Von Frank­reich lernen, heißt Kino lernen: Aber die deutsche Film­för­de­rung hat nur Til Schweiger im Kopf und treibt die eigene Selbst­ab­schaf­fung voran, anstatt sich etwas vom guten Handwerk der Franzosen abzu­schauen – Cinema Moralia, Tagebuch eines Kino­ge­hers, 220. Folge

»Neither you nor I can stop the march of time.«
Jean Renoir »La Grande Illusion«

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Das CNC, die fran­zö­si­sche Film­för­de­rung macht es vor: Auf die Corona-Ausfälle reagiert man in Frank­reich mit einem ausge­klü­gelten, intel­li­genten, wohl­ab­ge­wo­genen, aufein­ander abge­stimmten Programm, das den ganzen Bereich des Films und der Film­dis­tri­bu­tion berück­sich­tigt, das keine Erbhöfe vertei­digt und die Struk­turen von gestern nicht konser­viert, das nach vorne blickt und das überholte Grenzen und Grenz­zäune einebnet.
Bedau­er­lich, dass man so etwas in Deutsch­land nicht mal zur Kenntnis nimmt.

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»Ernstes, heiter verpackt« – so heißt der (unfrei­willig?) zynische Titel der neuesten Pres­se­mit­tei­lung der FFA, der beweist, dass die deutsche Film­för­der­an­stalt auch nach Ende der Kino­schließungs­zeit in jenem geistigen Lockdown verharrt, in den sie sich selbst lange vor Corona hinein­be­geben hat: Ideenlos, innerlich gelähmt, ohne Ehrgeiz, der Krise zu trotzen, ohne Phantasie, wie das geschehen könnte, wird halt Til Schweiger gefördert, der wird’s schon richten. Dessen neuer Film-Titel, Die Rettung der uns bekannten Welt, ist längst erklärtes FFA-Programm.
Aber die Welt, die der FFA bekannt ist, hat nie existiert.

»Ernstes, heiter verpackt« ist zynisch, weil keinem, der gerade mit Film zu tun hat, nach dieser Art von hein­zehr­hard­t­hafter Heiter­keit zumute ist, nach Schmun­zelei ange­sichts des Ernstes der Lage. Und weil die FFA-Funk­ti­onäre, die im Gegensatz zu allen anderen sehr fest auf ihren 5000-Euro-Stühlen sitzen, mit so einer Formu­lie­rung außer ihrer grund­sätz­li­chen Unsen­si­bi­lität nur beweisen, dass ihnen auch das charak­ter­liche Format fehlt, das in beson­deren Situa­tionen wie diesen nötig ist. Auch in Corona-Zeiten soll einfach weiter­ge­lacht und gekichert und geschmun­zelt werden – dass Film aber auch zu etwas anderem gut sein könnte, als uns in Lachsäcke zu verwan­deln und in die späten Fünziger, die Heinz-Ehrhardt-Kicher­jahre zurück­zu­ver­setzen, dass Film den Menschen etwas zum Nach­denken, zum Aufwühlen, zum Sein-Leben-ändern, etwas Rele­vantes, nicht Eska­pis­ti­sches geben könnte, kommt im FFA-Horizont gar nicht vor. Weiterlesen

Europas Kulturzeitschrift „Lettre International“ widmet sich zum neuen Quartal der Pandemie und der Politik | Cover (Ausschnitt) © Lettre International, Didier William

Corona-Idyllen und Utopien allerorten: Back in the USSR – Apokalyptiker & Integrierte; Gedanken in der Pandemie 58.

„Ich habe einen Sinn für das Romanhafte. Aber daraus ergibt sich eine Mischung aus Strenge der Narration und einer gewissen Freiheit der Schreibweise in den einzelnen Szenen. Wenn ich anfange zu schreiben, weiss ich sehr wohl, wohin es geht, aber nicht unbedingt im Sinne des Plots, sondern im Sinne der Emotionen, zu denen der Film tendiert. Alles hängt an einem einzigen Gefühl.“
Mia Hansen-Løve, im Gespräch mit „Revolver“, Heft 24/2012

 

Langsam lichtet sich der Nebel, und über der Corona-Morgenröte wird der Horizont der neuen alten Welt sichtbar. 

Wir beginnen, über den Tag hinaus zu denken, zu analysieren, was bleibt, was geht und was kommt. Utopien allerorten, zumindest im neuen „Lettre International“.

