Über die Vorzüge der Meinungsverschiedenenheit: Jeder hat seine Pandemie – Apokalyptiker & Integrierte – Gedanken in der Pandemie 30.
„Haben wir überreagiert? Haben wir es übertrieben?“ Markus Lanz, 22. April 2020
„In Notfällen wird man nicht mit Diskussionen anfangen. Aber gleich danach geht es darum, dass man so etwas, was nicht in unseren Körpern steckt, wie die Verfassung, dass man das wieder in Erinnerung ruft. Das ist etwas ganz Wichtiges. […] Es gibt eine Verhältnismäßigkeit.“
Alexander Kluge, Jurist, Autor und Filmemacher
Gestern musste alles allzuschnell fertig werden, darum hatte ich vergessen, die Links zu setzen. Denn selbstverständlich gibt es einen Link zu der englischsprachigen Fassung des wunderbaren Textes von chinesischen Regisseur Jia Zhang-ke. Der steht beim „Filmkrant“ in den Niederlanden.
+++
Auch ein deutscher Filmregisseur hat sich jetzt als erster zu Wort gemeldet. Klarerweise der schnellste und jüngste von allen, der gerade mal 88 Jahre junge Alexander Kluge.
Im Deutschlandfunk sprach er über sein gemeinsames Buch, das er mit Ferdinand von Schirach in den letzten Wochen geschrieben hat. Neben der Frage nach der Verhältnismäßigkeit von Einschränkungen und Opfern geht es darum, ob nach der Krise die Dinge überhaupt anders werden sollen. „In der Krise gibt es so etwas wie eine Sehnsucht, dass es doch eine bessere Welt gebe“, sagt Kluge.
+++
Warum kommt der substanziellste Grundsatzbeitrag von einem 88-jährigen? Warum ist kein anderer aus der Filmbranche bisher darauf gekommen, dass man die Systemrelevanz des eigenen Schaffens am Besten dadurch belegen könnte, dass man etwas Systemrelevantes tut? Ich meine jetzt nicht, im Krankenhaus aushelfen, oder Masken basteln, das können andere besser. Sondern denken, schreiben, filmen …
https://out-takes.de/wp-content/uploads/2019/11/out_takes_logo01.jpg00Rüdiger Suchslandhttps://out-takes.de/wp-content/uploads/2019/11/out_takes_logo01.jpgRüdiger Suchsland2020-05-07 10:06:142020-05-07 10:06:14Gedanken in der Pandemie 30: Politische Diversity
Die Kulturschaffenden haben’s in der Krise schwer, für die auf Projektdauer Angestellten sieht das Hilfsangebot noch etwas enttäuschender aus. Wie es ihnen geht, was sie bekommen und was sie bräuchten, versuchte eine Umfrage zu ermitteln. Die Ergebnisse stellen wir heute vor.
Wir danken Ihnen für Ihre Informationen, Ergänzungen und Korrekturen, Fragen und Kommentare. Und bitten um Verständnis, wenn wir nicht alle persönlich beantworten können.
Der Schauspieler Thommi Baake hat seine Corona-Zuhause-Zeit in einen Song gepackt – die Musik stammt von The Knack: „Dieses Video kostete so viel, wie ich als Künstler gerade verdiene.“
In der Krise sind viele Filmschaffende in einer besonders prekären Situation: Wer auf Projektdauer angestellt ist, kann mitunter aufs Kurzarbeitsgeld setzen, doch all jenen, die zwischen zwei Projekten standen, bleibt lediglich das Arbeitslosengeld, oft in der „Grundsicherungs“-Version 2.Doch wie viele sind das überhaupt? Wie stark sind sie betroffen? Welche Maßnahmen wurden bereits ergriffen, welche versprechen Erfolg und was ist wünschenswert für eine Bewältigung der Krise? 1.145 Filmschaffende haben sich vom 23. bis 26. April an einer Umfrage beteiligt, initiiert von Alexander Spohn, Administrator der Interessengemeinschaft Licht und Bühne München. Die Ergebnisse in sieben Punkten:
1. Gegenwärtige Vertragssituation:
25,8% der auf Produktionsdauer beschäftigten Filmschaffenden steht zurzeit unter Vertrag. 22,1% haben einen Vertrag, der zwischenzeitlich ausgelaufen ist oder noch auslaufen wird (Spohn: „Erfreulicherweise wurden nur 7% aller Verträge gekündigt“). 30% hat eine mündliche Absprache oder ein so genanntes Dealmemo für ein geplantes Projekt. 11,9% haben im Zeitraum der Krise keinen Vertrag.
2. Unterbrochene Projekte (bei dieser Frage waren mehrere Antworten zur Auswahl möglich):
21,7% haben ein Vertragsverhältnis, das bis zur Wiederaufnahme des Drehs bestehen bleibt. 14,0% der Vertragsverhältnisse werden hingegen nicht aufrechterhalten. 34,4% sind zu einer Wiederaufnahme des Drehs (und somit dem Fortbestand des Vertragsverhältnisses) noch unklar. 31,1% wurde frühestens zur Wiederaufnahme des Projekts ein erneuter Vertrag angeboten.
Auch Bayern macht sich morgen etwas lockerer. Normaler soll alles wieder werden in Deutschland. Also wie früher, vor dem Virus. Als systemrelevante Berufe noch unterbezahlt und überarbeitet waren. Und auch die Filmschaffenden dürfte in der neuen Normalität nichts wirklich Neues erwarten, folgern wir aus der ersten Erfahrung eines*r Filmschaffenden. Morgen beginnt auch das Dokfest München. Wie das online funktionieren soll, erklärt Festivalleiter Daniel Sponsel in einem Gastbeitrag.
