Der eine kommt, die andere geht. Millionen schalteten zum Abschied der Kanzlerin den Fernseher ein, um zu hören wie ein Nina-Hagen-Hit mit Blasmusik klingt. Und Karl Lauterbach wird in Zukunft wohl weniger Zeit für Talkshows haben. | Foto © BR

Karl Lauterbach talkt sich auf einen Ministersessel. Und die Physikerin tritt ab – Gedanken in der Pandemie, Folge 140.

„Ich möchte Deutschland dienen.“
Angela Merkel, 2005 bei ihrem Amtsantritt

„Weg mit den Spaltern der Arbeiterfront/ den Verrätern am Proletariat!/
Uns hilft nur die Rote Einheitsfront/ von Arbeiter, Bauer und Soldat/
Heraus aus dem alten Wahne/ Die Einheitsfront marschiert/
Unter der roten Fahne/ von Marx und von Lenin geführt.“
Text: Erich Weinert; Komposition: Hanns Eisler; Gesang: Ernst Busch 

Deutschland ist gerettet! Der Messias ist da!! Das Volk hat seinen Retter!!! Den Pandemieversteher, der spätestens heute auch ein Pandemiegewinner ist: Karl Lauterbach. Er ist der beste Beweis dafür, wie man allein durch Talk-Show-Auftritte Macht gewinnen, und sich die Gunst des Volkes und damit der Parteien erringen und sich unentbehrlich machen kann. 

Das Beste an dieser Ernennung ist, dass das Bild des heiligen Lauterbach jetzt ziemlich schnell Risse bekommen wird. Denn alle Menschen machen Fehler. Und auch Karl Lauterbach ist, selbst wenn das manche nicht mehr wahrhaben möchten, ein Mensch. Er wird Fehler machen. Und das ist zumindest für ihn eine neue und gute Erfahrung.

Tina Hassel, Leiterin des ARD-Hauptstadtstudios kommentierte heute treffend: „Lauterbach verdankt seine Berufung einer medialen Dauerpräsenz und seiner öffentlichen Position als Corona-Mahner. Jetzt aber muss Lauterbach beweisen, dass er nicht nur von der Pandemie warnen, sondern sie auch managen kann.“

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Es kriselte schon mächtig: Anfang 1969 trafen sich die Beatles sich in einem Filmstudio für die Aufnahmen zu ihrem Album „Let it be“. Peter Jackson hat das Material eindrucksvoll restauriert. Der Doku-Dreiteiler „Get Back“ erzählt das Ende der Kult-Band neu. | Foto © Disney Plus

Die Medien als Pandemie-Treiber. Das Versagen der Politik. Und die Verantwortungslosigkeit der Bürger – Gedanken in der Pandemie, Folge 139.

„Doesn’t have a point of view/Knows not where he’s going to/Isn’t he a bit like you and me?“
The Beatles, „Nowhere Man“

„If you are the dealer, I’m out of the game
If you are the healer, it means im broken and lame
If thine is the glory, then mine must be the shame
You want it darker
We kill the flame“
Leonard Cohen, „You Want It Darker“

„Vertrauen ist der Anfang von allem.“
Deutsche-Bank-Werbespot, 1990er-Jahre 

„Ich bin hingerissen!“ schrieb mir ein begeisterter Oliver Zenglein gleich ganz unmittelbar am gestrigen Sonntag seinen Eindruck von Peter Jacksons Doku-Miniserie über die Beatles: „Und ich war immer eher der John-Lennon- Typ. Aber jetzt bin ich ein Fan von Paul. „Peter Jackson kommentiert nichts. Er lässt es laufen. Wir sehen vier junge Männer (die sind ja erst zwischen 25 und 28, sehen aber älter aus) die eigentlich schon alles erreicht haben, aber die mit Epstein ihren Vater verloren haben. Sie sind so unglaubliche Musiker und trotz allem auch Kindsköpfe. Es ist magisch zu sehen, wie ,Get Back‘, ,Don‘t Let Me Down‘ und ,Let It Be‘ entstehen. Und Yoko? Und Paul? Hier muss Musikgeschichte umgeschrieben werden. Die beiden waren nicht der Grund der Trennung.“

Auch sonst erfährt man offenbar Neues: „Wusstest du, dass sie Billy Preston ins Studio geholt hatten und er eigentlich auf allen Songs der LP ,Let It Be‘ dabei ist? Er war quasi ein schwarzer fünfter Beatle.“ 

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Gleich vier Filme über Kühe waren vorige Woche auf dem Festival Mannheim-Heidelberg zu sehen. Zum Beispiel Andreas Arnolds „Cow“. Fürs Impfen (und die Angst davor) hat das Tier übrigens eine besondere Bedeutung. | Foto © IFF Mannheim-Heidelberg

Warum wir uns verkuhen müssen und man es nicht allen rechtmachen kann: Professorenpolitik, Fortschrittsfeindschaft und Schweden – Gedanken in der Pandemie, Folge 138.

