Kino in Zeiten von Corona 37 – 1
Advents-Aktionen, Mediatheken und Streams statt Kino … in der Woche vom 03. Dezember 2020 – Teil 1.
Vor einem Monat war die Startwoche vom 3. Dezember 2020 der Top-Spot. Die Kandidaten für einen Start im Kino drängelten sich. Doch so schnell, wie die Titel sich auf dieses Feld im Kalender gedrängt haben, so schnell liefen sie wieder auseinander und sprangen bis in den März oder April vor. Einige stehen fernab und sehen dem organisatorischem Chaos erst einmal zu und machen noch gar keinen Schritt in Richtung Entscheidung. Wie auch, wenn die Maßnahmen kaum verbindlich und planbar daher kommen. Jedes Planen, jedes Marketing ist reine Sisyphus-Arbeit. Man schiebt die Filme doch immer nur wieder vom Nullpunkt an. Einige Verleiher wollten die Hoffnung noch nicht aufgegeben. Zum Beispiel „Falling“ von Viggo Mortensen und „Ein Doktor auf Bestellung“, eine französische Weihnachtskomödie. Beide Filme wollten am 24. Dezember starten. Das ist, seit gestern abend, wieder Makulatur. Bereits für Berlin hatte man einen Start noch im Dezember ausgeschlossen. Bereits letzte Woche gab es erste Stimmen, die vom Frühjahr sprachen. Und siehe da, eigentlich nach Abgabetermin für diese Kolumne, wurde der Teil-Lockdown über den Jahreswechsel verlängert. Vorerst heißt es nun, nicht vor dem 10. Januar 2021 darf es wieder los gehen.
In der Zwischenzeit gibt es gefühlt noch mehr an Streamingmöglichkeiten als bisher. Zum Beispiel gibt es Adventsaktionen. W-Film hat sich für die Adventssonntage je einen Film aus ihrem Programm im W-Film-Shop ausgesucht, die man für einen „Solidaritätspreis“ von einem Euro streamen kann. Der Titel am zweiten Advent, also an diesem Sonntag, ist „Looking at the Stars“, der im zweiten Teil unserer Kolumne kurz vorgestellt wird. Auch die Filmgalerie 451 hält einen Adventskalender bereit. Täglich um 17 Uhr öffnet der Verleih ein Türchen und lässt somit einen Splitter aus dem „Hamlet-X“-Kosmos von Herbert Frisch frei. Was sich dahinter verbirgt kann man hier nachschauen. Kurz ein „intermediales Kunstprojekt“. Mir bisher unbekannt. Entstanden sind die Szenen und Filme und Porträts 2003 bis 2004 im Umkreis und in Kooperation mit der (damaligen) Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz in Berlin.
Mit einem Streaming-Angebot wollte auch Renate Zieglers „Filmkunst-66“-Kino in Berlin-Charlottenburg den November überbrücken. Die Aktion dehnt man nun über den Dezember hinweg aus. Eine Liste der Titel, die man kostenfrei direkt ansteuern kann, befindet sich hier. Im Angebot ist heute und morgen „Monarch“ von Johannes Flütsch und Manfred Stelzer aus dem Jahr 1978. Darauf folgt am Wochenende „Sigi der Straßenfeger“ von Wolf Gremm von 1984. Auch das „Wolf-Kino“ bietet jetzt einen Streamingzugang an. „Wolf in Space“ nennt sich das wechselnde Angebot. Derzeit kann man fünf portugiesische Filme der Produktionsfirma Terratreme Filmes sichten. Darunter zum Beispiel „Campo“ von Tiago Hespanha, eine Dokumentation über „Europas größtem Militärstützpunkt und Truppenübungsplatz“, der 2019 auf dem Dok.Leipzig-Festival und dieses Jahr auf der Dokumentarfilmwoche Hamburg gezeigt worden ist.
„10 europäische Filme im Wettbewerb“ kann man auf dem Arte-Kino-Festival, nach kurzer Anmeldung, sichten und dabei eine Reise zum Filmfest Locarno gewinnen. Dabei handelt es sich um Festivalfilme, Kooperationspartner ist Moving Scope. Das kommunale Kino „Arsenal“ in Berlin zeigt in ihrem Vorführraum „Arsenal-3“ im Dezember Werke des sudanesischen Filmemachers, Malers und Dichters Hussein Shariffe (1934–2005). Inzwischen streamt das „Arsenal“ nicht mehr auf Spendenbasis: Der Dienst kostet im Monat 11 Euro.