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„Lettre International“ gibt es seit 1988 auf Deutsch, in Frankreich bereits seit 1984. So sehr diese vierteljährlich erscheinende, ziemlich unvergleichliche Zeitschrift eine Institution ist, so sehr leidet auch sie unter den neuesten Formveränderungen unserer Kommunikations-, Informations- und Denkgewohnheiten. Krisenbedingt drohen mit den Zeitungen und Zeitschriften auf der Kippe, substantielle Elementarstrukturen einer kritischen und schöpferischen Öffentlichkeit beschädigt zu werden oder gar in ihrer Existenz gefährdet zu werden. Worin die unvergleichliche Funktion der unabhängigen Printmedien besteht, davon kann man sich im neuesten „Lettre“-Heft (#129) überzeugen, das jetzt erhältlich ist. 

Das Heft versucht eine Spektralanalyse der Corona-Krise. Nochmal zur Erinnerung: SarS-CoV-2 ist das Virus, Covid-19 ist die Krankheit, Corona ist der gesellschaftliche Zustand. 

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Auf der Website sieht eigentlich alles bestens aus in den Schlachtbetrieben von Tönnies. In der Corona-Pandemie zeigt sich ein anderes Bild. | Screenshot

Schwein gehabt in NRW: Die Phantastilliarden unserer Sehnsucht: Apokalyptiker & Integrierte – Gedanken in der Pandemie 57. 

„Gouverner, c’est choisir.“
Paul Mendes-France, Politiker

„Vegetarismus und Veganismus sind Formen des Luxuskonsums, die die Umwelt belasten und den Menschen in ärmeren Ländern die Lebensgrundlage entziehen.“
Udo Pollmer, Ernährungsexperte

„Mögliche Auswirkungen auf die Jahresabschlüsse vorangegangener Geschäftsjahre können nicht ausgeschlossen werden.“
Wirecard-Pressemitteilung

„Es gibt Ideen, die ihren Weg zwar langsam machen, die aber nicht einfach wieder weggehen, weil nicht jedermann sie sogleich aufnimmt. Dazu gehört der Gedanke, daß es für alle Bürger entwickelter, zivilisierter Gesellschaften ein garantiertes Mindesteinkommen geben sollte.“
Ralf Dahrendorf

 

Wenn einer Fleischfabrikant ist, ist er fast schon Verbrecher. In jedem Fall ein sehr dankbares Opfer. Das ist zurzeit erst recht Clemens Tönnies, Fleischfabrikant aus Rheda-Wiedenbrück und für viele sowas wie der Gott des Gemetzgers. Zugegeben, Tönnies ist kein mir sehr sympathischer Typ, das sage ich schon mal deswegen, weil mein Lieblingsfußballclub der BVB ist und Tönnies Präsident von Schalke 04. Eigentlich sollte das zur Erklärung genügen. Darüber hinaus hatte Tönnies zuletzt auch nicht sehr elegante Formulierungen für schwarzafrikanische Lebensverhältnisse gewählt, in seinem Verein stimmt nichts, von oben angefangen bis runter zur Jugendabteilung, wo die Minijobber rausgeschmissen wurden, weil sie angeblich zu teuer sind.

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Frankreich wurde von der Pandemie wesentlich härter getroffen. Hatten die Deutschen vielleicht einfach nur Glück? | Screenshot

Typen der Antwort auf das Virus: Italien, Deutschland und Frankreich: Apokalyptiker & Integrierte –  Gedanken in der Pandemie 56.

 

„Erziehung“ – schon das Wort, das in deutschen Ohren so ganz anders klingt als „education“ auf Englisch oder das französische „éducation“, ist seit den Zeiten Rousseaus etwas in Verruf geraten, und gefällt heute vor allem den autoritären Charakteren aller politischen Lager. Ich finde allerdings auch, dass Erziehung sehr wichtig ist. Kinder müssen lernen, ab und zu mal die Zähne zu putzen; Indien-Besucher, dass man nicht mit der linken Hand in den Reis hineinfasst; und erwachsene Deutsche müssen dazu erzogen werden, die Freiheit der anderen zu achten. Ab und zu komme ich auch während meiner Tätigkeit als Filmkritiker auf den Gedanken, dass ein sommerliches Um-Erziehungscamp für deutsche Filmemacher nicht die schlechteste Idee wäre. Da müssten sie dann den ganzen Tag Filme aus der Filmgeschichte gucken und zwar im Original mit Untertiteln. Und am Morgen wäre zur Erfrischung eine halbe Stunde Selbstkritik angesagt. 

Bei anderen Erziehungsfragen wird es komplizierter.