„Schon jetzt sterben in unserem Land 700 Menschen pro Woche – Tendenz steigend. Jeder Tag des Abwartens kostet Menschenleben. […] Verantwortung [bedeutet] eine aufrichtige, besonnene und vor allem kohärente Kommunikation, die den Bürgerinnen und Bürgern vertraut, ihnen aber auch unangenehme Wahrheiten zumutet sowie klare und konsistente Verhaltensrichtlinien vorgibt. Dass eine solche Kommunikation sowie einheitliche verbindliche Regelungen weiterhin fehlen, untergräbt das Vertrauensverhältnis zwischen Regierung und Bevölkerung, beschädigt somit auch das Vertrauen in die Maßnahmen – unter anderem in das Impfen – und trägt dadurch erheblich zur Verlängerung der Pandemie bei.“
Appell von 35 Wissenschaftlern. 

„Wenn nur soziale Gebilde beständen, denen die Gewaltsamkeit als Mittel unbekannt wäre, dann würde der Begriff ,Staat’ fortgefallen sein, dann wäre eingetreten, was man in diesem besonderen Sinne des Wortes als ,Anarchie’ bezeichnen würde. Gewaltsamkeit ist natürlich nicht etwa das normale oder einzige Mittel des Staates: – davon ist keine Rede –, wohl aber: das ihm spezifische. Gerade heute ist die Beziehung des Staates zur Gewaltsamkeit besonders intim. In der Vergangenheit haben die verschiedensten Verbände – von der Sippe angefangen – physische Gewaltsamkeit als ganz normales Mittel gekannt. Heute dagegen werden wir sagen müssen: Staat ist diejenige menschliche Gemeinschaft, welche innerhalb eines bestimmten Gebietes das Monopol legitimer physischer Gewaltsamkeit für sich (mit Erfolg) beansprucht.“
Max Weber, „Politik als Beruf“; 1919.

„Vaccination“ – gleich vier Filme über Kühe waren in der letzten Woche auf dem „Internationalen Filmfestival Mannheim-Heidelberg“ bei seiner 70-Jahre-Jubiläumsausgabe zu sehen. In einem stand eine Kuh nicht nur im Mittelpunkt, sondern sie war Heldin und Hauptfigur des Films: Ausgerechnet von der britischen Sozialrealistin Andreas Arnold stammt er und heißt wie sein Gegenstand: „Cow“. 

Ein wunderbarer, schöner Film, auch für Nicht-Vegetarier wie mich. Er brachte mich auf etwas anderes. Woher kommt eigentlich der Ausdruck „vaccination“ und „vaccinare“? Hat das am Ende etwas mit Kuh zu tun? Tatsächlich! 

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Mit einem Dokumentarfilm über Straßenkinder in Nepal hatte Justin Peach vor zwölf Jahren den „Deutschen Nachwuchsfilmpreis“ gewonnen. Sein neuer Film „Street Line“ setzt die Geschichte jetzt fort. | Foto © Seweryn Zelazny

Justin Peach (39) hatte 2009 mit „Kleine Wölfe“ eine bewegende Doku über Straßenkinder in Nepal gedreht. Und damit beim Up-and-coming Filmfestival in Hannover gewonnen. Jetzt schließt sich der Kreis. Ende November sitzt  Peach selbst in der Jury, die Deutschlands talentierteste Nachwuchsfilmer sucht. Ein Gespräch über kleine Hüte, großes Kino, Knutschen im Kinosessel und ein digitales Festival in Corona-Zeiten. 