Wir danken Ihnen für Ihre Informationen, Ergänzungen und Korrekturen, Fragen und Kommentare – auch wenn wir nicht alle persönlich beantworten können.
Das Kurzarbeitergeld (KUG) ist eine neue Errungenschaft in der Filmbranche – und offenbar gibt es da noch unterschiedliche Auslegungen. Vor einer „Fehlinterpretation“ warnen jedenfalls heute mehrere Berufsverbände: Einige Produktionen hätten inzwischen das in den Verträgen genannte „voraussichtliche“ Ende des Projekts erreicht; manche davon meldetenihre Mitarbeiter aus dem KUG ab, weil die projektbefristeten Verträge „ausgelaufen“ seien.
Der neue Kurzarbeit-Tarifvertrag für zwischen der Produzentenallianz und Verdi ist da unklar. Dort heißt es, dass die Tarifpartner davon ausgehen, dass sich Produktionsfirmen und Filmschaffende einigen, wenn die „Laufzeit des individuellen Arbeitsvertrages während der Kurzarbeit endet“. Dem widersprechen die fünf Berufsverbände und die Künstlerkanzlei Schmidt-Hug: Bei den Verträgen handele es sich typischerweise um „zweckbefristete“ Arbeitsverträge. Und die enden erst, wenn der Zweck erreicht ist – also die Herstellung des Films.
„Seit jeher“ hätten Filmschaffende zum Beispiel bei widriger Witterung oder Erkrankung von Schauspieler*innen über das „voraussichtliche“ Ende der Verträge hinaus gearbeitet, heißt es in der Pressemitteilung: „Auch wenn derzeit die Unterbrechung der Dreharbeiten länger andauert als manche Schauspielererkrankung, bleiben die Verträge bestehen und Verträge sind einzuhalten.“
Außerdem diene das KUG der Arbeitsplatzerhaltung. Es auslaufen zu lassen, gehe daran vorbei. Voraussetzung für die Zahlung von KUG sei, dass der Arbeitsausfall nur „vorübergehend“ und innerhalb der Bezugsdauer wieder mit dem Übergang zur Regelarbeitszeit zu rechnen ist. „Produktionsfirmen, die kündigen, riskieren die Rückzahlung der Förderbeträge“, warnen die Verbände von Regie (BVR), Kinematografie (BVK), Montage (BFS), Szenen- und Kostümbild (VSK) und die Assistant Directors Union (ADU). Um die Verwirrung auszuräumen, haben sich die Berufsverbände mit der Künstlerkanzlei mit der Bitte um Klarstellung an das Bundesarbeitsministerium gewandt. Nach ihrer Darstellung könnten nach den KUG-Regelungen sogar zeitlich befristete Verträge darüber hinaus fortgeführt und Kurzarbeitergeld beantragt werden. Das können aber nicht die Filmschaffenden selbst, sondern nur die Arbeitgeber. Daher sähen sich Filmschaffende nun „veranlasst, vertragliche Gagenansprüche geltend zu machen, damit die Produzenten weiterhin KUG beantragen. Zudem haben bereits zahlreiche betroffene Filmschaffende entsprechender Produktionen nun auch Klage auf Feststellung der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses eingelegt.“
Alles locker, Schulter an Schulter, steht auf, wenn ihr Cinephile seid: Apokalyptiker & Integrierte – Gedanken in der Pandemie 29.
„Das Kino ist in existenzieller Gefahr.“
Ulrich Matthes, Schauspieler, Präsident der Deutschen Filmakademie
Jia Zhang-ke – wisst ihr, liebe Leser, wer das ist? Keine Schande, wenn man das nicht weiß, könnte man aber. Dieser Jia Zhang-ke ist einer der wichtigsten Regisseure der Welt, einer der führenden chinesischen Regisseure und hat schon einen „Goldenen Löwen“ (2006) in Venedig gewonnen und andere große Preise. Ein Angehöriger der sogenannten „Sechsten Generation“ des chinesischen Kinos, das immer noch in Generationen geordnet wird. Die Sechste Generation, das sind jene Filmemacher die zwischen Anfang und Ende der 1960er-Jahre geboren sind und deswegen im Studentenalter waren, als 1989 die Studentenproteste am Tiananmen-Platz blutig niedergeschlagen wurden. Jeder, der das am Fernsehschirm erlebt hat, hat es nicht mehr vergessen. Diese Erfahrungen gehen in die Filme der Sechsten Generation ein. Was sie unterscheidet von der Fünften Generation“, von Regisseuren wie Zhang Yimou („Das Rote Kornfeld“) und Chen Kaige („Lebewohl meine Konkubine“), das ist, dass diese Filmemacher zum einen aus dem China von heute erzählen und fast nie Historienfilme drehen („Kostümfilme“ will ich nicht mehr sagen, neulich bekam ich die Post einer netten Leserin, die mich ganz zu Recht darauf hingewiesen hat, dass ja jeder Film ein Kostümfilm sei. Überraschenderweise war diese Leserin übrigens Kostümbildnerin.). Und sie arbeiten sehr dokumentarisch.
