Zurück in die Zukunft

Wolfram Robert Wilhelm Weimer soll der nächste Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien werden. Schon jetzt hat er mehr Aufmerksamkeit als die sechs BKM vor ihm. | Screenshot
Große Überraschung, keine Begeisterung – Wolfram Weimer soll der nächste Kulturstaatsminister werden. Viele befürchten: Es wird enger für die Kunst.
Deutschland bekommt einen neuen Kulturstaatsminister. Wolfram Robert Wilhelm Weimer soll das Amt übernehmen und oberster Filmförderer der Republik werden. Die Berufung am Montag kam für viele überraschend. 10.000 Menschen hatten schon am Dienstagmittag eine Online-Petition gegen Weimers Ernennung unterschrieben, meldet „Die Zeit“ – bis heute sind es 55.000 geworden. Und nicht nur in der „Kulturszene“ fehlt die Begeisterung, zeigt Jan Wiedemann in einem Überblick beim NDR.
Dass sich der Medienunternehmer für Kultur interessiert, war bislang nicht bekannt, staunt Jörg Häntzschel in der „Süddeutschen Zeitung“ [Bezahlschranke]. „Man könnte seine Berufung also als weiteres Indiz dafür ansehen, dass die kommende Koalition der Kultur etwas ratlos gegenübersteht. Die vier Seiten, die die Verhandler dazu in den Koalitionsvertrag geschrieben haben, sind weitgehend mit Allgemeinplätzen und Unverbindlichkeiten gefüllt. Wirkliche Ideen oder Projekte fehlen. […] Ganz offensichtlich hielt Merz die Medienpolitik für derzeit wichtiger als die Kultur. Und vermutet bei Weimer, der in den Medien vom Schülerzeitungsredakteur bis zum Verlagsbesitzer schon jede Rolle ausgefüllt hat, mehr Kompetenz, als er in den parteieigenen Reihen finden konnte.“
Dabei hat der 60-Jährige durchaus Ideen. Er hat ja seinen Doktor in Geisteswissenschaften gemacht, sogar mit Auszeichnung, war Chefredakteur von „Welt“ und „Focus“ und hatte einst „Cicero“ gegründet, als „Magazin für politische Kultur“. Längst ist er selbst Verleger mit Titeln wie „The European“ und „Business Punk“. Weimer selbst steht nicht so auf Punk, sondern auf eine „neue Bürgerlichkeit“. Darüber hat er 2018 noch ein Buch geschrieben: „Das konservative Manifest“ – und ist deshalb oft Gast im Fernsehen.
Konservativ und bürgerlich versteht man bei der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ [Bezahlschranke] aber anders. Dort kritisiert Mitherausgeber Jürgen Kaube besonders scharf, dass „der falsche Mann am falschen Platz ist. Um es gelinde zu sagen. […] Denn Weimer ein Interesse an irgendeiner Kunst oder Geist zu unterstellen, wäre spekulativ. In seinem bisherigen Wirken spielen sie kaum eine Rolle. Oder, interessanter noch, eine unfreiwillig komische.“
Kaube hat „Das konservative Manifest“ nämlich gelesen und findet es eigentlich gar nicht komisch: Weimer mache sich „Sorgen um die ,Fortdauer des eigenen Bluts’ und die ,biologische Selbstaufgabe’ Europas, trauert der Kolonialepoche mit der bedauernden Formulierung nach, Europa habe ,keine Expansionskraft’ mehr, und behauptet, unsere Mythen, Metaphern und Architektur […] rekurrierten ,immer auf die jüdisch-christliche Religion’, was immer das für eine Religion sein soll.“
Sorgen macht sich auch Dirk Knipphals in der „Taz“: „Was Weimer in dem Buch mit vielen Prunkzitaten und angerissenen Gedanken der Gegenwart entgegenhält, ist die alte Leier der Modernekritik: Heimat, Familie, Werte, Glaube. Die Fragen, was das genau heißen soll und wie es sich zu solchen Begriffen wie Freiheit, Aufklärung und Emanzipation verhält, belässt er im Vagen. Das Phänomen, dass Kultur eben keineswegs Herstellung von Identität, sondern immer auch Reibung an Identität und ihre Hinterfragung bedeutet, lässt er ganz aus. […] Letztlich wird kulturelle Identität hier als festgelegt gesetzt und auf Abstammung reduziert. Womöglich gab es von Merz die Spekulation, mit Weimer Positionen der AfD für konservative Kreise zurückerobern zu können. Aber tatsächlich sind die Grenzen fließend. Von Brandmauer keine Spur.
