Gedanken in der Pandemie 96: Manche mögen’s hart

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Wie das Virus sich in Innenräumen verbreitet, zeigt eine Animation der spanischen Tageszeitung „El País“. | Screenshot

Morgen Kinder wird’s was geben: Mindeststandards der Kommunikation, aber die Pandemie kennt kein Weihnachten: Apokalyptiker & Integrierte – Gedanken in der Pandemie 96.

„Ich glaube an die Kraft der Aufklärung. Dass Europa heute da steht, wo es steht, hat es der Aufklärung zu verdanken und dem Glauben daran, dass es wissenschaftliche Ergebnisse gibt, die real sind und an die man sich besser halten soll.“
Angela Merkel im Bundestag, 9. Dezember 2020

„Es geht hier nicht um Weihnachten, es geht um langfristig niedrige Fallzahlen. Die Pandemie kennt kein Weihnachten.“
Jonas Schmidt-Chanasit, Virologe 

 

Tolle Animationen zu Varianten der Virusverbreitung bei den Kollegen der spanischen „El País“. In der englischen Ausgabe können alle auch den Text dazu lesen. Der, der die Animation macht, heißt übrigens Luís Almodóvar. Ob er mit dem Regisseur verwandt ist?

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Manche Impfgegner reden so, als wäre der Impfschaden schon längst passiert.

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Noch einmal zum Impfstoff, genau gesagt den drei Impfstoffen, die bald auch bei uns angewendet werden. 

Wenn Corona eines bewirkt, dann hoffentlich, dass die Menschen wieder etwas stärker der traditionellen Wissenschaft vertrauen und nicht irgendwelchen Hexenmethoden, nicht alternativer Medizin, und dass die Zahl der Impfgegner zurückgeht.

Aber es ist wieder sehr typisch: Deutsche Wissenschaftler entwickeln einen Impfstoff. Der wird aber in Deutschland erstmal nicht zugelassen – aus dem allgegenwärtigen übertriebenen deutschen Sicherheitsbedürfnis heraus. In den USA und in China geht man davon aus, das alles, was nicht schadet, ganz gut sein kann, also probieren wir es eben aus. 

So scheiterte bei uns der Transrapid. So triumphiert bei uns alternative Medizin und Homöopathie, der die Deutschen viel mehr vertrauen als andere Länder (und für die sie 670 Millionen Euro ausgeben, das meiste davon privat), unterstützt von einer breiten Lobby.

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„Schon Mitte Dezember“ sagte Jens Spahn am 23. November, solle ein Impfstoff in Europa zugelassen werden – gemeint war nicht Großbritannien. 

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Ansonsten eine unglaubliche Umstandskrämerei und Probleme bei den Impfungen. Normale Menschen sollten sich nicht vormachen, dass sie vor dem späteren Frühjahr geimpft werden.

Spahns Ministerium hat jetzt auch 6 Prioritäts-Stufen festgelegt.

Stufe 1: Menschen über 80 und Ärzte und Pflegekräfte.

Stufe 2: Menschen zwischen 76 und 80-jährige, geistig Behinderte, weiteres Betreuungspersonal.

Stufe 3: 71-75-jährige, Schwangere, Bewohner von Asyl- und Obdachlosenunterkünften, enge Kontaktpersonen von Schwangeren. Weiteres Personal mit moderatem Expositionsrisiko in medizinischen Einrichtungen und Krankenhausinfrastruktur (beispielsweise Reinigungspersonal in Kliniken und Praxen oder Mitarbeiter in der Krankenhaustechnik) sowie die im öffentlichen Gesundheitsdienst Beschäftigten. 

Stufe 4: Personen im Alter von 66 bis 70 Jahren. Außerdem Menschen mit Vorerkrankungen mit moderatem Risiko und deren engste Kontaktpersonen, Lehrerinnen und Lehrer sowie Erzieherinnen und Erzieher. Zudem noch alle in prekären Arbeits- und/oder Lebensbedingungen, beispielsweise Saisonarbeiter oder Beschäftigte in der Fleisch verarbeitenden Industrie oder in Verteilzentren von Paketdiensten. 