Im „Filmkrant“, einer ziemlich guten niederländischen Filmzeitschrift, einer Art „Cahiers de Cinéma“ aus unserem Nachbarland Frankreich, hat der Regisseur jetzt einen Text zu Corona veröffentlicht. Er erzählt, wie er am 4. März zurück nach Peking geflogen kam, direkt von der Berlinale. Alle, die damals zurückkamen, waren gezwungen, sich in eine 14-tägige Selbstquarantäne zu begeben. Und Jia schreibt:
https://out-takes.de/wp-content/uploads/2019/11/out_takes_logo01.jpg00Rüdiger Suchslandhttps://out-takes.de/wp-content/uploads/2019/11/out_takes_logo01.jpgRüdiger Suchsland2020-05-05 21:50:052020-05-05 21:20:43Gedanken in der Pandemie 29: Die schönste Geste der Menschheit
Morgen beginnt das Dokfest München. Ein Filmfestival online – geht das überhaupt? Auf jeden Fall wird es neue Erkenntnisse und Fragen bringen, meint der Festivalleiter Daniel Sponsel.
Das Dokfest München hat in den vergangenen Jahren einen enormen Zuwachs an Publikum zu verzeichnen, der weit über das übliche Potential der regulären Auswertung von Dokumentarfilmen im Kino hinausgeht. Dafür gibt es zwei Gründe: Einerseits bietet das Dokfest alle Attraktivitäten einer solchen Veranstaltung, ein sorgfältig kuratiertes und exklusives Filmprogramm: Reihen, Wettbewerbe und Preise, begleitet von Filmgesprächen mit Gästen aus der ganzen Welt. Anderseits gelingt es dem Festival, diverse spezifische Zielgruppen mit hohem Einsatz und individueller Ansprache für sich zu gewinnen. Das Dokfest München 2020 kann aufgrund der Maßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung des Coronavirus in diesem Jahr nicht regulär an den vertrauten Spielorten stattfinden und wagt den Schritt ins Netz mit einer Online-Edition. Wesentlich sind die Fragen nach der Bedeutung und dem Erfolg dieses Projekts und die Erkenntnisse die sich im Falle eines Erfolges oder eines Misserfolges daraus für die Branche gewinnen lassen.
Wer schon einmal mit uns die Eröffnung des Dokfest München im Deutschen Theater erlebt hat, ist um ein Filmerlebnis reicher und weiß um die pure Energie, die entsteht wenn 1.500 Menschen gemeinsam emotionale Momente teilen, lachen oder berührt sind. Der Dokumentarfilm beweist in diesem Saal Jahr für Jahr, dass er gleichermaßen verbriefte Wirklichkeit und ein Kinoerlebnis ist. Aktuell wäre leider keinem Kino geholfen, wenn das Dokfest einfach ausfallen würde. Die Online-Edition des Festivals ist kein Statement gegen die Filmkunst im Kino, sondern ein Lebenszeichen für diese außergewöhnlichen Dokumentarfilme überhaupt, die jenseits des Festivals nirgendwo zu sehen sein würden.
https://out-takes.de/wp-content/uploads/2019/11/out_takes_logo01.jpg00Daniel Sponselhttps://out-takes.de/wp-content/uploads/2019/11/out_takes_logo01.jpgDaniel Sponsel2020-05-05 20:09:482020-05-05 20:09:48Dokfest München: Nur das Kino kann, was das Kino kann
Leichter gesagt, als getan: Die Angst vor dem Tod ist die Angst vor dem Leben: Apokalyptiker & Integrierte – Gedanken in der Pandemie 28.
„Und scheint die Sonne noch so schön, am Ende muss sie untergehn.“
Heinrich Heine
Die Stimmung kippt gerade. Gestern wurden erste größere Teile der Ausnahmezustandsregelungen in einzelnen Bundesländern aufgehoben, in Niedersachsen wird man Gaststätten öffnen; jetzt beginnt der allgemeine Wettbewerb zwischen den Bundesländern. Nur die Kanzlerin scheint sich noch zu sträuben. Aber der Druck wächst.
+++
Bibiana Beglau gehört zu denen, die mir das blogfreie lange Erster-Mai-Wochenende ungemein versüßt haben. In der DLF-Reihe „Klassik Pop etcetera“ hat sie eine Stunde lang Musik und damit sich selbst und ihren überaus exquisiten Geschmack vorgestellt. Schon der Auftakt mit „Popcorn“ von Hot Butter war der Wahnsinn, vielleicht auch nur für mich, da das auch für mich eines der Schlüssellieder meiner Kindheit und eine Madeleine zur Reise ins Reich meiner ersten Erinnerungen ist.
Dazu philosophierte Beglau gescheit über den „Rettungsanker Musik“, erzählte vom Theater und sich selbst, und machte schöne Anmerkungen über die Rebellin Peaches: „Peaches ist eine wichtige Kämpferin dafür, dass man sich nach der Toilette nicht die Hände waschen gehen muss, eine, die der Vorstellung ,Ach, so bleiben wir immer eine saubere Gesellschaft’ […] den Tritt in die Fresse“ gibt. „Da hat sie meine tiefe Bewunderung dafür, dass immer wieder Gesellschaft lustvoll und scharf hinterfragt wird.“
Aber nicht jetzt. Weiter mit Bibiana Beglau. Sie erklärte auch warum Jörg Fauser und Rolf Dieter Brinkmann ein anderes Deutschland repräsentierten als viele Künstler, ein besseres Deutschland, und eine Kunst, die nicht vom schönen sauberen Minnegesang herkommt. „Sondern von einer Bar“. Allein wegen der Stimme Fausers in einem Musik-Stück, das sein Gedicht „Zu den Fragen der Zeit“ untermalt, und in dem er mit Frankfurter Dialekt ein bisschen klingt wie Uwe Ochsenknecht, lohnt es sich, den Link anzuklicken – unbedingt nachhören!!!
https://out-takes.de/wp-content/uploads/2019/11/out_takes_logo01.jpg00Rüdiger Suchslandhttps://out-takes.de/wp-content/uploads/2019/11/out_takes_logo01.jpgRüdiger Suchsland2020-05-05 10:34:322020-05-06 12:22:48Gedanken in der Pandemie 28: „Ein Tritt in die Fresse“
„Die Länder machen sich locker“, meldet heute „Der Spiegel“. Auf der Suche nach der verlorenen Normalität versucht sich die Bundesrepublik in neuer Unübersichtlichkeit.Das ist auch in Meldungen aus der und über die Branche das vorherrschende Thema: Wann kann wieder gedreht werden – und wie?
