„Ich brauche keine Millionen für einen guten Film“
Justin Peach (39) hatte 2009 mit „Kleine Wölfe“ eine bewegende Doku über Straßenkinder in Nepal gedreht. Und damit beim Up-and-coming Filmfestival in Hannover gewonnen. Jetzt schließt sich der Kreis. Ende November sitzt Peach selbst in der Jury, die Deutschlands talentierteste Nachwuchsfilmer sucht. Ein Gespräch über kleine Hüte, großes Kino, Knutschen im Kinosessel und ein digitales Festival in Corona-Zeiten.
Interview: Andreas Daebeler und Ilona Lütje
Justin, Du warst 2009 mit der Doku „Kleine Wölfe“, in der das Schicksal nepalesischer Straßenkinder nachgezeichnet wird, beim Up-and-coming am Start. Was hat Dich damals bewogen, Dich fürs Festival zu bewerben?
„Kleine Wölfe“ war mein Abschlussfilm an der Hochschule Mainz und wir hatten eigentlich keine großen Ambitionen, außer dass wir eine Note gebraucht haben. Ich habe den fertigen Film damals dann überall eingereicht und gehofft, dass er gezeigt wird. Erstmal ist man klein mit Hut, bewirbt sich und guckt, ob der Film ankommt und Festivals den überhaupt zeigen.
Gezeigt wurde er in Hannover. Und Du hast dann sogar den Deutschen Nachwuchsfilmpreis abgeräumt. Der erhoffte Booster für Dich als Filmemacher?
Klar. Das war Gänsehaut. Krass. Ich weiß noch, dass ich damals mit einem Kumpel zurück nach Mainz gefahren bin und auf einmal lief im Radio die Nachricht, dass ich gewonnen habe. Da war mir sofort klar, welche Tragweite das hat und dass ganz Deutschland das mitkriegt. Und so war es dann auch – gut für meine Karriere. Als junger Kameramann und Filmer ist es wichtig, erstmal einen Fuß in die Tür zu kriegen. Von dem Moment an wurde ich überall vorgestellt mit den Worten: das ist Justin, der hat den Deutschen Nachwuchsfilmpreis gewonnen. Ich bin sehr dankbar, weil ich auf jeden Fall profitiert habe.
Und jetzt bist Du als Juror dabei. Ein Kreis schließt sich. Worauf freust Du Dich am meisten, wenn Du an die Festival-Tage denkst?
Für mich ist es eine Riesenehre, dabei zu sein. Vielleicht kann ich jetzt was zurückgeben. Als junger Filmer macht man seine seine Kunst, reicht die überall ein und wartet. Anscheinend hab ich jetzt genug graue Haare für die andere Seite und dafür, dass ich jetzt auch mal beurteilen kann. Ich freue mich auf eine Woche nur Filme schauen. Das ist wie Weihnachten und Ostern zusammen.
Was macht das Up-and-coming zu einem besonderen Festival?
Es ist einfach beeindruckend zu beobachten, wie viele Teilnehmer*innen und Gewinner*innen später die Branche nachhaltig bereichern. Das Festival ist super professionell organisiert und detailverliebt. Ich kann mich gut an 2009 erinnern. Da gab es tolle Präsentationen, aber abends auch schöne kleine Parties. Klar sind alle aus einem Grund da, nämlich um Filme zu schauen. Aber man quatscht eben auch, vernetzt sich. Das ist ein Treffpunkt. Darauf kommt es an.
Schwieriger diesmal. 2009 gab es keine Pandemie. Mit vielen Menschen feiern, die Abende miteinander verbringen, Kontakte knüpfen – das alles ist diesmal nur digital möglich. Macht Dich das traurig?
Ja. Natürlich. Das macht mich traurig. Filmende sind wie Abiturienten – wir wollen eigentlich alle nur im Saal knutschen. Unsere Sachen sind fürs Kino gemacht, für diesen dunklen Raum. Fürs Knistern. Das geht aber leider gerade nicht so gut. Insofern ist ein digitales Festival die beste Möglichkeit, trotzdem Filme zu genießen und wenigstens etwas zusammen auf dem Sofa zu knabbern. Auch wenn es natürlich nicht das Gleiche ist, wenn unsere Streifen auf dem Laptop oder dem Smartphone angesehen werden und die Leute auch mal nebenbei eine Mail beantworten oder kochen. Aber ich hatte selbst Corona, ich weiß, was es mit einem gesunden Menschen macht. Ich glaube, wir sind gut beraten, vorsichtig zu sein. Aber ja, ich bin froh, wenn wir alle wieder ein Festival vor Ort feiern können.
Corona hat die ohnehin schon von Streaming-Diensten gebeutelte Kinobranche stark getroffen. Glaubst Du, dass klassische Filmtheater nach der Pandemie eine Renaissance erleben werden?