Stufe 5: Menschen im Alter von über 60 bis 65 Jahren. Außerdem die Beschäftigten im Einzelhandel, Personal in Schlüsselpositionen der Landes- und Bundesregierungen sowie Berufsgruppen der kritischen Infrastruktur – dazu zählen etwa Feuerwehr, Bundeswehr, Polizei, ÖPNV oder Abfallwirtschaft. Insgesamt sind das rund neun Millionen Menschen.

Alle übrigen Personen gehören der untersten Kategorie („niedrige Priorität“) an – etwa 45 Millionen Menschen.

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Wieder mal wurde alles dies komplett am Parlament und der öffentlichen Debatte vorbei entschieden. 

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Gründlichkeit geht vor Schnelligkeit heißt es jetzt oft gern. Nehmen wir das dann mal ernst in Bezug auf den Impfstoff. Was heißt das? Es heißt, dass man sich vorher zumindest ein bisschen überlegen könnte, wen man wirklich impfen sollte. Jetzt haben wir alle ja vier Wochen Zeit, weil die EU so lahmar… also so vorsichtig und gründlich ist, dass wir den Impfstoff frühestens Ende des Jahres zur Verfügung haben. Also nutzen wir die Zeit und überlegen noch einmal ganz ruhig: Ist es wirklich besser, wenn die Alten in den Altersheimen als erstes geimpft werden? Die ganz Alten. Altersheiminsassen haben eine durchschnittliche Lebenserwartung von noch vier Jahren. 

Zumindest zwei Dinge sprechen dagegen: Diese Hoch-Risikogruppe bewegt sich sehr wenig, das heißt, sie wird, wenn sie infiziert ist, auch nicht viele andere anstecken. Jede Impfung für alte Leute wird also in erster Linie diese Personen selbst schützen, nicht aber weitere Unbeteiligte. Bei Impfungen für jeden anderen erheblich mobileren Menschen wäre dies anders. Nehmen wir zum Beispiel Ärzte und Pflegepersonal. Würde man die impfen, dann würde man nicht nur die Betroffenen selber schützen, sondern alle, die mit ihnen in Kontakt sind. Was außerdem gegen eine Impfung der Alten spricht, ist, dass hier die Gefahr einer Schädigung durch die Impfung am größten ist, denn diese Gruppen sind die verwundbarsten. 

Jetzt gibt es eine Studie aus den USA, die davon ausgeht, dass bereits ein Impfstoff der unter 50% der Bevölkerung erreicht, genügen würde, um die Corona-Pandemie erheblich einzudämmen – allerdings vorausgesetzt, dass die Impfung optimal verteilt ist. 

Zwar sollten wir alle aus leidlicher Erfahrung gegenüber Optimierungsstrategien welcher Art auch immer sehr skeptisch sein. Trotzdem geht es natürlich immer darum, möglichst angemessen zu handeln und möglichst günstige Effekte zu erzielen. Also versuchen wir ganz offen zu denken: Jenseits des Posiealbums-Satzes, dass die Höchstgefährdetsten als erste geimpft werden sollen, muss man sich fragen, ob man die Gefahren auch für diese Höchstgefährdetsten nicht vielleicht besser reduziert, wenn man sich ihrer Umgebung annimmt. 

Wenn wir sagen: Alte und Vorerkrankte zuerst, dann ist dies jedenfalls allzu grob und in dieser Grobheit ziemlicher Unsinn. Denn schauen wir genau hin, dann haben wir in Deutschland je nachdem bis zu 40 Prozent sogenannte alte und sogenannte Vorerkrankte. Ebenfalls nach den bisherigen Kriterien. 

Weitere Fragen: Gibt man den Impfstoff einem rüstigen 70-jährigen oder einer 45-jährigen mit Asthma? Das ist auch eine Form von Triage, von Entscheidung: Wer verdient im Zweifel zu überleben?