Wir danken Ihnen für Ihre Informationen, Ergänzungen und Korrekturen, Fragen und Kommentare. Und bitten um Verständnis, wenn wir nicht alle persönlich beantworten können.
Wer nochmal lachen mag: Sebastian Pufpaffs humoristische Corona-Sendung „Noch nicht Schicht“ geht leider schon zu Ende. Zum Abschied und zum ersten Mal im internationalen Fernsehen gab Covid-19 hier ein exklusives Interview, um seine Sicht der Dinge darzustellen: „Nicht ich bin hier das Arschloch!“
Nach sechswöchiger Unterbrechung rührt sich wieder was im Filmdorf Lansing. Die Dreharbeiten an der Serie „Dahoam is Dahoam“ gehen weiter – natürlich mit Hygienekonzept und Schutzvorkehrungen. Eine immense Herausforderung für alle, die an der Produktion beteiligt sind.
Trotz Corona sollen viele Dreharbeiten fortgeführt werden. Dafür müssen Skripts umgeschrieben und hohe Sicherheitsstandards eingehalten werden. Produktionen werden zur teuren Wackelpartie. Doch die Projekte aufzugeben, wäre finanziell desaströs. Studio-Hamburg-Produktionschef Michael Lehmann im Gespräch im Deutschlandradio.
Schauspieler über 60 werden aus den Drehbüchern geschrieben: Die Schauspielerin Renan Demirkan berichtet von Absagen an Ältere, weil sie zur Risikogruppe gehörten. Sie wendet sich in einem Offenen Brief an Armin Laschet.
Regieanweisungen aus dem Smartphone: So erfinderisch macht Corona – was die TV-Projekte „4 Wände Berlin“ und „Liebe. Jetzt!“ verbindet, erklärt der „Tagesspiegel“.
Wer sich nicht fürchtet ist Verräter, Castorf ist infantil, und Distanz ist was für Reiche: Apokalyptiker & Integrierte – Gedanken in der Pandemie 27.
„Ich zweifle daran, dass im Augenblick der Nutzen dem Aufwand entspricht. […] Mich stört in der momentanen Krise der Grad der Ideologisierung. Schon die Worte ,Lockdown’ und ,Shutdown’ machen mich bösartig. In einer Zeit von massiver Migration und Klimawandel und sozialer Not fängt jede Nachrichtensendung, jeder Zeitungsartikel mit der Worthülse ,In Zeiten von Corona …’ an. Für mich ist das eine Kampagne.“ Frank Castorf
„Bis vor Kurzem war dort der Hauptfeind der alte weiße Mann. Sehr viele junge Menschen, die gerade ihr Theaterwissenschaftsstudium hinter sich hatten, waren der Meinung, der alte weiße Mann sollte möglichst schnell verrecken. Jetzt ist das Virus da, und auch in den Theatern finden plötzlich alle, jeder Alte, auch wenn er über 80 Jahre und ein Mann ist, sollte um jeden Preis geschützt werden.“ Frank Castorf
„Wenn ihr mich braucht, schickt mir ein Zeichen. Ich werde da sein.“
„Batman“/Sebastian Pufpaff
Social Distancing ist eine Reiche-Leute-Idee – sage nicht ich, sondern Menschen in Pakistan. Dort können sich die Armen nämlich Distanz schlicht und einfach nicht leisten. Der Raum ist knapp. Die Forderung nach Abstandhalten klingt absurd. Darüber spricht der der Journalist und Autor Hasnain Kazim im Deutschlandfunk.
Der Begriff „Social distancing“ ist eh gehobener Schwachsinn, denn es geht ja eigentlich um körperliche Distanz, die gerade sozial sein soll. Aber es erzählt etwas über unser kollektives Unbewusstes, dass wir es weltweit so genannt haben.
In Pakistan aber funktioniert beides nicht. Zehn oder zwanzig andere Menschen leben da unter einem Dach, man teilt sich denselben Raum zum Schlafen, Kochen, Essen und Wohnen. Dicht an dicht stehen und gehen die Menschenmengen. „Social distancing“, erklärt ein Pakistani, „ist das Gegenteil unserer Kultur!“ Denn nur die Nähe zu anderen sichert den Armen das Überleben.
https://out-takes.de/wp-content/uploads/2019/11/out_takes_logo01.jpg00Rüdiger Suchslandhttps://out-takes.de/wp-content/uploads/2019/11/out_takes_logo01.jpgRüdiger Suchsland2020-04-30 23:08:272020-04-30 23:08:27Gedanken in der Pandemie 27: Die verordnete Angst
Gedanken in der Pandemie 30: Politische Diversity
Rüdiger Suchsland, Unsere Gäste„In der Krise gibt es so etwas wie eine Sehnsucht, dass es doch eine bessere Welt gebe“, sagt Alexander Kluge, mit 88 Jahren der schnellste und jüngste unter den deutschen Filmregisseuren. | Foto © Alexander Kluge
Über die Vorzüge der Meinungsverschiedenenheit: Jeder hat seine Pandemie – Apokalyptiker & Integrierte – Gedanken in der Pandemie 30.