Ein Titel aus dem Startprogramm des Verleihs W-Film erscheint jetzt als VoD. Am 5. Dezember ist der Weltbodentag. Presseankündigungen sind doch manchmal eine Fundgrube für Wissensspielerunden. Auf jeden Fall startet W-Film den passenden Dokumentarfilm „Unser Boden, unser Erbe“. Kinostart von Marc Uhligs Landwirtschaftsfilm war erst Anfang Oktober und wurde hier besprochen. Die Kinoauswertung wurde vom BKM und der MFG Baden-Württemberg unterstützt, und so versicherte sich der Verleih der Streamingfreigabe. Der Film ist ausschließlich zur Ausleihe verfügbar. Je 1 Euro von der Leihgebühr von 7,99 Euro geht dabei an die FFA, die ihrerseits wiederum damit den Kinos helfen möchte. Die klassische DVD-etc.-Auswertung wird erst im Februar 2021 beginnen.
„Eine Geschichte von drei Schwestern“ von Emin Alper sollte ursprünglich im März 2020 ins Kino kommen. Grandfilm musste den Berlinale-Titel von 2019 verschieben und brachte ihn schließlich Anfang Juni ins Programm. Nach eigenen Aussagen des Verleihs kam der Film auch bei KinomacherInnen gut an. Nun ist der Titel exklusiv auf dem VoD-Channel des Verleihs verfügbar. Unseren Tipp kann man hier nachlesen.
Mindjazz Pictures bemängelt in einem Newsletter das Fehlen von Corona-Fördermitteln für Filmverleiher. Sie sind darum auf direkte Hilfe durch zum Beispiel Käufe auf ihrer Seite angewiesen: „Die hohen Herausbringungskosten, die mit einem Filmstart einhergehen, schieben wir vor uns her. Bis dahin wollen wir uns sehr herzlich bei all den Menschen bedanken, die uns durch Einkäufe in unserem Shop unmittelbar unterstützt haben.“ So weit der Newsletter. In der Vorweihnachtszeit, genauer gesagt bis zum 18. Dezember, bekommt man in dem Shop von Mindjazz Pictures Rabatte. Neu im Streaming-Programm ist eine Natur-Dokumentation aus dem letzten Jahr: „The Whale and the Raven“. Zum Kinostart hatte ich in unserer „cinearte“-Ausgabe den Film kurz vorgestellt: „The Whale and the Raven“ ist eine meditative Betrachtung der Natur der Fjorde Westkanadas, Heimat von Buckel – und Finnwalen. Janie Wray und Hermann Meuter haben sich der Erforschung ihrer Lebensweisen verschrieben. Die Regisseurin Mirjam Leuze zeigt auch den Kampf der First Nations gegen die von Menschen verusachten Zerstörung dieses Lebensraums auf.
Ende August hatten wir in unserer Kolumne die biographische Dokumentation über Dr. Ruth, „Fragen sie Dr. Ruth“, vorgestellt. Meine Besprechung kann man hier nachlesen. Der Verleih und Vertrieb Filmwelt bringt den Titel jetzt am 3. Dezember in die DVD-Auswertung. Die Empfehlung wiederholen wir gerne. Und was gibt es an Neuzugängen?
Weihnachten nähert sich, und nicht alle Verleiher mit Weihnachtsfilmen im Gepäck möchten die Saison verstreichen lassen. Da ist „Fatman“ vom Verleih Splendid. Ursprünglich sollte der 10. Dezember der Starttag sein. Angesichts des Lockdowns zieht man den Kinoeinsatz ganz zurück und weicht statt dessen auf den digitalen Einsatz aus, das sogar schon zum 4. Dezember. Schon mal das Falsche zu Weihnachten bekommen? Oder gar nichts? Das kann fürs Leben traumatisieren. „Fatman“ ist eine düstere Satire, eine Aktionkomödie mit schwarzen Humor. Eigentlich ist vorgesehen, dass die Geschenkeindustrie die Wirtschaft am Laufen hält, quasi Regierungsauftrag. Allerdings stammen diese alle aus einer Werkstatt. Die von Santa Claus, so als Einschub. Wenn also unartige Kinder nichts bekommen und es immer mehr von der Sorte gibt, dann läuft das Geschäft schlecht. Militäraufträge sollen den Laden am Laufen halten. Ein problematisches Unterfangen, zu verschieden sind die Welten des Militärs und der Elfen. In „Fatman“ gibt es eigentlich nur vier Figuren, auf die es ankommt und nur Frau Weihnachtsmann (Marianne Jean-Baptiste) ist eine Seele von Mensch. Chris, also Santa, ist ein mürrischer Grantler, irgendwo in der drögen Einöde mit Postamt und Kneipe. Chris allerdings ist Mel Gibson mit Leib und Bart und darum wirkt es, als wäre ein Actionheld ausgelaugt und müde auf den Posten gehievt worden, damit einer den Job am laufen hält. „Fatman“ von Eshom Nelms und Ian Nelms (“Small Town Crime“) haben eine Anti-Wohlfühlkomödie gedreht. Ein fieser Bengel (Chance Hurstfield), der seine Umwelt terrorisiert und stets seinen Willen bekommt und sich mit einem Stück Kohle als Geschenk nicht zufrieden geben will, schickt seinen persönlichen, namenslosen Auftragsmörder (Walton Goggins) los, der soll Santa platt machen. Ihm ist das, der eh ein persönliches „Ich bin als Kind zu wenig geliebt worden“-Trauma hat, ein besonderes Anliegen. „Fatman“ ist eine Satire, ein Anti-Weihnachtsfilm. Mehr in der Tradition der Coen-Brüder und kein bißchen Disney.
