Amerika, du hast es besser. Nirgendwo scheint der alte Spruch noch mehr zu gelten als in der Filmbranche. Sehnsüchtig schauen manche Filmschaffende Richtung Hollywood, wo größere Budgets und bessere Strukturen vermeintlich die Filmarbeit erleichtern. Einen Einblick in der Realität versuchten auf den Regietagen am Wochenende in München Julia Eplinius und Sebastian Fahr-Brix für ihr Tätigkeitsfeld zu vermitteln: die Regieassistenz – im angelsächsischen Sprachraum First Assistant Director, kurz 1. AD.
Doch sind beide Systeme oder weiteres zu vergleichen? Sebastian Fahr-Brix hat als 1. AD fast alle Filme von Tom Tykwer begleitet – bis hin zur neuen Serie „Babylon Berlin“, die mit einem Rekordbudget von 40 Millionen Euro mit den Produktionen von Streamingdiensten und Abosendern konkurrieren soll. Julia Eplinius vertritt als Vorstand die Regieassistenten im Bundesverband Regie (BVR). Einem Laien ist schon der Beruf des Regieassistenten schwer begreiflich. Die meisten stellen sich darunter tatsächlich nur eine „rechte Hand“ vor, die dem Regisseur alles vom Leibe hält, was ihn von seiner kreativen Arbeit ablenkt – bis hin zum Kaffeeholen. Und irgendwann darf dieses Helferlein dann auch mal endlich selber einen Film inszenieren …
Kodak ist wieder da. Auf den Regietagen stellte sich der einstige Traditionsriese Anfang November in München mit einer Podiumsdiskussion wieder vor. Auf der Bühne diskutierte der Regisseur Christian Wagner mit Kollegen aus Bildgestaltung, Regie, Produktion und Postproduktion über Für und Wider von analoger und digitaler Aufnahmetechnik.
Wenn man’s so beschreibt, klingt es kalt und trocken. Tatsächlich rührt die Frage aber mehr an als nur den Verstand. Zwar werde nicht mal mehr ein Prozent der weltweiten Filmproduktion noch auf Film gedreht, sagte Michael Boxrucker. Kodak-„Botschafter“ und selbst DoP. Das heißt aber nicht, dass die Filmemacher den Film nicht vermissen würden.
Das ist keine bloße Nostalgie: Konzentration, Entschleunigung, Gewissenhaftigkeit und Expertise lauteten die Argumente für das Traditionsformat. Die Digitalisierung fördere die Nachlässigkeit. Lediglich Tom Fährmann, DoP und Professor für Bildgestaltung an der HFF, nahm den Fortschritt uneingeschränkt in Schutz.
Eine Zusammenfassung der zweistündigen Podiumsdiskussion können Sie im Video sehen. Für die schlechte Bild- und Tonqualität bitten wir um Entschuldigung. Die geplante professionelle Aufzeichnung ist leider kurzfristig an technischen Problemen gescheitert. Zum Glück gibt es aber kleine Digitalkameras. Die Meinungen auf dem Podium bieten wir hier im Überblick.
Peter Zeitlinger, DoP („Königin der Wüste“)
„Analoger Film ist Massage für die Retina.“
„Digital ist Fast Food mit Geschmacksverstärker (das sind die Codecs). Ich will lieber Bio.“
„Die Videoausspiegelung war der Anfang vom Untergang.“
„Wenn wir auf Film drehen, herrscht eine ganz andere Atmosphäre am Set. Jeder konzentriert sich.“
„Beim Film wird bei den Mitarbeitern die Spreu vom Weizen getrennt. Bei Digital kommen die noch mit. Aber das sind „Garbage“-Produktionen.“
„Ich habe in Köln studiert. Da hatten wir zwei Übungen auf 35 Millimeter. Das muss in den Filmschulen wiedererweckt werden.“
Leena Koppe, DoP („Die Vaterlosen“)
„Willst Du mit Tiefe erzählen, ist Film das Material. Die digitale Kamera ist fast überscharf.“
„Im Moment ist das Digitale dabei, den Film umzubringen. In Österreich wurde gerade das letzte Labor geschlossen.“
„Mich stört, dass die Industrie drüberbrettert, und verspricht, dass alles besser und billiger wird. Das ist aber nicht so.“
„Die Formatfrage sollte eine freie Entscheidung sein.“
Tom Fährmann, DoP („Das Wunder von Bern“)
„Es ergibt keinen Sinn, von analog auf digital zu wechseln, wenn das Digitale nicht besser ist. Das aber ist mit der Alexa tatsächlich passiert. Bis dahin wirkten Hauttöne eher wie Porzellan. Nun sehen sie nahezu organisch aus. Alles, was ich über Digital dachte, hat sich geändert. “
„Ab dem Digital Intermediate sind alle Schritte in der Postproduktion exakt die gleichen.“
„Die Probleme sind in der Anzahl gleich. Sie haben nur einen anderen Namen.“
„Ich höre da immer wieder, dass der Film durch die geringe Menge disziplinierend wirke. Aber wir sind doch keine Kinder.“
Michel Morales, Produzent („Lola auf der Erbse“)
„Für kleine Produktionen ist Digital sinnvoll. Bei großen Budgets gibt sich beides nichts mehr.“
„Die digitale Kamera läuft die ganze Zeit über. Die Postproduktion und das Sichten des Materials kosten dann wieder mehr …“
„Das Set ist wie ein Sack voller Flöhe. Die Kamera am Set schafft eine Magie – alle sind konzentrierter.“
„Ich freue mich, wenn ein Regisseur oder eine Kamerafrau sagt, sie will auf Film drehen.