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Wen man auch früh impfen sollte, sind Lehrer. Das fordert auch der deutsche Philologenverband – und hat recht, auch wenn das nach Lobbyismus stinkt.

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Es ist auch wieder typisch deutsch, dass wir anfangen, breit über die (möglichen) Nebenwirkungen zu diskutieren, aber nicht über die (erwiesene) Hauptwirkung. Die Hauptwirkung eines Impfstoffs ist, dass er impft und schützt. Dass er damit möglicherweise einen dritten Lockdown vermeidet. Die Hauptwirkung ist, dass er die Infektionszahlen drastisch reduziert, dass weniger Leute sterben, und der Virus sich bald nicht mehr weiterverbreiten kann. Die Nebenwirkungen liegen im Promillebereich. Und trotzdem ist schon jetzt klar, dass es noch viele Debatten, Leitartikel und Talk-Show-Runden geben wird, die sich mit diesem Schmarrn beschäftigen und dass die Impf-Skeptiker wieder überall mobil machen, vor allem in sozialen Netzwerken.

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Vielleicht zeigt das Beispiel der Impfstoffe, dass es auch ohne und nach Corona für alles etwas schneller gehen könnte. 

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Die Kinderärzte lernen aus der Regierungspolitik, und stören sich an unbestimmten Maßnahmen auf unbestimmte Zeit. 

Heute widersprachen die „Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin“, der „Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte“ und die „Deutsche Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie“ sehr deutlich der Möglichkeit einer Verlängerung der Weihnachtsferien. Geschlossene Schulen, Kindergärten und Kitas sollten „nur als allerletzte Maßnahme im Rahmen eines allgemeinen Lockdowns“ erwogen werden. Man sei „dezidiert gegen eine Verlängerung der Weihnachtsferien auf (un)bestimmte Zeit in den Januar hinein“, heißt es in der Stellungnahme. Bisherige Daten gäben keinen Anlass, generelle Schulschließungen als „taugliches und angemessenes Mittel“ zur Pandemiebekämpfung anzusehen.

Zudem würden die belastenden Folgen selbst kurzfristiger Schulschließungen auf das Wohlbefinden und die Zukunftsperspektiven von Kindern in der Debatte viel zu wenig berücksichtigt. 

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Zeiten der Härte: Harter Brexit, harter Lockdown. 

Manche mögen’s hart. Die Deutschen mochten es schon immer hart. Bei der Kindererziehung war „eine harte Hand“ gefragt, „hart wie Kruppstahl“ hatten deutsche Jungs zu sein. Jetzt hat man es offenbar den saumseliegen Kindern zunächst zu leicht gemacht. Also „Lockdown hart“. 

Über diese deutsche „Sehnsucht nach Härte und Schwere“ haben Philosophen schon vor über 30 Jahren geschrieben. 

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Gestern lese ich die Schlagzeile: „Harter Lockdown bis 10. Januar.“ Diese Schlagzeile wäre eine Maßnahme, der bestimmt nicht nur ich jederzeit zustimmen würde. Bis 10. Januar ein harter Lockdown, der meinetwegen auch sofort beginnen kann, der eine klare Deadline, ein klares Ende hat. Man sieht Licht am Ende des Tunnels. Man geht nicht immer weiter und tiefer hinein ins Schwarze Loch. Genau das ist es aber, wozu unsere Regierenden uns zurzeit zwingen.

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In Österreich öffnen die Geschäfte wieder. Da ist der harte Lockdown schon vorbei. 

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Was heißt eigentlich Demokratie? Unter anderem jawohl Freiheit, Transparenz der Entscheidungen und der öffentlichen Kommuikation, Mitbestimmung, flache Hierarchien beim Zugang zu den Entscheidern, Vielheit der Urteile und Zugänge. 

Das einzige was uns alle in der demokratischen Gesellschaft wirklich verbindet, ist dass wir nicht wissen was richtig oder falsch ist.

Wieviel von alldem erleben wir im Alltag, wieviel in der Corona-Krise dieses Jahres?

