Kino in Zeiten von Corona 38 – 1

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„Glue“. | Foto © Salzgeber

Scheibenveröffentlichungen, Mediatheken und Streams statt Kino … in der Woche vom 10. Dezember 2020 – Teil 1.

Die ersten Jahresüberblicke erscheinen. Dieses 2020 war ein Jahr der Streams statt Kino. Nur ein Major hielt am Kino unerschütterlich fest: Warner Bros. wollte Christopher Nolans „Tenet“ auf die Leinwände bringen. Unbedingt. Und jetzt das, und man muss jetzt gar glauben, dass es Nolan geschuldet ist, dass „Tenet“ auf die Leinwand durfte. Ausgerechnet Warner Bros. Für diese Kolumne, die Donnerstags am traditionellen Kinotag erscheint, kam die Meldung zu spät: Vorige Woche hat es eine Erschütterung in der Film- und Kinolandschaft gegeben, die sich noch nicht gelegt hat: Warner Bros. gab am 3. Dezember bekannt, man wolle alle Filme, die sie 2021 auf ihrer Startliste haben, „konsumenten“-gerecht nicht nur in die Kinos bringen, sondern gleichzeitig und (einen Monat lang) exklusiv auf der eigenen Streaming-Plattform HBO Max anbieten. Dazu passt, dass HBO Max demnächst auch nach Europa expandieren soll. Und ja, das heißt, dass „Wonder Woman 1984“ nicht zu Weihnachten und nicht sofort bei uns zu sehen sein wird.

Christopher Nolan, der gerade „Tenet“ für den Heimeinsatz bewirbt, in Deutschland wird man den Film auf Rakuten TV ab dem 17. Dezember 2020 sichten können, ist erwartungsgemäß nicht begeistert. In einem Interview mit „Entertainment Tonight“ [auf Englisch] bemängelt er auch die Art und Weise, wie die Meldung raus gehauen worden war, denn Warner Bros. hätte die Filmemacher überhaupt nicht einbezogen. Gelassener reagierte Steven Soderbergh, der seine letzten beiden Filme („High Flying Bird“ und „The Laundromat“) für Netflix produzierte und jetzt mit „Let Them All Talk“ zu HBO Max wechselte. In einem Interview mit dem „Daily Beast“ [auf Englisch] versetzte er sich in die finanzielle Lage des Majors. Das sei nicht das Ende des Kinos, beteuert er. Zuviel würde man in die Produktionen stecken, die für die große Leinwand gemacht wären, aber Warner Bros. sehe auch, dass die Rückkehr in die Kinos noch eine Weile dauern werde. Weitere Reaktionen sammelte „Variety“ [auf Englisch].

Da könnte Soderbergh recht haben. Stand Mittwoch vormittag ist, dass diser „Lockdown light“ sich in Kürze in einen „harten Lockdown“ verschärfen könnte. Ausgeschlossen wird gar nichts mehr. Apropos, um das mal einzuschieben: Die Corona-App gibt es jetzt auch für mich. Ja, hier ist der Link zum Apple-Store und hier zu dem Google Play Store. Dort prangt bei mir der Hinweis, die App sei mit meinem Gerät nicht kompatibel. Danke, das wusste ich. Die App „Corona Contact Tracing Germany“ behebt das Problem jetzt sowohl für Geräte mit alternativen Roms, für uralt-Smartphones und auch zum Beispiel für die Huawei-Geräte. Die Free Software Foundation Europe hat dazu eine aktuelle Meldung, die auch erklärt, was das Problem war und was diese Alternative leisten kann. Ein Hoch auf freie Software, dem kann ich mich anschließen. Wie dem auch sei, wir können die Pandemie nicht aussitzen. Auch ein Reagieren reicht nicht mehr. Wir müssen vorbeugen. Wenn die Zahlen der Infektionen mit Covid-19 nicht runtergehen, können wir auch die Berlinale vergessen. Mindestens.

Soderbergh, die Nachricht kam am Dienstag rein, ist im Team, das die nächste „Oscar“-Verleihung, die 2021 in den April fällt, produzieren soll. Zusammen mit Jesse Collins und Stacey Sher. Es heißt, die drei seien „die idealen Geschichtenerzähler, um die Einzigartigkeit dieses Moments zu nutzen und die Künstler zu feiern, die sich dem Erzählen von Geschichten widmen, die den Test der Zeit bestehen“, zumal man die Preisverleihung innovativ erneuern zumindest überdenken müsse.

