Ganz so einfach ist es nicht...

Auch so ein Fall von »jugendaffinem« Mainstream: Mein Lotta-Leben - (c) Wild Bunch

Eine Revision der Film- und Medien­bil­dung für Kinder und Jugend­liche ist nötig – Cinema Moralia, Tagebuch eines Kino­gän­gers, 202. Folge

»Es gibt nur eins, was auf Dauer teurer ist als Bildung: keine Bildung.«
John F. Kennedy

Alle reden von Film­bil­dung. In Sonn­tags­reden. In der Praxis passiert fast nichts. Dem Kino, dem deutschen vor allem stirbt sein Publikum weg. Das neue wächst nicht genug nach und wird, wo es noch existiert von ameri­ka­ni­scher B-Ware geprägt, die zum Massen­ver­brauch konzi­piert wurde. Filmkunst ist Fehl­an­zeige.

Es passiert da absolut nichts. Peter Dinges, der Geschäfts­führer der Film­för­der­an­stalt des Bundes (FFA) hat bestimmt ein paar gute Ideen und ist gutwillig, aber in der Praxis kommt nichts rum.

Was sich »Vision Kino« nennt, die einzige Filmi­nitia­tive des Bundes zur Film­bil­dung, die es überhaupt gibt, ist besten­falls eine verschla­fene Veran­stal­tung, die niemand wahrnimmt. Das wundert auch niemanden, der weiß, wer dort den Ton angibt.

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Laut Wikipedia wurde »Vision Kino« 2005 durch Initia­tive des BKM, der FFA, der Stiftung Deutsche Kine­ma­thek sowie der »Kino macht Schule« ins Leben gerufen. Vision Kino steht unter der Schirm­herr­schaft des Bundes­prä­si­denten.

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Dabei ist Film­bil­dung wichtiger als fast alles, was im Bund in Film­zu­sam­men­hängen so gefördert wird. Film­bil­dung ist unglaub­lich wichtig – denn das deutsche Kino kann nur eine Zukunft haben, wenn es ein Publikum hat. Und gute Kinos, gute Filme bilden und formen ihr Publikum, nicht umgekehrt. Kinder müssen Kino lernen.

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Jetzt ist bei »Vision Kino« eine Stelle frei, und zwar die der Geschäfts­füh­rerin. Die bisherige, Sarah Duve, ist jetzt die neue starke Frau bei der FFA, was dort keines­wegs alle freut, dafür aber manche bei »Vision Kino«.

Die anste­hende Neube­set­zung der Geschäfts­füh­rung ist jetzt Anlass für eine gemein­same Erklärung mehrerer Verbände und Insti­tu­tionen (AG Kurzfilm, Bundes­ver­band Kommunale Film­ar­beit, FILM MACHT SCHULE, HVC Haupt­ver­band Cine­philie, Produ­zen­ten­ver­band, Verband der deutschen Film­kritik) bei »Vision Kino« einen »Neustart« und eine »Revision der bishe­rigen Arbeit« zu fordern.
Film­bil­dung und -vermitt­lung sowie ein Vers­tändnis für Kino als eines attrak­tiven sozialen
Orts des Austauschs müssten »als wesent­li­cher Bestand­teil von Film­po­litik begriffen werden, denn die Förderung von Film­kultur bei Heran­wach­senden ist wichtiger denn je.«
Gesell­schafter und Aufsichtsrat werden aufge­for­dert, die bisherige Arbeit von »Vision Kino« kritisch an den ursprüng­li­chen Absichten dieser gemein­nüt­zigen Gesell­schaft zu messen. Bundes­prä­si­dent Frank-Walter Stein­meier wird als Schirm­herr von »Vision Kino« gebeten, »seine Fürsor­ge­pflicht auch
inhalt­lich wahr­zu­nehmen.«

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Auf 70mm nur fürs Kino gemacht: Tenet von Christopher Nolan

Warum in Frank­reich das Kino funk­tio­niert und wie in Deutsch­land die öffent­liche Hand das Sterben des Mediums Kino finan­ziert – Cinema Moralia, Tagebuch eines Kino­gän­gers, 201. Folge

»Paris ist nicht bloß die Haupt­stadt von Frank­reich, sondern der ganzen zivi­li­sierten Welt. … Versam­melt ist hier alles, was groß ist durch Liebe und Hass, durch Fühlen und Denken, durch Wissen oder Können, durch Glück oder Unglück, durch Zukunft oder Vergan­gen­heit.«
(Heinrich Heine)

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Der Filme­ma­cher Chris­to­pher Nolan, ob man ihn nun richtig mag, oder nicht, ist ohne Frage der wich­tigste, also kulturell einfluss­reichste Regisseur unseres Zeit­al­ters. Nicht del Toro, nicht Tarantino, auch leider nicht mehr Godard und nicht mal, wer hätte es gedacht, Til Schweiger.

Jetzt wurde der erste Teaser seines neuen Films Tenet, eines Spio­na­ge­thril­lers veröf­fent­licht. Aber wir haben ihn noch nicht gesehen. Wir können ihn nicht sehen! Denn er wird bisher nur im Kino gezeigt. Ist das nun eine Frechheit gegenüber seinen Fans, zum Beispiel in München? Oder ist es nicht ganz wunderbar, dass dieser Regisseur das Kino und das Film­ma­te­rial – Nolan dreht nicht digital, sondern in diesem Fall auf 70mm und im IMAX-Format –
wirklich vertei­digt. Dass da einer ist, der es sich erlauben kann und der darum dem Kino ein Allein­stel­lungs­merkmal gibt, das diesem gebührt.

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Wir würden ja niemals der Kultur­staats­mi­nis­terin Monika Grütters abspre­chen, dass auch sie sich wirklich ums Kino bemüht. Dass sie ein veri­ta­bles und ernst gemeintes Interesse daran hat, den Standort Kino zu stärken. Viel­leicht nicht mehr in fünf Jahren, aber jetzt. Was ich aber nicht glaube, ist, dass sie immer gut beraten und umfang­reich infor­miert wird – sondern im Gegenteil ziemlich einseitig.

Das Grütters-Interview in der »Süddeut­schen«, aus dem wir vergan­gene Woche schon zitiert hatten, war in der Hinsicht sehr aufschluss­reich. Taktisch und rheto­risch war das Konzept klar: Die Dinge laufen schlecht, obwohl Grütters mehr Geld gibt, brechen die Zuschauer weg. Also »nennt« Grütters die Fehler und Probleme – dann kann sie ja nicht dran schuld sein, oder?

Viel­leicht aber doch. Viel­leicht sind die Erfolgs­kri­te­rien genau so schräg, wie die der Länder­för­derer, und viel­leicht trägt eine Förder­po­litik, die auf »Leucht­türme« und Pres­ti­ge­pro­jekte setzt und die Breite verdorren lässt, gehörig zur Misere bei. Vor allem ist auch die Förderei im BKM höchst wider­sprüch­lich.

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Ein Beispiel hierfür: Beim vom BKM hoch geför­derten Film­fes­tival von Berlin läuft der deutsche Film Ich war zuhause, aber… von Angela Schanelec im Wett­be­werb und gewinnt sogar den Silbernen Bären für Beste Regie.
Dann beantragt der Verleiher beim BKM Verleih­för­de­rung. Diese wird nicht gewährt. Natürlich redet man sich beim BKM auf die »Unab­hän­gig­keit der Jury­ent­schei­dung« heraus, und wer wollte schon etwas gegen unab­hän­gige Jurys sagen?

