Gedanken in der Pandemie 09: Wollen wir den Coronafunk?

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Das öffentlich-rechtliche Fernsehen wird für seine Berichterstattung in der Krise gelobt. Doch es gibt auch Kritik daran. | Screenshot

Die Pandemie der Medien: Apokalyptiker & Integrierte – Gedanken in der Pandemie 09.

 

„See a clinic full of cynics
Who want to twist the peoples‘ wrist
They’re watching every move we make
We’re all included on the list
The lunatics have taken over the asylum
The lunatics have taken over the asylum“
Funboy Three „The Lunatics“

„Der öffentliche Rundfunk darf sich über höhere Reichweiten freuen, doch sollte man sich nicht feiern oder gar sich selbst für systemrelevant erklären, gar preisen lassen. Denn welchem ,System’ dient man?“
Otfried Jarren, Medienforscher

 

Vor dem Virus habe ich überhaupt keine Angst. Wovor ich Angst habe, ist vor der Angst der Leute. Davor, wie eine Gesellschaft sich verrückt macht. 

Dass öffentlich-rechtliche Sender in den Panik-Modus umschalten und selbst einen Programm-Ausnahmezustand aus permanenten Sondersendungen etablieren, anstatt wenigstens in ihrem Programm Normalität, und das heißt dann auch Vielfalt und Diversität weiterzuführen, ist traurig. Es ist auch erschütternd, weil es den Ausnahmefall in einen Normalfall überführt, und auf Dauer stellt.

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Die Aufgabe ist aber nicht, die fünfte Variante der Merkel-Rede zu publizieren, sondern die Aufgabe ist die, nachzufragen, wo Nachfragen nötig sind. Und da zu kritisieren, wo es vielleicht Gründe gibt, zu kritisieren. Die Aufgabe ist die, das Haar in der Suppe zu finden, und nicht die, der Bevölkerung zu erklären, warum die längst missglückte Suppe es doch vielleicht wert ist, getrunken zu werden. 

Unsere Aufgabe als Journalisten, erst recht Kulturjournalisten besteht darin, Orientierung zu liefern, einzuordnen, zu bewerten, die Hysterie, den Dampf, die Anspannung herauszunehmen. Gelassenheit, skeptische Vernunft muss unsere Haltung sein.

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Medienexperten üben scharfe Kritik an ARD und ZDF und sehen die Berichterstattung der öffentlich-rechtlichen Sender während der Corona-Krise zunehmend kritisch.

Es wurde auch Zeit! In einem Beitrag für „EPD Medien“ übt der renommierte der Medienwissenschaftler Otfried Jarren Kritik an der Berichterstattung der Öffentlich-Rechtlichen: „Im Krisenmodus“ heißt sein überaus lesenswerter Artikel über das öffentlich-rechtliche Fernsehen in Zeiten von Corona. 

Es ist ein ausgezeichneter Text, einer der allerbesten, die seit Beginn der Corona-Zeiten über das Virus, seine Bekämpfung und die Wirkung von beidem auf die Gesellschaft geschrieben wurden. 

Lest ihn alle!

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Jarren warnt vor „Systemjournalismus“ und einer besonderen Form der „Hofberichterstattung“. Er will Aufklärung, Kritik, ein besseres Fernsehen. 

„Das Fernsehen macht […] die Krisenmanager, jeden Abend aufs Neue. Der Fernsehjournalismus dringt sichtlich darauf, fordert Führung wie Klarheit ein, bewertet die Performance.“

Alles werde sofort und sogleich zur Chefsache erklärt oder gemacht. Damit unterstützt der Rundfunk die Regierenden zu Lasten der Opposition. Die Regierenden sehen in der Krise ihre Chance. „Deshalb wird auf die Karte Krise gesetzt, Entschlossenheit im Kampf gegen den Feind inszeniert, um Wahlen zu gewinnen. Die Pandemie wird sogar zum Krieg stilisiert oder als Kampf bezeichnet, es wird Rettung versprochen, so mit der großen Geldkanone. Vor allem sollen andere Regeln gelten. Es geht um Deutungsmacht, Führungsanspruch, um die zukünftigen Machtpositionen.“ 