„Haben wir überreagiert? Haben wir es übertrieben?“
Markus Lanz, 22. April 2020
„In Notfällen wird man nicht mit Diskussionen anfangen. Aber gleich danach geht es darum, dass man so etwas, was nicht in unseren Körpern steckt, wie die Verfassung, dass man das wieder in Erinnerung ruft. Das ist etwas ganz Wichtiges. […] Es gibt eine Verhältnismäßigkeit.“
Alexander Kluge, Jurist, Autor und Filmemacher
Gestern musste alles allzuschnell fertig werden, darum hatte ich vergessen, die Links zu setzen. Denn selbstverständlich gibt es einen Link zu der englischsprachigen Fassung des wunderbaren Textes von chinesischen Regisseur Jia Zhang-ke. Der steht beim „Filmkrant“ in den Niederlanden.
+++
Auch ein deutscher Filmregisseur hat sich jetzt als erster zu Wort gemeldet. Klarerweise der schnellste und jüngste von allen, der gerade mal 88 Jahre junge Alexander Kluge.
Im Deutschlandfunk sprach er über sein gemeinsames Buch, das er mit Ferdinand von Schirach in den letzten Wochen geschrieben hat. Neben der Frage nach der Verhältnismäßigkeit von Einschränkungen und Opfern geht es darum, ob nach der Krise die Dinge überhaupt anders werden sollen. „In der Krise gibt es so etwas wie eine Sehnsucht, dass es doch eine bessere Welt gebe“, sagt Kluge.
+++
Warum kommt der substanziellste Grundsatzbeitrag von einem 88-jährigen? Warum ist kein anderer aus der Filmbranche bisher darauf gekommen, dass man die Systemrelevanz des eigenen Schaffens am Besten dadurch belegen könnte, dass man etwas Systemrelevantes tut? Ich meine jetzt nicht, im Krankenhaus aushelfen, oder Masken basteln, das können andere besser. Sondern denken, schreiben, filmen …
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Corona: Brancheninfo 35
out takes, Peter HartigKinos im Stillstand 5: Das „Cinema Paris“ in Berlin. | Foto © Elisabeth Nagy
Die Kulturschaffenden haben’s in der Krise schwer, für die auf Projektdauer Angestellten sieht das Hilfsangebot noch etwas enttäuschender aus. Wie es ihnen geht, was sie bekommen und was sie bräuchten, versuchte eine Umfrage zu ermitteln. Die Ergebnisse stellen wir heute vor.
Wir danken Ihnen für Ihre Informationen, Ergänzungen und Korrekturen, Fragen und Kommentare. Und bitten um Verständnis, wenn wir nicht alle persönlich beantworten können.
Der Schauspieler Thommi Baake hat seine Corona-Zuhause-Zeit in einen Song gepackt – die Musik stammt von The Knack: „Dieses Video kostete so viel, wie ich als Künstler gerade verdiene.“
In der Krise sind viele Filmschaffende in einer besonders prekären Situation: Wer auf Projektdauer angestellt ist, kann mitunter aufs Kurzarbeitsgeld setzen, doch all jenen, die zwischen zwei Projekten standen, bleibt lediglich das Arbeitslosengeld, oft in der „Grundsicherungs“-Version 2. Doch wie viele sind das überhaupt? Wie stark sind sie betroffen? Welche Maßnahmen wurden bereits ergriffen, welche versprechen Erfolg und was ist wünschenswert für eine Bewältigung der Krise? 1.145 Filmschaffende haben sich vom 23. bis 26. April an einer Umfrage beteiligt, initiiert von Alexander Spohn, Administrator der Interessengemeinschaft Licht und Bühne München. Die Ergebnisse in sieben Punkten:
1. Gegenwärtige Vertragssituation:
25,8% der auf Produktionsdauer beschäftigten Filmschaffenden steht zurzeit unter Vertrag.
22,1% haben einen Vertrag, der zwischenzeitlich ausgelaufen ist oder noch auslaufen wird (Spohn: „Erfreulicherweise wurden nur 7% aller Verträge gekündigt“).
30% hat eine mündliche Absprache oder ein so genanntes Dealmemo für ein geplantes Projekt.
11,9% haben im Zeitraum der Krise keinen Vertrag.
2. Unterbrochene Projekte (bei dieser Frage waren mehrere Antworten zur Auswahl möglich):
21,7% haben ein Vertragsverhältnis, das bis zur Wiederaufnahme des Drehs bestehen bleibt.
14,0% der Vertragsverhältnisse werden hingegen nicht aufrechterhalten.
34,4% sind zu einer Wiederaufnahme des Drehs (und somit dem Fortbestand des Vertragsverhältnisses) noch unklar.
31,1% wurde frühestens zur Wiederaufnahme des Projekts ein erneuter Vertrag angeboten.
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Corona: Brancheninfo 34
out takes, Peter HartigKinos im Stillstand 4: Das „Odeon“ in Berlin. | Foto © Elisabeth Nagy
Auch Bayern macht sich morgen etwas lockerer. Normaler soll alles wieder werden in Deutschland. Also wie früher, vor dem Virus. Als systemrelevante Berufe noch unterbezahlt und überarbeitet waren. Und auch die Filmschaffenden dürfte in der neuen Normalität nichts wirklich Neues erwarten, folgern wir aus der ersten Erfahrung eines*r Filmschaffenden. Morgen beginnt auch das Dokfest München. Wie das online funktionieren soll, erklärt Festivalleiter Daniel Sponsel in einem Gastbeitrag.
Wir danken Ihnen für Ihre Informationen, Ergänzungen und Korrekturen, Fragen und Kommentare – auch wenn wir nicht alle persönlich beantworten können.