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Das Editorial der französischen Kulturzeitschrift „Esprit“ unterscheidet vier Phasen der Pandemie bisher: Zunächst eine Betäubung und Schockstarre, gefolgt von vielen Selbst-Befragungen, die sehr schnell in die dritte Phase der Inflation von Kommentaren mündeten. Hier fanden sehr viele während der Krise eine Form von Selbstbestätigung und Selbstsicherheit, in dem sie über den eigenen Zustand nachdachten. Die vierte Phase ist das Jetzt: Das öffentliche Leben kommt langsam wieder auf Kurs und beginnt, Fahrt aufzunehmen; die Menschen bewegen sich wieder stärker in analogen Lebensverhältnissen mit Schmutz, mit Objekten, die im Weg stehen, mit Menschen, an denen sie sich stoßen. Manche reagieren darauf hysterisch – die Geschmeidigkeit, die Emotion, das Driften des Netzes und das Leben ganz und gar in den Bildschirmen hat nachgelassen.

Die Menschen fragen sich, was sich eigentlich geändert hat und welche Politik aus der Gegenwart ist.

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Analog dazu könnten man Typen der Desillusionierung und Reaktion unterscheiden: Für die Nationalisten hat die Krise die Illusion beseitigt, dass man die Grenzen schließen kann und dass Grenzschließungen alle Probleme lösen würden, dass es mit geschlossenen Grenzen keine Migration mehr geben würde – ganz im Gegenteil: Fremdarbeiter werden eingeschleust, um so etwas wie nationale Ernährungssouveränität (Spargel!) aufrechtzuerhalten. Die Nationalisten und die Fetischisten nationaler Souveränität schließen aus der Krise, dass man mehr oder weniger alle Produkte relokalisieren muss und dass es eine strategische Existenzfrage sei, ob sich alles und jedes im eigenen Land herstellen lässt, nicht nur Masken, nicht nur Medikamente. Und sie erfahren ihr Scheitern.

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„Die Liebe in den Zeiten der Cholera“: Die Seuche versetzte vor anderthalb Jahrhunderten die Menschen weit mehr in Furcht als heute Corona. | Foto © Tobis

Experimente mit offenem Ausgang: Apokalyptiker & Integrierte – Gedanken in der Pandemie 55.

„Auf einem dürren Kosackenklepper schien sie zu kommen, die sieben Plagen als siebensträhnige Knute in der Hand, die asiatische Giftmischerin, die in alle Brunnen, alle Ströme, in jede Nahrung den Keim des Todes warf.“
Karl Gutzkow über die Cholera 1831

„Es gibt Menschen, die bereit sind, ein gewisses Risiko einzugehen, und es gibt andere, die jedes Risiko ausschließen wollen. Beides haben wir zu akzeptieren. Das ist die Vielfalt des Menschen.“
Dabrock im Deutschlandfunk

 

„Hegel starb am Montag, dem 14. November 1831, in seiner Wohnung am Berliner Kupfergraben. Der Tod kam überraschend. Am Freitag zuvor hatte er mit den Vorlesungen des Wintersemesters über Rechtsphilosophie und Geschichte der Philosophie begonnen, am Samstag Prüfungen abgehalten. Am Sonntag zeigten sich die ersten Symptome der Krankheit, der er nach einer unruhigen Nacht am nächsten Tag gegen 17 Uhr erliegen sollte. Am 16. November wurde er seinem Wunsch entsprechend auf dem evangelischen Dorotheenstädtisch-Friedrichswerderschen Friedhof neben seinen Vorgängern Solger und Fichte begraben. Zahlreiche Equipagen und ein unabsehbar langer Zug der Studenten gaben ihm das letzte Geleit.“

So beginnt ein schöner Text über den bedeutendsten Philosophen deutscher Sprache, dessen 250. Geburtstag im August gefeiert wird. Er erschien in der Juni-Ausgabe des „Merkur“, nicht zu verwechseln mit dem „Münchner Merkur“ oder dem „Rheinischen Merkur“. Die in Stuttgart erscheinende, immer noch sehr schön klassisch „deutsche Zeitschrift für europäisches Denken“ genannte Monatszeitschrift ist zwar in den letzten Jahren um einiges uninteressanter geworden als unter ihrem sagenhaften Herausgeber Karl Heinz Bohrer, aber immer noch interessant genug. 

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Wenn die Klügeren immer Nachgeben, sagen sie anderen, wo es lang geht. Dabei macht Streit die Demokratie erst richtig schön. Zeigte uns schon Frank Capra. | Foto © Sony

Ab mit der App: Noch einmal USA: Apokalyptiker & Integrierte – Gedanken in der Pandemie 54. 