Der Kreis der Experten sei zu klein, die immergleichen Politiker wanderten von einer Talkrunde zur nächsten. Das stimmt: Wie oft haben wir in den letzten Tage schon Karl Lauterbach auftreten sehen, den Kanzleramtsminister Helge Braun, den wir vorher überhaupt nicht kannten, und dann natürlich Scholz und Altmeier, die das Zeug haben zu Plisch und Plum unserer Tage zu werden. 

Wem geht es wie mir? Ich möchte andere Gesichter sehen, wenn sie schon dieselben Sachen sagen, und die Talkmasterinnen plus Master Markus Lanz immer die ähnliche Fragen stellen. Ist schon ok, gerade Lanz, den immer noch zu viele für ein Leichtgewicht halten, ist der beste, ernsthafteste Nachfrager des deutschen Fernsehens. Allenfalls Maybrit Illner kommt da gelegentlich ran. Die ARD? Vergesst sie!

Nur Statements, aber keine Debatte zwischen Expertinnen und Experten. Kein Streit. In der Krise werden die Reihen fest geschlossen.

Aber wo bleibt die demokratische Opposition? Wo ist sie zu sehen im Fernsehen, zu hören im Rundfunk? Haben die Grünen, die FDP, die Linke keine Gesundheitsexperten, haben sie nichts zu Ausgangssperren, Freiheitseinschränkungen und Verboten, zu Krankenhausbetten und durchgepeitschten Sondergesetzen zu sagen? Oder würden sie Dinge sagen, die die Sender nicht senden möchten, um die armen Bürger nicht zu verwirren? Mit den besten Absichten natürlich. Ich unterstelle keine Verschwörungen und versteckte Staatsstreichaktionen, allerdings schon einen wohlmeinenden Paternalismus, der es im Zweifelsfall besser weiß als die Bürger und sie deshalb gern ein bisschen manipuliert – zu ihrem Besten natürlich. Ähnlich wie Kindererziehung. 

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„Ignoranz“, „lernunfähig“, „die Akteure lernunwillig“ – so beschreibt es Jarren. Darum „müssen die Signale, die nötigen Irritationen von Außen kommen. Von Außen, dort sind Medien und der Journalismus verortet. Der Journalismus muss aufbrechen – und nicht neue (Fernseh-)Stars aufbauen.“

Zugleich degeneriert die Form des Fernsehens: „Alles ist deshalb jetzt, nun, sofort, wir unterbrechen. Ständige Sondersendungen – ab jetzt für Monate?“

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Zu alldem gehört auch die Ästhetik. Etwa die albernen Cellophanhüllen über den Mikrofonen und die staatstragende Nachrichtensprecher, die verkünden, wir müssen alle dies und das tun. 

Es ist Ideologie, wenn die Kulturzeit-Moderatorin sagt: „Wie wird er aussehen, unser neuer Alltag?“ Dabei ist es kein Alltag, es ist Ausnahmezustand, den man auch nicht als Alltag verkaufen muss. 

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Was sollen Medien tun? In Zeiten der Pandemie dominiere die Exekutive. Diese Dominanz einer einzigen Gewalt des demokratischen Staates sei in Ausnahmezeiten wohl unvermeidlich. „Das erfordert von den Medien und vom Journalismus ein Höchstmaß an Achtsamkeit, Vorsicht, Zurückhaltung – und Distanz.“ 

In einer unklaren, offenen Situation gehe es mehr denn je um „Weitsicht […], Analyse, Kritik und Kontrolle. Es geht um Aufklärung, um die Prüfung von behaupteten Sachverhalten, Annahmen, Prämissen wie die eigenständige Abschätzung der Folgen politischer Maßnahmen. Exekutiv- und Expertenvoten bedürfen der intensiven Prüfung und Diskussion.“ 

„Der öffentliche Rundfunk ist eine unabhängige gesellschaftliche Institution. Unabhängigkeit und Kompetenz sind entscheidende Faktoren, wenn er nach diesen turbulenten Phasen als relevant erachtet werden möchte. Er hat das Potenzial, dies nun zu zeigen.“

„Erst am Ende der Pandemiezeit wird Bilanz gezogen.“ Wie ich neulich schrieb: Abgerechnet wird zum Schluß.

