Gedanken in der Pandemie 11: Break on through to the other side!

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In Filmen wie „24 Days later“ hatte die Pandemie noch Unterhaltungswert. In der Wirklichkeit gibt es gute Gründe, zuhause zu bleiben. Aber der verordnete Hausarrest ist auch eine Form der Freiheitsberaubung. | Foto © DNA Film

Maß halten und Maß messen: Apokalyptiker & Integrierte: Gedanken in der Pandemie 11.

„Made the scene/ Week to week/
Day to day/ Hour to hour/
The gate is straight/ Deep and wide“
The Doors

„Handeln, im Unterschied zum Herstellen, ist in Isolierung niemals möglich; jede Isoliertheit, ob gewollt oder ungewollt, beraubt uns der Fähigkeit zu handeln.“
Hannah Arendt, „Vita Activa“

 

Es wird nicht leichter. Drei Wochen im Ausnahmezustand. Ein soziales Experiment. Ein Stresstest. Solche Beschreibungen habe ich schon von Freunden gehört – alles Euphemismen. Denn im Grunde genommen ist dieser erzwungene Hausarrest, und Sozialarrest natürlich eine Form der Freiheitsberaubung. Mit der Gewalt des Rechts und den Mitteln der Staatsmacht: Geldstrafen, Anzeige, Haft, etc. Sie mag ja aus guten Gründen geschehen, sie hat bestimmt auch die Mehrheit der Bürger hinter sich. Aber Demokratie ist eben etwas anderes, als die Herrschaft der Mehrheit über die Minderheit, sie bleibt immer noch der Schutz von Minderheiten gegen die Gewalt und Willkür der Vielen. Und dass die Vielen mit ihrem Schutz und ihrer Gesundheit argumentieren, und die Mehrheit der Wissenschaftler hinter sich haben, ist hier kein Gegenargument.
Es ist begründungspflichtig, Freiheit einzuschränken, und der Staat muss begründen, warum es, wenn es für Menschen angeblich gefährlich ist, sich außer Haus aufzuhalten, nicht genügt, all das auf freiwillige Basis zu stellen. Wer Angst hat, kann ja zuhause bleiben, und soziale Kontakte meiden. Klar: Das Gegenargument lautet, dass man die Anderen gefährdet.
Ich komme mir schon antiquiert vor, alter weißer Mann und so, wenn ich hier auf Freiheit poche. Auf eine ganz schlichte, klassisch liberale (ich rede hier nicht von der FDP) Idee von Freiheit, die darunter zuallererst eine „Freiheit von“ versteht. Von Zwängen, von Lasten, von Regulierungen.
Natürlich wird diese Freiheit auch ohne Pandemie tagtäglich eingeschränkt – und das ist gut so. Schulen, in denen Menschen gezwungen werden zu lernen, und zwar das, was alle anderen lernen, sind ebenso richtig, wie Benimmregeln und Verkehrsampeln (auch wenn beides kein Dogma ist und auch nicht so behandelt werden muss: Bei Rot darf man schon mal über die Straße gehen, wenn kein Auto kommt. Aber wenn ein Polizist einen dabei erwischt, muss man halt die Strafe zahlen. Auch das ist Lebensrisiko).
Aber ab und zu, und vielleicht gerade jetzt muss man daran erinnern, was diese ursprüngliche Freiheit bedeutete, und dass sie im Prinzip etwas Schönes ist, und verteidigenswert.
Es kommt zu Exzessen der Freiheitseinschränkung, und für diese Exzesse möchte ich sensibilisieren – denn wir stumpfen ab gegenüber Exzessen, die die Freiheiten der Menschen beschneiden, erst recht, wenn sie so niedlich ummäntelt werden, wie mit dem Argument hier gehe es um Gesundheit. Oder hier gehe es darum die alten Menschen zu schützen. Oder noch niedlicher: Oma und Opa.
Es ist alles nicht so einfach, schon deshalb, weil es das Allermindeste ist, dass auch Oma und Opa das Recht haben, selber zu entscheiden, in welche Gefahr sie sich begeben. Das genau wird in den nächsten Wochen verschärft debattiert werden: Denn weil das Konzept gescheitert ist, die Seuche damit allein zu bekämpfen, dass man die Kurve abflacht – falls die je das Konzept der Regierung war – beginnt man sich jetzt ganz sachte und ohne es so zu formulieren, dem zunächst verfemten schwedischen Modell anzupassen. Peu a peu werden Geschäfte, Lokale und Schulen nach Ostern wieder geöffnet werden, Großveranstaltungen bleiben verboten, peu a peu wird man die Alten wegsperren. Pardon: sehr hässliches Wort. Man wird natürlich schönere Worte finden: Zum Beispiel „Umkehrisolation“. So nennen Fachleute die Isolation bestimmter gefährdeter Gruppen.