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Rede der Bundeskanzlerin, der „Kassandra der Nation“ (Eva Quadbeck, „Rheinische Post“) im Bundestag. Sie redet engagiert und für ihre Verhältnisse leidenschaftlich: „Wir sind in einer entscheidenden Phase der Pandemie-Bekämpfung.  […] Wir sehen Licht am Ende des Tunnels. Warum ist das so? Weil wir Menschen kreativ sind. Und weil wir einen unglaublichen Forschergeist haben. Wenn diese Pandemie überhaupt etwas Gutes hat, dann zeigt sie uns, wozu wir Menschen imstande sind, wenn wir das Herz in die Hand nehmen.“

Und dann wurde sie persönlich: „Ich habe mich in der DDR zum Physikstudium entschieden. Das hätte ich in der alten Bundesrepublik wahrscheinlich nicht getan. Weil ich ganz sicher war, dass man vieles außer Kraft setzen kann, aber die Schwerkraft nicht, die Lichtgeschwindigkeit nicht, und andere Fakten auch nicht. Und das wird auch weiter gelten, meine Damen und Herren.“ 

Nur hier, hier aber muss ich die Physikerin leicht korrigieren: Schwerkraft und Lichtgeschwindigkeit sind Naturgesetze. Bei der Pandemie aber stehen deren Gesetzmäßigkeiten nicht fest. 

Wissenschaft ist die Interpretation, ist der Streit um die Ursache und die Analyse. Wissenschaft heißt Pluralität. Und auch in diesem Fall kennt keiner die Fakten genau. Man kennt die Zahlen, aber man weiß sie nicht zu deuten.

„Und weil die Zahlen sind wie sie sind, müssen wir etwas tun. Und zwar Bund und Länder gemeinsam. Ich kenne die Zuständigkeiten der Länder […] Wir können es nur gemeinsam machen. Aber ich kenne natürlich auch meine besondere Verantwortung und die Verantwortung der Bundesregierung, und deswegen halte ich es schon für geboten, dass Sie wissen, was mich leitet. Da will ich sagen, dass ich glaube, dass wir gut daran tun, das, was uns die Wissenschaft sagt, nämlich gestern die Leopoldina, auch wirklich ernst zu nehmen.“ 

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Eine wirklich gelungene, spannende Analyse der Rede durch Albrecht von Lucke, dem Chefredakteur der „Blätter für deutsche und internationale Politik“ gab es im Deutschlandfunk, unmittelbar nach der Rede.

„Es war für sie eine Leidenschaft, die man nicht allzu oft in dem Maße gehört hat – vor allem auch deshalb, weil in dieser Leidenschaft ein Stück weit, man kann es fast stark machen, Verzweiflung auch zum Ausdruck kam. Angela Merkel hat sehr deutlich gesagt und es war immer wieder vom Wechselbad der Gefühle die Rede, dass sie der Meinung ist, wir befinden uns in einer Entscheidungsphase.  […]  Aber sie hat damit immer auch kenntlich gemacht, sie ist ein Stück weit an den Grenzen ihres Lateins. Sie ist an den Grenzen ihrer Macht. Sie hat immer die Notwendigkeit, davon abhängig zu sein, von einer Bevölkerung, die mitzieht, und auch von Ministerpräsidentinnen und Präsidenten, die mitziehen. Es war sehr deutlich: Sie hat wie zuvor schon, aber heute noch viel leidenschaftlicher als Mahnerin und Warnerin agiert, aber immer kenntlich gemacht, ich habe auch nur begrenzte Macht, wenn das Volk, wenn die anderen Politiker nicht mitziehen, dann komme ich an die Grenzen. […]Sie hat das auch mit Blick, denn auch das kam vor, der Bilanzierung beispielsweise der europäischen Krisenlage deutlich gemacht, dass auch in Europa vieles nicht so gelaufen ist, wie sie es sich vorgestellt hatte. Die EU-Ratspräsidentschaft, die ja für Deutschland jetzt ausläuft, war völlig anders vorgestellt. Corona hat auch hier alles über den Haufen geworfen.  […] Diese Pandemie ist noch mal von einer ganz eigenen Qualität, weil sie tatsächlich zeigt, wie begrenzt die Handlungsmöglichkeiten sind, und übrigens nicht in finanzieller Art. Das war ganz ironisch. Sie sagte auch fast lapidar, das Geld ist da. Es ist nicht das primär Finanzielle, was ihr im Wege steht. Nein, es geht um die Frage, wie weit kann eine Politik die Bevölkerung überhaupt noch erreichen und mitnehmen, dass diese willens ist, die verordneten Maßnahmen wirklich umzusetzen. Das macht das originär Neue dieser Krise aus.“