„Es ist die perfekte Ausgangslage, um einige Dinge, die sich eh schon sehr rasant entwickelt haben, noch einmal schneller in extremis voranzutreiben, und das ist meiner Meinung nach eine Enthumanisierung. Die Digitalisierung kann jetzt auf die Spitze getrieben werden, und damit geht einher: Überwachung und die Entsolidarisierung.“
Laura Freudenthaler, Schriftstellerin

 

Die Corona-Krise ist nicht vorbei, auch wenn es sich in manchen Bundesländern so anfühlt. Zum Beispiel in Berlin, wo die Lokale seit dem Wochenende wieder voll geöffnet haben.

Die Kino-Krise fängt aber erst richtig an. In der Gesprächsreihe des „SWR2-Forum“ hatte ich das Vergnügen, heute mit Verena von Stackelberg und Nils Dünker über das Kino in der „neuen Normalität“ zu debattieren. Hier kann man die Sendung nachhören. 

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„Lebens.art“ heißt eine Sendung, die einmal pro Woche sehr spät, nämlich in der Nacht von Samstag auf Sonntag, auf 3sat zu sehen ist, aber dummerweise nie in der Mediathek. Das heißt, man kann sie sich nur entweder live anschauen oder, wie ich es mache, aufnehmen. 

In der Sendung vom letzten Samstag kamen Schriftsteller zu Wort, und es war ganz großartig. Mit anderen Worten: sehr österreichisch.

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Josef Bierbichler mit Benjamin Cabuk in »Zwei Herren im Anzug« (2018). FOTO © X-Verleih

Menschen, die auf Bildschirme starren
Amerika und das Nichts – Apokalyptiker & Integrierte; Gedanken in der Pandemie 53

„Der Staatslockdown hat echt reingehaun“
Berliner Landespolizei-Orchester

„We know, everybody knows … that we are not bombing people out of existence, in the name of freedom. … We are concerned with power, nothing more than that…“
James Baldwin

„Das Leben muss bis zum Tod hin gelebt werden können, sonst kann der Tod nicht gestorben werden.
Trotzdem gibt es Empfehlungen, dass Menschen ab einem bestimmten Alter vor diesem Leben und der damit verbundenen Gefahr es zu verlieren, besonders geschützt werden sollen. Warum? Nicht damit sie gar nicht sterben, sondern damit sie wenn es soweit ist, als sowieso bald Sterbende keinen Stau in Krankenhäusern erzeugen können.“
Josef Bierbichler

Es sind nach wie vor allem die alten Männer, die sich aus der deutschen Filmbranche in Sachen Corona zu Wort melden. Woran das liegt – ich weiß es nicht. Aber ich glaube tatsächlich, das es neben den vor einigen Wochen zitierten Worten Alexanders Kluges nichts Großartigeres, Schöneres, Ehrlicheres und zur Sache Präziseres gibt, als diesen Vimeo-Beitrag von Sepp Bierbichler.

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Manch andere Corona-Reaktion lässt dagegen einfach nur erblassen. Wenn irgendjemand noch daran gezweifelt hatte, ob Saskia Eskens von vielen jetzt mit übertriebener Aufregung bedachte kritische Bemerkungen an der deutschen Polizei zutreffen – hier ist der Beweis: Singende Polizisten in einem Auftritt der nur von Michael Wendler an Peinlichkeit noch zu steigern ist.
Man achte besonders auf den Einsatz der Regenbogenfahne.

Das kommt davon, wenn jeder Social Media machen muss. Weiterlesen

Linke Identitätspolitik rückt der Kunst mit spießigen Schreib- und Denkverboten zu Leibe, klagt Maxim Biller in der „Zeit“. | Foto © Screenshot

Bayern als Preußen, Linke als Rechte, Gefühle als Argumente – Apokalyptiker & Integrierte; Gedanken in der Pandemie 52.

„,Hast du was gegen meine Mutter gesagt?’ war gestern. Heute heißt es: ,Deine Gedichte über Gewalt tun Vergewaltigten weh, weg damit!’ Oder: ,Den Schwarzen auf diesem Bild hat ein Weißer gemalt. Abhängen!’ Oder: ,Die Buddhas von Bamiyan lächeln so unverschämt menschlich und werden darum nach tausend Jahren gesprengt.’  Ach so, nein, das war ja was ganz anderes …“
Maxim Biller

„Nicht jeder beliebige bewaffnete Gewaltakt, der die politische Machtergreifung zum Ziel hat, kann als Aufstand gelten.“
Emilio Lussu: „Theorie des Aufstands“

 

Disclaimer: Graphic Content! Some of the following thoughts may hurt your feelings.