Abseits der großen Streaming-Portale, auf deren Neuerscheinungen verweisen wir im zweiten Teil unserer Kolumne, gibt es ein paar VOD- bzw. DVD-Tipps zu Filmen, deren Kinoeinsatz man vielleicht verpasst hat, auf die ich deshalb doch noch hinweisen möchte. Vor allem auf den Film „Wir beide“ von Filippo Meneghetti mit Barbara Sukowa und Martine Chevallier in den Hauptrollen, einer meiner Favoriten des Jahres. Unsere Besprechung kann man hier nachlesen. Die DVD erscheint am 11. Dezember 2020. Die französisch-belgisch-luxemburgische Koproduktion ist Frankreichs Einsendung in die Aufstellung der besten internationalen Filme für die „Academy Awards“.

Missing Films veröffentlicht, ebenfalls am 11. Dezember 2020, Rosa von Praunheims letzten Film „Darkroom – Tödliche Tropfen“ auf DVD. Der Film kam Ende Januar ins Kino. „Darkroom – Tödliche Tropfen“ ist die Aufarbeitung eines realen Serienmordfalles in Berlin 2012, dessen Täter schnell gefasst worden war. Das Drehbuch stützt sich auf die Prozessakten, von Praunheim holte eigens die Gerichtsreporterin Uta Eisenhardt an Bord, die den Fall damals verfolgte. Der Krankenpfleger Lars, gespielt von Božidar Kocevski, bringt seine Opfer mit einer Überdosis einer Partydroge um. Von Praunheim wechselt zwischen Szenen des Prozesses und Rückblenden auf die Taten und auf den Background des Täters. In seiner Künstlichkeit erinnert er damit an von Praunheims „Härte“ von 2015.

Mitte Januar kam „Crescendo #Makemusicnotwar“ von Dror Zahavi ins Kino. Der Verleih, Camino, stellt den Film auf DVD, Blu-Ray und als VOD ab dem 10. Dezember zur Verfügung. Musik kennt keine Sprachen. Doch die jugendlichen, jüdischen und palästinensischen Musiker, die mit den Dirigenten Sporck (Peter Simonischek) ein klassisches Friedensorchester bilden sollen, spielen zuerst nicht mit-, sondern gegeneinander. Vom Nahostkonflikt sind sie alle betroffen, ihre Vorurteile und Ressentiments prallen aufeinander und drohen das Projekt platzen zu lassen. Dror Zahavi („Alles für meinem Vater“) drehte in drei Ländern, zum Teil mit Schauspielern, zum größeren Teil mit Musikern. Die Idee zu dem Stoff stammt von Stephen Glanz („Der letzte Zug“) und Alice Brauner, die mit ihrer CCC Film auch produzierte. Für das sensible Drama, das aufzeigt, wie utopisch eine Befriedung anmutet, gab es in Ludwigsburg den „Rheingold-Preis“ und auf dem jüdischen Filmfestival Berlin & Brandenburg den „Gershon-Klein-Preis“.

Noch mehr Filme aus dem Arthouse-Bereich kann man jetzt auf dem Kanal Arthaus+ streamen. Vorige Woche gab Studiocanal, der den Dienst verantwortet, bekannt, dass man über Amazon Prime Video ab sofort den Channel Arthaus+ mit einer kuratierten „Mischung aus Klassikern, Indie-Kino, Arthouse-Hits, Autorenfilmen, ausgesuchten Serien und Dokumentationen“ dazubuchen kann, für 3,99 Euro im Monat.

