Der Kampf um die Zukunft der Berlinale – Teil 1: Kampf um die Meinungsmacht
Trouble in Paradise: Die Regisseure, der Festivalleiter und die Ministerin – der Kampf um die Zukunft der Berlinale – Teil 1
Manche, auch wohlgesonnene Menschen, behaupten dieser Tage, wir hätten ja etwas gegen die Berlinale. Wir würden sie nicht mögen, oder würden die Berlinale schlecht machen.
Das ist falsch. Wer so redet, hat das Entscheidende nicht verstanden. Wer die Berlinale kritisiert, der tut das, weil sie ihm am Herzen liegt. Weil man sie mag und gern dorthin geht. Weil es der Mühe wert ist, seine Zeit damit zuzubringen, sie zu kritisieren. Kritik muss man sich verdienen. Die Berlinale hat sich Kritik verdient, denn sie könnte besser sein, als sie ist, und wenn man das weiß, dann versucht man seinen Beitrag dazu zu tun, sie besser zu machen.
Wenn manche jetzt den amtierenden Festivalleiter kritisieren, oder sogar die Nichtverlängerung seines Vertrages wünschen, dann sollte man dies nicht mit Kritik an der Berlinale verwechseln. Die Vermischung von Institution und Person, von Amt und Amtsinhaber ist derzeit die Strategie des amtierenden Festivalleiters, um sich an sein Amt zu klammern. Man sollte auf diese Taktik nicht hereinfallen.
Die Berlinale ist wichtiger als jede Person. Wer das leugnet, beschädigt die Berlinale.
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Die derzeitige Debatte um die Zukunft der Berlinale ist überaus spannend und ein Paradebeispiel für kulturpolitische Kämpfe, politische Strategien und mediale Taktiken.
Es ist in allererster Linie ein Kampf um die Meinungsmacht.
Wer die Vorgänge genau und kühl beobachtet, kann hier viel lernen, weit über den Gegenstand hinaus.
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Dieser Kampf hat drei Hauptakteure, die sich teilweise wieder in Untergruppen und Einzelplayer aufspalten. Es sind: Die Regisseure und andere Filmemacher. Das Filmfestival und die Mitarbeiter der Berlinale, allen voran ihr Direktor. Die BKM, die Staatsministerin für Kultur und andere Kulturfunktionäre.
Dazu kommen die Medien, die zwar in erster Linie den Schauplatz des Geschehens bilden, aber doch auch selbst freiwillig wie unfreiwillig immer wieder zu Mitspielern werden.
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I. Die Filmkritiker (erster Teil)
Beginnen wir mit ihnen. Denn auch Filmkritiker, also Menschen, die Filme lieben und dem Kino einen Großteil ihres Lebens widmen, weit über 9to5 hinaus, machen sich gelegentlich Sorgen um das wichtigste deutsche Filmfestival.
Dafür sollte man die sehr lesenswerten Beiträge von Lukas Foerster und Matthias Dell zur Zukunft der Berlinale nachlesen, auf die ich her leider nicht eingehen kann. Das Timing ihrer Veröffentlichung am gleichen Tag, keine 24 Stunden vor Veröffentlichung des Briefs, spricht für sich: Hier wollten zwei Autoren, die offenbar wussten, was anstand signalisieren »Ich weiß was«, ohne etwas zu verraten. Wenn’s der Sache dient…
Der Text von Matthias Dell benennt auch Schwächen der Filmkritik: Unsere Langeweile mit bestimmten Fragen, der Unwille der Anstrengung etwa, die innere Situation der Berlinale, das Betriebsklima, die Hierarchien und die Machtausübungstechniken der Direktion zu recherchieren. Von diesen Schwächen profitieren die Falschen.
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Bereits am 6. April, also vier Wochen vor der Versendung jenes Briefs der Regisseure, der am 24.11. öffentlich wurde, gab der Verband der deutschen Filmkritik (VdFk) einen offenen Brief »Zur Neubesetzung der Berlinale-Direktion« bekannt, der hier in Gänze nachzulesen ist.
Darin wünscht der VdFk (dessen erweitertem Vorstand ich angehöre), dass der anstehenden Neubesetzung der Direktion eine »Diskussion über die Zukunft der Berlinale« »ohne Zeitdruck und nach einem für die Öffentlichkeit transparenten Verfahren« herausgehen möge. Wir stellen fest, das es nötig sei, das »künstlerische Profil der Berlinale zu schärfen und ihre Verankerung in der internationalen wie nationalen Filmszene zu verbessern«.