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Besuch in München für zwei Tage. Es lag, glaube ich, nicht nur am Wetter, dass eine Art bleierne Stimmung über der Stadt lag. Aus Berlin kommend ist man ein bisschen entsetzt darüber, wie stark der Ausnahmezustand ausgerechnet an der Isar in der früheren Hauptstadt des etwas leichteren, heiteren Lebensgefühls der Deutschen, noch existiert. Man betritt das Restaurant und wird schon am Eingang zurückgehalten mit einem nicht sehr höflichen „Maske auf!“ Wenn man in ein Lokal, wo man vorher eine halbe Stunde lang endlich ohne Maske saß, bis man endlich draußen einen Tisch bekommen hat, dann wieder zurückkehrt, um die Toilette zu besuchen, heißt es auch „Maske auf!“. Dann dieses ganze Eintragen in Listen, das irgendwie von allen gemacht und irgendwie von allen auch nur sehr inkonsequent gemacht wird, und auch oft genug einfach vergessen – all das das passt so gar nicht zu München. 

Wuzzi, Bayer mit afrikanischem Namen, führt alles auf die bayrische Neigung zur Obrigkeitshörigkeit zurück. 

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Es wird zuviel nur übers Virus diskutiert, meint der Historiker Michael Wolffsohn. Er vermisst die eigentlichen Fragen in der Pandemie. | Foto © BR

  

Liebe, Musik und Politik: Apokalyptiker & Integrierte – Gedanken in der Pandemie 51. 

„Wir leben derzeit unter dem virologischen Imperativ. Aber der Mensch lebt nicht vom Brot allein. Übertragen wir also diesen biblischen Spruch auf die Pandemiesituation! Es kann doch das Leben nicht nur darauf begrenzt sein, dass wir überleben. Zum Leben gehört eben sehr viel mehr. Und das eindimensionale Fixieren auf das, was virologisch richtig oder falsch ist, kann es nicht sein.“
Michael Wolffsohn, Historiker

„Der Hecht,
Er macht der Pläne viel.
Ich werd, so sagt er, besuchen
den Ganges und den Nil,
den Tajo und den Tiber dann
und darauf den Jangstekiang.
Ich werde, da ich ungebunden,
gut nutzen meine freien Stunden.“
Robert Desnos

 

Wir haben gut reden und regeln und lockern mit Corona. Aber wie läuft es damit in den anderen, ärmeren Regionen der Welt?

Indien mit seinen 1,3 Milliarden Menschen hat der Lockdown auf die schwerste Probe seit der Unabhängigkeit gestellt. Zum Beispiel: Dharavi. So heißt ein Slum im indischen Bombay. „Slumdog Millionär“ wurde dort gedreht. Auf einem Quadratkilometer leben dort 270.?000 Menschen, also etwa 60-mal so viele wie in einer deutschen Großstadt. Die Behörden kennen nicht einmal die genaue Zahl der Einwohner. Im Slum teilen sich acht oder zwölf Menschen eine aus Müll zusammengenagelte Hütte, vielleicht drei mal drei Meter groß. Die Verhältnisse sind so dicht, dass der berühmte Satz „Die Hölle, das sind die anderen“ aus Jean-Paul Sartres „Geschlossene Gesellschaft“ (1944) noch eine ganz andere Bedeutung bekommt: In einer Situation, in der jeder erstmal auf sich selbst achten muss, ist der andere zunächst nur eine weitere Last.

Wie hält man dort einen Lockdown mit Ausgangssperren aus? Ein eigenes Zimmer ist ein Luxus, den sich dort die wenigsten leisten können. Wie soll man sich aus dem Weg gehen? Wie soll man ein sauberes Klo finden? Die Hände mit Wasser und Seife waschen? Lächerlich. Tag und Nacht eingesperrt in der stickigen Enge, wer soll das aushalten? 

Zugleich die Frage, ob Covid-19 mehr Opfer kosten wird, oder die Anti-Corona-Politik, die Millionen Tagelöhner in den Abgrund treibt? 

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Trump plant den Putsch, raunt es an manchen Stellen immer lauter. Edward Zwick hatte schon vor 22 Jahren den Film dazu gedreht: „Ausnahmezustand“! | Foto © 20th Century Fox

Faschismus und der liberale Selbstbetrug: Apokalyptiker & Integrierte – Gedanken in der Pandemie 50. 