„Die Industrie treibt dauernd eine andere Sau durchs Dorf und sagt, dass es billiger werde.“
Marc Rothemund, Regisseur („Sophie Scholl – Die letzten Tage“)
„Nachträglich Korn einzusetzen, ist extrem schwierig – Szenen haben eine Eigendynamik.“
„Das Material lebt beim Film.“
„Digitalkameras sind nicht handhabbarer. Der Lüfter da ist lauter als das Surren der Filmstreifen, die Kabellage anfällig. Und die Konzentration ist bei Film schon eine andere.“
„Seit ich digital drehe, habe ich viel mehr Unschärfen. “
„Die Maske dauert länger.“
„Die meisten Produzenten sagen, Film sei zu teuer, ohne profundes Fachwissen. Das ist so plakativ.“
Hinter den Blitzlichtern ist die Freude nicht mehr so groß. Auf den Regietagen Anfang November hatte der Bundesverband Regie (BVR) seinen „Diversitätsbericht für das Jahr 2016“ [PDF] vorgestellt. Es ist bereits der vierte. Untersucht wird nicht weniger als die „Regievergabepraxis in Deutschen fiktionalen Primetime-Programmen von ARD, ZDF, RTL Sat1 und Vox sowie in deutschen Kinospielfilmen.“ Wer dreht oder darf drehen, was am meisten und liebsten gesehen wird?
https://out-takes.de/wp-content/uploads/2019/11/out_takes_logo01.jpg00Peter Hartighttps://out-takes.de/wp-content/uploads/2019/11/out_takes_logo01.jpgPeter Hartig2017-11-25 13:53:002017-12-04 18:25:48Alles beim Alten
Moral, Schuld und Kunstkritik: »Lost in Politics«, wir Partisanen der Ambivalenz und die Debatte zum »Fall Weinstein« – Cinema Moralia, Tagebuch eines Kinogehers, 164. Folge
»Warum gibt es diese Obsession, nach dem Angemessenen und nach dem Korrekten zu fragen?«
Cristina Nord bei »Lost in Politics« in Leipzig, 1.11.17
Heute bei der Dok Leipzig: Der Verband der Filmkritik debattierte über »Lost in Politics«, also Formen und Varianten des Politischen im Kino und darüber, was es eigentlich heißt, wenn man von »politischen« Filmen redet. Klarerweise ging es diesmal vor allem um das Politische im und am Dokumentarfilm: Sind (Dokumentar-) Filme automatisch dringlich oder wichtig, weil sie mit wichtigen oder dringlichen Themen befasst sind? Geht das, was (Dokumentar-) Filme politisch meinen, in dem auf, was sie ästhetisch tun? Drei Autoren stellten, moderiert von Heike Melba Fendel, jeweils gegenwärtige Filmbeispiele vor: Cristina Nord Austerlitz (von Sergei Loznitsa), Patrick Holzapfel I Am Not Your Negro (Raoul Peck), und Jide Tom Akinleminu den argentinischen Film Project 55 aus dem aktuellen Wettbewerb.
Die Veranstaltung war sehr anregend und stellenweise kontrovers. Es ging dabei vor allem um das Verhältnis von Mainstreamkino zu Kunstkino, darum ob Filme, die den Regeln folgen, stand ihnen Widerstand entgegenzusetzen, trotzdem gut sein können und ob es immer gut ist, Regeln anzugreifen. Die Filmausschnitte hätten kürzer sein dürfen, die gesamte Veranstaltung dafür länger. So blieb einiges auf der Strecke.