Interview: Andreas Daebeler und Ilona Lütje

Justin, Du warst 2009 mit der Doku „Kleine Wölfe, in der das Schicksal nepalesischer Straßenkinder nachgezeichnet wird, beim Up-and-coming am Start. Was hat Dich damals bewogen, Dich fürs Festival zu bewerben?
„Kleine Wölfe“ war mein Abschlussfilm an der Hochschule Mainz und wir hatten eigentlich keine großen Ambitionen, außer dass wir eine Note gebraucht haben. Ich habe den fertigen Film damals dann überall eingereicht und gehofft, dass er gezeigt wird. Erstmal ist man klein mit Hut, bewirbt sich und guckt, ob der Film ankommt und Festivals den überhaupt zeigen. 

Gezeigt wurde er in Hannover. Und Du hast dann sogar den Deutschen Nachwuchsfilmpreis abgeräumt. Der erhoffte Booster für Dich als Filmemacher?
Klar. Das war Gänsehaut. Krass. Ich weiß noch, dass ich damals mit einem Kumpel zurück nach Mainz gefahren bin und auf einmal lief im Radio die Nachricht, dass ich gewonnen habe. Da war mir sofort klar, welche Tragweite das hat und dass ganz Deutschland das mitkriegt. Und so war es dann auch – gut für meine Karriere. Als junger Kameramann und Filmer ist es wichtig, erstmal einen Fuß in die Tür zu kriegen. Von dem Moment an wurde ich überall vorgestellt mit den Worten: das ist Justin, der hat den Deutschen Nachwuchsfilmpreis gewonnen. Ich bin sehr dankbar, weil ich auf jeden Fall profitiert habe.

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Manche vertrauen lieber auf Hausrezepte als auf Impfstoffe als Schutz gegen das Virus. In Österreich ist das Anti-Wurmmittel Ivermectin ausverkauft.

Die Inszenierung der Unfähigkeit: In der Matrix; die Wahrheit da draußen. Und ein Plädoyer für Gelassenheit – Gedanken in der Pandemie, Folge 137.

„Den Teufel spürt das Völkchen nie,
Und wenn er sie bei’m Kragen hätte.“
Goethe, Faust I, Vers 2182

„Die Pandemie wird erst beendet sein, wenn sich jeder infiziert hat – entweder nachdem er auch geimpft worden ist oder davor.“
Christoph Specht, Medizinexperte

In Österreich ist neuerdings das Anti-Wurmmittel Ivermectin ausverkauft. Obwohl Experten und Wissenschaftler von der Einnahme abraten, ist das vor allem in der Tiermedizin eingesetzte und rezeptpflichtige Medikament in vielen Apotheken Österreichs ausverkauft. In impfskeptischen Kreisen wird das Medikament nämlich neuerdings als Wundermittel gegen Covid-19 gefeiert. In der Tiermedizin dient Ivermectin vor allem bei Pferden, Schafen, Schweinen oder Rindern zur Entwurmung. Beim Menschen sind die Ivermectin-Tabletten zur Behandlung von Krätzmilben, Zwergfadenwürmern, tropischen Fadenwürmern oder Kupferakne zugelassen.

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Die Inzidenzen steigen, die Diskussion schwillt an: Impfzwang oder nicht? (Szenenfoto aus „Beyond Re-Animator“). | Foto © Capelight Pictures

Stattdessen gibt es Dinge, die man nicht nur für sich selbst, sondern auch für seine Mitmenschen tun muss, aber auch erhöhter Druck führt zum Impferfolg – und eine Erinnerung an Bettina Gaus. Gedanken in der Pandemie, Folge 136.

„Die Welt des Glücklichen ist eine andere als die des Unglücklichen.“
Ludwig Wittgenstein, 6.43

„Ich weiß aber eines: ich würde wahrscheinlich noch drei Minuten vor dem sicheren Tode lachen.“ 
Hannah Arendt

Es sind sehr sehr traurige Nachrichten, die uns letzte Woche erreicht haben: Bettina Gaus ist gestorben. Nach „kurzer schwerer Krankheit“. Sie war erst 64 Jahre alt, und arbeitete 30 Jahre für die taz. Ein großer Verlust für den deutschen Journalismus und für die deutsche Öffentlichkeit in der sie eine einmalige, unverzichtbare Figur war.

Ich habe sie nicht wirklich gekannt, bin in nur ein paar Male in größeren Runden begegnet, bei öffentlichen Diskussionsveranstaltungen zum Beispiel und einmal, als sie vor etwa zehn Jahren im Auswärtigen Amt ihr Buch über Afrika vorstellte, über ihre Erfahrungen berichtete. Mit einem Afrikaner hat sie auch zusammen gelebt, und eine Tochter gehabt. 