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Ist Politik wirklich überfordert? Ich glaube das nicht. Ich glaube hier zeigt sich Politik. 

Aus meiner Sicht könnte man das kommunikative Versagen, das mit dieser Pandemie einher geht, kritischer kommentieren. 

Auch heute wieder: Merkel kann nicht anders, als mit zumindest versteckten Drohungen zu kommunizieren. „Bis vorläufig 10. Januar“ sagt sie schon wieder, und dann „wenn es nachträglich das letzte Weihnachten mit den Großeltern war …“

Das Mitziehen der Bevölkerung ist aber kein Naturgesetz. Es sind nicht Grenzen ihrer Macht. Sondern es ist der falsche Umgang mit ihrer Macht.

In der Kommunikation ist Abwechslung der Schlüssel. Nicht immer das Gleiche, kein Mantra, sondern mal so mal so. Da geht es auch ums Handeln: mal die Zügel anziehen, dann wieder locker-lassen. Nicht ständig ein bisschen anziehen und dann noch ein bisschen verschärfen und dann wieder ein bisschen länger anziehen … Das nutzt sich ab.

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Aber auch in der CDU mehren sich auffällig die negativen Stimmen gegen die eigene Regierung: Ausgerechnet die BILD-Zeitung hat sich der JuraProfessor Rupert Scholz, unter Helmut Kohl für die CDU eine Weile Verteidigungsminister, ausgesucht, um die Politik der Kanzlerin grundsätzlich in Frage zu stellen: Von „verlogener Lockdown-Politik“ und „zunehmend skurrilen Formen“ spricht Scholz. „Die Totalität, mit der sie praktiziert wird, ist  […] nicht gerechtfertigt.“ Als Beispiel nennt auch Scholz die „Totalstilllegungen von Gastronomie und Hotellerie. Obwohl selbst das Robert-Koch-Institut einräumt, dass dort kaum Infektionen nachzuweisen sind.“ Die Ansicht, man müsse die Allgemeinheit in die Pflicht nehmen, weil man in 75?Prozent der Fälle die Herkunft der Infektionen nicht orten könne, „ist weder rechtlich noch politisch zu rechtfertigen.“ „In Wahrheit geht es nicht um Solidarität, sondern um eine anmaßende Bevormundung.“

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Markus Lanz gehört ohne Frage zu den Gewinnern der Pandemie. Nicht weil seine Sendung nun von so viel mehr Leuten gesehen würde, als vorher, sondern weil das Thema Corona ihm eine ganz andere Form von Seriosität gibt. Lanz kann hier, wenn er gut drauf ist, sein Talent zeigen, sachlich, neugierig und investigativ nachzufragen. Er wirkt zumindest so, als habe er wirklich Interesse am Thema. So gelingt es ihm nicht selten, mit seinem Menschel-Format seriöseren und härter nachfragenden Polit-Talk zu machen, als die eigentlich dafür zuständigen Kolleginnen. 

„Was passiert da gerade?“ – es sind solche scheinbar schlichten, aber insistierenden, ehrlich neugierigen Fragen, mit denen Lanz am besten ist. Weder scheint er dann wie Anne Will und Plasberg selber die Antwort bereits zu kennen, noch zieht er sich wie Maybrit Illner auf Ironie und Insiderkennerschaft zurück. 