Es hat sich viel getan für die Pferde, die in der Großstadt für die Kutschbetriebe malochen. In Berlin hat man im Mai 2019 die Leitlinien für den Einsatz dieser Pferde justiert. Einsatzstunden, Pausen und, ganz wichtig, ab 30 Grad Hitze ist der Kutschbetrieb einzustellen. Warum gibt es überhaupt noch Pferdekutschen in Großstädten? Asphaltboden, Lärm, schlechte Luft und so weiter. Das Los der Pferde, nicht nur zur Touristenbespaßung sondern unter anderem in der Landwirtschaft muss im 19. Jahrhundert wahrlich schlimm gewesen sein. Dagegen schrieb die Autorin Anna Sewell in ihrem berühmtesten (und einzigen) Roman „Black Beauty: Die Autobiografie eines Pferdes“ an. Welch Ironie, dass nicht die Kritik den Erfolg bescherte, sondern der Erfolg kam als Jugendroman. Verfilmt wurde der Stoff immer wieder mal. Nicht wirklich neu an der Neuverfilmung (hier der Trailer) ist dann unter anderem, dass Black Beauty weiblich ist. Die Adaption von Ashley Avis („Deserted“) in der Funktion Regie, Drehbuch und Schnitt, ist tatsächlich eine Autobiografie, will heißen eine Erzählstimme begleitet die spärliche Handlung rundum. Immerhin konnte das Filmteam Kate Winslet in der Rolle besetzen, zumindest in der Originalfassung. Die Handlung wurde in die USA verlegt. Black Beauty, ein Mustang, ist etwas zu neugierig, was sich jenseits der Weiden ihrer Herde befindet und lockt somit die Wildfänger an. Die Handlung ist auch hier als Reigen angelegt. Black Beauty fügt sich erst in ein Leben in Gefangenschaft ein, als sie Jo Green, gespielt von Mackenzie Foy (“Interstellar“) begegnet, die ihre Eltern ebenfalls verloren hat. Ich verrate ja nichts, es geht darum, dass das Schicksal eines Tieres davon abhängt, in welche Hände es gerät. Da gibt es gute Menschen und es gibt schlechte Menschen. In dem Sinne gibt es in der Neuverfilmung keine Ambivalenzen. Die Handlung spielt war in den USA, gedreht wurde aber überwiegend in Südafrika, übrigens in Ko-Poduktion mit der Constantin Film. Trotzdem landete der Film dann exklusiv bei Disney+, wo er seit dem 27. November verfügbar ist. Übrigens die Constantin Film hat auch die „Ostwind“-Filme herausgebracht, und passend werden diese Woche die vier Filme als Box präsentiert.
Das letzte Spiel ist immer das entscheidende. Aber ich will nicht vorgreifen. „La partida“ heißt die kubanisch-spanische Koproduktion von 2013. Das Match also. Der Verleih Salzgeber brachte das Drama 2014 ins Kino. 2016 lief der Film auf dem Fußballfilmfestival „11mm“. Regisseur und Co-Autor ist Antonio Hens („Clandestinos“), Co-Drehbuchautor ist Abel González Melo, die Kamera führte Yanelvis González und Raúl Rodríguez. „Das letzte Spiel“ ist die Liebesgeschichte von Reinier (Reinier Diáz) und Yosvani (Milton García). Es könnte so einfach sein, aber die Armut verleiht sicherlich keine Flügel. Reinier ist Fußballer. Das Spiel wäre seine Chance, aber vielleicht auch nicht. Nachts treibt er sich am Malecón herum, wie viele andere. Ein reicher Freier bedeutet Einkommen. Das Schicksal führt ihn mit einem Mann zusammen, der ihn sogar in seine Heimat mitnehmen würde. Reinier stellt immer wieder klar, er sei nicht schwul. Die Freundschaft mit Yosvani ändert seine Haltung zu seiner Sexualität. Nicht Schlag auf Fall, aber da entwickelt sich was. Aber Yosvani ist genauso arm dran, wie Reinier. Hens und sein Kamerateam bleiben nahe an den Figuren dran, zeigen sie in ihrem Milieu, zeigen aber auch die wachsende Intimität der beiden. Frei in ihren Möglichkeiten sind die beiden nicht, sie werden es nie sein. Sehenswert ist denn auch eher das Spiel der beiden Hauptdarsteller, auch wenn man ahnt, was passieren wird.