Aber wie kann das sein?? Wie ist das in Gottes Namen möglich??? Das BKM ist ja nicht irgend­eine von Tante Emma geführte Länder­butze, sondern angeblich die »kultu­relle Film­för­de­rung«. Ein schwie­riger Film (den ich persön­lich auch gar nicht besonders schätze, aber es geht ums Prinzip), ein schwie­riger Film, der mehr als alle Wiedemann & Bergs & X- und Y-Filme zusammen auf kultu­relle Förderung ange­wiesen ist, und der nebenbei die Behaup­tung wider­legen könnte, dass man in Deutsch­land nur mit Schrott im Kino Geld verdienen kann, und dass die Berlinale und ihre Preise eh nix wert sind, und an der Kasse nichts bringen, einem solchen Film verwehrt man das, was man allen möglichen Filmen zugesteht: Unter­s­tüt­zung bei Kinostart im schwie­rigen Gelände.

Warum pumpt man viel Geld in die Berlinale, sorgt aber nicht dafür, dass wenigs­tens die dort ausge­zeich­neten Filme auch vernünf­tige Start­chancen bekommen?

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Nicht satisfaktionsfähig für die Bonzen: Sophie Kluges Golden Twenties

Die Rela­ti­vitäts­theorie der Kinokrise: Das bestehende deutsche Film­system ist auf ganzer Linie geschei­tert, aber die Groß­kop­ferten machen weiter. Doch das Ende des deutschen Kinos könnte sein Anfang werden.

Von Rüdiger Suchsland (Aktiviere Javascript, um die Email-Adresse zu sehen)

Es war alles wie immer beim Filmfest München: Genauso viel Fest wie Film – viel Feiern bei Weißwurst, Schweins­braten und einem zünftigen Hellen schon am Morgen beim Empfang des FilmFern­sehFonds Bayern, Minis­te­rin­nen­reden und Minis­ter­prä­si­den­ten­ver­spre­chen unter leuchtend blauem Sonnen­himmel, bis zum nächt­li­chen Absacker im Schumanns oder bei einer der vielen Premie­ren­partys.

Dazwi­schen viele Filme, auch viele gute, ein Best-Of der inter­na­tio­nalen Werke der letzten Monate, dazu rund 20 deutsche Kino­pre­mieren in der wich­tigsten Reihe, dem Wett­be­werb um den »Förder­preis Neues deutsches Kino«, wo tatsäch­lich ein paar außer­or­dent­lich gelungene deutsche Filme liefen.
Alles genauso wie schon vor 37 Jahren war, beim ersten Filmfest.

Es war aber auch nichts wie immer. Denn im deutschen Kino herrscht Krise. Krise so hart wie noch nie. Krise, die sich nicht mehr über­tün­chen lässt.
Die Zuschauer bleiben weg, Produ­zenten und Verleiher leben aus den Beständen, Kinos machen im Dutzend dicht, sogar große Kino­ketten wie gerade das Cinestar im Herzen Berlins, am Potsdamer Platz, so wie ein paar hundert Meter weiter der große X-Verleih gerade taumelt.

Viele gute Filme­ma­cher bekommen ihre Filme nicht gefördert oder gerade genug Geld, um nicht gleich bankrott zu sein.

Diese Krise geht so weit, dass man fest­stellen muss: Das bestehende deutsche Film­system ist auf ganzer Linie geschei­tert.
Es kann und wird so nicht weiter­gehen.

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Aber über allem hängt von der Krise scheinbar unberührt eine fette Glocke aus Funk­ti­onären, Förderern, Redak­teuren und Gremien. Sie lächeln, machen „Business as usual“, und wollen sich nicht einmal rheto­risch infrage stellen.
Sie sind eine Clique des bleiernen Weiter-so. Manche von ihnen bekommen mehr Geld, als die meisten Filme­ma­cher, denen sie eigent­lich zu dienen hätten, und ohne die es sie nicht gäbe.

Diese Funk­ti­onäre geben schon seit Jahren unter der Hand zu, was ihre Entschei­dungen jeden Tag beweisen: Dass sie Kunst im Kino eigent­lich nicht wollen, allen Expe­ri­menten die Luft abschnüren. Über die Jahre haben sie eine engma­schige Günst­lings­wirt­schaft entwi­ckelt, Verhält­nisse, die manche einfach korrupt finden, von denen allen­falls zwei Handvoll Adabeis profi­tieren, während die meisten anderen außen vor bleiben und unterm Tisch an den Resten nagen dürfen.

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Sehr typisch für diese Verhält­nisse war beim Filmfest die Vergabe des neuge­schaf­fenen, mit 100.000 Euro dotierten Preises für inter­na­tio­nale Co-Produk­tionen.
Schon vorher hatten viele Gäste gewettet, dass die üblichen Verdäch­tigen die Preise absahnen würden. Und gehofft, dass es doch anders kommen könnte: »Bitte nicht schon wieder Michael Weber!«, »Nur nicht Match Factory« – genau diese Sätze hatte ich von mehr als einem halben Dutzend Menschen beim Filmfest gehört.
Aber
wer gegen solche Befürch­tungen noch an das Gute in der Welt glaubte, wurde am Freitag eines Schlech­teren belehrt. Die Jury aus Verlei­hern und Produ­zenten, zeichnete mit dem Köln ansäs­sigen Welt­ver­trieb und Co-Produk­tions-Händler »The Match Factory« genau die aus, die solche Preise am wenigsten nötig haben: die reichste, etablier­teste, best­ver­netzte Firma, einen Big Player, den schon lange auf dem hohen Ross sitzt und seine Macht genüss­lich auskostet.

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Zugleich hat das Filmfest viel vor: Der Freistaat hat mehr Geld verspro­chen, und inmitten des Kinoster­bens und der Krise spricht man in München über den Bau neuer Abspiel­stätten mit Kapa­zitäten von 1500 Zuschauern und Frei­licht­kinos. Der Krise setzt man Visionen entgegen, die gar nicht unrea­lis­tisch sind in Zeiten der Krise etablierter Verwer­tungs­formen und Festivals.

Man tut beim Filmfest auch viel für die Inde­pend­ents, bemüht sich um die Pflege des echten Auto­ren­films, darum, dem Neuen, Unge­wöhn­li­chen, Unge­se­henen einen Platz zu geben und es sichtbar zu machen.

Zum Beispiel den beiden Beiträgen im Wett­be­werb um den Förder­preis: Golden Twenties von Sophie Kluge und Mein Ende. Dein Anfang von Mariko Minoguchi – für viele die beiden besten Filme des Filmfests. Aber Outsider: Ohne Besuch einer Film­hoch­schule. Ohne deren Geld produ­ziert.
Ohne Fern­seh­sender. Mit vergleichs­weise geringen Förder­mit­teln ausge­stattet. Nicht satis­fak­ti­ons­fähig für die Bonzen.

Man zeigt beim Filmfest viele solche Filme von Regis­seu­rinnen, die kaum gefördert wurden und die oft keine Film­hoch­schule besucht haben. Gut so! Hoffent­lich macht das Filmfest damit weiter und etabliert sich so als Entdecker der Trends der Zukunft.

