Corona: Brancheninfo 34
Auch Bayern macht sich morgen etwas lockerer. Normaler soll alles wieder werden in Deutschland. Also wie früher, vor dem Virus. Als systemrelevante Berufe noch unterbezahlt und überarbeitet waren. Und auch die Filmschaffenden dürfte in der neuen Normalität nichts wirklich Neues erwarten, folgern wir aus der ersten Erfahrung eines*r Filmschaffenden. Morgen beginnt auch das Dokfest München. Wie das online funktionieren soll, erklärt Festivalleiter Daniel Sponsel in einem Gastbeitrag.
Wir danken Ihnen für Ihre Informationen, Ergänzungen und Korrekturen, Fragen und Kommentare – auch wenn wir nicht alle persönlich beantworten können.
Seit die Kultur unter Quarantäne steht, ist wenigstens die Deutsche Bahn wieder pünktlich: 20 Kabarettist*innen melden sich im Video aus dem Home Office. Das hat auch Vorteile, aber die Kantine ist „echt Kacke“.
Das Kurzarbeitergeld (KUG) ist eine neue Errungenschaft in der Filmbranche – und offenbar gibt es da noch unterschiedliche Auslegungen. Vor einer „Fehlinterpretation“ warnen jedenfalls heute mehrere Berufsverbände: Einige Produktionen hätten inzwischen das in den Verträgen genannte „voraussichtliche“ Ende des Projekts erreicht; manche davon meldeten ihre Mitarbeiter aus dem KUG ab, weil die projektbefristeten Verträge „ausgelaufen“ seien.
Der neue Kurzarbeit-Tarifvertrag für zwischen der Produzentenallianz und Verdi ist da unklar. Dort heißt es, dass die Tarifpartner davon ausgehen, dass sich Produktionsfirmen und Filmschaffende einigen, wenn die „Laufzeit des individuellen Arbeitsvertrages während der Kurzarbeit endet“.
Dem widersprechen die fünf Berufsverbände und die Künstlerkanzlei Schmidt-Hug: Bei den Verträgen handele es sich typischerweise um „zweckbefristete“ Arbeitsverträge. Und die enden erst, wenn der Zweck erreicht ist – also die Herstellung des Films.
„Seit jeher“ hätten Filmschaffende zum Beispiel bei widriger Witterung oder Erkrankung von Schauspieler*innen über das „voraussichtliche“ Ende der Verträge hinaus gearbeitet, heißt es in der Pressemitteilung: „Auch wenn derzeit die Unterbrechung der Dreharbeiten länger andauert als manche Schauspielererkrankung, bleiben die Verträge bestehen und Verträge sind einzuhalten.“
Außerdem diene das KUG der Arbeitsplatzerhaltung. Es auslaufen zu lassen, gehe daran vorbei. Voraussetzung für die Zahlung von KUG sei, dass der Arbeitsausfall nur „vorübergehend“ und innerhalb der Bezugsdauer wieder mit dem Übergang zur Regelarbeitszeit zu rechnen ist. „Produktionsfirmen, die kündigen, riskieren die Rückzahlung der Förderbeträge“, warnen die Verbände von Regie (BVR), Kinematografie (BVK), Montage (BFS), Szenen- und Kostümbild (VSK) und die Assistant Directors Union (ADU).
Um die Verwirrung auszuräumen, haben sich die Berufsverbände mit der Künstlerkanzlei mit der Bitte um Klarstellung an das Bundesarbeitsministerium gewandt. Nach ihrer Darstellung könnten nach den KUG-Regelungen sogar zeitlich befristete Verträge darüber hinaus fortgeführt und Kurzarbeitergeld beantragt werden. Das können aber nicht die Filmschaffenden selbst, sondern nur die Arbeitgeber. Daher sähen sich Filmschaffende nun „veranlasst, vertragliche Gagenansprüche geltend zu machen, damit die Produzenten weiterhin KUG beantragen. Zudem haben bereits zahlreiche betroffene Filmschaffende entsprechender Produktionen nun auch Klage auf Feststellung der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses eingelegt.“
Ungewohnte TV-Talk-Verhältnisse bei „Hart aber fair“: Frauen vertreten Virologie und Politik – und vor allem Männer schildern ihre Lebenswirklichkeit. Angenehm leidenschaftlich fand „Der Spiegel“ Ulrich Matthes’ Plädoyer für die Kultur: „Das Kino ist in existenzieller Gefahr“
„Wandel in der Krise“ war Thema beim 24. Kultur-Talk von Fernsehen Düsseldorf.
