Jetzt auf Netflix: „Mank“ von David Fincher erzählt seine Version der Vorgeschichte von „Citizen Kane“. Sie ist nicht schmeichelhaft für Orson Welles. | Foto © Netflix

Ja, ist denn heut’ schon Weihnachten? Der Verdacht ist unter Verdacht und die chinesische Lösung rückt näher. Apokalyptiker & Integrierte – Gedanken in der Pandemie 97.

„In Gefahr und größter Not bringt der Mittelweg den Tod.“
Alexander Kluge

„Man kann sich auch darauf verständigen, dass man gewisse Risiken bewusst eingeht. Dieser Aspekt kommt mir gerade zu kurz.“
Svenja Flaßpöhler, Philosophin

„Nehmen Sie denn nichts ernst?“ – „Nur Lustiges“
aus: „Mank“ von David Fincher

 

Corona, Corona, Corona, Lockdown, Lockdown, Lockdown, härter, härter, härter – das Mantra des öffentlichen Diskurses wird zunehmend stupider. Vielleicht ist ja das bereits eine Folge des Lockdown. 

Und gar nicht so wenige Leute zeigen jetzt gerade ihre unsympatischen Seiten – andere würden vielleicht auch sagen, ihr wahres Gesicht. Oder der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) hat unter seiner Mund-Nasen-Maske zuletzt einfach nicht genug Luft bekommen, dass er sich zu Äußerungen hinreißen lässt, wie der, dass nun „ganz andere, ganz klare, autoritäre Maßnahmen des Staates“ nötig seien.

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„Glue“. | Foto © Salzgeber

Scheibenveröffentlichungen, Mediatheken und Streams statt Kino … in der Woche vom 10. Dezember 2020 – Teil 1.

Die ersten Jahresüberblicke erscheinen. Dieses 2020 war ein Jahr der Streams statt Kino. Nur ein Major hielt am Kino unerschütterlich fest: Warner Bros. wollte Christopher Nolans „Tenet“ auf die Leinwände bringen. Unbedingt. Und jetzt das, und man muss jetzt gar glauben, dass es Nolan geschuldet ist, dass „Tenet“ auf die Leinwand durfte. Ausgerechnet Warner Bros. Für diese Kolumne, die Donnerstags am traditionellen Kinotag erscheint, kam die Meldung zu spät: Vorige Woche hat es eine Erschütterung in der Film- und Kinolandschaft gegeben, die sich noch nicht gelegt hat: Warner Bros. gab am 3. Dezember bekannt, man wolle alle Filme, die sie 2021 auf ihrer Startliste haben, „konsumenten“-gerecht nicht nur in die Kinos bringen, sondern gleichzeitig und (einen Monat lang) exklusiv auf der eigenen Streaming-Plattform HBO Max anbieten. Dazu passt, dass HBO Max demnächst auch nach Europa expandieren soll. Und ja, das heißt, dass „Wonder Woman 1984“ nicht zu Weihnachten und nicht sofort bei uns zu sehen sein wird.

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„Prom“. | Foto © Netflix/Melinda Sue Gordon

Scheibenveröffentlichungen, Mediatheken und Streams statt Kino … in der Woche vom 10. Dezember 2020 – Teil 2.