Aber in den wichtigen Jury sitzen dann wieder die Reprä­sen­tanten der Vergan­gen­heit, die Etab­lierten, die Groß­kop­ferten, die Funk­ti­onäre, die gar kein Interesse daran haben, das Neue, Ungefügte, Wider­s­tän­dige auch noch zu prämieren.
Das wurde am Abend der Preis­ver­lei­hung belegt: Zwei Frauen und ein Mann in der Jury gaben drei Männern vier Preise. Jan-Ole Gersters Film Lara ist aus meiner Sicht zwar einer der besten Filme des Wett­be­werbs gewesen, und ein verdienter Preis­träger. Aber im Konzert der anderen Preis­kan­di­daten dieser als Nach­wuchs­preises adres­sierten Auszeich­nung, sind dieser Film und seine Macher – unge­wöhn­lich schnell und gut mit Förder- und Sender­gel­dern ausge­stattet – eine Liga für sich.

Das Gesamt­ge­füge der Preis­ver­gabe stimmte nicht. Denn alle echten Inde­pend­ents im Wett­be­werb blieben unprä­miert, die gut finan­zierten Filme bekamen auch noch das Geld und die Zusatz­auf­merk­sam­keit.
Und um das Geld, um die Aufmerk­sam­keit geht es am Ende. Beides auszu­ba­lan­cieren, Verzer­rungen nicht noch zu vers­tärken, sondern abzu­dämpfen ist Aufgabe einer Jury.

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Das Filmfest München befindet sich mit alldem in einer schi­zo­phrenen Situation. Man steht derzeit auf allen Seiten gleich­zeitig. Man will es allen recht machen.
Das wird nicht mehr lange so weiter­gehen. Schmu­se­kurs und Harmo­nie­soße mögen vielen sympa­thisch sein, und manche Konflikte abdämpfen. Der deutsche Film und sein Nachwuchs aber brauchen Ecken und Kanten, und müssen das gerade auch von einem Festival erwarten können, das den Nachwuchs fördern will. Der nur aller­erste, aber
unver­meid­liche Schritt dafür: Die Jury­zu­sam­men­set­zung muss im kommenden Jahr korri­giert werden. Es muss jüngere, mutigere Preis­jurys geben, deren Mitglieder selbst für das Wider­s­tän­dige und Nicht-Etab­lierte stehen, statt seit Jahren und Jahr­zehnten über diverse Pöstchen mit dem Beste­henden, dem auf ganzer Linie geschei­terten deutschen Film­system verban­delt zu sein.

Das Filmfest München muss sich entscheiden, auf welcher Seite es steht. Es darf sich nicht kaufen lassen von den Millionen des Frei­staats, es darf seine Seele nicht verkaufen und nicht das Kino.

Wir brauchen eine Revo­lu­tion im deutschen Film! Eine Revo­lu­tion der Filme gegen die Funk­ti­onäre, der Filme­ma­cher gegen die Amigo-Klüngel, der Film­pro­du­zenten gegen die Allianzen der Verhin­de­rung und des Weiter-So, des Kinos gegen die Streaming-Dienste, der neuen Ideen gegen die Krise.

Dann, nur dann könnte das Ende des deutschen Kinos sein Anfang werden.

Ganz so einfach ist es nicht...

Der totale Film, so sehen manche Kinoträume aus…: Fack ju Göhte | Foto © Constantin Film

Der neue Popu­lismus in der deutschen Film­de­batte: Martin Mosz­ko­wicz und Peter Dinges, der Loko­mo­tiv­führer – Cinema Moralia, Tagebuch eines Kino­gän­gers, 191. Folge

Lukas: »You’ll become a great explorer.«
Jim Knopf: »I rather be an engine driver, just like you.«
Lukas: »Engine drivers only follow the tracks that were found by explorers.«
»Jim Knopf und Lukas der Loko­mo­tiv­führer« (2018), englische Fassung

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»Kinos brauchen Filme, die die Menschen sehen wollen« – so lautet der Titel eines Inter­views mit Peter Dinges, das am 04.03.2019 veröf­fent­licht wurde.

Peter Dinges ist der Vorstand der Film­för­de­rungs­an­stalt (FFA). Er ist ein gebil­deter, persön­lich sympa­thi­scher Mann mit hervor­ra­genden Umgangs­formen – kurz gesagt: Ein exzel­lenter Verkäufer seiner Arbeit und des deutschen Films. Er redet, das muss wohl so sein, öffent­lich meistens wie ein Politiker. Das heißt: Geölt wie ein Ringer, ungreifbar und ausle­gungs­fähig, aber doch in aller Formel­haf­tig­keit und Allge­mein­heit durch die Blume Macht zeigend, Pflöcke einschla­gend, Türen öffnend und andere schließend. Dinges ist durchaus einer, der Film­po­litik nicht nur als Verwal­tungs­han­deln begreift, sondern der Inter­essen bestimmter Teile der Film­branche stärker vertritt als anderer. Da sollten wir uns nichts vormachen.
Genau­so­wenig kann man hier übersehen, dass sich Dinges bereits für die zukünf­tigen Debatten um die bevor­ste­hende Novel­lie­rung des Film­för­der­ge­setzes (FFG) warmläuft.

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»Es gibt keine Kinomü­dig­keit beim Publikum. Das Publikum ist es nur müde, lang­wei­lige Filme anzusehen.« – So heißt das dann bei Martin Mosz­ko­wicz, dem gerade heute frisch­ge­ba­ckenen Hono­rar­pro­fessor der HFF München. Mosz­ko­wicz ist Vorstands­vor­sit­zender der Constantin Film AG und damit Inter­es­sen­ver­treter seiner Firma und der soge­nannten deutschen Film­wirt­schaft – sogenannt, weil diese Wirt­schaft ohne die massiven Subven­tionen der deutschen Film­för­de­rung nicht überleben könnte, und en gros offenbar so unwirt­schaft­lich oder riskant arbeitet, dass sie im Gegensatz zu jedem anstän­digen Metz­ger­meister von einer Bank keinen Kredit bekommen. Das gilt nicht unbedingt für die Constantin Film AG, in dem Fall handelt es sich nach unserem Eindruck eher darum, dass die Firma halt die Subven­tionen gern mitnimmt, die man gerade ihr gern zuteil werden lässt. Denn oft genug hat man bei der FFA und ihren Entschei­dungen, inklusive der letzten Leit­li­ni­en­an­pas­sung, den Eindruck, die Film­för­der­an­stalt sei so unab­hängig nicht, und diene keines­wegs der Gesamt­heit des »deutschen Films« (was immer das heißt), sondern sehr bestimmten Firmen­in­ter­essen.

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Um das zu kaschieren, bemüht man dann das Argument des Publikums. Die Logik dieses Arguments lautet in etwa so: Viele Zuschauer gehen in einen bestimmten Film. Daraus folgt: Sie wollen ihn sehen. Was viele Zuschauer sehen wollen, ist inter­es­sant. In einen anderen Film gehen wenig Zuschauer, daraus folgt: Sie wollen ihn nicht sehen. Was wenige Zuschauer sehen wollen, ist unin­ter­es­sant.

Natürlich ist das ein Schein­ar­gu­ment. Denn schlicht gesagt, hängen Zuschau­er­zahlen nicht von der Qualität eines Films ab, sondern von anderen Faktoren: Zual­ler­erst der vom Verleih einge­setzten Kopi­en­zahl. Zweitens der Zahl der Vorstel­lungen pro Tag, ihrer Zeiten und der Anzahl der in den Kinos zur Verfügung stehenden Zuschau­er­plätze. Das inter­es­sierte Publikum muss die Chance haben, einen Film überhaupt sehen zu können. Und nicht wenige deutsche Filme scheitern genau hier.
Dabei spielt auch die Markt­macht der jewei­ligen Verleiher eine Rolle: Selbst­ver­s­tänd­lich können bestimmte Verleiher per Koppel­ge­schäften Filme in die Kinos pressen: Willst du, lieber Kino­be­treiber Film A, dann musst du aber auch vorher die Filme B,C,D spielen, sonst bekommst du A nicht. Damit gehen zugleich Plätze für andere Filme verloren.