Für ihr Buch ist Gaus, die sowieso gern reiste, mit Laptop und leichten Gepäck monatelang durch Afrika gereist. Ihre zentrale These ist für uns heute auch noch interessant: Mittelstand muss entwickelt werden. Je weniger groß die Unterschiede zwischen Arm und Reich in einem Land sind, umso glücklicher sind die Menschen, um so friedlicher die Gesellschaften. 

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„In einem Jahrzehnt werden die Kameras überhaupt keine Wechselmedien mehr haben“, meint Michael Cioni. Der „Hollywood Reporter“ hat ihn neulich als einen der einflussreichsten Technik-Experten Hollywoods ausgezeichnet. Cioni war Mitbegründer und CEO des Postproduktionshauses Light Iron, Produktdirektor für das 8K-Kamera-Ökosystem „Millennium DXL” von Panavision und schließlich bei der Videoplattform frame.io für „globale Innovationen“ zuständig. | Foto © MTH Conference

Um Medientechnik der nächsten Generation geht’s bei der  MediaTech Hub Conference am 10. und 11. November in Babelsberg und Online. Da kennt Michael Cioni sich aus. Er leitet zahlreiche Workflow-Innovationen, darunter die Camera-to-Cloud-Technik. Am kommenden Mittwoch erklärt er, wie effiziente Workflows zu mehr Kreativität verhelfen.

Michael, Sie sind sicherlich einer der bekanntesten Innovatoren in Hollywood, und die Produktionsbranche verändert sich noch immer massiv. Wo stehen wir?
Die Leidenschaft für meine Arbeit war und ist immer durch die Verschmelzung von Technik und Kreativität motiviert, um die kreative Kontrolle für Filmemacher zu verbessern. Ich nenne es „Technative“, weil es Technologie kreativ einsetzt, um neue Workflows zu entdecken und aufzuzeigen, sodass das Machen von Filmen und Fernsehen sowohl einfacher als auch besser wird. Aus meiner Sicht gibt es alle fünf oder sechs Jahre einen neuen Technologieschub, und ich liebe es zu erkennen, was sich am Horizont abzeichnet und ein Early Adopter zu sein.
Bei jeder technologischen Transformation gibt es Hindernisse, die überwunden werden müssen und die Akzeptanz in der kreativen Gemeinschaft erfolgt in kleinen Schritten. Wenn es darum geht, Produktion und Postproduktion vollständig in die Cloud zu verlagern, gibt es Herausforderungen wie Bandbreite, Cloud-Codec-Unterstützung, Sicherheit und virtuelles Asset-Management.
Als ich die Möglichkeiten der Cloud evaluierte, war Frame.io bereits das weltweit am schnellsten wachsende professionelle Cloud-Collaboration-Tool und ich war inspiriert, mich den Gründern Emery Wells und John Traver anzuschließen, weil sie die Vision, das technische Talent und das Fundament hatten, auf dem sie aufbauen konnten. 

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„Ein Schnittwunder“ nennt die Jury den Spielfilm und meint damit letztlich den Editor: Kaya Inan war zur Verleihung des „Schnitt-Preises“ in Köln zugeschaltet. | Foto © Juliane Guder/Edimotion

Beim „Edimotion“ wurde Mitte Oktober wieder die Kunst der Filmmontage gewürdigt. Der „Schnitt-Preis“ für die beste Spielfilmarbeit ging an den Editor Kaya Inan für „Wanda, Mein Wunder“.

Lieber Kaya, gratuliere zu Deiner Montage-Leistung bei diesem Spielfilm, in dem sowohl das grandiose Ensemble als auch die unterschiedlichen Tonalitäten hervorstechen. Wie bist Du zu dem Projekt gestoßen?

Meine erste Schnittassistenz war bei „Die Herbstzeitlosen“ (2006), Bettinas Durchbruch als Regisseurin. Ich habe danach noch ein Kunstvideo für sie geschnitten, während meiner Studienzeit in Ludwigsburg, aber beides ist schon lange her.
Ich kannte die Produzenten Lukas Hobi und Reto Schaerli von zwei früheren Projekten. Das erste war die Teenager-Komödie „Achtung, fertig, Charlie!“ (2003) – mein Einstieg in die Filmbranche, damals noch als Schauspieler. Da habe ich bei einem Street-Casting mitgemacht und bin so überhaupt erst auf Film als ein mögliches Berufsfeld gestoßen. 2016 haben Lukas und Reto mich als Editor angefragt, für den Kinderfilm „Papa Moll“. Danach schlugen sie mich auch Bettina vor; so haben sich unsere Wege noch mal gekreuzt.
Ich mochte das Drehbuch zu „Wanda, mein Wunder“ von Anfang an; dieser Humor und diese Figuren. Ich habe die Figuren bereits beim Lesen sehr stark gespürt.