Der Filmemacher John Hughes hatte es schon gewusst: Es gibt eigentlich schon immer eine vorgezeichnete Zeit für Kummer und Sorgen in einem Menschenleben – das Teenageralter. Wer bin ich? Wo will ich hin? Und was ziehe ich zur Prom an, dem Abschlussball der High School? Letztere Frage gehört zumindest in den USA zum gewöhnlichen Repertoire von Teenagersorgen. Neben der möglichen sozialen Ausgrenzung, weil ja irgendwas immer ist. Diese Gefühlswelten hatte Hughes in den 1980er Jahren mit „Pretty in Pink“ oder „Ferris macht blau“ und einer ganzen Reihe von Filmen aufgegriffen und geprägt. In einer Zeit, in der das Insta-Sein die Lebenswelt für Teenager vorgibt, wirken die Erzählungen fast eingestaubt und bieder. Wer heute bei seinen Peers Eindruck auf der Prom machen will, muss schon den Broadway aufbieten. Was natürlich Stoff für eine glitzernde Filmrealität bietet, wie sie nun ab dem 11. Dezember bei Netflix zu sehen ist: „Prom“ heißt das bunte Filmwerk von Ryan Murphy, der hier eine Melange an Vorbildern  zitiert – von „Chicago“ bis hin zu „High School Musical“. Und gleich den liberalen Kulturgeist gegen den Konservatismus antreten lässt. Im Film „Prom“ geht es also um die Schülerin Emma (Jo Ellen Pellman), die gerne mit ihrer Partnerin Alyssa (Ariana DeBose) zum Abschlussball gehen möchte. Die Vorsitzende der Elternschulsprecher (Kerry Washington) verbietet die Teilnahme. Unversehens bekommt Emma Unterstützung. Die New Yorker Broadway-Stars Dee Dee (Meryl Streep) und Barry (James Corden) wollen der Schülerin helfen – und auch sich selbst. Denn ihre neue Show ist ein großer Flop.

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Wie das Virus sich in Innenräumen verbreitet, zeigt eine Animation der spanischen Tageszeitung „El País“. | Screenshot

Morgen Kinder wird’s was geben: Mindeststandards der Kommunikation, aber die Pandemie kennt kein Weihnachten: Apokalyptiker & Integrierte – Gedanken in der Pandemie 96.

„Ich glaube an die Kraft der Aufklärung. Dass Europa heute da steht, wo es steht, hat es der Aufklärung zu verdanken und dem Glauben daran, dass es wissenschaftliche Ergebnisse gibt, die real sind und an die man sich besser halten soll.“
Angela Merkel im Bundestag, 9. Dezember 2020

„Es geht hier nicht um Weihnachten, es geht um langfristig niedrige Fallzahlen. Die Pandemie kennt kein Weihnachten.“
Jonas Schmidt-Chanasit, Virologe 

 

Tolle Animationen zu Varianten der Virusverbreitung bei den Kollegen der spanischen „El País“. In der englischen Ausgabe können alle auch den Text dazu lesen. Der, der die Animation macht, heißt übrigens Luís Almodóvar. Ob er mit dem Regisseur verwandt ist?

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caption=“Oh-oh! Der Lockdown wird verlängert. Hier ist unser Weihnachtsfilmtipp, passend zum Zitat des Tages. | Foto © 20th Century Fox“

Optimisten und Polizisten: Apokalyptiker & Integrierte – Gedanken in der Pandemie 95.

„You better watch out/ You better not cry/ You better not pout/ I’m telling you why
Santa Claus is coming to town
He’s making a list,/ He’s checking it twice,/ He’s gonna find out who’s naughty or nice
Santa Claus is coming to town
He sees you when you’re sleeping/ And he knows when you’re awake/ He knows if you’ve been bad or good/ So be good for goodness sake…“

1932 von John Frederick Coots zu einem Text von Haven Gillespie 

Ja, wer kriegt denn nun den Impstoff? Als erstes? Das ist die zweite Frage, denn die erste ist, ob es denn überhaupt einen Impfstoff gibt? Vor Ostern, meine ich. 

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Risikogruppen – sagt man immer so. Vieles spricht dafür. Und dann erst das Klinik- und Pflegepersonal. Aber warum nicht umgekehrt: Erst die Leute, die noch gesund sind und sich dauernd mit Kranken auseinandersetzen müssen. Sind sie nicht noch gefährdeter, als die Risikogruppen? Und dann: Wenn es stimmt das junge gesunde Menschen „Superspreader“ sind, warum sollen sie nicht zuerst Impfstoff bekommen um das dann nicht mehr sein zu können? 