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IN MY ROOM wurde leider nicht für den Deutschen Filmpreis nominiert | Foto © Pandora

Das deutsche Kino zwischen Irrele­vanz und Harm­lo­sig­keit – Cinema Moralia, Tagebuch eines Kino­ge­hers, 187. Folge

Sie werden jetzt wieder sagen, dass sei doch alles waaaahn­sinnig demo­kra­tisch. Und manche werden uns sogar versuchen, weis­zu­ma­chen, 100 Dinge habe doch auch etwas mit Film­kultur zu tun, und sei natürlich einer der besten Filme des Jahres 2018. Und andere werden wieder umständ­lich und juris­tisch voll­kommen korrekt erklären, dass Bille August mit Eleanor & Colette einen durch und durch deutschen Film gedreht hat, und einen guten obendrein.
Aber es hilft nichts. Die Veröf­fent­li­chung der Voraus­wahl zum deutschen Filmpreis bietet wieder einmal ein Panop­tikum der Mittel­mäßig­keit und künst­le­ri­schen Bedeu­tungs­lo­sig­keit, dass es zum Himmel schreit.
Dass Ulrich Köhlers In My Room gut genug war für Cannes, aber nicht gut genug für die deutsche Film­aka­demie, dass Mein Bruder heißt Robert und ist ein Idiot nicht eine einzige Nomi­nie­rung bekommt – in der Voraus­wahl, Leute!!! –, auch nicht für Kamera, auch nicht für die großar­tige Julia Zange, dass Lomo – The Language of Many Others auf der Liste fehlt, das beweist wie so manche andere Entschei­dung hier, dass es mit der Film­aka­demie nach nunmehr 15 Jahren Verschlimm­bes­se­rung des Bundes­film­preises nichts mehr werden kann, und dass die auch hier zustän­dige Kultur­staats­mi­nis­terin Monika Grütters ihr hoffent­lich bald die Verwal­tung des Film­preises entzieht, so wie Dieter Kosslick die Erbpacht auf die Berlinale.
Diver­sität wird gern gefordert. Es gibt aber auch eine ästhe­ti­sche Diver­sität.
Der deutsche Film according to deutsche Film­aka­demie ist ein Biotop der Harm­lo­sig­keit und Irrele­vanz. Wahn­sinnig demo­kra­tisch eben. Aber vor allem wahn­sinnig. Und so demo­kra­tisch halt, wie es ist, dass die AfD in den Parla­menten sitzt.
Auch durch so etwas wächst das Unbehagen in der Demo­kratie.

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Ab ins Nirwana von Netflix: Nach nur einer Woche ist »Roma« jetzt aus den Kinos verschwunden. | Foto © Netflix

Wer rausgeht, kommt wieder rein: Der Netflix-Flop, die Aller­mäch­tigste des deutschen Films und warum alle Film­förder-Gremien grund­sätz­lich abge­schafft werden sollten – Cinema Moralia, Tagebuch eines Kino­ge­hers, 185. Folge

»To disagree silently is illoyal.«
Reed Hastings, Gründer von Netflix

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Alle deutschen Filme­ma­cher, ob Regis­seure oder Produ­zenten, und auch Verleiher und Kino­be­treiber sind sich endlich mal einig: Dem deutschen Kino geht es so schlecht wie nie; so wie jetzt kann es nicht weiter­gehen; grund­sätz­liche Dinge müssen sich ändern.
Nur den deutschen Film­för­de­rern geht es gut. So jubelte die FFA vor einigen Wochen in ihrer Bilanz der ersten Jahres­hälfte »Deutsche Filme gegen den Trend im Plus« In der »FFA-Studie der erfolg­reichsten Filme des ersten Halb­jahres 2018« (»Studie« muss man dazu wissen, heißt bei der FFA nicht etwa »Wissen­schaft« oder »Statistik« sondern das simple Auflisten und Anordnen der Zahlen zum Zwecke des Schön­re­dens) scheint es dem deutschen Kino gut zu gehen. Zwar kann man nicht verleugnen, dass 4,5 Millionen weniger Besucher ins Kino gingen (ein Rückgang von erschre­ckenden ca. 15 Prozent). Bemerkbar ist auch die weitere Vergrei­sung des Publikums. Sogar bei den Kinder­filmen machen die unter 30-jährigen mit einer Ausnahme weniger als 30% der Besucher aus: Braucht jedes Kind wirklich zwei Begleiter im Kino?
Die Filme, die die Jugend (also 29-jährige oder Jüngere) wirklich inter­es­sieren, heißen noch nicht mal Star Wars (35% Jugen­d­an­teil), sondern Maze Runner – Die Auser­wählten in der Todeszone (57%), Black Panther (55%), Avengers: Infinity War (53%), aber auch noch Fifty Shades of Grey – Befreite Lust (46%). Viel­leicht sollten diese Zahlen uns erst recht Angst um die Zukunft nicht nur des Kinos machen.

Vor allem aber: Was reprä­sen­tiert nun eigent­li­chen diesen Erfolg »gegen den Trend«? Die deutschen Filme unter den Top 25 heißen Jim Knopf und Lukas der Loko­mo­tiv­führer; Die kleine Hexe; Dieses bescheu­erte Herz und Hilfe, ich hab meine Eltern geschrumpft – fürwahr ein Triumph deutschen Kino­schaf­fens!

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Der angeb­liche Kinder­film Jim Knopf und Lukas der Loko­mo­tiv­führer ist übrigens auch der »drit­täl­teste« Film der Top 25: 34% seiner Besucher waren über 50! Die werden sich gewundert haben…

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Eigent­lich ein Moderne-Kunst­ver­ach­tungs- und -verar­schungs-Unter­nehmen: Tom Schilling in Werk ohne Autor

Film ohne Form: Über­le­gungen zur Rezeption des neuen Donners­marck-Films – Cinema Moralia, Tagebuch eines Kino­ge­hers, 182. Folge

»Das Voll­kom­mene droht uns nicht nur unun­ter­bro­chen mit unserer Vernich­tung, es vernichtet uns auch.«
Thomas Bernhard: »Alte Meister«

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Berlin, Mitte August 2018. Pres­se­vor­füh­rung zu Werk ohne Autor von Florian Henckel von Donners­marck. Dankens­wer­ter­weise zwei Wochen vor Venedig, mit Sperr­frist, die ich albern finde, zumal ich nicht glaube, dass die Welt gebannt auf den neuesten Donners­marck-Film wartet, aber sei’s drum.
Ich gehe also die Roll­treppe hinunter im Cinestar am Potsdamer Platz und um die Ecke, denke an nichts Böses, und da steht er: Der Regisseur. Kommt auf mich zu. »suchsland@gmx – ich wollte dir vorhin aus dem Zug noch schreiben!« Na hoppla, das fängt ja gut an. Ok, denke ich, schön, wenn auch etwas uner­wartet, denn die letzten acht Jahre habe ich von ihm keine Mail bekommen, also frage ich viel­leicht etwas zu leutselig: »Aha, soso, warum denn?« Er: »Naja, ich wollte dir schreiben, weil wir uns ja in der Vergan­gen­heit schon etwas gekabbelt haben, dass ich hoffe, dass du vorur­teils­frei in meinen Film gehst.« Aha, denke ich, spätes­tens jetzt wahr­schein­lich nicht mehr, aber das sage ich nicht, leider dachte ich später, sondern ich murmelte, sowieso noch etwas fassungslos von der unge­wöhn­li­chen und daher uner­war­teten Begegnung, irgend­etwas Unver­bind­li­ches wie »naja, warum denn Vorur­teile, natürlich gehe ich ganz gespannt rein…« Dann ging ich in den Kinosaal.

