Gewalt gegen Filmemacher

Das Team von „No Other Land“ (von links) mit seinen „Oscars“: Basel Adra, Rachel Szor, Hamdan Ballal und Yuval Abraham. | Foto © Etienne Laurent/AMPAS
Vor drei Wochen gewann „No Other Land“ den „Oscar“, doch das Team hinter dem Dokumentarfilm ist in Gefahr. Der Koregisseur Hamdan Ballal wurde im Westjordanland schwer verletzt und festgenommen. Vorwürfe richten sich gegen israelische Siedler, Militär und Polizei.
Voriges Jahr auf der Berlinale hatte „No Other Land“ seine Weltpremiere. Seitdem sammelt der Dokumentarfilm Preise bis hin zum „Oscar“. Das israelisch-palästinensische Regie-Quartett aber fürchtet um seine Sicherheit.
Am Montag war Hamdan Ballal, einer der Vier, im Westjordanland schwer verletzt, dann verhaftet und wieder freigelassen worden, meldet die Österreichische Presseagentur (APA). „Der israelische Co-Regisseur Yuval Abraham zitierte die Anwältin mit den Worten, Ballal sei die ganze Nacht in Handschellen und mit verbundenen Augen festgehalten und von zwei Soldaten verprügelt worden. Die Angaben ließen sich zunächst nicht unabhängig überprüfen. Die Anwältin sowie die israelische Polizei äußerten sich auf Anfrage zunächst nicht. Israels Armee verwies auf die Polizei.“
„Israelische Siedler und das Militär spielen dabei unklare Rollen“, schreibt die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ [Bezahlschranke], wo Bert Rebhandl aber auch nicht mehr weiß. „Solange die näheren Details des Vorfalls noch zu eruieren sind, gibt der Film ,No Other Land’ selbst Anhaltspunkte. Denn dort sind eben jene Konstellationen genau zu sehen, von denen auch Hamdan Ballal in Susiya betroffen ist. Palästinenser werden von Soldaten der israelischen Armee, nach dem 7. Oktober 2023 zunehmend auch von radikalen Siedlern drangsaliert. Den israelischen Sicherheitskräften wird immer wieder vorgeworfen, die Siedlergewalt zu tolerieren und bisweilen sogar zu unterstützen.“
„Ein alltägliches Ereignis“, schreibt Quynh Tr?n in der „Zeit“. In diesem Jahr wurden schon „mehr als 1.400 Siedlerangriffe auf palästinensische Zivilisten registriert. […] Allein seit Januar wurden nach Angaben der Vereinten Nationen etwa 40.000 Palästinenser im Westjordanland aus ihren Häusern vertrieben.“ Deutlicher wird Lorenz Tondo im „Guardian“[auf Englisch], übersetzt beim „Freitag“. Demnach „drangen Dutzende von maskierten israelischen Siedlern in das Dorf Susiya im Westjordanland ein, wie Zeugen berichten. Einige der Siedler waren mit Schlagstöcken bewaffnet, andere trugen Messer und einer von ihnen hatte ein M16-Gewehr in der Hand, berichteten Zeugen dem ,Guardian’. Unter ihnen befand sich eine Gruppe israelischer Soldaten, die die Siedler in das Dorf begleiteten. Minuten später gingen die Siedler direkt zum Haus von Hamdan Ballal, einem der vier Regisseure […]. Die Siedler begannen laut Zeugenaussagen, Steine gegen sein Haus zu werfen, jagten Ballal zu seinem Haus, schlugen ihn und übergaben ihn schließlich dem Militär. In Handschellen und mit verbundenen Augen wurde der am Kopf blutende Ballal zu einem Militärfahrzeug gebracht. […] Zeugen berichteten, dass ein israelischer Polizeiwagen am Tatort eintraf, die Beamten sich jedoch weigerten, aus dem Fahrzeug auszusteigen und einzugreifen. […] Das israelische Militär erklärte, es habe eine gewaltsame Konfrontation zwischen Palästinensern und Israelis gegeben, nachdem ,Terroristen’ Steine auf israelische Bürger geworfen hätten. […] Es ist nicht das erste Mal, dass Regisseure und Crewmitglieder von ,No Other Land’ sowie palästinensische Bewohner von Susiya von Siedlern angegriffen werden. Die Organisation CJNV berichtete von mindestens 43 Übergriffen auf das Dorf seit Anfang des Jahres, ausgeübt von gewalttätigen Siedlern. ,Seit der ,Oscar’-Verleihung werden wir jeden Tag angegriffen“, sagte [Basel] Adra. „Das könnte ihre Rache sein, dass wir den Film gemacht haben. Es fühlt sich wie eine Bestrafung an.’“
Auch die Academy of Motion Picture Arts and Sciences protestierte gegen die Gewalt gegen den Filmemacher – und musste dafür selbst um Entschuldigung bitten, meldet die Deutsche Presse-Agentur. Zwar hatte sie „Verletzung oder Unterdrückung“ von Künstler*innen verurteilt, aber weder Ballal noch seinen Film direkt benannt. Sein israelischer Koregisseur Yuval Abraham warf der Akademie fehlende Unterstützung vor. In einem Offenen Brief schlossen sich knapp 700 Mitglieder der ,Oscar’-Akademie am Freitag an.
„Unterschrieben war die Erklärung von prominenten Filmschaffenden. […] In ihrer Mitteilung wird ,der brutale Angriff und die unrechtmäßige Inhaftierung des ,Oscar’-prämierten palästinensischen Filmemachers Hamdan Ballal durch Siedler und israelische Streitkräfte im Westjordanland’ verurteilt. Die Attacke richte sich nicht nur gegen einen einzelnen Filmemacher – sie sei vielmehr ,ein Angriff auf all jene, die es wagen, Zeugnis abzulegen und unbequeme Wahrheiten zu erzählen’. Dass die Filmakademie wenige Wochen nach Verleihung des Oscars dabei versagt habe, für die Filmemacher einzustehen, sei ,unentschuldbar’, halten die Unterzeichner der Organisation vor. […] Das Entschuldigungsschreiben der Führungsspitze ging am Nachmittag an die Mitglieder heraus.“