Aber diese Frage wirft uns natürlich auf das nächste Problem: Was heißt es eigentlich, geimpft zu sein? Bedeutet es dass man dann auch andere nicht mehr anstecken kann? Oder bedeutet es nur, dass man selber nicht krank werden kann? Fragen über Fragen. 

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Ein Videotipp zum Wochenende: Die neue Staffel von„Wolfsland“ lief gerade in der Mediathek an. | Foto © MDR/Molina Film/Steffen Junghans


Die Kunst der Abwägung: Warum nicht ein kalkuliertes Risiko aushalten? Apokalyptiker & Integrierte – Gedanken in der Pandemie 94.

„Wir sind an einer Phase zwischen halb schlimm und schlimm.“
Jochen A. Werner, Mediziner 

„Ich glaube einfach nicht, dass man nur durch Lockdown-Maßnahmen das auf Ewigkeiten wird bekämpfen können. […] Ich kann mir das nicht vorstellen. Durch einen immer härteren Lockdown wird man vorübergehend selbstverständlich die Neuinfektionszahlen runter bekommen. […] Aber man wird irgendwann auch wieder öffnen, und sobald man öffnet, wird dann auch das epidemische Geschehen wieder zunehmen. Das ist so, keine Frage.“
Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärztekammer

 

Corona macht keine Weihnachtsferien. Nur der Weihnachtsmann. Und offenbar die EU. 

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Anders gesagt: Warum kriegen die Briten es mit der Corona-Impfstoffzulassung in wenigen Tagen hin, während die europäischen Behörden einige Wochen dafür brauchen? Sind die Briten etwa weniger vorsichtig? Darauf im DLF angesprochen, windet sich die grüne Europa-Abgeordnete Jutta Paulus heraus: „Das weiß ich nicht.“ 

Wenn aber die Briten nicht weniger vorsichtig sind, dann sind die europäischen Behörden zu langsam. 

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„Black Beauty“. | Foto © Disney

Advents-Aktionen, Mediatheken und Streams statt Kino … in der Woche vom 03. Dezember 2020 – Teil 1. 

Vor einem Monat war die Startwoche vom 3. Dezember 2020 der Top-Spot. Die Kandidaten für einen Start im Kino drängelten sich. Doch so schnell, wie die Titel sich auf dieses Feld im Kalender gedrängt haben, so schnell liefen sie wieder auseinander und sprangen bis in den März oder April vor. Einige stehen fernab und sehen dem organisatorischem Chaos erst einmal zu und machen noch gar keinen Schritt in Richtung Entscheidung. Wie auch, wenn die Maßnahmen kaum verbindlich und planbar daher kommen. Jedes Planen, jedes Marketing ist reine Sisyphus-Arbeit. Man schiebt die Filme doch immer nur wieder vom Nullpunkt an. Einige Verleiher wollten die Hoffnung noch nicht aufgegeben. Zum Beispiel „Falling“ von Viggo Mortensen und „Ein Doktor auf Bestellung“, eine französische Weihnachtskomödie. Beide Filme wollten am 24. Dezember starten. Das ist, seit gestern abend, wieder Makulatur. Bereits für Berlin hatte man einen Start noch im Dezember ausgeschlossen. Bereits letzte Woche gab es erste Stimmen, die vom Frühjahr sprachen. Und siehe da, eigentlich nach Abgabetermin für diese Kolumne, wurde der Teil-Lockdown über den Jahreswechsel verlängert. Vorerst heißt es nun, nicht vor dem 10. Januar 2021 darf es wieder los gehen. 

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„Das Geheimnis des Totenwaldes“. | Foto © Bavaria Fiction/NDR/Conrad Film

Advents-Aktionen, Mediatheken und Streams statt Kino … in der Woche vom 03. Dezember 2020 – Teil 2.