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Das stimmte auch. Ich glaube, ich habe eher gehofft, dass ich den Film gut finden würde. Weil ich sowieso lieber gute Filme sehe, und weil ich es auch doof finde, immer Donners­marck-Filme verreißen zu müssen.
Dort im Kinosaal dann etwa 40 Berliner Kollegen. Marten Schuh­ma­cher, der vom Disney-Verleih beauf­tragte Pres­se­agent tritt unten vor die Zuschauer, murmelt irgend­etwas von der Sperr­frist und Venedig, nochmal denke ich naja, die ham’s ja nötig, aber dafür kann Marten ja nichts.
Dann aber gab es etwas zu sehen, was ich in ziemlich vielen Jahren als Film­kri­tiker noch nicht erlebt hatte: Der Regisseur trat vor, und nicht etwa begrüßte auch er kurz die Anwe­senden und sagte viel­leicht »Ich freue mich, dass Sie da sind« und »Viel Spaß!« oder Ähnliches, sondern er sprach. Er trug vor. Er hielt genau­ge­nommen eine geschla­gene 17 Minuten dauernde Rede, in der er ausführ­lich beschrieb, was wir gleich sehen würden, seinen Film, und auch das vorweg­nahm, von dem man über­rascht sein könnte, und wo es bei einem Film­kri­tiker dann einen Shitstorm gibt, wegen »Spoilerns«. Dazu erzählte Donners­marck auch von Gerhard Richter, mit dem sein Film ja nur angeblich nicht viel zu tun hat, erzählte von seinem langen, vier­wöchigen, von Donners­marck mit einem »Exer­zi­tium« etwas kokett vergli­chenen Treffen mit Richter.
Von dem war mir schon aus Kreisen der Produk­tion erzählt worden, aber auch wenn man nichts wusste von dem ganzen Projekt, nichts wusste von Richter, nichts von der Geschichte seiner Tante und den Recher­chen Jürgen Schrei­bers, die Donners­marck für seinen Film ausge­schlachtet hat, dann war es trotzdem keine gute Idee, das dann so vor der versam­melten Kriti­ker­schar auszu­breiten.
Es nervte. Es kostete Zeit. Es machte die Kollegen unge­duldig. Man muss sich zu alldem ja vorstellen, dass sowieso schon jeder wusste, dass einen ein Film erwartete, der laut Ankün­di­gung drei Stunden und acht Minuten dauern würde. Man schaute also auf die Uhr und dachte, ok, um 18 Uhr komme ich hier schon mal nicht raus, sondern es wird mindes­tens bis halb sieben dauern, denn die Pres­se­fuzzis werden dann natürlich auch noch wissen wollen, wie man das alles jetzt fand. Ich glaubte dabei, irgend­wann das leicht gequält wirkende Gesicht des anwe­senden Pres­se­per­so­nals gesehen zu haben, aber das mag subjek­tive Wahr­neh­mung gewesen sein.
Gegen Ende der Rede hub Donners­marck dann gar noch zu einem Grund­satz­state­ment im für diesen Regisseur üblichen Pathos an: »Solche Filme wie dieser können heute eigent­lich nicht mehr gemacht werden. Damit sie dennoch gemacht werden können, brauchen wir Euch.«
Wow! Man könnte auch sagen: Er flehte. Er bettelte. Florian Henckel von Donners­marck bettelte um Gnade und gnädige Kritiken. Das war ja dann fast schon wieder sympa­thisch.

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Filmförderung ist, was die Politik will. Achternbuschs Gespenst wurde einst in Bayern verboten, Gansels betulicher Jim Knopf ist durchgefördert. Gut, dass Achternbusch damals schon so schön die Zunge rausgestreckt hat.

Das Gespenst: Die Zukunft des deutschen Films. Und seine Gegenwart – Cinema Moralia, Tagebuch eines Kino­ge­hers, 174. Folge

»In all my early films, from Jaws to Raiders to E.T., I was telling the story from a seat in the theater ― from the audience, for the audience ― and I haven’t done that in a long time, I haven’t really done that since
Jurassic Park, and that was in the ’90s.«
Steven Spielberg, im Gespräch mit der »New York Times«

»FilmFern­sehFonds Bayern – Verleih­för­de­rung: 250.000 € (3/2018)
DFFF Deutscher Film­för­der­fonds: 4.000.000 €
German Motion Picture Fund – Produk­ti­ons­för­de­rung: 2.500.000 €
Medien- und Film­ge­sell­schaft Baden-Würt­tem­berg – Produk­ti­ons­för­de­rung: 450.000 € (10/2016)
Film­för­de­rungs­an­stalt – Produk­ti­ons­för­de­rung: 800.000 € (11/2016)
FilmFern­sehFonds Bayern – Produk­ti­ons­för­de­rung: 1.024.087
€ (10/2016)
Medien­board Berlin-Bran­den­burg – Produk­ti­ons­för­de­rung: 800.000 € (8/2016)«
Förder­gelder für Jim Knopf und Lukas der Loko­mo­tiv­führer, »Ratpack« Film­pro­duk­tion, München

Der deutsche Film ist ein Schein­riese. Es gibt unglaub­lich viel Geld, daran liegt es nicht. Deutsch­land ist das europäi­sche Land mit dem zweit­höchsten Förde­retat aller Länder. Und gerade daran gemessen kommt unglaub­lich wenig heraus. Bei Film­fes­ti­vals, vor allem den guten, ist es kaum vertreten, viel weniger als nominell »kleine« Film­länder wie zum Beispiel Dänemark, Öster­reich oder Rumänien. Ins Ausland verkaufen sich deutsche Filme schlecht. Es gibt kaum inter­na­tio­nale deutsche Stars – zwar ergötzen sich deutsche Film­funk­ti­onäre und ihr Publikum an einer Romy Schneider für Arme in einem Biopic, das außer einem maßgeb­li­chen ARTE-Redakteur keiner gebraucht hat – die Zeiten einer Romy Schneider oder eines Gerd Fröbe, einer Karin Dor und eines Curt Jürgens, eines Horst Buchholz oder einer Senta Berger (Im Kino, nicht im Fernsehen! In Hollywood, nicht »unter Verdacht«!!) sind lange vorbei. Aber das war ja auch »Opas Kino«, und das war ja angeblich ganz, ganz schlecht – sagen die, die es meistens gar nicht kennen. Weiterlesen

pablo (1)

Nach der Woche der Vorent­schei­dungen: Die Kultur­staats­mi­nis­terin stellt in der Debatte um die Zukunft der Berlinale erste Weichen. Doch die Diskus­sion über die Zukunft der Berlinale verrät viel über den Zustand des deutschen Kinos – die Debatte um die Zukunft der Berlinale – Teil 2

»In der Kunst kann es keinen Frieden geben. Bewegung entsteht aus Konflikt. Das hat Geschichte.«
Thomas Heise / Christoph Hoch­häusler, am 4.12.2017

Seit Ende November ist sie da und nicht mehr zu verdrängen: Die Debatte über die Zukunft der »Inter­na­tio­nalen Berliner Film­fest­spiele«. Ob deren Ursache auch in einer schwe­lenden Krise der gegen­wär­tigen Berlinale liegt und in persön­li­chen Schwächen der handelnden Akteure, darüber gehen die Meinungen schon wieder ausein­ander: Aber klar zu sein scheint: So wie es ist, kann, wird und soll es nicht weiter­gehen.