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Jarren steht mit seiner Kritik nicht allein da. Auch andere Fachleute üben Kritik. Die Medienjournalistin Vera Linß forderte im Deutschlandfunk, die Themen Überwachung und Datenschutz im Zusammenhang mit den Maßnahmen der Regierung stärker in den Fokus zu nehmen. Viele Journalisten, so Linß, transportieren die Krisenstrategie der Bundesregierung weitgehend kritiklos. Diese „Art Service-Journalismus“ sei auch in Krisenzeiten nicht die Aufgabe der Medien.

In einem Beitrag für das Portal Übermedien, auf den wir gesondert zu sprechen kommen, beschreibt Andrej Reisin, den öffentlichen Rundfunk der Corona-Gegenwart als verlängerten Arm der Regierung. Man inszeniere Kampagnen à la „Wir vs. Virus“. Reisin kritisiert vor allem das Ausbleiben einer kritischen Berichterstattung und einer Debatte über die Maßnahmen der Regierung. 

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Zu einen regelrechten Coronafunk ist der Deutschlandfunk mutiert. Kein anderer Sender hat sein Programmschema gleich komplett umgestellt, und den Ausnahmezustand ins Programm übertragen. Dabei wird auch die bisherige Autonomie der Redaktionen zumindest teilweise aus den Angeln gehoben – plötzlich agieren sie oft nur als Zulieferer für lange Programmstrecken, die beliebig „Der Vormittag“, „Der Mittag“, „Der Nachmittag“ heißen, und zu gefühlt 90 Prozent nur von Corona handeln. Hier sind Medien Akteure, die Welten schaffen, nicht vorhandene Welten widerspiegeln. 

Das totale Corona – das ist ein Produkt der Medien. 

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Ganz Deutschland hat Drehstopp? Ganz Deutschland? Nein! Ein kleiner unbeugsamer Haufen Produzenten leistet dem Ausnahmezustand tapfer Widerstand. Denn noch wichtiger als Mundschutz ist auch im Corona-Deutschland die seichte Unterhaltung. Darum trotzt die Ufa Corona, und dreht, ob man es glaubt oder nicht, „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“ in Berlin und „Unter uns“ in Köln – Montag wurde der Drehbetrieb wieder aufgenommen. 

Die Drehunterbrechung sei dazu genutzt worden, „um die Drehbücher und Sets den Sicherheitsmaßnahmen zur Risikominimierung weiter anzupassen“. „Diese Optimierungen“ seien „durch die besonderen Dreharbeiten der täglichen Serien im Studio“ möglich. „Der Drehbetrieb wird unter genauesten und strengen Hygienemaßnahmen, die so mit unseren Arbeitsschutzfachleuten im Einzelnen abgesprochen sind, durchgeführt“, heißt es weiter in der Pressemitteilung. „Der Mindestabstand aller Personen“ werde „durchgängig gewährt, die Verweildauer des Teams im Studio so gering wie möglich gehalten, Haare und Make-up von den SchauspielerInnen selbst übernommen“. Außerdem sei es allen Mitarbeitern, „die zu Risikogruppen gehören“, freigestellt, „die Arbeit am Set derzeit fortzusetzen“. 

Wir können uns das alles lebhaft vorstellen. 

Aber da sieht man, was wirklich systemrelevant ist. 

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Systemrelevant? Nein Natürlich nicht. Es sollen aber ja auch gern alle gerettet werden, die nicht systemrelevant sind. Darum können wir wetten, dass Babelsberg unter den ersten sein wird. 