Ich hoffe sehr, dass die Kinobranche das überleben wird. Es gibt nicht Schöneres, als zu einer Sneakpreview zu gehen und diesen dunklen Saal, Popcorn und gute Filme zu erleben. Wir haben zu Hause gar keinen Fernseher mehr, nutzen aber natürlich auch Netflix und Co. Ich hoffe einfach sehr, dass das in Zukunft parallel läuft, dass der Mehrwert, dieses einfach geilere Gefühl im Kino, auf Sicht trägt.
„Kleine Wölfe“ läuft noch heute, wurde seit 2017 bei Youtube mehr als 5,3 Millionen Mal angesehen. Hast Du Tipps für Talente? Was braucht es für einen guten Dokumentarfilm?
Eine gute Doku steht und fällt mit dem Protagonisten, der sich öffnet, der eine Geschichte zu erzählen hat, dem Filmer vertraut und seine Gefühle und intimste Gedanken preisgibt. Das Leben ist viel krasser als jedes Drehbuch. Alles andere, Technik und so, mag auch wichtig sein. Aber alles beginnt mit dem Protagonisten. Wenn man den hat, einfach loslegen. Mit Respekt natürlich.
Das ist heute einfacher als früher. Hannovers Filmfestival startete 1982, in Deinem Geburtsjahr, als Schülerfilm-Event. Gängiger Standard war Super-8. Heute filmt so ziemlich jeder mit dem Handy. Barrieren sind gefallen. Eine gute Entwicklung, die es Talenten leichter macht? Oder verwässert die Kunst?
Eine gute Frage. Da reden wir von Fluch und Segen zugleich. Ich finde es gut, dass es immer leichter wird, schon mit dem Handy einen geilen Film zu machen. Den auch zu Hause schneiden zu können. Super! Ich brauche keine Millionen für einen guten Film. Fluch ist, dass es eine Flut an Quatsch gibt und jeder Pups gefilmt wird. Diese Hürde, diese Konzentration auf das Filmen ist wichtig – das geht mit dem Gedanken „dann mach ich eben noch ’n Take“ verloren. Aber echte Talente werden sich ihre Pinsel suchen und damit arbeiten, letztlich kommt es darauf an, was rauskommt. Ich persönlich finde die Qualität der Kamera übrigens nicht so wichtig.
Mit „Street Line“ habt Ihr eine Fortsetzung von „Kleine Wölfe“ gedreht. Premiere war im April. Sämtliche Erlöse des Films sollen Straßenkindern in Nepal zugute kommen. Wie und wo können wir den Film sehen?
Genau, „Street Line“ ist fertig geschnitten, wir reichen den jetzt bei Festivals ein, planen eine kleine Kino-Tour. In Mainz wird er auf großer Leinwand laufen, in Wiesbaden, Leipzig und München ist das auch geplant. Wer ein interessiertes Programmkino kennt, kann sich gern melden. Langfristig wollen wir den Film dann natürlich auch auf YouTube zeigen, weil da weltweit eine große Fan-Community gewachsen ist. Als wir Sonu, unseren Protagonisten aus „Kleine Wölfe“ nach zehn Jahren wiederfanden, war uns schnell klar, dass wir helfen müssen. Wir haben einen Verein namens „Kleine Wölfe“ gegründet, eine Sozialarbeiterin arbeitet für uns, es gibt bereits Schulpatenschaften für Straßenkinder.
Was sind das für Kinder?
Das sind im Grunde die Kinder der „Kleinen Wölfe“ von damals. Sonu hat mittlerweile eine Tochter. In seinem Viertel kommt die nächste Generation und wir wollen einfach dafür sorgen, dass sich das nicht alles wiederholt. Bildung, Bildung Bildung. Schule, Schule, Schule. Das ist der Schlüssel, etwas zu ändern. Ein bisschen Licht am Ende des Tunnels wollen wir bieten. Dafür braucht es eben auch Geld.
Hast Du schon Pläne für die kommenden Monate? Wie sieht Dein nächstes Projekt aus?
Wir wollen natürlich einen dritten Teil der „Kleinen Wölfe“ drehen. Eine Trilogie bietet sich an. Wir machen das, wenn Sonus Tochter Sona so alt ist wie er es bei unserer ersten Begegnung war – dann schließt sich ein Kreis.. Ansonsten bin ich Freelancer, werde gebucht. Es gibt spannende Projekte, aber natürlich auch Aufträge, mit denen ich einfach nur mein Geld verdiene. Aktuell bin ich für eine Kino-Doku angefragt worden. Eine Reportage für ZDF Zoom steht auch an.
Und was war der letzte richtig gute Film, den Du gesehen hast?
Ich war ganz klassisch für Hollywood im Kino, habe „Dune“ gesehen. Fand ich mega, total spannend. In allen Bereichen erste Liga. Kamera göttlich, Schauspieler, Sound – ich war zweieinhalb Stunden total gefesselt. Darum geht’s eben, eine Bilderwelt zu erschaffen, die einen mitnimmt.
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