Was ich mitnehme, ist der diffuse Verdruss darüber, dass Filmkritik immer etwas gegen Mainstream an-sich haben muss, statt guten Mainstream von schlechtem zu unterscheiden, warum Attraktion, Emotion, und Exzeß bei vielen Kollegen scheinbar systemisch unter Verdacht stehen…
Die Casting Director Iris Baumüller hat 30 Jahre Erfahrung in der Filmbranche. Mit der DW spricht sie über sexuelle Belästigung in der deutschen Film- und Theaterszene – und wie man sie in Zukunft bekämpfen kann.
Der Bundesverband Casting (BVC) hat in einem öffentlichen Statement mit dem Titel „Sexuelle Übergriffe und (Macht-)Missbrauch sind ein trauriger Bestandteil unseres täglichen Lebens!“ alle Betroffenen der Film- und Theaterbranche aufgefordert, in einen Dialog über das Thema zu treten. Iris Baumüller (Artikelbild) ist Mitglied im BVC und im International Casting Directors Network. Sie hat vor 18 Jahren ihr eigenes Castingbüro gegründet und arbeitet als freie Dozentin an der Internationalen Filmschule und der Filmacting School Cologne.
Deutsche Welle: Im Statement des BVC ist häufig von ‚Wir‘ die Rede. Ist das eine Soldaritätsbekundung, oder sind Castingdirektoren auch von sexueller Belästigung betroffen?
Iris Baumüller: Beides. Wir sind ja alle einen langen Weg gegangen, um Castingdirektoren zu werden. Wir alle haben vorher am Set oder am Theater gearbeitet und sind mit dem Thema in Berührung gekommen oder waren selbst betroffen. Aber auch in unserer jetzigen Position sind wir vor Belästigungen nicht gefeit, denn wir sind zu 80% Frauen. Deshalb sitzen wir alle im selben Boot.
Der Skandal um Harvey Weinstein und jetzt auch James Toback nimmt immer größere Ausmaße an. Ist es in Deutschland auch so schlimm?
https://out-takes.de/wp-content/uploads/2019/11/out_takes_logo01.jpg00Katharina Abelhttps://out-takes.de/wp-content/uploads/2019/11/out_takes_logo01.jpgKatharina Abel2017-11-08 08:24:022017-11-08 08:35:20Casting Director Iris Baumüller: Fälle wie Harvey Weinstein gibt es auch in Deutschland
Am 28. Oktober 2017 fand zum fünften Mal die Preisverleihung der DEUTSCHEN AKADEMIE FÜR FERNSEHEN im Filmforum NRW im Museum Ludwig, Köln, statt. Die Auszeichnungen wurden für herausragende Leistungen an Fernsehschaffende aller Gewerke in 21 Kategorien vergeben.
Dieses Jahr fand, im direkten Vorfeld der Verleihung, eine Podiumsdiskussion statt. Das Thema lautete:
https://out-takes.de/wp-content/uploads/2019/11/out_takes_logo01.jpg00Oliver Zengleinhttps://out-takes.de/wp-content/uploads/2019/11/out_takes_logo01.jpgOliver Zenglein2017-10-28 12:39:052019-11-04 15:25:49Aufzeichnung der Podiumsdiskussion der Deuschen Akademie für Fernsehen 2017
Soll man Mr. Weinstein verbrennen? Und ein verschwundener Artikel über Sexismus und Rassismus auf der Berlinale – Cinema Moralia, Tagebuch eines Kinogehers, 163. Folge
»Sometimes we stop and watch the birds when there ain’t no birds. And look at the sunsets when its raining. We have a swell time. And I always get a big tip. But afterwards, oh oh…
»What do you mean, ‚afterwards, oh oh‘?«
»They crab, crab, crab. They yell at me. Watch the lights. Watch the brakes, Watch the intersections. They scream at me to hurry. They got no faith in me, or my buggy. Yet, it’s the same cab, the same driver. and we’re going back over the very same road. It’s no fun. And no tips… After this he’ll be a perfectly normal human being. And you know what stinkers they are!«
»Harvey »von Henry Koster, 1950
»Der, der ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein.«
Evangelium des Johannes
»Mein Motto: Immer auf der falschen Seite stehen.«
Shizu
Die sogenannte Weinstein-Affaire wirft mehr Fragen auf, als bisher beantwortet werden.
Wenn man liest, was veröffentlicht wird, ist es unglaublich viel Hörensagen, Verdacht, anonyme Anschuldigung, vages, »unangemessenes Benehmen«. Wenn man die Erlebnisse von Ashley Judd und Asia Argento liest, möchte man sie lieber nicht gelesen haben. Nicht wegen der Ekeleien Weinsteins, sondern weil diese Frauen da viel dummes Zeug reden, und seinerzeit manches dumme Zeug gemacht haben – was natürlich Weinstein nicht im Geringsten entschuldigt, das muss man ja heute besser dazu sagen.
