brausen und Tosen der Welt: Apokalyptiker & Integrierte – Gedanken in der Pandemie 03.
„Dann werden die also nichts tun gegen diesen Wahnsinn?“
„Die sind dieser Wahnsinn.“
Aus der ZDF-Serie „Unterleuten“.
„Auch wenn ich es schon oft gesagt habe, ich bleibe dabei: Statt in den Köpfen und Herzen der Menschen würde ich lieber in meiner Wohnung weiterleben.“
Der Filmemacher Woody Allen, 84, am Ende seiner Autobiografie.
Heute ist „Ganz nebenbei“ erschienen, die Autobiographie von Woody Allen. Im Vorfeld hatte es in Amerika Proteste gegeben, und in Deutschland eine Feuilleton-Debatte um Fragen der Meinungsfreiheit und der Freiheit von Verlagen, das zu veröffentlichen, was sie für richtig halten. Nun hat der Rowohlt-Verlag sich von der Kampagne einer selbsternannten Bürgerwehr nicht beeindrucken lassen, das Buch sogar um eine Woche vorgezogen veröffentlicht, und ab heute kann sich jeder selbst ein Bild machen: Das Buch, das 448 Seiten umfasst, dreht sich nur zum geringsten Teil um den schmutzigen Trennungsstreit mit Mia Farrow und die in diesem Zusammenhang erhobenen, bis heute unbelegten und sachlich sehr umstrittenen Vorwürfe, Allen habe seine Adoptivtochter missbraucht. Zum größten Teil ist „Ganz nebenbei“ eine spannende, facettenreiche und sehr unterhaltsame Reise durch mehr als 70 Jahre Filmgeschichte, durch das linksliberale Amerika und die jüdisch-amerikanische Kultur – cinephile Filmeflexionen wechseln sich ab mit Klatsch (eine etwas ausführlichere Besprechung folgt).
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Das Bild von Helmut Schmidt als Innensenator in Hamburg bei der Sturmflut 1962 haben die Älteren noch im Kopf, und selbst wer, wie ich, damals noch gar nicht lebte, hat es irgendwo schon mal gesehen. Die Sturmflut und Schmidts beherzter Einsatz als Krisenmanager mit Mut zur Verantwortungsübernahme, machten ihn bundesweit bekannt, und begründeten seinen Ruf als „Macher“ und Pragmatiker.
Wer wird das Gesicht von Corona? Jens Spahn? Markus Söder? Oder doch der Virologe Christian Drosten? Seine täglichen Podcasts beim NDR sind schon jetzt ein unglaublicher Erfolg der öffentlich-rechtlichen Medien und ein früher Klassiker der Corona-Tage, an die wir uns für den Rest unseres Lebens erinnern werden. Denn Corona, da dürfen wir uns nichts vormachen, ist mindestens für unser aller Gedächtnis ein Einschnitt. Ob man das alles nun mit dem 11. September 2001 vergleichen muss, weiß ich nicht, zumal auch noch keineswegs entschieden ist, ob diese Monate eine ähnliche Epochenschwelle bedeuten werden – was manche wünschen, und manche fürchten. Vielleicht ist es treffender an das Sommermärchen 2006 zu erinnern, an die Zeit des Mauerfalls oder (für die Älteren) an das Ende der Sozialliberalen Koalition und die Wende von Helmut Schmidt zu Helmut Kohl zwischen August und Oktober 1982, an den „Deutschen Herbst“ 1977 oder, für die ganz Alten, an den Mai 1968 (habe ich mir sagen lassen). Das war nicht ein Tag, sondern einige Woche und Monate, längere Zwischenzeiten, die merkwürdig traumwandelnd verliefen, wie aus der Zeit gefallen. Ich stelle mir vor, dass man über die Corona-Tage einst so ähnlich reden wird, und dass man Traumnovellen und Schlafwandlerromane schreiben wird, über diese merkwürdige surreale Zeit, ihre wattierte Melancholie, ihre Stille, hinter der die Welt braust und tost.
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