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Zwei Filme hatte Bettina Böhler in den 1990er-Jahren für Christoph Schlingensief geschnitten. Für ihre erste eigene Regiearbeit verdichtete sie Interviews, Filmszenen, Footage und frühe Super-8-Filme zu zwei Filmstunden. | Foto © Juliane Guder/Edimotion

Beim Festival für Filmschnitt und Montagekunst „Edimotion“ wurden vorige Woche in Köln die besten Arbeiten des Jahres in drei Kategorien ausgezeichnet. Der „Schnitt-Preis“ für die beste Dokumentarfilmarbeit ging an Bettina Böhler: „Schlingensief – in das Schweigen hineinschreien“ erinnert an den Regisseur und  Aktionskünstler Christoph Schlingensief, der vor elf Jahren  verstarb.

Du hast mit „Terror 2000“ und „Die 120 Tage von Bottrop“ selbst zwei Schlingensief-Filme montiert und ihn dadurch auch im Miteinander des Schneideraums gut gekannt. Wie sehr hast Du bei dem Film über ihn und seine Kunst, zehn Jahre nach seinem Tod, versucht, dem gerecht zu werden, was er möglicherweise gewollt hätte? Und wie sehr war es vielleicht auch notwendig, sich davon zu emanzipieren, eine eigene Stimme zu finden?

Beide Zusammenarbeiten mit Christoph Schlingensief liegen ja schon weit über zwanzig Jahre zurück. Aber trotzdem haben die Filme und die Begegnung mit Christoph mein Nachdenken über Film und politische Kunst im Allgemeinen sehr beeinflusst. Schon damals habe ich diesen Mut und die Energie bewundert. Und ich habe auch intuitiv seinen Stil und das, was ihn angetrieben hat, verstanden, obwohl die Drastik und Extremität auch für mich gewöhnungsbedürftig waren. Die Unbedingtheit der Assoziation war für mich ein Leitfaden bei meiner Montagearbeit. Ich habe natürlich sehr, sehr viele seiner außerordentlich unterschiedlichen Werke angeschaut. Und bei jedem Werk, sei es Film, Theater, Oper, Talkformat oder politische Aktion, ging es nie in erster Linie um die Erzählung, sondern um das, was hinter der Erzählung ist, beziehungsweise was sie bewirkt. Und trotzdem wollte ich sein Leben und Werk zu einer eigenen Erzählung machen. Einer Erzählung, der man folgen kann, auch wenn man noch nie von ihm als Künstler gehört hatte. Ich habe mich also über ein gewisses „Chaos“, das ihm wohl mehr entsprochen hätte, zugunsten der Nachvollziehbarkeit seiner künstlerischen Persönlichkeit hinweggesetzt.

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An der Montage hatten Famil Aghayev und der Regisseur und Drehbuchautor Fabio Thieme gemeinsam gearbeitet. Den „Förderpreis Schnitt“ für beide nahm der Editor alleine entgegen – Thieme musste arbeiten. | Foto © Juliane Guder/Edimotion

Beim Edimotion, dem Festival für Filmschnitt und Montagekunst, wurden vorige Woche in Köln die besten Arbeiten des Jahres in drei Kategorien ausgezeichnet. Wir sprachen mit den Preisträger*innen und beginnen die Interview-Reihe mit dem Kurzfilmpreis: Famil Aghayev und Fabio Thieme gewann für „Suite“ den „Förderpreis Schnitt“, die Fragen beantwortete Aghayev. 

„Suite“ ist als Mockumentary eine hybride Form zwischen den Gattungen Dokumentar- und Spielfilm. Wie habt Ihr in der Montage austariert, wie weit ihr in Richtung vermeintlicher dokumentarische Glaubwürdigkeit schneiden wollt, oder wie transparent Ihr das Spiel mit den Genres macht?