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Auf den am 24. November veröf­fent­li­chen Brief von über 80 deutschen Film­re­gis­seuren, darunter sehr bekannte Namen wie Volker Schlön­dorff, Fatih Akin und Maren Ade, die das bevor­ste­hende Ende der Amtszeit des noch amtie­renden Berlinale-Direktors zum Anlass genommen hatten, Fragen und Wünsche zur Zukunft der Berlinale zu stellen, und einen Neuanfang zu fordern, folgte eine Einladung des BKM zu einer Veran­stal­tung im »Haus der Kulturen der Welt« (HDKW) am 4. Dezember, in der es formal ganz allgemein und leicht verbrämt um »Film­fes­ti­vals heute« gehen sollte, obwohl doch jeder wusste, dass die Berlinale das einzige Thema war.

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War dies nun ein Befrei­ungs­schlag für Monika Grütters? Die amtie­rende Kultur­staats­mi­nis­terin (CDU) hatte sich, nicht ganz ohne eigenes Zutun, in den letzten Monaten in eine schwie­rige Position gebracht in der Frage nach der Zukunft des wich­tigsten deutschen Film­fes­ti­vals, der Berlinale. Denn bisher hatte man aus ihrem Hause wenige klare Worte dazu gehört. Das zumindest hat der Brief der Regis­seure bewirkt: Grütters sah sich offenbar zu gewissen Klar­stel­lungen gezwungen. In ihrem Hause mag man argu­men­tieren, dass das alles auch ohne den Brief der Regis­seure entstanden wäre. Aber so wie die Dinge liegen, erscheint dieser wie ein Auslöser. Denn erst nach dem Brief der Regis­seure wurde eine Veran­stal­tung im Berliner »Haus der Kulturen der Welt«, von der man bis dahin nur unter der Hand schon erfahren hatte, die nur »auf persön­liche Einladung« zugäng­lich sein sollte, plötzlich »halböf­fent­lich« und dann im Fortgang der Debatte »öffent­lich«.

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Und erst nach dem Brief der Regis­seure nutzte die amtie­rende Kultur­staats­mi­nis­terin ihr Grußwort zu immerhin einigen unmiss­ver­s­tänd­li­chen Aussagen, und stellte schon an diesem Abend und am Tag darauf erste entschei­dende Weichen: Ihr Grußwort nutzte die Minis­terin zu der unmiss­ver­s­tänd­li­chen Aussage, dass der noch bis März 2019 amtie­rende Berlinale-Direktor Dieter Kosslick, der bis dato öffent­lich wie hinter den Kulissen um ein Weiter­ma­chen gekämpft hatte, mit Auslaufen seines Vertrags tatsäch­lich aufhören muss, und auch nicht in anderen Entscheider-Funk­tionen mit im Boot bleibt. Denn nicht nur sagte Grütters, dass das Gerücht falsch sei, dass »der Name Dieter Kosslick für eine Schlüs­sel­po­si­tion nach 2019 gesetzt ist«. Grütters betonte zudem ausdrück­lich: »Miss­ver­standen … wurde ganz offen­sicht­lich die Ankün­di­gung, dass Herr Kosslick dem Aufsichtsrat der KBB ein Konzept für die Zeit nach 2019 vorstellt. Deshalb auch dazu eine Klar­stel­lung: Es handelt sich bei diesem Konzept um einen Diskus­si­ons­bei­trag unter mehreren.« Weiterlesen

pablo (1)

Trouble in Paradise: Die Regis­seure, der Festi­val­leiter und die Minis­terin – der Kampf um die Zukunft der Berlinale – Teil 1

Manche, auch wohl­ge­son­nene Menschen, behaupten dieser Tage, wir hätten ja etwas gegen die Berlinale. Wir würden sie nicht mögen, oder würden die Berlinale schlecht machen.
Das ist falsch. Wer so redet, hat das Entschei­dende nicht verstanden. Wer die Berlinale kriti­siert, der tut das, weil sie ihm am Herzen liegt. Weil man sie mag und gern dorthin geht. Weil es der Mühe wert ist, seine Zeit damit zuzu­bringen, sie zu kriti­sieren. Kritik muss man sich verdienen. Die Berlinale hat sich Kritik verdient, denn sie könnte besser sein, als sie ist, und wenn man das weiß, dann versucht man seinen Beitrag dazu zu tun, sie besser zu machen.
Wenn manche jetzt den amtie­renden Festi­val­leiter kriti­sieren, oder sogar die Nicht­ver­län­ge­rung seines Vertrages wünschen, dann sollte man dies nicht mit Kritik an der Berlinale verwech­seln. Die Vermi­schung von Insti­tu­tion und Person, von Amt und Amts­in­haber ist derzeit die Strategie des amtie­renden Festi­val­lei­ters, um sich an sein Amt zu klammern. Man sollte auf diese Taktik nicht herein­fallen.
Die Berlinale ist wichtiger als jede Person. Wer das leugnet, beschä­digt die Berlinale.

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Die derzei­tige Debatte um die Zukunft der Berlinale ist überaus spannend und ein Para­de­bei­spiel für kultur­po­li­ti­sche Kämpfe, poli­ti­sche Stra­te­gien und mediale Taktiken.
Es ist in aller­erster Linie ein Kampf um die Meinungs­macht.
Wer die Vorgänge genau und kühl beob­achtet, kann hier viel lernen, weit über den Gegen­stand hinaus. Weiterlesen

Ganz so einfach ist es nicht...

Ganz so einfach ist es nicht...

Moral, Schuld und Kunst­kritik: »Lost in Politics«, wir Parti­sanen der Ambi­va­lenz und die Debatte zum »Fall Weinstein« – Cinema Moralia, Tagebuch eines Kino­ge­hers, 164. Folge

»Warum gibt es diese Obsession, nach dem Ange­mes­senen und nach dem Korrekten zu fragen?«
Cristina Nord bei »Lost in Politics« in Leipzig, 1.11.17

Heute bei der Dok Leipzig: Der Verband der Film­kritik debat­tierte über »Lost in Politics«, also Formen und Varianten des Poli­ti­schen im Kino und darüber, was es eigent­lich heißt, wenn man von »poli­ti­schen« Filmen redet. Klarer­weise ging es diesmal vor allem um das Poli­ti­sche im und am Doku­men­tar­film: Sind (Doku­mentar-) Filme auto­ma­tisch dringlich oder wichtig, weil sie mit wichtigen oder dring­li­chen Themen befasst sind? Geht das, was (Doku­mentar-) Filme politisch meinen, in dem auf, was sie ästhe­tisch tun? Drei Autoren stellten, moderiert von Heike Melba Fendel, jeweils gegen­wär­tige Film­bei­spiele vor: Cristina Nord  Auster­litz (von Sergei Loznitsa), Patrick Holzapfel I Am Not Your Negro (Raoul Peck), und Jide Tom Akin­le­minu den argen­ti­ni­schen Film Project 55 aus dem aktuellen Wett­be­werb.