„Schuss in der Nacht – Die Ermordung Walter Lübckes“. Zuerst weckt der Titel die Assoziation, es handele sich um einen Krimi. Der Titelzusatz stellt aber mit aller Deutlichkeit klar, worum es geht. Es geht um den Tatbestand Mord. Es geht um die Aufklärung, und die damit verbundenen Hürden, und es geht um die Wirkung der Tat. Die Tat ereignete sich in der Nacht vom 1. auf den 2. Juni 2019. Zeitgeschichtlich ist diese Tat noch derart präsent, dass man wohl kaum erklären muss, wer Walter Lübcke war, wie er zu Tode kam, und wer der Täter ist. Wobei, da fängt es doch an. Wir wissen, wer den Schuss abgegeben hat. Der Täter hat ein Geständnis abgelegt. Mit einem Verhör setzt auch der Film von Raymond Ley ein, der das Drehbuch und Konzept zusammen mit Hannah Ley schrieb. Die Vorlage stammt dabei von Dirk Eisfeld. Raymond Ley („Lehman. Gier frisst Herz“) wählt die Form, die ihm nahe ist: das Doku-Drama. Er spielt mit Robin Sondermann in der Rolle des Täters und mit Joachim Król und Katja Bürkle in den Rollen der Ermittler die Verhöre und Tatortbegehungen durch. Er setzt die Angaben des Täters (der Name ist mit einem Klick recherchierbar, ich nenne ihn trotzdem nicht) und die Ermittlungen dann aber in Bezug zu den Aussagen von Zeitzeugen. Inwiefern die Corona-Zwänge die Produktion beeinflusst haben, kann ich nur mutmaßen. Die Zeitzeugen-Interviews wurden weitgehend Ende 2019 und Anfang 2020 und im Juni 2020 abgedreht. Die Spielfilmszenen dagegen wurden im August dieses Jahres gedreht. Der Stab und das Cast ist aufs nötigste beschränkt, was den Szenen eine gewisse unaufgeregte Konzentrierung und Nüchternheit gibt. Der Prozess selbst dauert noch an. Darum stützt sich das Konzept hauptsächlich auf die Protokolle des ersten Geständnisses.
Im dramatugrischen Mittelpunkt stehen dann auch nicht die Verhörszenen und die Erzählungen von Kollegen, Freunden, Wegbegleitern von Walter Lübcke aus Politik und Gesellschaftsleben, sondern die Bürgerversammlung in Lohfelden im Herbst 2015, zu einer Zeit der Flüchtlingsaufnahmen in Deutschland, in der Lübcke für die Werte, die die Demokratie in Deutschland ausmachen, einstand, die ihn aber zur Zielscheibe der Rechtsextremen machte. Das Filmteam spricht auch mit Zeitzeugen, die damals anwesend waren. Das Paar Ley setzt hier einen Schwerpunkt und verstärkt die Worte Lübckes, die unser aller Aussage sein sollte, ins Vielfache. Auch um eine Menge, die unsere Gesellschaft ausmacht, anzusprechen. Im Presseheft formuliert die Redakteurin des mitproduzierenden Hessischen Rundfunks, Esther Shapira, es so: „Das schleichende Gift der Angst lässt Menschen verstummen, andere schweigen aus Gleichgültigkeit, fühlen sich nicht gemeint. Das Schweigen der Mehrheit aber wird als Zustimmung missbraucht. An diese Mehrheit wendet sich unser Film vor allem. Die Botschaft lautet: Die Ermordung Walter Lübckes geht uns alle an, jede und jeden Einzelne*n, direkt und unmittelbar. Wir können die Verteidigung unserer offenen, liberalen Gesellschaft nicht delegieren.“
Weitere Tipps in dem zweiten Teil der Kolumne.
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