Wir bitten um Überprüfung der Kriterien, nach denen die Berlinale-Direktion besetzt wird, wir bringen »eine Aufteilung der Direktion in eine künstlerische Leitung … und eine Geschäftsführung« ins Spiel.
Schließlich schlagen wir »ein offenes, internationales Ausschreibeverfahren … und eine mit Expertinnen und Experten besetzte Findungskommission« vor.
Ich stelle fest, dass der Brief der Regisseure über unsere Kritik und unsere Vorschläge nicht hinausgeht, sondern sie nur umformuliert, gelegentlich verwässert hat.
II. Die Regisseure
Trotzdem ist der Brief der Regisseure vom vergangenen Freitag eine Wucht. Die Erklärung sei »ein bisschen dünn, nachrichtentechnisch eigentlich Null« erklärte ein leitender Redakteur am Freitag im Gespräch. Das mag so sein, aber darauf kommt es nicht an. Worauf es ankommt, ist, dass sich Simon Verhoeven und Heinz Emigholz, Doris Dörrie und Christian Petzold, Dominik Graf und Thomas Heise, Valeska Grisebach und Christian Schwochow, Margarethe von Trotta und Jakob Lass auf eine gemeinsame Erklärung geeinigt haben.
Genauso wichtig ist, dass viele der Unterzeichner Preise auf der Berlinale gewonnen haben. Im Fall von Fatih Akin sogar einen Goldenen Bär. Die Unterzeichner wissen also, wovon sie reden. Sie haben als Filmemacher persönliche Erfahrungen mit der Berlinale gemacht, und kennen aus eigener Anschauung, was die Berlinale-Teilnahme einem Film bringt oder nicht. Als Zuschauer und Kinogänger sind die meisten von ihnen übrigens auch Teil des Publikums.
Zumindest zwei Namen gibt es, die eigens erwähnt werden müssen: Hans Helmut Prinzler steht auf der Unterschriftsliste. Das ist sehr relevant, war doch Prinzler mehrere Jahre für die Retrospektiven der Berlinale verantwortlich.
Der andere Name ist der von Tom Tykwer. Er steht nicht auf der Liste, die am Freitag veröffentlicht wurde.
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In einem Text von Hannah Pilarcyk im »Spiegel« bemerkt die Autorin: »Ein Name fehlt merklich: Während seine Babylon Berlin-Co-Regisseure Achim von Borries und Henk Handloegten unterzeichnet haben, ist Tom Tykwer in der Liste nicht dabei. Er wird Präsident der internationalen Jury bei der Berlinale 2018.«
Das ist richtig, und auch wieder nicht.
Denn der Brief der Regisseure wurde, wie gesagt bereits im April geschrieben und am 1. Mai der Kulturstaatsministerin zugeschickt. Seinerzeit hatte der Brief immerhin auch schon 54 Unterschriften, aber nicht wie heute 79 plus derjenigen, die nachträglich noch dazu kamen.
In der Fassung vom Mai, die sowohl der Kulturstaatsministerin als auch dem Berlinale-Direktor seitdem bekannt sind, steht auch Tom Tykwers Name unter dem Brief. Dass ist auch keine Überraschung, wenn man weiß, dass Tykwer zwar öffentlich für die Berlinale immer freundliche Worte findet, sie intern gegenüber Freunden und Bekannten, aber auch in einem persönlichen Brief an Kosslick über den Umgang mit Filmen anderer Regisseure sehr wohl schon länger immer wieder auch scharf kritisiert. Noch dieser Tage hat er bei einem öffentlichen Auftritt die Erklärung der Filmemacher unterstützt und für vernünftig erklärt.
Dann aber drosch Tykwer auf den Spiegel-Bericht ein: »Die folgenden Interpretationen des Textes in der Presse waren absolut empörend und ziemlich ärgerlich. Es gab einen extrem unerfreulichen Text bei ‚Spiegel Online‘, der einfach nur so runtergeschrieben war und absolut nichts mit der eigentlichen Pressemitteilung zu tun hatte«, so Tykwer.
Woher diese Wut? Kürzlich hatte Tykwer zugesagt, trotz überaus engen Zeitplans (der nächste Babylon Berlin steht an) als Jury-Präsident der Berlinale zur Verfügung zu stehen. Vielleicht hätte er das einfach nicht tun sollen. Denn ich persönlich glaube, dass die Einladung Tykwers ein für Dieter Kosslick typischer Schachzug ist. Er suchte eine Weg, die Regisseurs-Gruppe zu spalten, einen prominenten Namen aus der Liste herauszubrechen, und hat ihn gefunden.»Teile und herrsche« hieß das bei den Römern.