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Im Gegensatz zu einigen seiner letzten Sendungen verzichtete Lanz am Dienstagabend auch komplett auf Mätzchen, wie das fortwährende Selbstzitat und wiederholte Abspielen vermeintlich besonders geglückter Ausschnitte aus früheren Sendungen. Allein in den ersten drei Dezembersendungen hatte Lanz viermal Ausschnitte anderer Gespräche gezeigt, einen davon sogar zweimal. 

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Lanz fragte am Dienstag, die Infektionskurven vor Augen, immer wieder nach: Warum geht die Kurve trotz Lockdown nicht runter, sondern verharrt abgeflacht seit Wochen auf dem gleichen eher hohen Niveau? Ist es gute politische Kommunikation, dass die Regierenden, obwohl das „Wellenbrechen“ erfolgreich war, sich selber widersprechen, und den Lockdown trotzdem verlängern und verschärfen, und noch einmal, sodass kein Licht am Ende des Tunnels zu sehen ist? Was passiert, wenn „die Leute“ „mürbe“ werden? „Opfert“ man Weihnachten? 

Schmidt-Chanasit: „Es geht hier nicht um Weihnachten, es geht um langfristig niedrige Fallzahl. Die Pandemie kennt kein Weihnachten.“

Zu den schwer verständlichen Tatsachen gehöre, dass die zweite Infektionswelle Ende Oktober bereits gebrochen wurde. Erst danach gab es den „Wellenbrecher-Shutdown“. Und nach der Ankündigung der Lockdown-Verlängerung seien die Zahlen, so der Virologe, wieder angestiegen. 

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Hier hätte man nachfragen können, ob diese Entwicklung nicht belegt, dass bei immer weiteren Verschärfungen die Bereitschaft der Bürger zum Mitmachen verloren geht, und ob man Erfolge nicht auch belohnen muss, um die Menschen bei der Stange zu halten? Wer glaubt, egal, was er oder sie tut, es kämen sowieso keine Lockerungen, hat keinen Grund, mitzumachen. 

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Die Debatte um Masken in der Schule zum Beispiel sei epidemisch einfach nicht so wichtig, erläuterte Schmidt-Chanasit, das seien „rein politische Entscheidungen“. Deshalb sei es egal, dass Schleswig-Holstein Masken fordert, die Hamburger Schulen dagegen nicht. „Ob jetzt ein Grundschüler eine Maske trägt oder nicht, das wird die Pandemie nicht entscheiden.“ Viel, wichtiger sei es, größere enge Zusammenkünfte wie Partys zu verhindern. 

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Schmidt-Chanasit verwies bei Lanz auch auf Sachsen. Die dort verkündete Schließung des Einzelhandels werde nichts bringen: „In Sachsen wird der Effekt verpuffen, weil die Leute über die Grenze in die acht Nachbarländer fahren und dort einkaufen.“

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Man muss Markus Söder dafür bewundern, wie er es schafft, einfach jeden Tag – jeden Tag!!! – in die Schlagzeilen zu kommen. Sei es auch nur weil er eine besonders harte neue Maßnahme in Bayern einführt, und dann nicht dazu sagt, dass die Zahlen in Bayern so schlecht sind, wie nirgendwo sonst in der Republik, oder sei es dass er dann wieder den harten Lockdown Vorschlag der Leopoldina kontert in dem er Bedingungen stellt. 

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Er verfüge „über zuverlässige Informationen“ … Ihm lägen „sichere Beweise vor“ … Ganz schön cheesy klingt es, was der griechische Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis über die Türken sagt. Machen wir uns nichts vor: Dies ist die Rhetorik der Verschwörungstheoretiker. Wenn es sichere Beweise gibt, warum legt er sie dann nicht einfach vor? Man muss Erdogan nicht lieben und die jetzige türkische Regierung keinesfalls verteidigen, um solche Mindeststandards der Kommunikation einzufordern.

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