Disney hat fast die Hälfte der gut 220.000 Mitarbeiter in Zwangsurlaub geschickt, doch das Management will sich auch dieses Jahr Bonuszahlungen in Millionenhöhe gönnen und 1,5 Milliarden US-Dollar an Dividenden ausschütten. Walt Disneys Großnichte wettert gegen die Firmenchefs.
Universal will künftig Filme parallel zum Kinostart auch als Stream anbieten. Eine weitere große Kinokette will nun Filme des Hollywoodstudios boykottieren.
Die Ministerpräsidenten lockern ihre Corona-Beschränkungen, ohne die Beratung mit der Kanzlerin abzuwarten. Sie sollten sich zügeln, meint „Der Spiegel“: Wenn die Infektionszahlen wieder steigen, brauche das Land Merkels Autorität.
Ein Vorbild für eine Gesellschaft ohne Lockdown sah WHO-Nothilfedirektor Michael Ryan: Schweden habe seinen Bürgern im Kampf gegen das Corona-Virus vertraut.
Das Land hatte bis zum vergangenen Donnerstag insgesamt 254 Corona-Toten pro eine Million Einwohner – das sind viermal so viele wie Deutschland oder Dänemark, achtmal so viele wie Norwegen oder Finnland.
Die schwedische Tageszeitung „Dagens Nyheter“ hatte am 24. April berichtet, dass an der Stockholmer Uniklinik zu streng selektiert werde, während auf der Intensivstation noch Plätze frei sind, und zitiert einen Arzt: „Wir sind gezwungen, Menschen vor unseren Augen sterben zu lassen.“ [auf Schwedisch, Bezahlschranke]. Die „Tagesschau“ berichtet ebenfalls.
Der schwedische Weg funktioniere, weil die Gesellschaft selbst ein anderes Selbstverständnis hat als die in anderen Ländern, erklärt Maike van den Boom in „Capital“.
Als einziges Land in Europa hat nur Schweden keinen Lockdown verhängt, rechnet der „Tagesspiegel“ vor. Doch auch hier schlittere die Wirtschaft in eine schwere Rezession.
Zahlen, Kurven, Trends: Worauf es bei Corona-Statistiken ankommt.
„Das führt zu Selektion zwischen mehr oder weniger lebenswertem Leben“: Der frühere Bundestagspräsident Wolfgang Thierse kritisiert die aktuelle Kosten-Nutzen-Debatte im Interview mit dem „Tagesspiegel“ scharf. Er sorgt sich, dass sich weiterer Widerstand zusammenbraut.
Zurück zur Normalität? Für die Filmbranche verheißt das nicht unbedingt Gutes, wie uns heute ein*e Leser*in schrieb:
„Wir drehen ab nächste Woche Dienstag wieder weiter. Hatten wegen Corona-Hysterie unter den Darstellern und Motivgebern frühzeitig abgebrochen. Bereits eine halbe oder ganze Woche, bevor es eine offizielle Anordnung dazu von oben gab. Unser Urlaub wurde mit den Tagen der Freistellung verrechnet. Dann wurden wir zur Zustimmung von Kurzarbeit und der Aufstockung auf Tarif gedrängt. Meine Nachfrage, wieso man sich plötzlich auf die Zugehörigkeit im Produzentenverband beruft und die Pflicht, sich dem Tarifvertrag zu beugen so hoch hält, wo er doch in der Vertragsverhandlung nie zum Tragen kam, wurde mit großem Unverständnis und Wut abgewehrt.
Nun gut: Ich unterschrieb die Vereinbarung. Aus ernstgemeinter Solidarität in dem inzwischen aufgedeckten Irrglauben, dass das ein beidseitiger Deal sei.