Die Veran­stal­tung war sehr anregend und stel­len­weise kontro­vers. Es ging dabei vor allem um das Verhältnis von Main­stream­kino zu Kunstkino, darum ob Filme, die den Regeln folgen, stand ihnen Wider­stand entge­gen­zu­setzen, trotzdem gut sein können und ob es immer gut ist, Regeln anzu­greifen. Die Film­aus­schnitte hätten kürzer sein dürfen, die gesamte Veran­stal­tung dafür länger. So blieb einiges auf der Strecke.
Was ich mitnehme, ist der diffuse Verdruss darüber, dass Film­kritik immer etwas gegen Main­stream an-sich haben muss, statt guten Main­stream von schlechtem zu unter­scheiden, warum Attrak­tion, Emotion, und Exzeß bei vielen Kollegen scheinbar syste­misch unter Verdacht stehen…

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Soll man Mr. Weinstein verbrennen? Und ein verschwun­dener Artikel über Sexismus und Rassismus auf der Berlinale – Cinema Moralia, Tagebuch eines Kino­ge­hers, 163. Folge

»Sometimes we stop and watch the birds when there ain’t no birds. And look at the sunsets when its raining. We have a swell time. And I always get a big tip. But after­wards, oh oh…
»What do you mean, ‚after­wards, oh oh‘?«
»They crab, crab, crab. They yell at me. Watch the lights. Watch the brakes, Watch the inter­sec­tions. They scream at me to hurry. They got no faith in me, or my buggy. Yet, it’s the same cab, the same driver. and we’re going back over the very same road. It’s no fun. And no tips… After this he’ll be a perfectly normal human being. And you know what stinkers they are!«

»Harvey »von Henry Koster, 1950

»Der, der ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein.«
Evan­ge­lium des Johannes

»Mein Motto: Immer auf der falschen Seite stehen.«
Shizu

Die soge­nannte Weinstein-Affaire wirft mehr Fragen auf, als bisher beant­wortet werden.

Wenn man liest, was veröf­fent­licht wird, ist es unglaub­lich viel Hören­sagen, Verdacht, anonyme Anschul­di­gung, vages, »unan­ge­mes­senes Benehmen«. Wenn man die Erleb­nisse von Ashley Judd und Asia Argento liest, möchte man sie lieber nicht gelesen haben. Nicht wegen der Ekeleien Wein­steins, sondern weil diese Frauen da viel dummes Zeug reden, und seiner­zeit manches dumme Zeug gemacht haben – was natürlich Weinstein nicht im Geringsten entschul­digt, das muss man ja heute besser dazu sagen.

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Ich frage mich manches, zum Beispiel: Warum sind es eigent­lich immer Juden, die derart öffent­lich vorge­führt, an den Pranger gestellt und exeku­tiert werden? Roman Polanski, Woody Allen, Dominique Strauss-Kahn, Harvey Weinstein? Wird da neben der Lust an detail­lierter Beschrei­bung auch ein verkappter Anti­se­mi­tismus der Öffent­lich­keit bedient?
Ich frage mich: Warum sind es immer Linke oder Liberale und Unter­s­tützer der Demo­kraten, um die es geht? Mein Eindruck: Es geht auch darum, mit einer Epoche abzu­rechnen: den Sixties und ihrer Libe­ra­lität. Nicht Personen, sondern die libertäre Kultur der Sechziger Jahre soll gebrand­markt und öffent­lich vernichtet werden.
Es geht um ein Zurück zum Puri­ta­nismus.

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Verena Lueken stellte in ihrem FAZ-Kommentar eine wichtige Frage: Wie ist die Rolle der Medien? »Sie sind Teil der Branche. Recher­chen, die schon vor mehr als zehn Jahren unter­nommen wurden, hat er, so scheint es, zu unter­drü­cken gewusst. Weinstein hat in den vergan­genen Jahren, in denen keiner seiner Filme mehr Oscars gewann, mit seiner Firma Macht eingebüßt. Gibt es einen Zusam­men­hang mit dem Zeitpunkt der Veröf­fent­li­chung? Brachte die »New York Times« den Stein nur ins Rollen, weil Weinstein schon ange­schossen war?«
Man fragt sich übrigens, warum der Sender NBC wegen »Quel­len­pro­blemen« jene Story ablehnte, die der »New Yorker« gedruckt hat. Sie stammt nicht zufällig von Ronan Farrow, dem Sohn von Mia Farrow und Woody Allen.

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Ich frage mich schließ­lich, warum in dieser Hexenjagd jedes Maß verloren wird? Gerede jene, die sonst bei allen möglichen über­führten und verur­teilten Krimi­nellen auf Reso­zia­li­sie­rung pochen, die – oft mit guten Gründen – in vielen Verfahren mildernde Umstände ins Feld führen, kennen in diesem Fall keinen Rechts­staat mehr.
Recht­staat­liche Basis­prin­zi­pien, wie die Unschulds­ver­mu­tung exis­tieren de facto nicht mehr im Fall von Sexu­al­ver­bre­chen.

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Stünde der FFA auch weiterhin gut zu Gesicht: Valeska Grisebachs „Western“

Wo bleibt der Kino-Maoismus? Die Verant­wor­tung zur Förderung des kulturell anspruchs­vollen Films gilt für alle Förderer, die Jan-Weiler-Methode und endlich eine Talkshow ohne Bosbach – Cinema Moralia, Tagebuch eines Kino­ge­hers, 158. Folge

Es war eine lustige, über­ra­schende Pres­se­mit­tei­lung, die uns Mittwoch von Kultur­staats­mi­nis­terin Monika Grütters zuge­schickt wurde, direkt vor der Sommer­party des »großen« der beiden Produ­zen­ten­ver­bände, der Allianz.
»Verant­wor­tung zur Förderung des kulturell anspruchs­vollen Films gilt für alle Förderer« war sie über­schrieben, und in der Unter­zeile sehr fein, fast schon poetisch: »Aus Anlass der anhal­tenden Diskus­sion um eine vor kurzem verän­derte Förder­praxis der Film­för­de­rungs­an­stalt (FFA) und des heutigen Treffens der Produ­zen­ten­al­lianz in Berlin erklärte die Staats­mi­nis­terin für Kultur und Medien Monika Grütters«.
Das Wort »eine« gefällt mir darin am besten.
Aber was hat Grütters erklärt? In gerade von ihr bislang unge­wohnter Deut­lich­keit schreibt die Staats­mi­nis­terin: »Die ange­strebte zukünftig sehr viel stärkere Ausrich­tung der FFA an rein wirt­schaft­li­chen Kriterien bei der Entschei­dung über die Förderung eines Film­pro­jekts halte ich für falsch. Ein solcher Förder­an­satz wird dem deutschen Kinofilm als Kultur- und Wirt­schaftsgut in seiner Vielfalt nicht gerecht und ist kultur­po­li­tisch auch nicht geboten.«
Ein Affront und eine offene Attacke auf FFA-Chef Peter Dinges und nicht zuletzt auch auf ihren Vorgänger, Ex-Kultur­staats­mi­nister Bernd Neumann, der jetzt Chef des FFA-Verwal­tungs­rats ist. Recht hat sie!
Wir würden jetzt gerne »Gut so, Frau Grütters!« jubeln, wären da nicht… ein paar Fragen und Gedanken.

