Gedanken in der Pandemie 57: Panzerknacker in der Talerdusche

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Auf der Website sieht eigentlich alles bestens aus in den Schlachtbetrieben von Tönnies. In der Corona-Pandemie zeigt sich ein anderes Bild. | Screenshot

Schwein gehabt in NRW: Die Phantastilliarden unserer Sehnsucht: Apokalyptiker & Integrierte – Gedanken in der Pandemie 57. 

„Gouverner, c’est choisir.“
Paul Mendes-France, Politiker

„Vegetarismus und Veganismus sind Formen des Luxuskonsums, die die Umwelt belasten und den Menschen in ärmeren Ländern die Lebensgrundlage entziehen.“
Udo Pollmer, Ernährungsexperte

„Mögliche Auswirkungen auf die Jahresabschlüsse vorangegangener Geschäftsjahre können nicht ausgeschlossen werden.“
Wirecard-Pressemitteilung

„Es gibt Ideen, die ihren Weg zwar langsam machen, die aber nicht einfach wieder weggehen, weil nicht jedermann sie sogleich aufnimmt. Dazu gehört der Gedanke, daß es für alle Bürger entwickelter, zivilisierter Gesellschaften ein garantiertes Mindesteinkommen geben sollte.“
Ralf Dahrendorf

 

Wenn einer Fleischfabrikant ist, ist er fast schon Verbrecher. In jedem Fall ein sehr dankbares Opfer. Das ist zurzeit erst recht Clemens Tönnies, Fleischfabrikant aus Rheda-Wiedenbrück und für viele sowas wie der Gott des Gemetzgers. Zugegeben, Tönnies ist kein mir sehr sympathischer Typ, das sage ich schon mal deswegen, weil mein Lieblingsfußballclub der BVB ist und Tönnies Präsident von Schalke 04. Eigentlich sollte das zur Erklärung genügen. Darüber hinaus hatte Tönnies zuletzt auch nicht sehr elegante Formulierungen für schwarzafrikanische Lebensverhältnisse gewählt, in seinem Verein stimmt nichts, von oben angefangen bis runter zur Jugendabteilung, wo die Minijobber rausgeschmissen wurden, weil sie angeblich zu teuer sind.

Nun gut, und jetzt sein Metzgerei-Unternehmen: Gut 7.000 Menschen sind zurzeit in Quarantäne, 1.300 mit Corona infiziert, Tendenz steigend, und damit die unglaubliche Zahl von 20 Prozent der Fleischproduktion auf dem deutschen Markt betroffen. 2.374 Schweine pro Stunde, 20,8 Millionen Tiere pro Jahr, lässt dieser Fleischkönig zu Steak, Schnitzel, Wurst und Mett verarbeiten. 

Er ist also eine dankbare Figur am Medienpranger, nicht nur als größter Schlachter der Republik, sondern als ziemlich sturer, veränderungsunfähiger oder -unwilliger Dickschädel. 

Jetzt sieht er sich einem kuriosen Bündnis aus Gewerkschaftern, Veganern, Fußfallfans, Antirassisten und  Tierschützern gegenüber. Und nun auch Politikern.

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Jetzt haut Arbeitsminister Hubertus Heil kräftig auf die Populismuspauke: Tönnies soll für Coronavirus-Ausbruch haften, verkündete der Sozialdemokrat. Und warum? Der Konzern habe mit Verstößen gegen die Corona-Regeln „eine ganze Region in Geiselhaft genommen“ sagte Heil am Sonntagabend. Woher weiß er das? Auch Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter zieht nach: Tönnies solle die durch den Virus-Ausbruch entstandenen Kosten „aus seinem Privatvermögen tilgen, nicht aus dem Firmen-Vermögen.“ 

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Vielleicht sollten Heil und seine Partei besser ihre Zeit mit dem Nachdenken über andere Dinge verbringen. Vor 14 Tagen habe ich hier ein bisschen öffentlich über die Idee des „Bedingungslosen Grundeinkommens“ nachgedacht. Es gab viel Post mit Anregungen, Bitten um Fortsetzung und Argumenten gegen meine Skepsis. Danke dafür!

Darum mache ich hier mal weiter, auch heute ohne Anspruch auf abschließendes Ergebnis, nur mit ein paar Zwischengedanken, aber mal von der anderen Seite kommend. Offensichtlich ist, dass die Corona-Krise die Debatte um das bedingungslose Grundeinkommen, also ein „Bürgergeld“ (SPD, FDP), eine „negative Einkommenssteuer“ (FDP, Grüne), eine „bedingungslose Existenzsicherung für alle“ (Linke) belebt. Über 800.000 Menschen haben Petitionen an den Deutschen Bundestag unterzeichnet, in denen das gefordert wird. Die Coronakrise hat die Debatte neu entfacht, doch die Vorschläge sind so unterschiedlich wie umstritten.  