+ + +
Ich frage mich manches, zum Beispiel: Warum sind es eigentlich immer Juden, die derart öffentlich vorgeführt, an den Pranger gestellt und exekutiert werden? Roman Polanski, Woody Allen, Dominique Strauss-Kahn, Harvey Weinstein? Wird da neben der Lust an detaillierter Beschreibung auch ein verkappter Antisemitismus der Öffentlichkeit bedient?
Ich frage mich: Warum sind es immer Linke oder Liberale und Unterstützer der Demokraten, um die es geht? Mein Eindruck: Es geht auch darum, mit einer Epoche abzurechnen: den Sixties und ihrer Liberalität. Nicht Personen, sondern die libertäre Kultur der Sechziger Jahre soll gebrandmarkt und öffentlich vernichtet werden.
Es geht um ein Zurück zum Puritanismus.
+ + +
Verena Lueken stellte in ihrem FAZ-Kommentar eine wichtige Frage: Wie ist die Rolle der Medien? »Sie sind Teil der Branche. Recherchen, die schon vor mehr als zehn Jahren unternommen wurden, hat er, so scheint es, zu unterdrücken gewusst. Weinstein hat in den vergangenen Jahren, in denen keiner seiner Filme mehr Oscars gewann, mit seiner Firma Macht eingebüßt. Gibt es einen Zusammenhang mit dem Zeitpunkt der Veröffentlichung? Brachte die »New York Times« den Stein nur ins Rollen, weil Weinstein schon angeschossen war?«
Man fragt sich übrigens, warum der Sender NBC wegen »Quellenproblemen« jene Story ablehnte, die der »New Yorker« gedruckt hat. Sie stammt nicht zufällig von Ronan Farrow, dem Sohn von Mia Farrow und Woody Allen.
+ + +
Ich frage mich schließlich, warum in dieser Hexenjagd jedes Maß verloren wird? Gerede jene, die sonst bei allen möglichen überführten und verurteilten Kriminellen auf Resozialisierung pochen, die – oft mit guten Gründen – in vielen Verfahren mildernde Umstände ins Feld führen, kennen in diesem Fall keinen Rechtsstaat mehr.
Rechtstaatliche Basisprinzipien, wie die Unschuldsvermutung existieren de facto nicht mehr im Fall von Sexualverbrechen.
Nicht wundern: Der folgende Beitrag erschien bereits am Donnerstag, weil hatten ihn aber gleich wieder aus dem Netz genommen, weil die Ereignisse uns überholt hatten. Ungeachtet der neuen Stellungnahmen und Artikel war der Text „Der Fall Weinstein: Gedanken zur deutschen Filmbranche“ von Belinde Ruth Stieve der erste, der im Kontext des Harvey-Weinstein-Skandals die Situation in der deutschen Filmbranche thematisierte. Er erschien am 16. Oktober auf ihrem Blog, wir drucken ihn heute gekürzt noch einmal ab.
————————————————————————————————————————-
Es ist zwei Wochen her, seit einer breiten Öffentlichkeit bekannt wurde, dass der US-amerikanische Filmproduzent Harvey Weinstein seit Jahrzehnten junge Schauspielerinnen und Models aber auch Firmenangestellte und Journalistinnen eingeschüchtert, sexuell belästigt und angegriffen hat. Es ist klar, dass Angeklagte bis zur rechtskräftigen Verurteilung als unschuldig zu gelten haben. Allerdings scheinen in diesem Fall die Vorwürfe erdrückend – im Gegensatz zu den leider nur allzu häufigen Situationen, in denen Aussage gegen Aussage steht und eine Straftat oder ein Verbrechen nicht bewiesen werden kann.
https://out-takes.de/wp-content/uploads/2019/11/out_takes_logo01.jpg00Belinde Ruth Stievehttps://out-takes.de/wp-content/uploads/2019/11/out_takes_logo01.jpgBelinde Ruth Stieve2017-10-19 16:14:212017-10-26 11:44:05Der Fall Weinstein: Gedanken zur deutschen Filmbranche
Ein anderer Stellenwert
out takes, Peter HartigEin 1. AD hat alle Hände voll zu tun, eine Regieassistentin auch. Wie sich die beiden Berufsbilder unterscheiden und weshalb sie in Deutschland doch gerne vermischt werden, erörterten Julia Eplinius und Sebastian Fahr-Brix auf den Regietagen. | Foto © BVR, Christof Arnold
Amerika, du hast es besser. Nirgendwo scheint der alte Spruch noch mehr zu gelten als in der Filmbranche. Sehnsüchtig schauen manche Filmschaffende Richtung Hollywood, wo größere Budgets und bessere Strukturen vermeintlich die Filmarbeit erleichtern. Einen Einblick in der Realität versuchten auf den Regietagen am Wochenende in München Julia Eplinius und Sebastian Fahr-Brix für ihr Tätigkeitsfeld zu vermitteln: die Regieassistenz – im angelsächsischen Sprachraum First Assistant Director, kurz 1. AD.