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Dass der Berlinale-Direktor die Liste seit Sommer kannte, berichteten Festivalmitarbeiter bereits vor längerer Zeit. Offensichtlich wurde sie ihm aus dem BKM zugespielt.
So oder so ist die ganze Vorgeschichte der Briefveröffentlichung, so wirksam der Brief ist, ein Fall fehlgeschlagenen Kalküls, eine Mischung aus Selbstüberschätzung und politischer Naivität. Daran hat gewiss die Uneinigkeit der Regie-Gruppe unter der Einigkeitsdecke großen Anteil: Da gibt es wie in allen größeren Gruppen Anführer und Mitläufer, Laute und Stille, Arbeiter und Faule, welche, die gern große Politik machen wollen, und welche die sich Künstler sehen, Mutige und Feiglinge, Opportunisten und Idealisten, Spaßfraktion und Politbüro. Dieter Kosslick wird das alles aus seinen ’68er-Zeiten bekannt vorkommen.
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Politisch naiv war es, den Brief nicht gleich im Mai öffentlich zu machen. Da gab es bereits eine Debatte um die Neubesetzung der Leitung, da wäre der Zeitpunkt richtig gewesen.
Stattdessen der Irrglaube, mit Hinterzimmerdiplomatie bei der Kulturstaatsministerin mehr erreichen zu können. Die Selbstüberschätzung von ein paar Westentaschenmachiavellis, die glauben, mit Grütters kungeln zu können. Stattdessen wurden sie von der Ministerin hingehalten. Im Juni stellte sie der Regie-Gruppe ein Treffen »in Aussicht«, nachdem sie bereits in Cannes, von Hans-Georg Rodek auf die Forderungen des VDFK angesprochen, erklärt hatte, eine Findungskommission werde es nicht geben – nachdem sie die Filmemacher also bereits vor den Kopf gestoßen hatte.
Das in Aussicht gestellte Treffen kam dann erst Anfang September tatsächlich zustande. Klarerweise ohne greifbares Ergebnis. Im Gegenteil: Kosslick sei keineswegs vom Tisch, hieß es da seitens der Ministerin, und: Man möge doch Kandidaten vorschlagen. Da sich Grütters bislang auf die Kriterien »Frau« und »deutsch« festgelegt hat, blieben nicht viele realistische Kandidatinnen übrig.
Naiv war es auch zu glauben, dass sich so ein Brief nicht herumsprechen würde. Ich selbst kannte den Text bereits Ende April, sowohl Unterzeichner wie solche, die nicht unterschrieben hatten (oder welche, denen der Text nur gezeigt wurde) sprachen mich an und informierten. Danke dafür! Seitdem habe ich mich öfters gefragt, ob ich ihn nicht besser gleich veröffentlicht hätte. Im Nachhinein wäre das richtig gewesen.
Ich wollte das Vorgehen der Regisseure nicht torpedieren, und hatte auf ihre Vernunft gehofft. So haben sie der Sache aber eher geschadet.
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Und jetzt zeigt der Laden schon seine ersten Risse, bricht womöglich bald auseinander. Oh, oh melden sich die ersten Regisseure zu Wort: Sie wollen Dieter Kosslick ja nicht kritisieren. Jetzt Dominik Graf und Andreas Dresen. So wie Tom Tykwer zuvor dem »Spiegel« Fehlinterpretation vorwarf.
Dabei hat Hannah Pilarczyk völlig recht: Man kann diesen Brief nur als Kritik am Festivaldirektor verstehen. Warum jetzt die Rückzieher? Angst vor der eigenen Courage?
Es geht jetzt und hier um die Zukunft, nicht darum, einen vorgezogenen Abschiedsartikel zu schreiben.
III. Vergesst Kosslick – wie der Berlinale-Direktor gegen die Erklärung der Filmemacher kämpft
»Was bildet der sich denn eigentlich ein, über seine eigene Nachfolge zu bestimmen?« fragte die Redakteurin eines öffentlich-rechtlichen Senders. Außenstehenden ist das Verhalten von Dieter Kosslick am wenigsten zu vermitteln. Man hat sich daran gewöhnt, was er sich herausnimmt, und dass niemand es wagt, ihm Grenzen zu setzen. Und das weiß er natürlich auch
Eigentlich ist es nur peinlich, wie sich Dieter Kosslick an seinen Sessel klammert. Aber er ist ein guter Kämpfer, man muss allen Respekt haben vor seinen Steherqualitäten. Und tatsächlich sieht es heute, Mittwoch, so aus, als hätte er Erfolg.