Der Grundgedanke ist folgender: Wenn ich in dieser Gesellschaft leben will, brauche ich Geld, um überhaupt teilhaben zu können. Geld muss daher umgedacht werden: Es geht nicht um Lohn für etwas Bestimmtes, sondern um Ermöglichung des Allgemeinen – in Zukunft. Einkommen ist immer in die Zukunft gerichtet. Wir leben ja auch (hoffentlich) in die Zukunft. 

Freiheit und Gleichheit aller Bürger setzen ein Mindest-Einkommen voraus. Die Debatte der letzten Jahre kreist um öffentliche Güter und Anspruchsrechte, um „das Recht, Rechte zu haben“. Menschenrechte sind nämlich nur einerseits Abwehrrechte, „negative Rechte“ (Freiheit von etwas). Dazu brauchen wir auch positive Rechte: Recht auf Nahrung, Unterkunft, würdige Existenz. 

Die Idee des Grundeinkommens radikalisiert diese Debatte. 

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Vor fast 35 Jahren, am 17. Januar 1986, schrieb Ralf Dahrendorf, ehemaliger Max-Horkheimer-Assistent, Soziologe, politischer Philosoph, Vordenker der „sozialliberalen“ FDP, einen Text in der „Zeit“, der den Titel hatte: „Für jeden Bürger ein garantiertes Einkommen. Ein Leben auch ohne Lohnarbeit – wie ein neuer Sozialkontrakt aussehen müßte“. 

Er plädiert für ein solches Grundeinkommen, um das „Zerbröseln des Sozialkontrakts“ zu verhindern. 

„Es mag sein, daß ein solches Mindesteinkommen zunächst und auf lange Zeit unter der für eine halbwegs zivilisierte Existenz nötigen Grenzlinie liegt. Es mag also sein, daß nicht nur im Normalfall Ergänzungen durch öffentliche und private Versicherungen sowie durch privates Sparen nötig sind, sondern auch im Extremfall zusätzliche Leistungen von der Form des Armenrechts. Unter Aspekten der Legitimität einer staatsbürgerlichen Gesellschaft ist das garantierte Mindesteinkommen dennoch auch einem großzügigen Armenrecht vorzuziehen. Nur der allgemeine Weg kann uns zurückführen zu einer 99-Prozent-Gesellschaft, also zu einem Gemeinwesen, das durch sein praktisches Handeln die Zugehörigkeit aller anerkennt.“

Es gehe um die Grundfrage: „Gehen wir in eine Zeit, in der die Mehrheitsklasse der Besitzenden immer brutaler ihren Status verteidigt – oder öffnen wir uns erneut für die Bürgerrechtsgesellschaft, die allen Freiheit verspricht?“

Jeder von Euch kann den Text selber kostenlos lesen, als erste Grundlage für Weiteres. Allemal sind die Befürworter des Grundeinkommens keine wirtschafts- und sozialpolitischen Laien, die die Phantastilliarden mit beiden Händen ausgeben. Und wenn etwas im Grundsatzprogramm der SPD und der FDP steht, dann ist es entweder vollidiotisch oder des Nachdenkens wert. Ich habe mich für die zweite Variante entschieden. 

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Weiterhin rätseln viele Menschen, was man von der schwedischen Corona-Politik halten soll. In den „Blättern für deutsche und internationale Politik“ liest man darüber einen interessanten Beitrag von Jens Mattern. Neben dem üblichen Hin und Her zwischen Für und Wider und der deutschen Grundhaltung, im Zweifel gegen Freiheit und Selbstverantwortung, und damit im Zweifel wider die schwedische Politik zu sein, ist das wirklich Interessante gegen Ende des Textes der historische Vergleich zwischen Schweden und den drei skandinavischen Nachbarländern Norwegen, Finnland und Dänemark. „Ein Blick in die Geschichte“ heißt es da, könnte eine Erklärung für das unterschiedliche Verhalten der Länder in der Corona-Frage liefern: „das schwedische Königreich konnte sich seit der Zeit Napoleons erfolgreich aus direkten militärischen Konflikten raushalten, während die drei anderen skandinavischen Länder Kriegshandlungen des Zweiten Weltkriegs durchlebten. Finnland, dass davon innerhalb Skandinaviens am stärksten betroffen war, pflegte die im Kalten Krieg errichteten und an geheimen Orten über das Land verteilten sogenannten Bereitschaftslager mit Masken und Schutzausrüstungen auch nach 1990 weiter und profitiert in der derzeitigen Krise davon. Die Finnen stufen sich selbst gern als ,Pessimisten’ ein, gehen eher vom Schlimmsten aus und sehen die Schweden als immerwährende ,Optimisten’, schließlich sei bei jenen das Schlimmste lange Zeit nicht eingetreten.“

Vielleicht erklärt sich die unterschiedliche Herangehensweise von Staaten und Regionen viel häufiger aus solchen „weichen“ Faktoren wie Kultur, Geschichte und Tradition, als aus statistischen Daten oder rein rationalen Überlegungen. Auch das gilt dann selbstverständlich für beide Seiten. 