Doch sind beide Systeme oder weiteres zu vergleichen? Sebastian Fahr-Brix hat als 1. AD fast alle Filme von Tom Tykwer begleitet – bis hin zur neuen Serie „Babylon Berlin“, die mit einem Rekordbudget von 40 Millionen Euro mit den Produktionen von Streamingdiensten und Abosendern konkurrieren soll. Julia Eplinius vertritt als Vorstand die Regieassistenten im Bundesverband Regie (BVR). Einem Laien ist schon der Beruf des Regieassistenten schwer begreiflich. Die meisten stellen sich darunter tatsächlich nur eine „rechte Hand“ vor, die dem Regisseur alles vom Leibe hält, was ihn von seiner kreativen Arbeit ablenkt – bis hin zum Kaffeeholen. Und irgendwann darf dieses Helferlein dann auch mal endlich selber einen Film inszenieren …
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Formatfragen
out takes, Peter HartigKodak ist wieder da. Auf den Regietagen stellte sich der einstige Traditionsriese Anfang November in München mit einer Podiumsdiskussion wieder vor. Auf der Bühne diskutierte der Regisseur Christian Wagner mit Kollegen aus Bildgestaltung, Regie, Produktion und Postproduktion über Für und Wider von analoger und digitaler Aufnahmetechnik.
Wenn man’s so beschreibt, klingt es kalt und trocken. Tatsächlich rührt die Frage aber mehr an als nur den Verstand. Zwar werde nicht mal mehr ein Prozent der weltweiten Filmproduktion noch auf Film gedreht, sagte Michael Boxrucker. Kodak-„Botschafter“ und selbst DoP. Das heißt aber nicht, dass die Filmemacher den Film nicht vermissen würden.
Das ist keine bloße Nostalgie: Konzentration, Entschleunigung, Gewissenhaftigkeit und Expertise lauteten die Argumente für das Traditionsformat. Die Digitalisierung fördere die Nachlässigkeit. Lediglich Tom Fährmann, DoP und Professor für Bildgestaltung an der HFF, nahm den Fortschritt uneingeschränkt in Schutz.
Eine Zusammenfassung der zweistündigen Podiumsdiskussion können Sie im Video sehen. Für die schlechte Bild- und Tonqualität bitten wir um Entschuldigung. Die geplante professionelle Aufzeichnung ist leider kurzfristig an technischen Problemen gescheitert. Zum Glück gibt es aber kleine Digitalkameras. Die Meinungen auf dem Podium bieten wir hier im Überblick.
Peter Zeitlinger, DoP („Königin der Wüste“)
„Analoger Film ist Massage für die Retina.“
„Digital ist Fast Food mit Geschmacksverstärker (das sind die Codecs). Ich will lieber Bio.“
„Die Videoausspiegelung war der Anfang vom Untergang.“
„Wenn wir auf Film drehen, herrscht eine ganz andere Atmosphäre am Set. Jeder konzentriert sich.“
„Beim Film wird bei den Mitarbeitern die Spreu vom Weizen getrennt. Bei Digital kommen die noch mit. Aber das sind „Garbage“-Produktionen.“
Kyrill Ahlvers (Silbersalz-Film)
„Ich habe in Köln studiert. Da hatten wir zwei Übungen auf 35 Millimeter. Das muss in den Filmschulen wiedererweckt werden.“
Leena Koppe, DoP („Die Vaterlosen“)
„Willst Du mit Tiefe erzählen, ist Film das Material. Die digitale Kamera ist fast überscharf.“
„Im Moment ist das Digitale dabei, den Film umzubringen. In Österreich wurde gerade das letzte Labor geschlossen.“
„Mich stört, dass die Industrie drüberbrettert, und verspricht, dass alles besser und billiger wird. Das ist aber nicht so.“
„Die Formatfrage sollte eine freie Entscheidung sein.“
Tom Fährmann, DoP („Das Wunder von Bern“)
„Es ergibt keinen Sinn, von analog auf digital zu wechseln, wenn das Digitale nicht besser ist. Das aber ist mit der Alexa tatsächlich passiert. Bis dahin wirkten Hauttöne eher wie Porzellan. Nun sehen sie nahezu organisch aus. Alles, was ich über Digital dachte, hat sich geändert. “
„Ab dem Digital Intermediate sind alle Schritte in der Postproduktion exakt die gleichen.“
„Die Probleme sind in der Anzahl gleich. Sie haben nur einen anderen Namen.“
„Ich höre da immer wieder, dass der Film durch die geringe Menge disziplinierend wirke. Aber wir sind doch keine Kinder.“
Michel Morales, Produzent („Lola auf der Erbse“)
„Für kleine Produktionen ist Digital sinnvoll. Bei großen Budgets gibt sich beides nichts mehr.“
„Die digitale Kamera läuft die ganze Zeit über. Die Postproduktion und das Sichten des Materials kosten dann wieder mehr …“
„Das Set ist wie ein Sack voller Flöhe. Die Kamera am Set schafft eine Magie – alle sind konzentrierter.“
„Ich freue mich, wenn ein Regisseur oder eine Kamerafrau sagt, sie will auf Film drehen.