„We’re all living in Amerika
Coca-Cola, sometimes war
We’re all living in Amerika
Amerika ist wunderbar.“
Rammstein

 

Wenn es nicht so traurig wäre, wäre es lustig: Donald Trump, immer noch US-Präsident, ist der „Disruptor in Chief“. In knapp vier Jahren ist es ihm gelungen, die Politik völlig in ihr Gegenteil zu verkehren – nicht die US-Politik oder die des Westens, sondern die Politik der Welt an sich. Er kann es sich leisten, sich im Stil eines Wutbürgers über die von ihm selbst geführte Regierung zu beschweren. 

Wie ein böser düsterer Forrest Gump stellt sich dieser Politiker immer wieder irgendwo hin, wo er nicht hingehört, schreibt er sich in Szenarien der US-Geschichte ein, kapert die historischen Kulissen, und gefällt sich zugleich darin, seine Ahnungslosigkeit zur Schau zu tragen. 

Die Globalisierungskritikerin Naomi Klein hat kürzlich über ihn gesagt: „Donald Trump ist ein Idiot, aber unterschätzen Sie nicht, wie gut er darin ist.“ Das muss man ernst nehmen. Es meint genau diese Besonderheit der Trumpschen Auftritte, die man seine Performance-Qualität nennen könnte. Auf seinen Auftritt mit der Bibel vor der Kirche gegenüber vom Weißen Haus wäre niemand außer ihm gekommen. 

Würde man Trump nicht als Politiker sondern als Komiker und Performer wahrnehmen, müsste man zugeben: Seine Empfehlung, Desinfektionsmittel gegen Corona zu trinken, wäre im Slapstick-Film ein guter Gag. Trump hat große Fähigkeiten zur Improvisation, und ein gewisses Bühnen-Potenzial. Er ist in der Lage, unmittelbar auf seine Umgebung zu reagieren – das ist auch ein seltenes Talent.

Das alles ist keineswegs zynisch gemeint, sondern mein Versuch, zu verstehen, warum die öffentliche Figur Trump funktioniert? 

Der Filmregisseur Federico Fellini hat einmal die zwei Clownsfiguren der Commedia dell’arte, den „Dummen August“ und den „Weißen Clown“, und ihr Zusammenspiel, ihre gegenseitige Bedingtheit, auf die Weltgeschichte übertragen und behauptet, dass sich Weltgeschichte immer wieder in Form des Widerstreits dieser beiden Figuren abspielt. In Fellinis Lesart war Hitler der Weiße Clown und Mussolini der Dumme August.

Wer ist in dieser Struktur nun Donald Trump?

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Der Politikwissenschaftler Herfried Münkler glaubt nicht wirklich, dass durch die Krise plötzlich alles anders wird. Wirkliche Veränderungen brauchen über eine Generation. | Screenshot

In der Krise braucht man Zuversicht: Apokalyptiker & Integrierte – Gedanken in der Pandemie 49. 

Heute ist der Corona-Blog mal ein bisschen anders als gewohnt. Denn ausnahmsweise besteht er aus einem Interview, das ich bereits Anfang April mit Herfried Münkler geführt habe – einem der (aus meiner Sicht) interessantesten deutschen Intellektuellen, Wissenschaftler und Beobachter des Zeitgeschehens: 

Münkler, Jahrgang 1951, wuchs in Bad Nauheim bei Frankfurt auf, studierte in Frankfurt, wo er mit dem Buch „Machiavelli. Die Begründung des politischen Denkens der Neuzeit aus der Krise der Republik Florenz“ (Fischer, Frankfurt 1984) promovierte, das bis heute als Standardwerk gilt. Von 1992 bis 2018 lehrte er als Professor für Theorie der Politik an der Berliner Humboldt-Universität.
Neben zahlreichen wissenschaftlichen Werken entstanden in dieser Zeit auch bei Rowohlt Bücher für ein breiteres Publikum, unter anderem „Imperien. Die Logik der Weltherrschaft – vom Alten Rom bis zu den Vereinigten Staaten.“  (Berlin 2005); „Die Deutschen und ihre Mythen“ (Berlin 2008); „Der Große Krieg. Die Welt 1914 bis 1918“ (Berlin 2013); „Der Dreißigjährige Krieg. Europäische Katastrophe, deutsches Trauma 1618–1648“ (Berlin 2017) und zuletzt gemeinsam mit Marina Münkler: „Abschied vom Abstieg. Eine Agenda für Deutschland“ (Berlin 2019). 