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Völlig unabhängig einmal davon, ob jetzt die schwedische Corona-Politik richtig oder falsch ist, muss man in jedem Fall feststellen, dass ähnlich wie in der Bundesrepublik, wo eine ganz andere Politik betrieben wird, die Zustimmungsraten für die Regierung extrem hoch sind, und in den letzten Wochen eher stiegen: So ist das Vertrauen in die Regierung in Schweden von 34 auf 53 Prozent gestiegen, das Vertrauen in die staatliche Gesundheitsbehörde seit März von 50 sogar auf 71 Prozent.

Man liest dort eben so wenig deutsche Zeitungen wie hierzulande schwedische. 

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Die düstere Seite der schwedischen Corona-Politik liegt auf der Hand. Sie lautet, überspitzt gesagt: Die Schweden haben die Alten geopfert. Ohne Frage ist die Zahl der Todesfälle pro 100.000 Einwohnern etwa viermal höher als in Deutschland; und die meisten Todesfälle ereignen sich wie in Deutschland und anderen europäischen Ländern in Altenpflegeheimen. Was ich nicht weiß, ist, inwiefern man die Verhältnisse dort, und auch die Altersstruktur dort mit anderen Ländern vergleichen kann. 

Auf der anderen Seite argumentieren die Schweden bekanntermaßen damit, dass sogenannte Kollateralschäden und das Sterben an anderen Krankheiten sowie die langfristigen Todeszahlen niedriger sein werden, als in Ländern, wo ein mehr oder weniger totaler Shutdown stattgefunden hat. Darüber wird man erst frühestens in einem Jahr mehr wissen. 

Immerhin lobte Anfang Mai der Exekutivdirektor des WHO-Programms für Gesundheitsnotfälle, Mike Ryan, das schwedische Vorgehen: Von Schweden könne man lernen, wie man sich ohne strikte Verbote auf die Einsicht der Bürger verlassen könne. Schweden sei bereits dort, wo andere Länder erst noch hinkommen wollen, heißt du es dort, und die Zeitschrift „Foreign Affairs“ erklärte verkürzend, dass wir alle (sprich: alle Staaten der westlichen Welt) früher oder später den schwedischen Weg einschlagen werden. Allemal ist klar, dass sich Westeuropa mit seiner augenblicklichen Öffnungspolitik den Zuständen annähert, die in Schweden längst herrschen.

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Ob es sich bei der Führung von Wirecard nun um die Panzerknacker oder um Onkel Dagobert handelt, liegt im Auge des Betrachters, allemal hat man es offenbar statt mit einer Talerdusche mit Phantastilliarden zu tun: Konten des DAX-Unternehmens über 1,9 Milliarden Euro existieren wahrscheinlich nicht. 

Ein Milliardenbetrug und Bilanzskandal erster Güte, mit dem der New-Economy-Bezahldienstleister plötzlich am Abgrund steht. Noch gibt es Hoffnung auf ein Stillhalten der Banken. 

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Um Phantastilliarden geht es auch bei den Finanzspritzen zur Beseitigung der Schäden durch den Corona-Lockdown. 

Hat sich noch keiner von Euch Lesern gefragt, warum das Ganze eigentlich konsequent „Konjunkturpaket“ oder „Rettungspaket“ genannt wird, als ob es um die üblichen, gott- und marktgegebenen Konjunkturschwankungen ginge? Mit diesem verniedlichenden Begriff wird davon abgelenkt, dass es die gleichen Politiker waren, die die Wirtschaft zuvor abgewürgt und in Not gebracht haben – vielleicht mit guten Gründen. Zu kurz kommen auch hier wieder die Selbständigen und Freischaffenden. Sie verlieren Aufträge en masse ohne eigenes Verschulden, die maximalen Zuschüsse liegen aber bei 9.000 beziehungsweise 15.000 Euro.

Das Geld ist aber für anderes da: Denn zusätzlich aufgeblasen wird das „Rettungspaket“ durch völlig sachfremde Zusatz-Auflagen, die man (Orwells Newspeak lässt grüßen) „Investitionen in die Modernisierung des Landes“ nennt. Hier geht es überhaupt nicht darum, den angerichteten Schaden der Corona-Anordnungen zu begrenzen, ihn zumindest teilweise wiedergutzumachen und zu retten, was noch zu retten ist. „Innovationsprämie“ für den Kauf eines Elektroautos, Subventionen für Elektromobilität und  Batteriezellenfertigung, Elektrobusse und Ladeinfrastruktur. Alles schöne Dinge, die aber nicht vorher nicht auch schön gewesen wären, und deshalb gerettet werden müssten – wären wir Verschwörungstheoretiker, würden wir jetzt schreiben: Corona hat den Regierenden gerade super ins Programm gepasst.

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