„Die Industrie treibt dauernd eine andere Sau durchs Dorf und sagt, dass es billiger werde.“
Marc Rothemund, Regisseur („Sophie Scholl – Die letzten Tage“)
„Nachträglich Korn einzusetzen, ist extrem schwierig – Szenen haben eine Eigendynamik.“
„Das Material lebt beim Film.“
„Digitalkameras sind nicht handhabbarer. Der Lüfter da ist lauter als das Surren der Filmstreifen, die Kabellage anfällig. Und die Konzentration ist bei Film schon eine andere.“
„Seit ich digital drehe, habe ich viel mehr Unschärfen. “
„Die Maske dauert länger.“
„Die meisten Produzenten sagen, Film sei zu teuer, ohne profundes Fachwissen. Das ist so plakativ.“
Alles beim Alten
out takes, Peter HartigAuf dem Podium bei den Regietagen (von links):?Skadi Loist, von der Universität Rostock, Moderatorin Margrét Rún, die Produzentin Uschi Reich, die Regisseurin Julia von Heinz, Claudia Tronnier, Leiterin des „Kleinen Fernsehspiels“, und Studio-Hamburg-Chef Michael Lehmann. | Foto © BVR, Stella Boda
2016 war das Jahr der Regisseurinnen, war 2016 zu lesen. Maren Ade hatte mit „Toni Erdmann“ in Cannes die Herzen erobert, Maria Schrader mit „Vor der Morgenröte“ begeistert, Nicolette Krebitz mit „Wild“ überrascht. „Toni Erdmann“ gewann sechs „Europäische Filmpreise“ und in diesem Jahr noch mal fünf „Lolas“, jeweils auch in den Kategorien für den besten Film und die beste Regie. Wo übrigens beim „Deutschen Filmpreis“ drei der sechs nomierten Filme von Frauen inszeniert waren, drei der vier nominierten Regisseure Frauen waren. Na bitte, geht doch! Und alles ohne offizielle Quote.
Hinter den Blitzlichtern ist die Freude nicht mehr so groß. Auf den Regietagen Anfang November hatte der Bundesverband Regie (BVR) seinen „Diversitätsbericht für das Jahr 2016“ [PDF] vorgestellt. Es ist bereits der vierte. Untersucht wird nicht weniger als die „Regievergabepraxis in Deutschen fiktionalen Primetime-Programmen von ARD, ZDF, RTL Sat1 und Vox sowie in deutschen Kinospielfilmen.“ Wer dreht oder darf drehen, was am meisten und liebsten gesehen wird?
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Cinema Moralia – Folge 164: Verteidigung der Uneindeutigkeit
out takes, Rüdiger SuchslandGanz so einfach ist es nicht...
Moral, Schuld und Kunstkritik: »Lost in Politics«, wir Partisanen der Ambivalenz und die Debatte zum »Fall Weinstein« – Cinema Moralia, Tagebuch eines Kinogehers, 164. Folge
»Warum gibt es diese Obsession, nach dem Angemessenen und nach dem Korrekten zu fragen?«
Cristina Nord bei »Lost in Politics« in Leipzig, 1.11.17
Heute bei der Dok Leipzig: Der Verband der Filmkritik debattierte über »Lost in Politics«, also Formen und Varianten des Politischen im Kino und darüber, was es eigentlich heißt, wenn man von »politischen« Filmen redet. Klarerweise ging es diesmal vor allem um das Politische im und am Dokumentarfilm: Sind (Dokumentar-) Filme automatisch dringlich oder wichtig, weil sie mit wichtigen oder dringlichen Themen befasst sind? Geht das, was (Dokumentar-) Filme politisch meinen, in dem auf, was sie ästhetisch tun? Drei Autoren stellten, moderiert von Heike Melba Fendel, jeweils gegenwärtige Filmbeispiele vor: Cristina Nord Austerlitz (von Sergei Loznitsa), Patrick Holzapfel I Am Not Your Negro (Raoul Peck), und Jide Tom Akinleminu den argentinischen Film Project 55 aus dem aktuellen Wettbewerb.