Seit die Kultur unter Quarantäne steht, ist wenigstens die Deutsche Bahn wieder pünktlich: 20 Kabarettist*innen melden sich im Video aus dem Home Office. Das hat auch Vorteile, aber die Kantine ist „echt Kacke“.
Das Kurzarbeitergeld (KUG) ist eine neue Errungenschaft in der Filmbranche – und offenbar gibt es da noch unterschiedliche Auslegungen. Vor einer „Fehlinterpretation“ warnen jedenfalls heute mehrere Berufsverbände: Einige Produktionen hätten inzwischen das in den Verträgen genannte „voraussichtliche“ Ende des Projekts erreicht; manche davon meldeten ihre Mitarbeiter aus dem KUG ab, weil die projektbefristeten Verträge „ausgelaufen“ seien.
Der neue Kurzarbeit-Tarifvertrag für zwischen der Produzentenallianz und Verdi ist da unklar. Dort heißt es, dass die Tarifpartner davon ausgehen, dass sich Produktionsfirmen und Filmschaffende einigen, wenn die „Laufzeit des individuellen Arbeitsvertrages während der Kurzarbeit endet“.
Dem widersprechen die fünf Berufsverbände und die Künstlerkanzlei Schmidt-Hug: Bei den Verträgen handele es sich typischerweise um „zweckbefristete“ Arbeitsverträge. Und die enden erst, wenn der Zweck erreicht ist – also die Herstellung des Films.
„Seit jeher“ hätten Filmschaffende zum Beispiel bei widriger Witterung oder Erkrankung von Schauspieler*innen über das „voraussichtliche“ Ende der Verträge hinaus gearbeitet, heißt es in der Pressemitteilung: „Auch wenn derzeit die Unterbrechung der Dreharbeiten länger andauert als manche Schauspielererkrankung, bleiben die Verträge bestehen und Verträge sind einzuhalten.“
Außerdem diene das KUG der Arbeitsplatzerhaltung. Es auslaufen zu lassen, gehe daran vorbei. Voraussetzung für die Zahlung von KUG sei, dass der Arbeitsausfall nur „vorübergehend“ und innerhalb der Bezugsdauer wieder mit dem Übergang zur Regelarbeitszeit zu rechnen ist. „Produktionsfirmen, die kündigen, riskieren die Rückzahlung der Förderbeträge“, warnen die Verbände von Regie (BVR), Kinematografie (BVK), Montage (BFS), Szenen- und Kostümbild (VSK) und die Assistant Directors Union (ADU).
Um die Verwirrung auszuräumen, haben sich die Berufsverbände mit der Künstlerkanzlei mit der Bitte um Klarstellung an das Bundesarbeitsministerium gewandt. Nach ihrer Darstellung könnten nach den KUG-Regelungen sogar zeitlich befristete Verträge darüber hinaus fortgeführt und Kurzarbeitergeld beantragt werden. Das können aber nicht die Filmschaffenden selbst, sondern nur die Arbeitgeber. Daher sähen sich Filmschaffende nun „veranlasst, vertragliche Gagenansprüche geltend zu machen, damit die Produzenten weiterhin KUG beantragen. Zudem haben bereits zahlreiche betroffene Filmschaffende entsprechender Produktionen nun auch Klage auf Feststellung der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses eingelegt.“
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Gedanken in der Pandemie 29: Die schönste Geste der Menschheit
Rüdiger Suchsland, Unsere GästeJia Zhang-ke ist einer der wichtigsten chinesischen Regisseure. In einer Filmzeitschrift schilderte er sein Leben in Corona-Zeiten. | Foto © Rapid Eye Movies
Alles locker, Schulter an Schulter, steht auf, wenn ihr Cinephile seid: Apokalyptiker & Integrierte – Gedanken in der Pandemie 29.
„Das Kino ist in existenzieller Gefahr.“
Ulrich Matthes, Schauspieler, Präsident der Deutschen Filmakademie
Jia Zhang-ke – wisst ihr, liebe Leser, wer das ist? Keine Schande, wenn man das nicht weiß, könnte man aber. Dieser Jia Zhang-ke ist einer der wichtigsten Regisseure der Welt, einer der führenden chinesischen Regisseure und hat schon einen „Goldenen Löwen“ (2006) in Venedig gewonnen und andere große Preise. Ein Angehöriger der sogenannten „Sechsten Generation“ des chinesischen Kinos, das immer noch in Generationen geordnet wird. Die Sechste Generation, das sind jene Filmemacher die zwischen Anfang und Ende der 1960er-Jahre geboren sind und deswegen im Studentenalter waren, als 1989 die Studentenproteste am Tiananmen-Platz blutig niedergeschlagen wurden. Jeder, der das am Fernsehschirm erlebt hat, hat es nicht mehr vergessen. Diese Erfahrungen gehen in die Filme der Sechsten Generation ein. Was sie unterscheidet von der Fünften Generation“, von Regisseuren wie Zhang Yimou („Das Rote Kornfeld“) und Chen Kaige („Lebewohl meine Konkubine“), das ist, dass diese Filmemacher zum einen aus dem China von heute erzählen und fast nie Historienfilme drehen („Kostümfilme“ will ich nicht mehr sagen, neulich bekam ich die Post einer netten Leserin, die mich ganz zu Recht darauf hingewiesen hat, dass ja jeder Film ein Kostümfilm sei. Überraschenderweise war diese Leserin übrigens Kostümbildnerin.). Und sie arbeiten sehr dokumentarisch.
