Die zwei Welten des Filmfest München
Die Relativitätstheorie der Kinokrise: Das bestehende deutsche Filmsystem ist auf ganzer Linie gescheitert, aber die Großkopferten machen weiter. Doch das Ende des deutschen Kinos könnte sein Anfang werden.
Von Rüdiger Suchsland (Aktiviere Javascript, um die Email-Adresse zu sehen)
Es war alles wie immer beim Filmfest München: Genauso viel Fest wie Film – viel Feiern bei Weißwurst, Schweinsbraten und einem zünftigen Hellen schon am Morgen beim Empfang des FilmFernsehFonds Bayern, Ministerinnenreden und Ministerpräsidentenversprechen unter leuchtend blauem Sonnenhimmel, bis zum nächtlichen Absacker im Schumanns oder bei einer der vielen Premierenpartys.
Dazwischen viele Filme, auch viele gute, ein Best-Of der internationalen Werke der letzten Monate, dazu rund 20 deutsche Kinopremieren in der wichtigsten Reihe, dem Wettbewerb um den »Förderpreis Neues deutsches Kino«, wo tatsächlich ein paar außerordentlich gelungene deutsche Filme liefen.
Alles genauso wie schon vor 37 Jahren war, beim ersten Filmfest.
Es war aber auch nichts wie immer. Denn im deutschen Kino herrscht Krise. Krise so hart wie noch nie. Krise, die sich nicht mehr übertünchen lässt.
Die Zuschauer bleiben weg, Produzenten und Verleiher leben aus den Beständen, Kinos machen im Dutzend dicht, sogar große Kinoketten wie gerade das Cinestar im Herzen Berlins, am Potsdamer Platz, so wie ein paar hundert Meter weiter der große X-Verleih gerade taumelt.
Viele gute Filmemacher bekommen ihre Filme nicht gefördert oder gerade genug Geld, um nicht gleich bankrott zu sein.
Diese Krise geht so weit, dass man feststellen muss: Das bestehende deutsche Filmsystem ist auf ganzer Linie gescheitert.
Es kann und wird so nicht weitergehen.
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Aber über allem hängt von der Krise scheinbar unberührt eine fette Glocke aus Funktionären, Förderern, Redakteuren und Gremien. Sie lächeln, machen „Business as usual“, und wollen sich nicht einmal rhetorisch infrage stellen.
Sie sind eine Clique des bleiernen Weiter-so. Manche von ihnen bekommen mehr Geld, als die meisten Filmemacher, denen sie eigentlich zu dienen hätten, und ohne die es sie nicht gäbe.
Diese Funktionäre geben schon seit Jahren unter der Hand zu, was ihre Entscheidungen jeden Tag beweisen: Dass sie Kunst im Kino eigentlich nicht wollen, allen Experimenten die Luft abschnüren. Über die Jahre haben sie eine engmaschige Günstlingswirtschaft entwickelt, Verhältnisse, die manche einfach korrupt finden, von denen allenfalls zwei Handvoll Adabeis profitieren, während die meisten anderen außen vor bleiben und unterm Tisch an den Resten nagen dürfen.
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Sehr typisch für diese Verhältnisse war beim Filmfest die Vergabe des neugeschaffenen, mit 100.000 Euro dotierten Preises für internationale Co-Produktionen.
Schon vorher hatten viele Gäste gewettet, dass die üblichen Verdächtigen die Preise absahnen würden. Und gehofft, dass es doch anders kommen könnte: »Bitte nicht schon wieder Michael Weber!«, »Nur nicht Match Factory« – genau diese Sätze hatte ich von mehr als einem halben Dutzend Menschen beim Filmfest gehört.
Aber
wer gegen solche Befürchtungen noch an das Gute in der Welt glaubte, wurde am Freitag eines Schlechteren belehrt. Die Jury aus Verleihern und Produzenten, zeichnete mit dem Köln ansässigen Weltvertrieb und Co-Produktions-Händler »The Match Factory« genau die aus, die solche Preise am wenigsten nötig haben: die reichste, etablierteste, bestvernetzte Firma, einen Big Player, den schon lange auf dem hohen Ross sitzt und seine Macht genüsslich auskostet.