Die Veranstaltung war sehr anregend und stellenweise kontrovers. Es ging dabei vor allem um das Verhältnis von Mainstreamkino zu Kunstkino, darum ob Filme, die den Regeln folgen, stand ihnen Widerstand entgegenzusetzen, trotzdem gut sein können und ob es immer gut ist, Regeln anzugreifen. Die Filmausschnitte hätten kürzer sein dürfen, die gesamte Veranstaltung dafür länger. So blieb einiges auf der Strecke.
Was ich mitnehme, ist der diffuse Verdruss darüber, dass Filmkritik immer etwas gegen Mainstream an-sich haben muss, statt guten Mainstream von schlechtem zu unterscheiden, warum Attraktion, Emotion, und Exzeß bei vielen Kollegen scheinbar systemisch unter Verdacht stehen…
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Casting Director Iris Baumüller: Fälle wie Harvey Weinstein gibt es auch in Deutschland
Katharina Abel, out takesDer Bundesverband Casting (BVC) hat in einem öffentlichen Statement mit dem Titel „Sexuelle Übergriffe und (Macht-)Missbrauch sind ein trauriger Bestandteil unseres täglichen Lebens!“ alle Betroffenen der Film- und Theaterbranche aufgefordert, in einen Dialog über das Thema zu treten. Iris Baumüller (Artikelbild) ist Mitglied im BVC und im International Casting Directors Network. Sie hat vor 18 Jahren ihr eigenes Castingbüro gegründet und arbeitet als freie Dozentin an der Internationalen Filmschule und der Filmacting School Cologne.
Deutsche Welle: Im Statement des BVC ist häufig von ‚Wir‘ die Rede. Ist das eine Soldaritätsbekundung, oder sind Castingdirektoren auch von sexueller Belästigung betroffen?
Iris Baumüller: Beides. Wir sind ja alle einen langen Weg gegangen, um Castingdirektoren zu werden. Wir alle haben vorher am Set oder am Theater gearbeitet und sind mit dem Thema in Berührung gekommen oder waren selbst betroffen. Aber auch in unserer jetzigen Position sind wir vor Belästigungen nicht gefeit, denn wir sind zu 80% Frauen. Deshalb sitzen wir alle im selben Boot.
Der Skandal um Harvey Weinstein und jetzt auch James Toback nimmt immer größere Ausmaße an. Ist es in Deutschland auch so schlimm?
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Aufzeichnung der Podiumsdiskussion der Deuschen Akademie für Fernsehen 2017
Oliver ZengleinAm 28. Oktober 2017 fand zum fünften Mal die Preisverleihung der DEUTSCHEN AKADEMIE FÜR FERNSEHEN im Filmforum NRW im Museum Ludwig, Köln, statt. Die Auszeichnungen wurden für herausragende Leistungen an Fernsehschaffende aller Gewerke in 21 Kategorien vergeben.
Dieses Jahr fand, im direkten Vorfeld der Verleihung, eine Podiumsdiskussion statt. Das Thema lautete:
„Vor uns die Streamflut“
„ Wie sieht Fernsehen in 10 Jahren aus?“
Hier geht es zu den Nominierungen 2017: https://www.deutscheakademiefuerfernsehen.de/rl/pressemitteilung-koeln-den-21-09-2017/
Cinema Moralia – Folge 163: Mein Freund Harvey
out takes, Rüdiger SuchslandSoll man Mr. Weinstein verbrennen? Und ein verschwundener Artikel über Sexismus und Rassismus auf der Berlinale – Cinema Moralia, Tagebuch eines Kinogehers, 163. Folge
»Sometimes we stop and watch the birds when there ain’t no birds. And look at the sunsets when its raining. We have a swell time. And I always get a big tip. But afterwards, oh oh…
»What do you mean, ‚afterwards, oh oh‘?«
»They crab, crab, crab. They yell at me. Watch the lights. Watch the brakes, Watch the intersections. They scream at me to hurry. They got no faith in me, or my buggy. Yet, it’s the same cab, the same driver. and we’re going back over the very same road. It’s no fun. And no tips… After this he’ll be a perfectly normal human being. And you know what stinkers they are!«
»Harvey »von Henry Koster, 1950
»Der, der ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein.«
Evangelium des Johannes
»Mein Motto: Immer auf der falschen Seite stehen.«
Shizu
Die sogenannte Weinstein-Affaire wirft mehr Fragen auf, als bisher beantwortet werden.