Im „Filmkrant“, einer ziemlich guten niederländischen Filmzeitschrift, einer Art „Cahiers de Cinéma“ aus unserem Nachbarland Frankreich, hat der Regisseur jetzt einen Text zu Corona veröffentlicht. Er erzählt, wie er am 4. März zurück nach Peking geflogen kam, direkt von der Berlinale. Alle, die damals zurückkamen, waren gezwungen, sich in eine 14-tägige Selbstquarantäne zu begeben. Und Jia schreibt:
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Dokfest München: Nur das Kino kann, was das Kino kann
Daniel Sponsel, Unsere GästeMorgen beginnt das Dokfest München – online! „The Second Life“ von Davide Gambino läuft im Panorama. | Foto © Dokfest München
Morgen beginnt das Dokfest München. Ein Filmfestival online – geht das überhaupt? Auf jeden Fall wird es neue Erkenntnisse und Fragen bringen, meint der Festivalleiter Daniel Sponsel.
Das Dokfest München hat in den vergangenen Jahren einen enormen Zuwachs an Publikum zu verzeichnen, der weit über das übliche Potential der regulären Auswertung von Dokumentarfilmen im Kino hinausgeht. Dafür gibt es zwei Gründe: Einerseits bietet das Dokfest alle Attraktivitäten einer solchen Veranstaltung, ein sorgfältig kuratiertes und exklusives Filmprogramm: Reihen, Wettbewerbe und Preise, begleitet von Filmgesprächen mit Gästen aus der ganzen Welt. Anderseits gelingt es dem Festival, diverse spezifische Zielgruppen mit hohem Einsatz und individueller Ansprache für sich zu gewinnen. Das Dokfest München 2020 kann aufgrund der Maßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung des Coronavirus in diesem Jahr nicht regulär an den vertrauten Spielorten stattfinden und wagt den Schritt ins Netz mit einer Online-Edition. Wesentlich sind die Fragen nach der Bedeutung und dem Erfolg dieses Projekts und die Erkenntnisse die sich im Falle eines Erfolges oder eines Misserfolges daraus für die Branche gewinnen lassen.
Wer schon einmal mit uns die Eröffnung des Dokfest München im Deutschen Theater erlebt hat, ist um ein Filmerlebnis reicher und weiß um die pure Energie, die entsteht wenn 1.500 Menschen gemeinsam emotionale Momente teilen, lachen oder berührt sind. Der Dokumentarfilm beweist in diesem Saal Jahr für Jahr, dass er gleichermaßen verbriefte Wirklichkeit und ein Kinoerlebnis ist. Aktuell wäre leider keinem Kino geholfen, wenn das Dokfest einfach ausfallen würde. Die Online-Edition des Festivals ist kein Statement gegen die Filmkunst im Kino, sondern ein Lebenszeichen für diese außergewöhnlichen Dokumentarfilme überhaupt, die jenseits des Festivals nirgendwo zu sehen sein würden.
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Gedanken in der Pandemie 28: „Ein Tritt in die Fresse“
Rüdiger Suchsland, Unsere Gäste„Ich glaube nicht, dass Kunst sich einer Gesellschaft entziehen kann“, sagt die Schauspielerin Bibiana Beglau im Deutschlandfunk: „Oder wenn sie das tut, dann ist es Dekoration. Etwas künstlerisch zu begreifen, ist immer Dialog.“ | Foto © ZDF, Gordon Muehle
Leichter gesagt, als getan: Die Angst vor dem Tod ist die Angst vor dem Leben: Apokalyptiker & Integrierte – Gedanken in der Pandemie 28.
„Und scheint die Sonne noch so schön, am Ende muss sie untergehn.“
Heinrich Heine
Die Stimmung kippt gerade. Gestern wurden erste größere Teile der Ausnahmezustandsregelungen in einzelnen Bundesländern aufgehoben, in Niedersachsen wird man Gaststätten öffnen; jetzt beginnt der allgemeine Wettbewerb zwischen den Bundesländern. Nur die Kanzlerin scheint sich noch zu sträuben. Aber der Druck wächst.
+++
Bibiana Beglau gehört zu denen, die mir das blogfreie lange Erster-Mai-Wochenende ungemein versüßt haben. In der DLF-Reihe „Klassik Pop etcetera“ hat sie eine Stunde lang Musik und damit sich selbst und ihren überaus exquisiten Geschmack vorgestellt. Schon der Auftakt mit „Popcorn“ von Hot Butter war der Wahnsinn, vielleicht auch nur für mich, da das auch für mich eines der Schlüssellieder meiner Kindheit und eine Madeleine zur Reise ins Reich meiner ersten Erinnerungen ist.
Dazu philosophierte Beglau gescheit über den „Rettungsanker Musik“, erzählte vom Theater und sich selbst, und machte schöne Anmerkungen über die Rebellin Peaches: „Peaches ist eine wichtige Kämpferin dafür, dass man sich nach der Toilette nicht die Hände waschen gehen muss, eine, die der Vorstellung ,Ach, so bleiben wir immer eine saubere Gesellschaft’ […] den Tritt in die Fresse“ gibt. „Da hat sie meine tiefe Bewunderung dafür, dass immer wieder Gesellschaft lustvoll und scharf hinterfragt wird.“
Womit wir eigentlich schon wieder bei meinem Nach-wie-vor-Lieblingsthema, dem Gezeter über das Frank-Castorf-Interview im „Spiegel“ sind.
Aber nicht jetzt. Weiter mit Bibiana Beglau. Sie erklärte auch warum Jörg Fauser und Rolf Dieter Brinkmann ein anderes Deutschland repräsentierten als viele Künstler, ein besseres Deutschland, und eine Kunst, die nicht vom schönen sauberen Minnegesang herkommt. „Sondern von einer Bar“. Allein wegen der Stimme Fausers in einem Musik-Stück, das sein Gedicht „Zu den Fragen der Zeit“ untermalt, und in dem er mit Frankfurter Dialekt ein bisschen klingt wie Uwe Ochsenknecht, lohnt es sich, den Link anzuklicken – unbedingt nachhören!!!