Nicht nur, weil er jetzt den großen Reformer gibt, eine Trennung der Zuständigkeiten fordert, als ob die Aufteilung seine Idee wäre – das haben die Filmkritiker aber schon vor seiner letzten Vertragsverlängerung gefordert.
Sondern weil es ihm gelingt, den Brief, in dem sein Name an keiner Stelle auftaucht, und der von Zukunft und Gegenwart handelt, nicht von Fehlern der Vergangenheit, zu personalisieren.
Sie tappen jetzt alle in die Falle von Kosslick. Er argumentiert: Ich oder das Chaos. »Wenn ich gehen muss, werdet ihr alle arbeitslos«, so bei einem Treffen von mehreren Dutzend Berlinale-Mitarbeitern, die zum Teil fest angestellt sind.
Aber es geht um Inhaltliches, nicht um Personen. Schon gar nicht um Dieter Kosslick. Das müsste man verstehen, und endlich aufhören, das Spiel eines Direktors zu spielen, der intern mit Angst und Drohkulissen regiert.
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Anmerkung 1:
Am 4. Dezember richtet Grütters dazu eine Veranstaltung im Berliner Haus der Kulturen der Welt aus (das wie die Berlinale zur Kulturveranstaltungen des Bundes in Berlin GmbH, kurz KBB, gehört).
Anmerkung 2:
Für alle, die sie noch nicht gelesen haben, hier die Erklärung der Regisseure im Wortlaut:
»Die Berlinale ist eines der drei führenden Filmfestivals weltweit. Die Neubesetzung der Leitung bietet die Chance, das Festival programmatisch zu erneuern und zu entschlacken. Wir schlagen vor, eine internationale, zu gleichen Teilen mit Frauen und Männern besetzte Findungskommission einzusetzen, die auch über die grundlegende Ausrichtung des Festivals nachdenkt. Ziel muss es sein, eine herausragende kuratorische Persönlichkeit zu finden, die für das Kino brennt, weltweit bestens vernetzt und in der Lage ist, das Festival auf Augenhöhe mit Cannes und Venedig in die Zukunft zu führen. Wir wünschen uns ein transparentes Verfahren und einen Neuanfang.«
Hier die Liste der mir bekannten Unterzeichner:
Maren Ade, Fatih Akin, Irene von Alberti, Thomas Arslan, Anne Zohra Berrached, Bettina Böhler, Hermann Bohlen, Jan Bonny, Jutta Brückner, Dietrich Brüggemann, Florian Cossen, Ebbo Demant, Doris Dörrie, Andreas Dresen, Heinz Emigholz, Maximilian Erlenwein, Katrin Gebbe, Stephan Geene, Hans W. Geißendörfer, Almut Getto, Ulrich Gerhardt, Hans-Dieter Grabe, Dominik Graf, Valeska Grisebach, Henk Handloegten, Thomas Heise, Sonja Heiss, Benjamin Heisenberg, Christoph Hochhäusler, Barbara Junge, Winfried Junge, RP Kahl, Romuald Karmakar, Fred Kelemen, Barbara Klemm, Michael Klier, Ulrich Köhler, Nicolette Krebitz, Lars Kraume, Michael Krummenacher, Jakob Lass, Tom Lass, Aron Lehmann, Caroline Link, Max Linz, Pia Marais, Jeanine Meerapfel, Elfi Mikesch, Franz Müller, Peter Nestler, Asli Özge, Christian Petzold, Hans Helmut Prinzler, Lola Randl, Axel Ranisch, Edgar Reitz, Michael Ruetz, Helke Sander, Thomas Schadt, Sebastian Schipper, Volker Schlöndorff, Hans-Christian Schmid, Jan Schomburg, Maria Schrader, Robert Schwentke, Christian Schwochow, Jan Soldat, Hans Steinbichler, Oliver Sturm, Isabel ŠSuba, Sven Taddicken, Tamara Trampe, Georg Stefan Troller, Simon Verhoeven, Achim von Borries, Julia von Heinz, Rosa von Praunheim, Margarethe von Trotta, Nicolas Wackerbarth, Christian Wagner, Henner Winckler, David Wnendt