 

Herr Münkler, zu Beginn eine Frage, die gar nichts mit Seuchen und Pandemien und der aktuellen Lage zu tun hat: Sie sind Politikwissenschafter, Literatur benutzen sie ja in Ihren Büchern oft als Quellen – aber wie ist eigentlich Ihr Verhältnis zum Film?
Nein, die verwende ich gar nicht. Ich hatte in meinem aktiven Berufsleben nie die Zeit, viel in Filme zu gehen. In mancher Hinsicht konkurrieren Bücher und Filme auch miteinander, um Zeit nämlich. Insofern habe ich zwar manche Filme gesehen, aber um mich zu unterhalten, nicht unter dem Gesichtspunkt, um durch sie eine Vorstellung von der kulturellen Veränderung dieser Gesellschaft zu bekommen.

Das ist schade …
Ja, ich weiß. Aber es gibt so Dinge, die funktionieren eben nur so. Es liegt wohl auch meiner Generation. Meine Frau ist achteinhalb Jahre jünger und da schon anders aufgestellt. Sie hat in Dresden an der TU ein paar Kollegen, die auch in der Literaturwissenschaft sehr viel mehr mit Filmen arbeiten. Wenn ich in dieser Hinsicht irgendetwas mitbekommen will, dann zapfe ich diese Quellen an.  Weiterlesen

Die erste Probe der Berliner Philharmoniker nach dem Zweiten Weltkrieg war am 25. Mai 1945. Bei Corona dauert es länger. | Foto © Stiftung Berliner Philharmoniker

Jeder ist ein Künstler; außer den Sklaven: Apokalyptiker & Integrierte – Gedanken in der Pandemie 48. 

„Good-morning, Revolution:
You’re the very best friend
I ever had.
We gonna pal around together from now on.“
Langston Hughes

 

Was es alles für Fragen gibt, über die man sich potenziell viele Gedanken machen muss. So zum Beispiel, ob man „jetzt“ mit dem Zug fahren darf? Oder ist der Zug zu voll, um dem Durchschnittsmenschen der wohlfahrtsstaatlichen Demokratie ausreichend Sicherheiten vor Infektion zu gewährleisten. Soll man besser erster Klasse fahren? Oder mit dem Auto? In der privaten PKW-Filterblase ist es vergleichsweise Corona-sicher, aber das Klima, das Klima … Zudem reden wir von einer Welt, in der die Wahrscheinlichkeit bei einem Autounfall, zu sterben, genauso hoch ist, wie die Covid-19 zu bekommen. Man muss mehrmals leben, damit einem das passiert – statistisch gesehen. 

Trotzdem wird über das eine viel geredet, werden Gedanken und Sorgen hin und her gewälzt, über das andere nicht. 

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In der SWR-Serie „Labaule & Erben“ spielte Irm Herrmann (rechts) ihre letzte Rolle. Sie ist noch in der Mediathek zu sehen. | SWR, Violet Pictures, Maor Waisburd

Und? Fake-Fakten und Flurfunk, Freiheitsparadox, Film- und Lektüretips für Pfingsten: Apokalyptiker & Integrierte – Gedanken in der Pandemie 47. 

„Es kam ein Brausen, wie wenn ein Sturm daherfährt, und es erschienen Feuerflammen, auf jeden ließ sich eine nieder.“
Apostelgeschichte 2.2-3

„Ich glaube nicht an eine Kunst, die auf einer Kompositionsidee basiert oder einer Form. Im Grunde ist es meine Idee, allem entgegenzuwirken, was ich je gelernt habe oder was man mir beibrachte, um etwas anderes zu finden.“
Eva Hesse, Künstlerin (1936-1970)

„Erstens: Erkenne die Lage.
Zweitens: Rechne mit deinen Defekten, gehe von deinen Beständen aus, nicht von deinen Parolen.

Drittens: Vollende nicht deine Persönlichkeit, sondern die einzelnen deiner Werke.“
Gottfried Benn

 

„Der Flurfunk fällt weg.“ Ein Freund erzählt mir, wie er das nach wie vor andauernde Arbeiten im Home-Office empfindet: „Gerhard Polt kommt manchmal rein, und sagt einfach nur: ,Und?’ Das löst alles aus.“ Und jetzt falle dieses ganze Nebensächliche weg. Das Weiche, Unstrategische. Die strategische Verhalten infiltriere auch noch das Private. Zur Gesprächskultur gehöre ja gerade, was Falsches zu sagen, ja auch was, worauf das Gegenüber beleidigt reagiert. In der Zoom-Konferenz aber funktioniere das alles nicht mehr. 