Welche neuen Wege die Dramaturgie im öffentlich-rechtlichen Sender geht, lässt sich aktuell an der dreiteiligen Dokumentation „Eiskalte Spur“ und dem sechsteiligen Spielfilm „Das Geheimnis des Totenwaldes“ beobachten. Beide seriellen Erzählungen handeln von Mordfällen, die erst nach 30 Jahren zum Teil gelöst werden konnten: Ausgangslage ist das von der Polizei lange Zeit als „Vermisstenfall“ eingestufte Verschwinden einer Frau – es ist die Schwester des bekannten Kriminalisten der Hamburger Polizei, Wolfgang Sielaff. Im Spielfilm heißt diese Hauptfigur Thomas Bethge (Matthias Brandt) und ist der hochangesehene Chef des Landeskriminalamts Hamburg. Er selbst wird von den Polizeikollegen vertröstet, von der Staatsanwaltschaft nicht ernst genommen. 30 Jahre lang bleibt seine Schwester (Silke Bodenbender) verschwunden. Der Fall in der eigenen Familie lässt dem Mann jedoch keine Ruhe. Er ermittelt mit befreundeten Kollegen auf eigene Faust. Und verfolgt die Spur eines Friedhofgärtners (Hanno Koffler), der in einem Wald nicht nur zwei Paare kurz nacheinander in einem Wald erschossen haben könnte – sondern auch seine Schwester auf dem Gewissen hat. Ein „geheimes Zimmer“ in dem Haus des mutmaßlichen Mörders offenbart dessen sado-masochistischen Praktiken …
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Die Große Koalition plant gerade eine Steuerpauschale für das Arbeiten im Home Office. Im Gespräch sind fünf Euro pro Tag (Szenenfoto aus „Adaptation“). | Foto © Columbia Tri Star

Corona trifft alle, nur nicht die Bürokraten: Apokalyptiker & Integrierte – Gedanken in der Pandemie 93.

„Never waste a crisis!“
Dorothee Bär, Staatsministerin für Digitales am 1. Dezember 2020

 

Warum gibt es eine Notfallzulassung für den Corona-Impfstoff in Großbritannien, wo ab sofort mit dem Impfen begonnen wird, aber nicht in der Europäischen Union oder wenigstens in Deutschland? Dies ist nur das neueste für die Überregulierung unserer Verhältnisse, und für unser übermäßiges Sicherheitsdenken. Es muss ja niemand gezwungen werden, sich impfen zu lassen, aber wer es möchte, der darf es doch dürfen.

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Zu Fernsehzeiten wär’s ein Straßenfeger gewesen: „The Crown“, auf Netflix. | Foto © Netflix

Und kauft besser beim Händler um die Ecke: Apokalyptiker & Integrierte – Gedanken in der Pandemie 92.

Ein nicht mehr ganz junger Mann, der immer nur falsche Entscheidungen trifft, und nicht einmal von seinen Eltern geliebt wird. Weil er alle Chancen vergeigt, die er bekommt. Und ein naives junges Mädchen, das fast noch ein Kind ist, als es seinen Märchenprinzen trifft. Dem dann, als dieser sich schnell als Frosch entpuppt, der Mut fehlt, und vielleicht auch die Intelligenz, im richtigen Moment noch abzuspringen von dem Schlitten, der sie in ihr Unglück führt …

Wir alle kennen diese Geschichte vom Prinz und dem Mädchen, vom traurigen Charles und der unglücklichen Diana Spencer. Jetzt wird sie noch einmal erzählt, in der vierten Staffel der Serie „The Crown“, die seit gut zwei Wochen auf Netflix verfügbar ist. Ganz Großbritannien streitet nun, was dran ist, an den Facetten und Innenansichten, um die das Bekannte bereichert wurde. Gute Recherche der Autoren oder ihre blühende Phantasie? Der Reiz dieser Serie liegt genau hier: Dass Zeitgeschichte nacherzählt wird,  aber um Details und Szenen ausstaffiert, die ausgedacht sein müssen, weil bei ihnen nur die handelnden Personen selbst dabei waren. 