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Zugleich hat das Filmfest viel vor: Der Freistaat hat mehr Geld versprochen, und inmitten des Kinosterbens und der Krise spricht man in München über den Bau neuer Abspielstätten mit Kapazitäten von 1500 Zuschauern und Freilichtkinos. Der Krise setzt man Visionen entgegen, die gar nicht unrealistisch sind in Zeiten der Krise etablierter Verwertungsformen und Festivals.
Man tut beim Filmfest auch viel für die Independents, bemüht sich um die Pflege des echten Autorenfilms, darum, dem Neuen, Ungewöhnlichen, Ungesehenen einen Platz zu geben und es sichtbar zu machen.
Zum Beispiel den beiden Beiträgen im Wettbewerb um den Förderpreis: Golden Twenties von Sophie Kluge und Mein Ende. Dein Anfang von Mariko Minoguchi – für viele die beiden besten Filme des Filmfests. Aber Outsider: Ohne Besuch einer Filmhochschule. Ohne deren Geld produziert.
Ohne Fernsehsender. Mit vergleichsweise geringen Fördermitteln ausgestattet. Nicht satisfaktionsfähig für die Bonzen.
Man zeigt beim Filmfest viele solche Filme von Regisseurinnen, die kaum gefördert wurden und die oft keine Filmhochschule besucht haben. Gut so! Hoffentlich macht das Filmfest damit weiter und etabliert sich so als Entdecker der Trends der Zukunft.
Aber in den wichtigen Jury sitzen dann wieder die Repräsentanten der Vergangenheit, die Etablierten, die Großkopferten, die Funktionäre, die gar kein Interesse daran haben, das Neue, Ungefügte, Widerständige auch noch zu prämieren.
Das wurde am Abend der Preisverleihung belegt: Zwei Frauen und ein Mann in der Jury gaben drei Männern vier Preise. Jan-Ole Gersters Film Lara ist aus meiner Sicht zwar einer der besten Filme des Wettbewerbs gewesen, und ein verdienter Preisträger. Aber im Konzert der anderen Preiskandidaten dieser als Nachwuchspreises adressierten Auszeichnung, sind dieser Film und seine Macher – ungewöhnlich schnell und gut mit Förder- und Sendergeldern ausgestattet – eine Liga für sich.
Das Gesamtgefüge der Preisvergabe stimmte nicht. Denn alle echten Independents im Wettbewerb blieben unprämiert, die gut finanzierten Filme bekamen auch noch das Geld und die Zusatzaufmerksamkeit.
Und um das Geld, um die Aufmerksamkeit geht es am Ende. Beides auszubalancieren, Verzerrungen nicht noch zu verstärken, sondern abzudämpfen ist Aufgabe einer Jury.
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Das Filmfest München befindet sich mit alldem in einer schizophrenen Situation. Man steht derzeit auf allen Seiten gleichzeitig. Man will es allen recht machen.
Das wird nicht mehr lange so weitergehen. Schmusekurs und Harmoniesoße mögen vielen sympathisch sein, und manche Konflikte abdämpfen. Der deutsche Film und sein Nachwuchs aber brauchen Ecken und Kanten, und müssen das gerade auch von einem Festival erwarten können, das den Nachwuchs fördern will. Der nur allererste, aber
unvermeidliche Schritt dafür: Die Juryzusammensetzung muss im kommenden Jahr korrigiert werden. Es muss jüngere, mutigere Preisjurys geben, deren Mitglieder selbst für das Widerständige und Nicht-Etablierte stehen, statt seit Jahren und Jahrzehnten über diverse Pöstchen mit dem Bestehenden, dem auf ganzer Linie gescheiterten deutschen Filmsystem verbandelt zu sein.
Das Filmfest München muss sich entscheiden, auf welcher Seite es steht. Es darf sich nicht kaufen lassen von den Millionen des Freistaats, es darf seine Seele nicht verkaufen und nicht das Kino.
Wir brauchen eine Revolution im deutschen Film! Eine Revolution der Filme gegen die Funktionäre, der Filmemacher gegen die Amigo-Klüngel, der Filmproduzenten gegen die Allianzen der Verhinderung und des Weiter-So, des Kinos gegen die Streaming-Dienste, der neuen Ideen gegen die Krise.
Dann, nur dann könnte das Ende des deutschen Kinos sein Anfang werden.
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