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Tatsächlich sind der Überschuss und der Exzess vielleicht das Wichtigste menschlicher Kommunikation. Man könnte also sagen, dass Corona in diesem Sinn durch das genannte Stromlinienförmig-Werden alles noch weiter neoliberalisiert, als es sowieso schon war. Es gibt aber sofort dazu auch eine Antithese. 

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„We Are One“ – das Youtube-Film-Festival ist ein Betrug am Zuschauer und ein Verrat am Kino: Apokalyptiker & Integrierte – Gedanken in der Pandemie 46.

„Brandige Glieder können nicht mit Lavendelwasser geheilt werden.“
Georg Wilhelm Friedrich Hegel

 

Morgen am Freitag geht es los. Ein „globales Filmfestival“. Alle wichtigen Filmfestivals sind dabei. Insgesamt 21 tun sich zusammen. Alle zeigen Filme. Dazu Aufzeichnungen von Podiumsdiskussionen, Masterclasses und Präsentationen. Und alles gratis. 

Begleitet von einer Spendenaktion für die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und weitere lokale Charity-Organisationen. Die Berlinale ist natürlich auch dabei. 

Eine tolle Sache – oder? 

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Es klingt wahnsinnig menschlich: „We are one“ – „Wir sind eins“. So wie man sich die Welt eben wünscht, wenn man sie sich malen könnte, und wenn das Eine Einzige Übrigebleibende nicht gerade ein globaler Konzern, ein transnationaler Streamingdienst oder ein weltweites Online-Kaufhaus ist. 

„We are one“ das klingt fast so wie „We are the world. We are the children“ – sehr werbetauglich, sehr amerikanisch, sehr nach saccharingesüßter Humanität und aseptischen Gefühlen.

Machen wir uns bitte nichts vor: „We are one“ ist zuallererst einmal eine Marketingidee. Der Versuch einer Markenbildung. 

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Die süße Last des Schreibens zeigt Spike Jonze schon 2002 in „Adaptation“. | Foto © Columbus Tristar

Selbst wenn morgen die Welt unterginge: Selbstbestimmung und Anregungsunternehmen, und kein Verrat am Kino: Apokalyptiker & Integrierte – Gedanken in der Pandemie 45. 

„Lieber Rüdiger: Die 50. Gedanken in der Pandemie liegen noch vor uns, denn Du bist ja ein paar Tage später regelmäßiger und wichtiger Teil unserer Corona-Mail geworden: Deine Gedanken entspringen zumeist aus dem, was Du beobachtest, hörst, erlebst, wiederentdeckst, liest … Wie geht es denn eigentlich Dir selbst als ,Selbstständiger’, als Person und Mensch in dieser Pandemie? Hat sich Menge und Art der Aufträge geändert, haben sich Arbeitsweisen geändert, was vermisst Du besonders?“
Oliver Zenglein

 

Auf die oben zitiert Mail von Oliver Zenglein, einer der beiden Gründer von Crew United, habe ich es erst mit einer kurzen Antwort versucht. Aber ich wusste, dass er die Frage ernst meint. Daher wollte ich sie auch ernsthaft beantworten. 

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Lieber Oliver, zunächst mal: Mir geht es gut! Für mich persönlich ist die Krise auch eine sehr angenehme Erfahrung gewesen. Ich konnte länger schlafen, musste nicht zwangsläufig aus dem Haus, habe neue Techniken kennengelernt und viel telefoniert.

Wie relativ viele Journalisten gehöre ich, entgegen dem Trend, zu den Profiteuren der Krise. Denn so, wie so viele Leute wie seit Jahrzehnten gerade die „Tagesschau“ und die Spezial-Sendungen der öffentlich-rechtlichen Sender schauen, so wie extrem viele gerade auch die Talkshows zu Corona ansehen, Zeitungen lesen, ja sich sogar im Netz alle möglichen Corona-Blogs reinziehen oder die ersten Corona-Bücher kaufen, die ja auch zurzeit gerade schon auf den Markt geworfen werden (was das Publikum natürlich auch deswegen tut, weil im Augenblick viele Menschen sehr viel Zeit haben), so geht es mir dann so, dass ich dieses gestiegene Bedürfnis bedienen muss. und deswegen keineswegs zu wenig Aufträge bekomme. 

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