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Diese Trennung der Alten und Gefährdeten von Rest der Gesellschaft wird kommen. Die einzige Frage, die wir als Gesellschaft zu debattieren haben, ist, wie sie kommt. Wie stark der Zwang sein wird.
Ich bin ganz klar dafür, Alte und Gefährdete nicht zwangsweise zu isolieren. Nicht, wie es leider schon jetzt geschieht, Besuchsverbote auszusprechen, und Altersheime anzuschließen. Warum sollen alte Menschen – ich rede nicht von Demenzfällen – nicht das Recht haben, selbst zu entscheiden, was sie riskieren wollen? Wobei dieses Risiko selbst mit übe 80 Jahren höchst überschaubar ist: Es liegt für infizierte über 80-jährige bei 87 Prozent Überlebenschance.

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Schon jetzt gibt es weitere absurde Szenarien. Es ist zum Beispiel absurd, Leuten zu verbieten, sich im Park oder auf eine Bank hinzusetzen. Alleine. Nur mit dem Argument, davon könnten sich andere ermuntert fühlen.
Man muss sich die Argumentation noch mal ganz langsam auf der Zunge zergehen lassen: Weil ein Vergehen, das man nicht will, das aber auch kein Schwerverbrechen ist, irgendwann in der Zukunft möglich sein könnte, verbietet man eine Handlung jetzt, die im Prinzip auch im Rahmen der Seuchen-Sonder-Gesetze erlaubt ist.
Oder die Polizisten, die mit Zentimetermaß den Abstand zwischen Spaziergängern nachmessen. Leute! Wo leben wir? Da muss der Staat Maß halten, nicht die Bürger, für die dieser Staat da ist.

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Meine Stimmung schwankt zwischen gutgelaunt und deprimiert, auch wenn ich gerade viel schreibe. Denn mein Schreiben ist ja nichts, was ich im dunklen Kellerloch tue. Das könnte ich schon, und es gibt Schlimmeres, als mit Büchern und Filmen und Internet in einem Turm eingeschlossen zu sein, wie Rapunzel, oder meinetwegen wie Montaigne. Aber Eingeschlossen ist eingeschlossen.
Sondern ich schreibe in Auseinandersetzung mit allem anderen. Mein Schreiben ist eine Weise, mir Welt anzueignen und mich mit Welt auseinanderzusetzen. Dazu gehört es andere zu treffen, herumzustreunen, im Café zu sitzen. Auch allein und fremden Menschen zuzuhören und zuzuschauen.
Bei aller Vernunft, die für jetzige Politik spricht, wächst doch die Sehnsucht nach dem Vermissten, nach der anderen Seite, nach der Unvernunft. Sie wird zunehmen, auch bei anderen und mit ihr die Bereitschaft, Risiken einzugehen, für sich und andere.
Das ist alles ein wunderbares Thema fürs Schreiben, für Stoffe, erst recht postapokalyptische.
Mitunter habe ich Angst, dass der Zustand „vorher“ nicht zurückkommt, ein Zustand, den ich ja doch in seiner Luxusposition, die er für fast alle, für mich auf alle Fälle bedeutet. Aber es geht nicht um meinen privaten Luxus, sondern um öffentliche Freiheit. Um das Ende unregulierter Freizügigkeit für den Einzelnen, die ich befürchte. Sie war schon vorher im Vergleich zu früheren Zeiten begrenzt. Diese Begrenzung wird, fürchte ich radikal zunehmen…
Immerhin ist es ein gutes Thema, alles andere daran ist nicht lustig.

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