Ich habe Freitag einen Drehplan zugeschickt bekommen, in dem wir an einem Feiertag drehen ohne Freizeitausgleich. Im Gegenteil: Wir drehen den Samstag gleich mit, haben nur Sonntag frei und drehen Montag bis Freitag durch. Abreise Samstag. Freitag davor ist Nachtdreh.
Heute wurde ich gefragt, ob unsere Abwicklung nur einer aus dem Team machen könne. Und weil die eine ja nur ein kleines Auto besitze, solle ich die Abwicklung als Head of schon im Vorfeld mehr oder weniger erledigt haben. Macht keinen Sinn, bringt nur Chaos, Aufwand und Ärger. Im schlimmsten Fall Mehrkosten. Aber die Angst, das Team bis nach Pfingsten beschäftigen zu müssen, ist so groß, dass ich damit eine Woche vor meinem offiziellen Arbeitsbeginn und ohne, dass meine Gage überhaupt im Ansatz verhandelt wurde, schon Aussagen dazu treffen soll, ob ich der Forderung nachkommen könne.
Die Solidarität, die Vielgepriesene: Wo ist sie? Wo achten wir auf unsere Gesundheit, wenn wir 15 Drehtage ohne Vorbereitungszeit plus 2 Reisetage in drei kleine Wochen zwängen? Wo ist die Einhaltung des Tarifvertrags mit Verpflichtung zu Freizeitausgleich, et cetera? Wie soll ein Dreh funktionieren, wenn es eine Person geben wird am Set, die eigens dafür abgestellt ist, darauf zu achten, ob wir Sicherheitsabstände einhalten und Masken und Visiere tragen? Ohne auch nur einen oder mehrere Drehtage zur Entzerrung der Dreharbeiten dazu bekommen zu haben?
Meine unermessliche Freude, dass wir endlich wieder weiter drehen, ist nun maximal gedämpft.
Wenn ich meine Seele nicht länger verkaufen möchte, müsste ich das Projekt absagen.
Ich bin gerade dabei, mir meine Frage selbst zu beantworten, merke ich …“
Kreativ in der Krise. Auch bei Zeitkostüm in Hamburg ist alles „von 100 auf 0 runtergefahren“, berichtet Rike Russig, die den Fundus mit Karin Lohr betreibt: „Wir sind zum Glück alle gesund, aber, auf der Hand liegend, ist der Fundus nun ohne Einnahmen. Aber wir haben, nach einer Woche Schockstarre, direkt angefangen, Masken zu nähen. Als eine ,Win-Win-Win-Sache’: Wir bringen unsere arbeitslosen Kolleginnen in Arbeit, die Produktionsfirmen und die uns näheren Menschen an gute Community-Masken und uns selber an Geld, um die Mitarbeiter zu halten und die laufenden Kosten zu decken.
Einige der Produktionen, die jetzt gerade wieder anfangen zu drehen, haben wir schon versorgen dürfen. Wir produzieren etwa 1.300 wiederverwendbare Gesichtsmasken pro Woche. Aktuell in den Farben Anthrazit, Dunkelbraun, Cappuccino, Aubergine, Koralle, Weinrot und Hellgrau. Die Masken haben einen Nasenbügel, dünne und leichte Ohrgummis und sehen auch an Männern ganz cool aus. Die aus Baumwolle gefertigten, bei 60 Grad Celsius waschbaren Masken kosten 6 Euro das Stück (bei Abnahme ab 100 Stück 5,50 Euro) netto. Mindestabnahme sind 25 Stück.“
Nein, wir haben das Dokfest nicht vergessen! Sondern lassen Festivalleiter Daniel Sponsel in einem Gastbeitrag selbst berichten, was uns erwartet.
Wie das Münchner Dokfest als Online-Filmfestival funktioniert, erklärt der BR.
Das komplette Online-Programm des Dokfests findet sich (natürlich) auf der Website. Darunter auch das Dokforum @home. Am Donnerstag, 7. Mai, geht’s da um 14 Uhr um Networks for Future – Joining Forces for the Documentary Film Industry. Expert*innen aus verschiedenen Ländern diskutieren über die Kraft von Netzwerken und Zusammenarbeit für die europäischen Dokumentarfilmer*innen. Unsere Kollegin Sonia Hausséguy ist für Crew United dabei.