Wenn man einen Dokumentarfilm macht, achtet man stark auf diese Dinge, denke ich. Bei einer Mockumentary weniger. Für uns hat das eher ästhetisch eine Rolle gespielt – dass einfach gedreht wurde, ohne Farbeffekte. Für uns war einfach wichtig, dass es sowohl als Dokumentarfilm als auch als Spielfilm in der Wahrnehmung funktionieren würde.

Aber Ihr habt ja im Schnitt den Moment bewusst drin gelassen, als der Schauspieler in die Kamera fragt „war das jetzt gut so“ – das ist ja ein deutlicher Hinweis … Weiterlesen

Ab Donnerstag im Kino: Die Langzeitdokumentation „Aufschrei der Jugend – Fridays for Future inside“ begleitet die Bewegung über anderthalb Jahre. | Foto © W-Film

Frauen, Bücher, Fußballer in Coronazeiten – Gedanken in der Pandemie, Folge 135.

„Sensibilität ist eine zivilisatorische Errungenschaft. Im Kampf um Anerkennung unterdrückter Gruppen spielt sie eine wichtige Rolle. Aber sie kann auch vom Progressiven ins Regressive kippen. Über diese Dialektik müssen wir nachdenken, um die gesellschaftliche Polarisierung zu überwinden.“
Svenja Flaßpöhler, Philosophin

„Wenn eine Frage an uns gestellt wird, müssen wir antworten. Die Frage ist immer nur: wie tun wir das, wann tun wir das und in welcher Form tun wir das. Die schnelle Antwort ist ja nicht immer die beste.“
Felicitas Hoppe, Schriftstellerin

„Bücher sind Empathie-Maschinen.“
Margaret Atwood

Ja, jetzt gehen die Zahlen wieder hoch. Und zwar rasant! Die Diskussionen kehren wieder, wie Inzidenzwerte zu bewerten sind, was im Sommer versäumt wurde, was man sich in Kulturstätten und an den Schulen trauen darf, ob Kinder besonders gefährlich, besonders zu schützen, oder beides sind. Und wie in den letzten bald zwei Jahren debattieren wir in Deutschland so, als ob wir allein auf der Welt wären, als ob wir von anderen Ländern nichts zu lernen hätten.

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„Eine wunderbare Hommage an den klassischen Journalismus in Zeiten seines Untergangs, und eine Erinnerung an Zeiten, als man die Welt dem Publikum noch entdeckte und beschrieb, nicht bewertete und zensierte“: Wes Andrsons „The French Dispatch“ – jetzt im Kino. | Foto © Disney

Schöne Aussichten: Eine Welt ohne Menschen, eine Buchmesse ohne Rechte, Springer ohne Döpfner und eine Union ohne Söder. Und wieviel wiegt eigentlich Bayern? Gedanken in der Pandemie, Folge 134.

„Ihr sorgt euch um die Natur? Baut weniger Straßen. Ihr sorgt euch um bedrohte Arten? Fahrt weniger Auto.“
Fraser Shilling, Biologe

„Was ich nach meinen ersten Besuchen im Iran zu schätzen gelernt habe, war die bedingungslose Herzenswärme. Die Leute sind vorsichtig, wenn sie die Regierung kritisieren. Zugleich ist für sie klar: Man darf einer Regierung nicht blind vertrauen.“
Sanam Afrashteh, deutsche Schauspielerin mit iranischen Eltern

 

Nein! Heute nichts zu Julian Reichelt. Nein!! Vielleicht am Montag.

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Über dreieinhalb Stunden, aber die lohnen sich: In einer sechsteiligen Langzeitdoku zeigt der NDR „Kevin Kühnert und die SPD“. | Foto © NDR

Öffentlich-rechtliche Sender über Kevin Kühnert und über die Brasilien-Koalition – Gedanken in der Pandemie, Folge 133. 

„Wer wie der Hamburger CDU-Vorsitzende Ploß nur 15 Prozent holt, der sollte sich mit Ratschlägen zur Ausrichtung der CDU zurückhalten.“
Karl-Josef Laumann, CDU

Wenn ich irgendwann mit einem Raumschiff diese Erde verlassen müsste, dann müsste es so aussehen wie das Berliner ICC. 

Eine wunderschöne Hymne auf diesen „Panzerkreuzer Charlottenburg“ hat Niklas Maak in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ geschrieben. Das seit Jahren leerstehende Berliner ICC wird jetzt zehn Tage lang von Künstlern bespielt und belegt das immense Potenzial des Riesenbaus, eines „Labyrinthgarten voller Fiktionen“.