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„Wenn du das Spielfeld betrittst, wird das Leben unwichtig; die Probleme werden unwichtig; alles wird unwichtig“, meinte Diego Maradona. | Screenshot

Heimweg des Genies, Auswege im Lockdown-Wahnsinn und der deutsche Clasico: Apokalyptiker & Integrierte – Gedanken in der Pandemie 91.

„Wenn es einen Wirklichkeitssinn gibt, muss es auch einen Möglichkeitssinn geben.“
Robert Musil, Der Mann ohne Eigenschaften

„Wenn du das Spielfeld betrittst, wird das Leben unwichtig; die Probleme werden unwichtig; alles wird unwichtig.“
Diego Armando Maradona

 

So wichtig alles andere sein mag (ja: Corona; jaaa: die vielen Kranken; meinetwegen auch: Merkel), aber es ist schon klar: Heute muss ich erstmal über die „Hand Gottes“ schreiben: Diego Armando Maradona. Der beste Fußballer der Welt. Besser als Pele, als Kaiser Franz, und als Messi. Leider ist er am Mittwoch viel zu früh gestorben. Als ich die Nachricht gehört habe, kamen mir die Tränen. Maradona war enigmatisch, ein cooler Typ, witzig und genial als Fußballer, kindisch und überfordert im Leben. „Er hat ja alles im Leben falsch gemacht – außer Fußballspielen.“ resümiert Marcel Reif in seinem „Bild“-Vlog. 

So wenig Fußball etwas ist, was das Kino erfassen kann, so sehr gab sich das Kino doch im Fall von Maradona immer wieder Mühe. Vielleicht weil bei ihm Fußball Schicksal war, Transzendenz, Götternähe, jedenfalls Oper, Drama, ganz großes Kino. 

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„Jingle Jangle Journey“. | Foto © Netflix

Mediatheken und Streams statt Kino … in der Woche vom 26. November 2020 – Teil 1.

Eine letzte Woche Wellenbrecher-Lockdown und dann geht es wieder los? Man darf doch wohl noch träumen. Am Donnerstag, wenn diese Kolumne erscheint, wissen wir, was inoffiziell schon die Runde macht: die Maßnahmen werden verlängert. Aber für die Kolumne am Donnerstag habe ich einen gewissen Vorlauf. Darum kann ich nicht mit unerschütterlicher Gewissheit behaupten, was noch nicht kommuniziert wurde. Ich könnte mir also real vorstellen, die Maßnahmen werden aufgehoben und wir dürfen alle wieder ins Kino. Das wäre schön, denn das Zuhause-Streamen ist nicht nur nicht dasselbe wie Kino, es ist auch viel ermüdender. Ich kann also noch nicht schreiben „es geht wieder los“ und auch nicht „das wird dieses Jahr nichts mehr“. Sobald in meinem E-Mail-Postfach die Startänderungsmeldungen hereinpurzeln, werde ich die Verlängerung als unumstößlich betrachten. Die Kollegen unserer Redaktion werden darüber berichten.

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„Gott“. | Foto © ARD/Degeto

Mediatheken und Streams statt Kino … in der Woche vom 26. November 2020 – Teil 2.