800 Mitarbeiter der Studio-Babelsberg-Tochterfirmen (andere gibt es nicht, jedenfalls nicht mit einer relevanten Zahl von Mitarbeitern) offenbar nicht. Während nebenan „GZSZ“ gedreht wird, wurde ihnen jetzt fristlos gekündigt. Von Hollywood-Firmen, deren Projekte mit zusammen mindestens 46 Millionen Steuergeldern vom DFFF subventioniert wurden.

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„Der Zugang zu Büchern und damit zu Wissen und Information darf in einer freiheitlichen Demokratie unter keinen Umständen eingeschränkt werden. Buchhandlungen und Bibliotheken müssen daher umgehend wieder geöffnet werden!“ 

Das deutsche PEN-Zentrum ist zutiefst darüber besorgt, dass die Anordnungen zur Eindämmung der Ausbreitung von Covid-19 den Buchhandel und das Verlagswesen in Deutschland nachhaltig verändern werden. 

PEN-Deutschland fordert darum eine in ganz Deutschland geltende Wieder-Öffnung von Buchhandlungen und Bibliotheken. Zur Zeit sind sie nur in Berlin geöffnet. Gerade in Zeiten von Schulschließungen sei die beratende Funktion des Buchhandels auch für Eltern unverzichtbar, hieß es. Die nötige physische Distanz könnte beim Verkauf über den Tresen der Buchhandlung problemlos eingehalten werden. Das deutsche PEN-Zentrum warnte grundsätzlich vor den schlimmen Folgen der derzeit geltenden Corona-Schutzmaßnahmen für die Buchbranche. Nicht nur viele Buchhändler, auch Verleger seien in ihrer Existenz bedroht. „Schon jetzt haben zahlreiche Verlage ihre Produktion gedrosselt oder in den Herbst verschoben. Dies trifft unweigerlich mit voller Wucht auch alle Autoren in Deutschland – ohne Bücher keine Tantiemen, keine Lesungen.“ 

Aber: „Wenn der stationäre Buchhandel geschlossen ist, stellt dies auch einen Einschnitt in die Meinungsfreiheit dar.“ 

Die Pressemitteilung schließt mit dem zutreffenden Hinweis: „Als irritierend darf in diesem Zusammenhang zur Kenntnis genommen werden, dass man Weinhandlungen als systemrelevant erachtet, während es vertretbar scheint, Buchhandlungen und Bibliotheken zu schließen. Der Mensch lebt nicht von Brot und Klopapier allein, er braucht auch geistige Nahrung!“

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In der Krise merkt man, wo die Feinde stehen. Und der Feind der Bücher heißt Amazon. Man sollte wirklich bei Amazon wirklich nur noch recherchieren, aber nichts bestellen. 

Zur Zeit kann man das allerdings auch gar nicht: In der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ vom 29. März hat Julia Encke und der angemessenenm Überschrift „Bestellt im Buchladen“ berichtet, dass Amazon „bis April bei den Verlagen keine Bücher mehr bestellt, sondern sich nur noch auf den Vertrieb von Haushaltswaren, Sanitätsartikeln oder anderen Produkten mit hoher Nachfrage konzentrieren wolle“ – man könnte auch sagen: Klopapier statt Kultur. 

Es geht aber auch ohne den weltgrößten Online-Händler. Auf der Internetseite der Lieblingsbuchhandlung vor Ort, oder bei kleineren Verlagen auf der Website – auch wenn die Brief- und Paketzusteller der Post kaum weniger miserabel bezahlt sind.

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Hinzu kommt, das bei amazon.de oft rechtsextremistische Wutbürger als Superrezensenten auftreten, und dass der Online-Händler im Gegensatz zu jeder seriösen Buchhandlung demokratiefeindlichen Schund und faschistische Propaganda stapelweise auf seinem Ladentisch ausbreitet. 

Ich will hier ungern Titel verlinken, aber wer es mir nicht glaubt, kann sich ja mal unter den entsprechenden „Bestsellern“ umsehen, und den Kommentaren zu den Büchern.

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