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Corona: Brancheninfo 33
out takes, Peter HartigKinos im Stillstand 3: Das „Adria“ in Berlin. | Foto © Elisabeth Nagy
„Die Länder machen sich locker“, meldet heute „Der Spiegel“. Auf der Suche nach der verlorenen Normalität versucht sich die Bundesrepublik in neuer Unübersichtlichkeit. Das ist auch in Meldungen aus der und über die Branche das vorherrschende Thema: Wann kann wieder gedreht werden – und wie?
Wir danken Ihnen für Ihre Informationen, Ergänzungen und Korrekturen, Fragen und Kommentare. Und bitten um Verständnis, wenn wir nicht alle persönlich beantworten können.
Wer nochmal lachen mag: Sebastian Pufpaffs humoristische Corona-Sendung „Noch nicht Schicht“ geht leider schon zu Ende. Zum Abschied und zum ersten Mal im internationalen Fernsehen gab Covid-19 hier ein exklusives Interview, um seine Sicht der Dinge darzustellen: „Nicht ich bin hier das Arschloch!“
Es wird wieder gedreht. Wie wird dabei verfahren, welche Lösungen werden erfunden? Der Schauspiel-Coach Tim Garde spricht in seinem Podcast mit Schauspieler*innen über die Drehbedingungen in Dailys, Serien und Werbung im Mai 2020.
Nach sechswöchiger Unterbrechung rührt sich wieder was im Filmdorf Lansing. Die Dreharbeiten an der Serie „Dahoam is Dahoam“ gehen weiter – natürlich mit Hygienekonzept und Schutzvorkehrungen. Eine immense Herausforderung für alle, die an der Produktion beteiligt sind.
Trotz Corona sollen viele Dreharbeiten fortgeführt werden. Dafür müssen Skripts umgeschrieben und hohe Sicherheitsstandards eingehalten werden. Produktionen werden zur teuren Wackelpartie. Doch die Projekte aufzugeben, wäre finanziell desaströs. Studio-Hamburg-Produktionschef Michael Lehmann im Gespräch im Deutschlandradio.
Schauspieler über 60 werden aus den Drehbüchern geschrieben: Die Schauspielerin Renan Demirkan berichtet von Absagen an Ältere, weil sie zur Risikogruppe gehörten. Sie wendet sich in einem Offenen Brief an Armin Laschet.
Regieanweisungen aus dem Smartphone: So erfinderisch macht Corona – was die TV-Projekte „4 Wände Berlin“ und „Liebe. Jetzt!“ verbindet, erklärt der „Tagesspiegel“.
Serien ohne Kampf- und Sexszenen, Filmdreh nur unter Auflagen – das Online-Magazin „Film plus Kritik“ wirft einen kurzen Blick auf die Sicherheitsvorkehrungen beim Dreh in den USA.
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Gedanken in der Pandemie 27: Die verordnete Angst
Rüdiger Suchsland, Unsere GästeDer Theatermacher Frank Castorf. | Screenshot
Wer sich nicht fürchtet ist Verräter, Castorf ist infantil, und Distanz ist was für Reiche: Apokalyptiker & Integrierte – Gedanken in der Pandemie 27.
„Ich zweifle daran, dass im Augenblick der Nutzen dem Aufwand entspricht. […] Mich stört in der momentanen Krise der Grad der Ideologisierung. Schon die Worte ,Lockdown’ und ,Shutdown’ machen mich bösartig. In einer Zeit von massiver Migration und Klimawandel und sozialer Not fängt jede Nachrichtensendung, jeder Zeitungsartikel mit der Worthülse ,In Zeiten von Corona …’ an. Für mich ist das eine Kampagne.“
Frank Castorf
„Bis vor Kurzem war dort der Hauptfeind der alte weiße Mann. Sehr viele junge Menschen, die gerade ihr Theaterwissenschaftsstudium hinter sich hatten, waren der Meinung, der alte weiße Mann sollte möglichst schnell verrecken. Jetzt ist das Virus da, und auch in den Theatern finden plötzlich alle, jeder Alte, auch wenn er über 80 Jahre und ein Mann ist, sollte um jeden Preis geschützt werden.“
Frank Castorf
„Wenn ihr mich braucht, schickt mir ein Zeichen. Ich werde da sein.“
„Batman“/Sebastian Pufpaff
Social Distancing ist eine Reiche-Leute-Idee – sage nicht ich, sondern Menschen in Pakistan. Dort können sich die Armen nämlich Distanz schlicht und einfach nicht leisten. Der Raum ist knapp. Die Forderung nach Abstandhalten klingt absurd. Darüber spricht der der Journalist und Autor Hasnain Kazim im Deutschlandfunk.
Der Begriff „Social distancing“ ist eh gehobener Schwachsinn, denn es geht ja eigentlich um körperliche Distanz, die gerade sozial sein soll. Aber es erzählt etwas über unser kollektives Unbewusstes, dass wir es weltweit so genannt haben.
In Pakistan aber funktioniert beides nicht. Zehn oder zwanzig andere Menschen leben da unter einem Dach, man teilt sich denselben Raum zum Schlafen, Kochen, Essen und Wohnen. Dicht an dicht stehen und gehen die Menschenmengen. „Social distancing“, erklärt ein Pakistani, „ist das Gegenteil unserer Kultur!“ Denn nur die Nähe zu anderen sichert den Armen das Überleben.
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