Wenn man liest, was veröffentlicht wird, ist es unglaublich viel Hörensagen, Verdacht, anonyme Anschuldigung, vages, »unangemessenes Benehmen«. Wenn man die Erlebnisse von Ashley Judd und Asia Argento liest, möchte man sie lieber nicht gelesen haben. Nicht wegen der Ekeleien Weinsteins, sondern weil diese Frauen da viel dummes Zeug reden, und seinerzeit manches dumme Zeug gemacht haben – was natürlich Weinstein nicht im Geringsten entschuldigt, das muss man ja heute besser dazu sagen.
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Ich frage mich manches, zum Beispiel: Warum sind es eigentlich immer Juden, die derart öffentlich vorgeführt, an den Pranger gestellt und exekutiert werden? Roman Polanski, Woody Allen, Dominique Strauss-Kahn, Harvey Weinstein? Wird da neben der Lust an detaillierter Beschreibung auch ein verkappter Antisemitismus der Öffentlichkeit bedient?
Ich frage mich: Warum sind es immer Linke oder Liberale und Unterstützer der Demokraten, um die es geht? Mein Eindruck: Es geht auch darum, mit einer Epoche abzurechnen: den Sixties und ihrer Liberalität. Nicht Personen, sondern die libertäre Kultur der Sechziger Jahre soll gebrandmarkt und öffentlich vernichtet werden.
Es geht um ein Zurück zum Puritanismus.
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Verena Lueken stellte in ihrem FAZ-Kommentar eine wichtige Frage: Wie ist die Rolle der Medien? »Sie sind Teil der Branche. Recherchen, die schon vor mehr als zehn Jahren unternommen wurden, hat er, so scheint es, zu unterdrücken gewusst. Weinstein hat in den vergangenen Jahren, in denen keiner seiner Filme mehr Oscars gewann, mit seiner Firma Macht eingebüßt. Gibt es einen Zusammenhang mit dem Zeitpunkt der Veröffentlichung? Brachte die »New York Times« den Stein nur ins Rollen, weil Weinstein schon angeschossen war?«
Man fragt sich übrigens, warum der Sender NBC wegen »Quellenproblemen« jene Story ablehnte, die der »New Yorker« gedruckt hat. Sie stammt nicht zufällig von Ronan Farrow, dem Sohn von Mia Farrow und Woody Allen.
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Ich frage mich schließlich, warum in dieser Hexenjagd jedes Maß verloren wird? Gerede jene, die sonst bei allen möglichen überführten und verurteilten Kriminellen auf Resozialisierung pochen, die – oft mit guten Gründen – in vielen Verfahren mildernde Umstände ins Feld führen, kennen in diesem Fall keinen Rechtsstaat mehr.
Rechtstaatliche Basisprinzipien, wie die Unschuldsvermutung existieren de facto nicht mehr im Fall von Sexualverbrechen.
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Der Fall Weinstein: Gedanken zur deutschen Filmbranche
Belinde Ruth Stieve, Unsere GästeDie Filmwelt entsetzt sich über Harvey Weinstein. Doch die deutsche Branche schweigt. Dabei sieht’s hierzulande auch nicht besser aus. | Foto © Columbia Tristar
Nicht wundern: Der folgende Beitrag erschien bereits am Donnerstag, weil hatten ihn aber gleich wieder aus dem Netz genommen, weil die Ereignisse uns überholt hatten. Ungeachtet der neuen Stellungnahmen und Artikel war der Text „Der Fall Weinstein: Gedanken zur deutschen Filmbranche“ von Belinde Ruth Stieve der erste, der im Kontext des Harvey-Weinstein-Skandals die Situation in der deutschen Filmbranche thematisierte. Er erschien am 16. Oktober auf ihrem Blog, wir drucken ihn heute gekürzt noch einmal ab.
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Es ist zwei Wochen her, seit einer breiten Öffentlichkeit bekannt wurde, dass der US-amerikanische Filmproduzent Harvey Weinstein seit Jahrzehnten junge Schauspielerinnen und Models aber auch Firmenangestellte und Journalistinnen eingeschüchtert, sexuell belästigt und angegriffen hat. Es ist klar, dass Angeklagte bis zur rechtskräftigen Verurteilung als unschuldig zu gelten haben. Allerdings scheinen in diesem Fall die Vorwürfe erdrückend – im Gegensatz zu den leider nur allzu häufigen Situationen, in denen Aussage gegen Aussage steht und eine Straftat oder ein Verbrechen nicht bewiesen werden kann.
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