[…] Droht also jetzt ein rechter Kulturkampf von der Spitze des Kulturstaatsministeriums aus? Es spricht tatsächlich viel dafür, dass Weimer geholt wird, um es den Linken, den ,Gutmenschen-Bevormundern und moralischen Besserwissern’, wie er im Vorwort zu seinem Buch formuliert, zu zeigen. Avancierte, emanzipative und popkulturelle Ansätze müssen sich auf Gegenwind einstellen. Unbehaglich werden dürfte es aber auch wirklich konservativen Kulturmenschen. Denn das wird kein Kulturkampf mit validen Argumenten werden, sondern einer gegen Popanze und mit Floskeln – und diese Floskeln verstecken schiere Machtfragen.“
So sehen es auch Gerrit Bartels im „Tagesspiegel“ oder Axel Brüggemann „Backstage Classical“.
Mit Weimers Qualifikation hat Ijoma Mangold hat in der „Zeit“ [Bezahlschranke] keine Probleme. „Denn zum einen ist der Kulturstaatsminister auch für Medien zuständig, und da hat Weimer […] Erfahrung und Erfolge vorzuweisen […]. Und war nicht auch Michael Naumann, Deutschlands erster Kulturstaatsminister, genau das: Verleger und Journalist? Zum anderen galt auch ein weiterer Vorgänger, Bernd Neumann, vor Amtsantritt als kulturfern, arbeitete sich dann aber ein und holte als gewiefter Haushälter viel raus für den Kulturetat.“
Die Pointe liege woanders: „Auf diesem Feld des Kulturkampfs hat sich die CDU bisher bedeckt gehalten. Ob aus Feigheit oder intellektueller Bequemlichkeit – jedenfalls hat sie den kulturellen Überbau bislang weitgehend dem linksliberalen Lager überlassen. […] Für Friedrich Merz hingegen ergibt die Personalie und die Empörung darüber strategisch Sinn. […] Viele seiner Wähler haben ihm ihre Stimme gegeben, weil sie einen Politikwechsel wollten, die Antithese zur Ampel […] – und haben dann nach der Wahl ein Regierungsprogramm bekommen, das nach Ampel-Kontinuität ausschaut. […] Weimer kann man also als Trostpflaster verstehen für all die Unionswähler, die einen dynamischen Politikwechsel wollten […]. Weimer ist mithin der outgesourcte Kulturkampf […]. Für diese symbolpolitische Geste müssen die Künste den Preis zahlen, dass ihrem obersten Lobbyisten eine weltanschauliche Rolle zugedacht wurde.“
„Ein Heimatschützer macht jetzt Kulturpolitik“, stöhnt Ulrike Knöfel im „Spiegel“ [Bezahlschranke]: „Merz holt sich […] jemanden ins Haus, der so tickt wie er und das womöglich noch in gesteigerter Form. Zukunft ist für beide Männer ein Echo der Vergangenheit. […] Weimer ist womöglich noch traditioneller als die Mehrheit der CDU, vielleicht sogar erztraditionell, und das wird zwangsläufig seine Kulturpolitik prägen. […] Der gebürtige Hesse ist einige Jahre in Portugal aufgewachsen, zu einer Weltläufigkeit scheint das nicht geführt zu haben. Heute regiert er sein kleines Medienimperium vom beschaulichen Miesbach am Tegernsee aus. Kultur ist für ihn Kulturkreis. Eine Weimer-Rede zur Aufarbeitung des Kolonialismus mag man sich gar nicht vorstellen.“