Und damit wäre ich bei den Streaming-Angeboten: Eine „Geschichte eines Heranwachsenden mitten im Nirgendwo“. Dieser Titelzusatz fasst zusammen, worum es Alexis Dos Santos in seinem Langspielfilmdebüt geht. „Glue“, eine argentinisch-britische Koproduktion, hatte seine Premiere 2006 in Rotterdam. Gewann dort den „MovieZone-Preis“, auf den noch so einige Auszeichnungen folgten. Zuletzt nahm die Filmwelt Notiz von dem argentinischen Regisseur, als Alejandro Landes’ „Monos“, zu dem er das Drehbuch verfasste, es bis zur kolumbianischen Einreichung für den Fremdsprachen-Academy Award schaffte. Sein Hauptdarsteller Nahuel Pérez Biscayart, der hier den 15jähirgen Lucas spielt, gewann 2018 den „César“ für den besten Nachwuchsdarsteller in „120 BPM“ und ist aktuell der Hauptdarsteller in „Persischstunden“, der Lars Eidinger ein falsches Persisch beibringt. Lucas lebt in einem Nest in Patagonien, da passiert nichts und davon ganz viel. Er trägt mit Kopfhörern die Musik eng am Körper und rotzt sie bei noch unbeholfenen Punkauftritten wieder heraus. Er will endlich Sex und mit Sex ist auch die Körperlichkeit gemeint. Da geht es seinem Freund Nacho und Andrea (Inés Efron) ganz genauso. Eine entfesselte Kamera und viel Improvisation, das funktioniert oft gar nicht. Ganz anders in „Glue“, der einen Sog auslöst, der einen mitten hinein in dieses Gefüge zieht und einem dann diese Dringlichkeit, diese Drang an Jugend und an sexueller Vervollkommnung spüren lässt. Dos Santos zeigt sowohl die Lebensumstände, als auch die Träume und das Wünschen und sich Vorstellen und das mit einer Leichtigkeit, die nichts von dem Ernst eines Coming-of-Age-Themas verrät. Das ist auch 15 Jahre später noch frisch und aktuell und, falls man den Film bei seinem Kinoeinsatz 2008 bei Salzgeber nicht gesehen hat, eine Entdeckung. Eine Entdeckung ist übrigens auch die Kameraarbeit von Natasha Braier, die hier ihr Langspieldebüt gibt. Seit „The Neon Demon“ (Nicolas Winding Refn) und zuletzt „Honey Boy“ (Alma Har’el) ist sie auch international gut beschäftigt. Der Salzgeber Club setzt diese Filmperle auf ihr aktuelles Programm, das sollte man wahr nehmen.

Die Eingangstür öffnet in „Das Haus der guten Geister“. Menschen strömen herein, die Zuschauerreihen füllen sich. Programmhefte werden noch ineinander gesteckt. Aufgeführt werden soll Tschaikowkis „Pique Dame“, nach einer Erzählung von Puschkin. Die Dokumentation springt zurück. Zu der ersten Probenbesprechung. Hier stellen sich Intendant und Regisseur und Bühnenbild und so weiter vor. Die renomierte Zeitschrift „Opernwelt“ mag die Stuttgarter Oper bereits mehrmals zum Opernhaus des Jahres gekührt haben, das Regie-Duo Marcus Richardt („Goliath“) und Lilian Rosa („Club der wilden Dichter“) erden die Energie des Hauses und inszenieren ein Zusammenspiel der Gewerke des Hauses, indem sie die Atmosphäre hinter den Kulissen visuell übertragen. Da ist der Sprachcoach fürs Russische, Dmitry Kunyaev, genauso wichtig wie der Intendant Jossi Wieler, der eine letzte Saison am Haus arbeitet. Die Entscheidung, die Wieler bereits lange gefällt hatte, die ihm Raum zur Veränderung und dem Haus die Möglichkeit der Erneuerung geben soll. Ebenfalls dabei ist der Chefdramaturg Sergio Morabito und der Musikdirektor Sylvain Camreling und die Bühnen- und Kostümbildnerin Anna Viebrock. Da begleiten wir die Proben des Kinderchors ebenso wie das Team für das Bühnenbild, das zwischen praktischer Mobilität und dramaturgischen Anforderungen einen Mittelweg zu finden versucht. Zumindest Marcus Richardt ist im Haus kein Unbekannter. Bei mehreren Inszenierungen war er für die Bildregie und Produktion der TV-Aufzeichnungen verantwortlich. Die Initialzündung war ein persönlicher Eindruck. Die Arbeit im Haus wäre mit den Worten des Regieduos „leiser, achtsamer, reibungsloser“, als andernorts. Das würde auch am Führungsstil von Jossi Wieler liegen und als, auch das entnehme ich dem Presseheft, 2016 Donald Trump seine Wahl gewann, steckten sie gerade in den Förderanträgen und wollten nun umso mehr aufzeigen, wie ein Miteinander in der Führung sich auf ein Ganzes auswirken kann. Zum Positiven. Das Filmteam begleitete übrigens die Spielsaison 2017/2018. Haltung bewahrt das Haus und seine Gewerke auch, als eine zweite Inszenierung am Haus, Humperdincks „Hänsel und Gretel“, nicht wie geplant umgesetzt werden kann, weil sein Regisseur, Kirill Serebrennikov in Moskau politisch festgesetzt wurde. Ursprünglich sollte „Das Haus der guten Geister“ am 2. April 2020 in die Kinos kommen. Nach dem ersten Lockdown wurde der 5. November anvisiert. Nun kommt der Film leider nicht mehr auf die großen Leinwände, sondern nur noch digital zum Publikum. Die Kinos sollen jedoch, sofern sie sich an der Vermarktung durch Verlinkung auf der Kino-Internetpräsenz und den Sozialen Medien beteiligen, auch beim Einspiel mit 50 Prozent bedacht werden.

