Ein „Oscar“ für die Zukunft

Eine Sensation: Zum ersten Mal in den 92 Ausgaben der „Oscars“ eine nicht-englischsprachige Produktion die höchste Auszeichnung für den besten Film gewonnen! Und nicht nur das: Die süd-koreanische Gesellschaftssatire „Parasite“ wurde auch für Regie, Drehbuch und als bester internationaler Film prämiert. Dass ein einzelner Filmemacher gleich vier Goldmännchen entgegennehmen darf, hatte bislang nur Walt Disney geschafft. Doch der hatte dafür 1954 vier verschiedene Filme gebraucht. | Foto: Koch Films
„Man ist am kreativsten, wenn man am persönlichsten ist. Das habe ich bereits auf der Filmschule gelernt.“ Also sprach der Koreaner Joon-ho Bong in einer seiner gleich vier Dankesreden gestern Abend. Diesen Satz sollte sich die ganze Filmindustrie hinter die Ohren schreiben – in einer Epoche, die von zunehmender Formatierung geprägt ist, in der die CEO und Controller die Macht über die Kreativen haben.
Danach hob Bong gleich zwei nominierte US-Regisseure heraus und bedankte sich bei ihnen: Martin Scorsese „In der Filmuni habe ich seine Filme studiert“ und Quentin Tarantino – „Als niemand in den USA meinen Namen kannte, hatte er meine Filme immer in seinen Bestenlisten.“
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Es war ein Durchmarsch für den Außenseiter: Joon-ho Bong, Jahrgang 1969, der international bekannteste Filmemacher Süd-Koreas, gewinnt für seinen Film „Parasite“ gleich vier „Oscars“, und das auch noch in den wichtigsten Kategorien: bester Film, bbeste Regie, bestes Drehbuch und bester internationaler Film.
Kaum einer hätte es vorher erwartet, aber so wurde es eine historische „Oscar“-Nacht, und eine Preisverleihung der Überraschungen. Denn diese Preisverleihung ist ein deutliches Misstrauensvotum gegen gewisse Tendenzen des Gegenwartskinos: Etwa gegen die allzu wohlfeile, allzu nostalgische Flucht weiter Teile des Kinos ins Historische, oft Geschmäcklerische.
Es war schon auffallend: Nicht weniger als sechs der nominierten Filme, darunter auch die „Favoriten“ der Buchmacher, spielen in der Vergangenheit: „Joker“ in den 70er Jahren, „Once Upon a Time… in Hollywood“ 1969, 1917 im Ersten Weltkrieg, „The Irishman“ zwischen 1950 und 2000, „Jojo Rabbit“ im „Dritten Reich“, „Le Mans 66 – Gegen jede Chance“ 1964, „Little Women“ gar Mitte des 19. Jahrhunderts.
„Parasite“ aber erzählt eine Geschichte aus dem Hier und Jetzt, zudem eine sehr universale, die zwischen einer reichen und einer armen Familie angesiedelt ist – ein Wechselspiel, das sich sehr leicht auf jedes Land der Welt übertragen lässt. Zudem ist dieser Film eine Satire, die Thriller mit Komödie kombiniert und viel Stoff zum Lachen bietet – auch das ist eher rar zwischen all den getragenen Melos, dem Kriegfilm „1917“ und dem düster-brutalen Rachethriller „Joker“.
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Joon-ho Bong – der Korrespondent des Deutschlandfunk hatte auch an diesem Morgen noch Probleme, den Namen korrekt auszusprechen. Dabei ist dieser Regisseur bereits fast 20 Jahre Stammgast auf internationalen Filmfestivals, und seine Filme „The Host“, „Snowpiercer“ oder „Okja“ liefen auch regelmäßig in Deutschland im Kino an. Bereits im vergangenen Mai hatte „Parasite“ mit der „Goldenen Palme“ in Cannes eine der wichtigsten Auszeichnungen der Filmwelt errungen.
Trotzdem waren die „Oscars“, erst recht in dieser massiven Häufung, sehr überraschend. Schließlich hatte in bisher 91 Jahren ein nicht-englischsprachiger Film noch nie in der Kategorie „Bester Film“ gewonnen.
So waren diese Auszeichnungen bei aller Selbstfeier Hollywoods, die die „Academy Awards“ immer auch sind, auch eine Anerkennung für den Rest der Welt, für eine Filmindustrie, die eigenständig ist und der ökonomischen Übermacht Hollywoods Kreativität und Einfallsreichtum entgegensetzt, ohne das Kino-Spezifische, die visuelle Dynamik des Bewegungsmediums, zu verleugnen.
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Der „Oscar“ für „Parasite“ war zugleich auch ein Preis gegen die Tyrannei einer übertriebenen Sensibilität, nach der Auszeichnungen zunehmend oft vor allem nach plakativ politischen Kriterien vergeben werden, oder nach äußeren Identitätsmerkmalen.
Mimimi – es war ein arges Gejammer in gewissen Kreisen darüber, dass Greta Gerwig nicht für einen Regiepreis nominiert worden war, die heilige Greta Gerwig, die Heldin aller Filmkritiker …
Wo alle von Diversität sprechen, hat der „Oscar“-Regen für „Parasite“ dieses Kriterium erfüllt, und zugleich die Forderungen nach einer „Aufwertung“ von Frauen, Schwarzen und anderen Minderheiten der US-Gesellschaft ins Leere laufen lassen. „Parasite“ ist das Gegenteil eines „politisch korrekten“ Kinos, er ist anstößig, provozierend und bewusst „incorrect“ – gerade darin liegt seine rebellische Kraft.
Zugleich ist dies ein Preis für die Öffnung der Filmindustrie und eine Absage an das schlichte „Weiter-so“ in einem Hollywood, das zunehmend von Remakes, Sequels und Prequels geprägt ist.
So standen denn auch die großen zwei Verlierer des Abends fest: Vor allem „Joker“, der auch in den USA umstrittene, aber durch 11 Nominierungen mit viel Vorschusslorbeeren bedachte gewalttätige Rachethriller. Viele respektierten den Film, warfen ihm aber zugleich vor, einen Wutbürger zu verherrlichen. Nur zwei „Oscars“ konnte der Film gewinnen: Außer der Auszeichnung für Joaquin Phoenix blieb der für die beste Filmmusik.
Erwartet worden waren auch die anderen Preise für die Darsteller: Renee Zellweger, Brad Pitt und Laura Dern erhielten hier auch Anerkennungen für ihr Gesamtwerk.
Am Morgen vor der „Oscar“-Verleihung veröffentlichte der „Hollywood Reporter“, die einflussreichste US-Branchenzeitschrift, ein überaus interessantes Gespräch mit einem bedeutenden Produzenten, der anonym bleiben durfte und dafür „brutal ehrlich“ erklärte, wie er auf die Filme blickte: „1917“ ist mehr ein Gimmick und nur visuell interessant, Scorsese hat weitaus bessere Filme gemacht, „Joker“ war exzellent, aber das ist kein „bester Film“. Aber Joon-ho Bong ist supersmart und brillant, ein sehr talentierter Regisseur.
Da hatte einer den richtigen Instinkt.
Dieser Artikel erschien zuerst auf www.artechock.de