Hier, nur hier wäre zum Beispiel der Ort, wo man eine wirklich neue, also eine neu gedachte Berlinale veranstalten könnte. 

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Mehr als 60 Langfilme und gut dreimal so viele Serienfolgen hat Ingrid Koller in den vergangenen 40 Jahren montiert. Die Liste der erfolgreichsten Kinofilme in Österreich ist zu großen Teilen auch ihre Filmografie. | Foto © Ritzfilm

Ingrid Koller ist die wohl erfolgreichste österreichische Filmeditorin. Beim Edimotion-Festival in Köln wird sie nächste Woche mit dem „Ehrenpreis Schnitt“ für ihr Lebenswerk gefeiert. Ein Porträt von Werner Busch, Kurator beim Edimotion.

Das Filmmontage-Festival Edimotion in Köln zeichnet in jedem Jahr mit dem „Ehrenpreis Schnitt“ das Lebenswerk herausragender Filmeditor*innen aus. Erstmals wird mit der wunderbaren Ingrid Koller eine Editorin aus Österreich geehrt. Sie ist die erfolgreichste Filmeditorin des Landes und wahrscheinlich auch die mit der größten Berufserfahrung: Über 100 Produktionen, darunter mehr als 60 Langfilme für Kino und Fernsehen und etwa 200 Serienfolgen hat sie durch ihre Montage gestaltet. Ingrid Koller hat dabei häufig mit bekannten Regisseuren wie Harald Sicheritz, Robert Dornhelm, Niki List, Reinhard Schwabenitzky, Olaf Kreinsen oder Peter Hajek zusammengearbeitet. 

Gleichzeitig waren viele ihrer Filme große Publikumserfolge: Die Liste der erfolgreichsten heimischen Kinofilme in Österreich ist zu großen Teilen die Filmografie von Ingrid Koller: „Sei zärtlich, Pinguin“ (1982), „Echo Park“ (1985), „Müllers Büro“ (1986), „Hinterholz 8“ (1998) und „Die Beste aller Welten“ (2017), um nur einige zu nennen. Fast alle Filme, die sie mit Regisseur und Drehbuchautor Harald Sicheritz realisierte, wurden zu den jeweils besucherstärksten österreichischen Filmen des Jahres. Und „Hinterholz 8“ ist bis heute der publikumsstärkste Film aus Österreich überhaupt. Die schwarze Komödie um einen Häuslebauer und insbesondere auch die Noir-Krimi-Parodie „Müllers Büro“ werden bis heute als Kultfilme und nationale Kulturdenkmäler gefeiert. 

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Gestern im Ersten, hier schon gelobt: „Borowski und der gute Mensch“, letzter Teil einer ungewöhnlichen Trilogie innerhalb des Kieler „Tatorts“. | Foto © NDR/Thorsten Jander

Das ZDF protegiert Springer, Schnelltests sollten vielleicht kostenlos bleiben und die Vergangenheit der Gesundheitsämter – Gedanken in der Pandemie, Folge 132. 

„Franzosen und Russen gehört das Land,
Das Meer gehört den Briten,
Wir aber besitzen im Luftreich des Traums
Die Herrschaft unbestritten.“
Heinrich Heine

Zu der inzwischen überaus auffälligen Achse zwischen dem ZDF und dem Springer-Verlag, über die ich letzte Woche schrieb, hier ein Update: In der Woche nach der Wahl war Robin Alexander (stellvertretender Welt-Chefredakteur) nicht weniger als dreimal im ZDF-Talk zu sehen: Sonntags bei bei „Maybrit Illner Spezial“, dienstags bei Lanz, donnerstags wieder bei Maybrit Illner. In den letzten drei Maybrit-Illner-Runden war die „Welt“ damit jedes Mal mit dabei. Der Mann hat bestimmt eine Menge zu sagen, und ich schätze Maybrit Illner, aber das ist dann doch ein bisschen zu viel Springer (und Parteinahme für CDU/CSU und FDP). 

Robin Alexanders Chefin Dagmar Rosenfeld, Ex.Frau von Christian Lindner kommentierte dafür ausnahmsweise mal bei „Maischberger Die Woche“. Wollen wir wetten, dass sie innerhalb der nächsten 14 Tage wieder irgendwo im ZDF auftaucht?

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