Die Streaming-Premiere der a-historischen Serie „The Great“ war im Juni 2020 auf Amazon gewesen. Jetzt am 10. Dezember bringt Paramount die erste Staffel auf DVD raus, für alle sozusagen. The Great meint Katharina die Große. Zarin von Russland, aber noch ist sie das nicht. Sie wurde mit Peter III verheiratet, kommt also als bestellte Gemahlin an den Zarenhof in Sankt Petersburg und versucht aus ihrer Lage das Beste zu machen. Sie hat den Kopf voller reformerischen Flausen. Aber eins ist mal klar. Mit Peter kann man keinen Staat machen. Zu egozentrisch, zu dumm. „The Great“ kann Spuren von Geschichte enthalten. Es heißt exakt: „Eine stellenweise wahre Geschichte“. Sprich, die Figuren sind zwar realen Personen nachempfunden, aber die Story ist Fiktion. Komödie. Satire. Fiese Satire. Mit diversen Seitenhieben auf das Hier und Jetzt. Verantwortlich für die amerikanische Serie ist der Australier Tony McNamara, der unter anderem das Drehbuch (zusammen mit Deborah Davis) zu dem Film „The Favourite – Intrigen und Irrsinn“ von Yorgos Lanthimos geschrieben hatte. Ursprünglich war „Catherine the Great“ ein Theaterstück, doch immerhin war die Zarin über 30 Jahre auf dem Thron, da gibt es eine Menge Stoff. Er baute sein Stück von 2008 zur Serie aus. „Intrigen und Irrsinn“ am Hof von Zar Peter dem Dritten, so könnte man die erste Staffel (eine Fortsetzung wird es geben) umschreiben. Ellen Fanning in der Titelrolle und Nicholas Hoult („The Favourite“, „Warm Bodies“) in der Rolle des Gatten ist ein Gespann, das die Politik zusammengeführt hat und das sich aus dem Weg geht, sich arrangiert und sich gegenseitig durchaus ans Messer will. Ein wahrer Rosenkrieg.

Und „endlich Freitag“ in den Mediatheken: „Der Alte und die Nervensäge“. Die Nervensäge ist mitnichten die Ärztin auf Station, die den alten Wilhelm mal wieder einschärfen muss, seine Medikamente gegen Bluthochdruck zu nehmen. Die Nervensäge ist auch nicht die überfürsorgliche Tochter, die den Vater am liebsten in die Abstellkammer für das Schlagzeug ihres wenig begeisterten Ehemannes einquartieren würde. Partout will sie Vaters 75sten feiern und mit einer wirklich nervenden Übergriffigkeit dekoriert sie schon mal alles für eine Geburtstagsfeier, die Wilhelm Reißaus nehmen lässt. Sie meint es doch nur gut und wirkt so hilflos. Regie führte, übrigens ein Regiedebüt, Uljana Havemann und auch das Drehbuch von Nadine Schweigardt ist ein Erstlingswerk. Für das Exposé hatte Schweigardt 2017 den „Impuls“-Nachwuchspreis der Degeto bekommen. Es funktioniert. Das Tempo stimmt, die Figuren machen nicht nur räumlich eine Reise, sie entwickeln sich, haben Ecken und Kanten, und was sie alle verbindet ist, dass die Liebe und das Leben sie in ganz unterschiedlichen Lebensphasen trifft. Das Erste setzt die Komödie, ein generationsübergreifendes Roadmovie, auf den Freitagabend, auf ihre neue Schiene „Endlich Freitag im Ersten“ und bewirbt ihn mit einem „Hollywood-Darsteller“ in der Hauptrolle. Dabei handelt es sich um Jürgen Prochnow, dem man in der Tat abnimmt, dass ihn das Alter (er ist in Wirklichkeit sogar 79) und die damit einhergehende Bevormundung ganz gewaltig nervt. Da braucht es einen Jungspund von 16 Jahren, Felix, gespielt von Marinus Hohmann, der mit einer Naivität seinen Kopf ebenso durchsetzen will, wie der Alte. Felix reißt auch aus, das heißt das ungleiche Paar büchst gemeinsam in einem Oldtimer-Wohnwagen, einem alten Ford, aus und schafft es vom Norden bis in den Süden des Landes, bis hoch auf die Alm. Gedreht wurde die Komödie vor gut einem Jahr in Köln und Umgebung bzw. in Berchtesgarden.

Und hier geht es zum zweiten Teil unserer Kolumne.

 

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