In Krisenzeiten scheinen Diktaturen und Autokratien die bessere Wahl zu sein. Wo die pluralistische Demokratie noch verhandelt, abwägt und diskutiert, werden in Autokratien Fakten geschaffen – über Köpfe hinweg. Ein bisschen Gott spielen ist, dieser These folgend, allzu menschlich. Und wenn die Entscheidung über Leben und Tod ansteht? Dann zeigt sich erst recht, wie schwierig es der Pluralismus hat:  Der 78-jährige Architekt Richard Gärtner (Matthias Habich) verlangt von seiner Hausärztin (Anna Maria Mühe), ihm ein todbringendes Präparat zu besorgen. Die Ärztin weigert sich. Der Fall landet vor dem Deutschen Ethikrat. Die Experten, darunter ein Bischof (Ulrich Matthes) und der Ärztekammerchef (Götz Schubert), wägen die Argumente gegeneinander ab. Die Entscheidung fällt im ARD-Spielfilm „Gott“ jedoch jemand anderes: der Zuschauer, der hier im autokratischen Sinne ein wenig Gott spielen darf. Das ist eine Volte, bekanntermaßen von Ferdinand von Schirach erstmals im Theaterstück „Terror“ (2015) genutzt, bei dessen Aufführung das Publikum entscheiden durfte, ob ein von Terroristen gekapertes Flugzeug mit unschuldigen Passagieren abgeschossen werden darf. Oder nicht. Dieses „Mitmachformat“ mit dem Titel „Gott“, wie es die Süddeutsche Zeitung nennt, rückte Kameramann Frank Griebe ins kammerspielartige Licht. Regisseur Lars Kraume inszenierte die Protagonisten, die fein kalkuliert mal Empathien, mal Antipathien bei den Zuschauern weckten. Die entschieden übrigens mit 70,8 Prozent der abgegebenen Stimmen, dass Herr Gärtner das Medikament bekommen soll. Gottlob wird Herr Gärtner noch allein entscheiden können, ob er es sich verabreicht. Oder nicht.

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Wenigstens Weihnachten scheint gerettet. Zwischen den Jahren soll es eine kurze Lockerung im Lockdown geben. | Screenshot

Künstliche Dreckseen, Schwermetalle, Legionen Krebskranker: Auch jenseits Corona ist die Welt nicht in Ordnung: Apokalyptiker & Integrierte – Gedanken in der Pandemie 90.

„People like to say, ’What do you mean exactly?’ I would answer, ’I mean, but not exactly.’“
Jean-Luc Godard, 1996

„Um etwas Sauberes herzustellen, muss man immer irgendetwas verschmutzen.“
Pierre Bihouix, Institut Momentum

 

Skepsis und kritische Prüfung sind wichtige Elemente von Machtkontrolle. Seit den 50er Jahren sind deutsche Bürger dazu erzogen worden; bereits in Schule. Und man darf hoffen, dass sich dies in der Corona-Krise nicht dadurch ändert, das auch diese Mittel – wie alle anderen – von Vollidioten missbraucht werden.

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Der fehlende Weitblick klingt natürlich gleich besser, wenn man ihn als „Fahren auf Sicht“ bezeichnet. 

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Zu einer „geheimen Massenhochzeit“ versammelten sich neulich 7.000 orthodoxe Juden in Brooklyn – angeblich ohne Maske. Das Ganze kam raus, weil ein Film der Feier im Internet kursiert. | Screenshot

Was sinkt, ist die Laune und die Unterstützung der Bürger: Ödipus im Lockdown, Tischlein-deck-dich und die Pappenheimer von der SPD: Apokalyptiker & Integrierte – Gedanken in der Pandemie 89.

Wär’ das nicht toll: Ein Raum in der Lockdown-Wohnung, der einfach alle Wünsche erfüllt: Das passiert den Hauptfiguren von Christian Volckmanns „The Room“, den jetzt Weltkino als VoD zeigt und auf DVD/BD herausbringt.

Es ist nicht klar, warum das so ist, es ist einfach so gesetzt: Das alte Märchenmotiv der unendlichen Wunscherfüllung, des Tischlein-deck-Dich ereignet sich, und das etwas schmuddelige Zimmer spuckt echte Van-Goghs genauso aus, wie Top-Champagner. Gerade zu Beginn der Geschichte ist diese Wunscherfüllung auch ein bisschen eine Bebilderung des gegenwärtigen Unbewussten in seiner vulgärsten Form: Sie trägt sündteure Unterwäsche direkt aus dem Lingerie-Fetisch-Clip, er trägt dazu dann das knallrote Livree eines Hotel-Pagen. Rollenspielchen, Pornofantasien. Dazu dann Dekadenz: Man schüttet sich Champagner übers Gesicht, wälzt sich auf Kaviar … 

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