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Denn wie weit hat eigent­lich die Minis­terin selbst mit ihrer Politik dazu beige­tragen, dass sich nicht mehr alle sicher sind, ob es eigent­lich noch irgendwem noch um kultu­relle Film­för­de­rung geht? Dass, salopp gesagt, die Anwälte der Industrie, des Films als Wirt­schaftsgut Morgen­luft schnup­pern.
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Nach den neuen Leitlinien nicht mehr förderungwürdig: François Ozons FRANTZ - (c) X Verleih AG

50 Jahre FFG sind genug! Aber um das zu merken, muss man aufwachen – Cinema Moralia, Tagebuch eines Kino­ge­hers, 157. Folge

»Der schnelle Tag ist hin / die Nacht schwingt ihre Fahn /
Und führt die Sternen auff. Der Menschen müde Scharen
Verlassen feld und werck / Wo Thier und Vögel waren
Trawert itzt die Einsam­keit. Wie ist die zeit verthan!«

Andreas Gryphius, »Abend«

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»Ich bin in der Kriti­schen Theorie zu Hause. Die Kritische Theorie sagt, dass es immer einen Ausweg gibt. Wenn die Wirk­lich­keit den Menschen demütigt und entmün­digt, dann glauben wir eben nicht an diese Wirk­lich­keit. Dann behalten wir uns vor, eine andere zu wählen.« – so Alexander Kluge im aktuellen »Philo­so­phie Magazin« (4/2017). Diese Sätze enthalten alles, was deutsche Filme­ma­chen wissen müssen, um mit der Förderung ange­messen zu verfahren – wenn sie nicht Bomben
bauen wollen.

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Seit Jahren bereits betreibt die deutsche Film­för­de­rung eine Art Live-Selbst­mord, eine Selbst­ent­lei­bung vor Publikum. Man kann dabei zugucken, wie die Förderung sich selbst abschafft und zu einem Punkt führt, an dem keiner mehr begreift, wozu es sie überhaupt noch gibt. Dieser Punkt ist nahe. Nach der FFA-Entschei­dung vom Dienstag ist die deutsche Film­för­de­rung einen großen Schritt weiter – auf diesem Weg ohne Wieder­kehr, dem Weg in den Abgrund.

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Der FFA-Verwal­tungsrat hat am Dienstag neue Leit­li­nien für die Projekt­för­de­rung verab­schiedet. Es war immerhin keine einstim­mige Entschei­dung, sondern eine Kampf­ab­stim­mung. Schon der erste satz dieser Leit­li­nien ist – denkt man einen Augen­blick nach – komplett absurd:
»Die FFA sollte – im Rahmen der gesetz­li­chen Vorschriften – Kinofilme fördern, die einen hohen quali­ta­tiven Anspruch haben sowie glei­cher­maßen absolut und/oder relativ wirt­schaft­lich erfolg­reich im In- und Ausland ausge­wertet werden können (wirt­schaft­lich-kultu­reller Film­be­griff)«
Das »glei­cher­maßen« macht sprach­lich/gedank­lich keinen Sinn. Zudem kann wirt­schaft­li­cher Erfolg auch meinen: Ein Film der 1000 Euro gekostet hat, kann mit 1100 Euro Einnahmen, wirt­schaft­lich 10% Gewinn machen. Das meint die FFA aber nicht.
Endgültig ad absurdum führt den Satz das Wort »können«. Das heißt alles und nichts. Es meint ein Potential. Alle können. Entschei­dend bleibt subjek­tives Zutrauen.

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Heike-Melba Fendel (Foto: privat)

Heike-Melba Fendel, Autorin, Film­kri­ti­kerin und Agentin, über »Pro Quote Regie« und den soge­nannten weib­li­chen Blick

Eigent­lich wollten wir nur gemeinsam zu Mittag essen, und über Heike-Melba Fendels neuen Roman reden, »Zehn Tage im Februar«, der auch ein Buch über die Berlinale ist, und über das Kino. Doch dann wurde es ein Gespräch zur Lage der Frau und über die selbst­er­nannten Anwäl­tinnen der Frau­en­rechte im deutschen Film, »Pro Quote Regie«.
Ein offenes Gespräch mit einer unab­hän­gigen Autorin – die darauf besteht, keine Quote nötig zu haben.

Das Gespräch führte Rüdiger Suchsland.

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Heike-Melba Fendel schreibt Essays, Storys und Kritiken für diverse Publi­ka­tionen und ist Kolum­nistin bei Zeit Online. Sie leitet die Künstler- und Veran­stal­tungs­agentur Barba­rella Enter­tain­ment. Außerdem ist sie Verfech­terin von selbst­ver­fassten Inter­views und versteht sich darin vor allem als Autorin, wie sie im Tages­spiegel offenbart. Das hier veröf­fent­lichte Interview wurde demgemäß von ihr »mitver­fasst«. Fendel mag es eben gerne, wenn sie die Kontrolle über die Dinge behält. [Anmerkung der Redaktion]

artechock: Mir scheint, dass öffent­liche Debatten in Deutsch­land gegen­wärtig sehr häufig von einer mehr­fa­chen Beflis­sen­heit regiert werden. Man traut sich Dinge nicht zu sagen: Aus Rücksicht und Scho­nungs­trieb gegenüber jenen, die es betrifft; aus Angst als Nest­be­schmutzer zu gelten, oder als Neid­hammel; aus Unlust, Spiel­ver­derber zu sein; aus Furcht vor Konse­quenzen. Darum traut sich kaum noch einer, etwas gegen »Pro Quote Regie« zu sagen, weil man dann – und frau erst recht – geradezu stali­nis­tisch abge­watscht und gebashed wird. Darum kriti­siert niemand die Förderer, ihre Entschei­dungen, ihre Richt­li­nien, die Besetzung der Kommis­sionen, weil man fürchtet, dass sich das beim nächsten Antrag rächt. Darum sagt kaum einer es öffent­lich, wenn er Toni Erdmann viel­leicht nicht für den besten deutschen Film des Jahres hält, weil man dann »ja nur neidisch« ist, und sich doch bitte auch mal freuen soll. So wie man immer für die deutsche Fußball­na­tio­nal­mann­schaft sein muss.
Kurzum: Es gibt keine Streit­kultur, keine Offenheit und Neugier auf kontro­verse Posi­tionen, keine Lust an der Debatte – nur die alles ersti­ckende Käseg­locke der political correct­ness.
Oder sind das alles Klischees? Soll man zum Beispiel öffent­lich auf die Lügen und Halb­wahr­heiten in den Pres­se­mit­tei­lungen der Film­för­derer reagieren und das zurech­trü­cken?

Heike-Melba Fendel: Natürlich…

artechock: Ellen Wietstock von der Black Box sagt das auch. Sie sagt, das Problem sei, dass sich keiner traut, offen über seine Erfah­rungen zu reden – es nutze aber niemandem, wenn er sich anpasst.

Fendel: Du weißt ja, mit wem du hier redest. Ich habe mir natürlich vor gut zwei Jahren überlegt, ob ich nochmal meine Kritik an »Pro Quote Regie« äußern soll. Ich mache in meinem Text im Tages­spiegel in gewisser Weise wieder, indem ich dieses Teppich­ge­döns bei der Berlinale »im Duktus einer sauer­töp­fi­schen Femi­nistin« geißele, wie man das dann gerne nennt, und ande­rer­seits zu kriti­sieren, dass »Pro Quote Regie« nur die »Pro Quote Regie«-Karte spielt – und so immer im Erwar­tungs­rahmen bleibt.
Muss ich also jetzt »schon wieder« so was machen? Ja, muss ich. Weil ich sonst schon Teil dessen werde, was man kriti­sieren muss:
Dass also überhaupt nicht mehr hinter­fragt wird, wieso eine Schau­spie­lerin auch für Arthouse-Filme unbe­setzbar ist, jeden­falls unbe­setzbar im Sinne der Förder­gre­mien, wenn sie dieses Spiel nicht mitspielt. Weiterlesen