Neustart Kultur

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Auf Instagram gratulierte der Pianist Igor Levit der kommenden Kulturstaatsministerin Claudia Roth. „Weil Du für Menschen, Kunst und Kultur brennst. Und für sie da bist. Immer.“ Er sei froh und glücklich, dass sie „diese so wichtige Rolle in dieser Zeit“ übernimmt. Die Kommentare zeigen: Nicht nur er setzt Hoffnungen in die Neue. | Screenshot

Für viele war es eine Überraschung: Beim Ministerien-Bingo der kommenden Regierung fiel die Kultur an die Grünen. Claudia Roth soll die nächste BKM werden.  

Es ist eine Ampel! Vorigen Mittwoch haben sich SPD, Grüne und FDP auf einen Koalitionsvertrag geeinigt. Eine Überraschung gab’s bei der Nachfolge der BKM, der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, kurz Kulturstaatsministerin: Claudia Roth von den Grünen wird das Amt übernehmen. Auf Instagram gratulierte der Pianist Igor Levit: „Weil Du für Menschen, Kunst und Kultur brennst. Und für sie da bist. Immer.“ Er sei froh und glücklich, dass sie „diese so wichtige Rolle in dieser Zeit“ übernimmt. Die Kommentare zeigen: Nicht nur er setzt Hoffnungen in die Neue. 

Im „Tagesspiegel“ sieht das Rüdiger Schaper als „das Ende einer langen Tradition. Ob Gerhard Schröder und Michael Naumann, Christina Weiss und Julian Nida-Rümelin, ob Angela Merkel und Bernd Neumann oder eben Monika Grütters – immer kam die Kulturpersönlichkeit aus der Partei des Regierungschefs, mit Büro im Kanzleramt.“ Für viele galt der Hamburger Kultursenator Carsten Brosda von der SPD als sicher. „Brosda war Verhandlungsführer der Sozialdemokraten in der Arbeitsgruppe Kultur und Medien. Und was dazu im Koalitionsvertrag steht, trägt seine Handschrift. […] Das Ampel-Papier umfasst 170 Seiten. Inflationär taucht dabei das K-Wort auf, freilich in anderen Zusammenhängen. Da geht es um Planungskultur, Aquakultur usw. Zur eigentlichen Sache kommen die Koalitionäre […] auf den Seiten 121 bis 127. […] Kultur als Staatsziel – die Idee ist nicht neu und auch nicht unumstritten. Deutlich wird in solchen Formulierungen, wie sehr die kommende Bundesregierung auf die Kultur zugehen will. Und wie die Kultur politisch eingespannt wird. […] Das Kulturverständnis der Ampel-Koalitionäre hat durchaus etwas Übergriffiges. Und dann wieder ist es fürsorglich, vor- und nachsorgend, wenn es zu den Freien und Selbstständigen in der Kreativwirtschaft kommt. Sie sollen gestärkt werden.“ 

Auf die neue Kulturstaatsministerin warten einige dicke Brocken, schreibt die Deutsche Presseagentur. „So wollen SPD, Grüne und FDP Kultur zum staatlichen Auftrag machen. Für eine Aufnahme der Kultur als Staatsziel ins Grundgesetz wären allerdings auch Stimmen aus der Opposition notwendig.“

Patrick Bahners muss in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ erstmal überlegen, was er von der Neubesetzung halten soll. Brosdas Lebenslauf zeige „eine für die deutsche Subventionskultur typische Ämterhäufung. Er war der Favorit der Lobbyisten. Mit dem Staatsministerium Brosda hätte sich die Kulturpolitik weiter professionalisiert. Vor diesem Hintergrund bezeichnet die Personalie Roth eine echte Überraschung, auch im Blick auf die Routinen der Staatsorganisation. Es wird noch einmal einen Neuanfang für das Amt geben. Auch im Vergleich mit Angela Merkels Staatsministern überwiegen die Unterschiede. Neumann war der ewige Vorsitzende des winzigen Bremer CDU-Landesverbands, Grütters hat ih­re Parteikarriere im ähnlich un­bedeutenden Berliner Verband absolviert. Beflissen hatte sie sich als Fachpolitikerin qualifiziert, aber der großen Öffentlichkeit war sie bei ihrer Er­nennung 2013 unbekannt. Claudia Roth ist eine der bekanntesten Politikerinnen der Republik. Andere Politiker beginnen als parlamentarische Staatssekretäre ihren Aufstieg […]. Dass eine ehemalige langjährige Bundesvorsitzende ihrer Partei bereit ist, der Kultur zuliebe noch einmal die Staatsministerbank zu drücken, ist ein Zeichen für das Ge­wicht dieses Politikfeldes, das nach den Maßstäben der Berufspolitik nicht deutlicher ausfallen könnte.“

Für Insider sei die Personalie gar keine Überraschung, schreibt Andreas Fanizadeh in der „Taz“. Schließlich sei Roth „eine der erfahrensten aktiven Grünen-Politikerinnen überhaupt“ und „repräsentiert durch ihre Vita kulturell selbst vieles von dem, für das die Grünen nun einstehen wollen“. Darum werde sich sicherlich einiges ändern: „Die Kulturpolitik des Bunds war in den letzten Jahren innenpolitisch eine Domäne der Christdemokraten. Monika Grütters (CDU) hatte hier das Sagen und war als Staatsministerin für Kultur und Medien direkt im Kanzleramt angesiedelt. Sie konnte über einen Etat von über zwei Milliarden Euro verfügen und setzte wichtige Personalentscheidungen durch. […] Außenpolitisch wurde die deutsche Kulturpolitik während der Großen Koalition allerdings aus dem von der SPD geführten Auswärtigen Amt gesteuert. Dieses stellte auch nicht unwesentliche Mittel für die Aktivitäten des auf der ganzen Welt tätigen Goethe-Instituts zur Verfügung. Nun werden also wohl bald in beiden Regierungsinstitutionen Politikerinnen der Grünen die Führung übernehmen. […] Mit der Ernennung Claudia Roths zur Staatsministerin dürfte dem sozialdemokratischen Pragmatismus beim Ausspielen wirtschaftlicher gegen menschenrechtlicher Interessen künftig strengere Grenzen auferlegt sein.“

Ihre kulturpolitischen Vorstellungen hat die Grüne vor der Wahl formuliert – doch was steht davon im Koalitionsvertrag? Hans-Jürgen Hafner und Kito Nedo liefern in der „Zeit“ eine Analyse: In einem gemeinsamen Gastbeitrag hatten Roth und ihr Parteikollege Erhard Grundl, Sprecher der Bundestagsfraktion für Kulturpolitik, mit der Kulturpolitik der Großen Koalition und der BKM abgerechnet. „Diese sei ,blind‘ gewesen für ,die Lebensrealität von Künstler*innen und Kreativen und gerade für die große Zahl Solo-Selbstständiger im Kulturbereich und deren unterschiedlichen Arbeitsmodelle‘. Roth und Grundl forderten als erste Sofortmaßnahme einer neuen Bundesregierung ein bundesweites ,grünes Sofortprogramm‘ in Form eines ,Existenzgeldes‘ von 1.200 Euro für ,alle von der Corona-Krise betroffenen Solo-Selbstständigen‘. Roth forderte unter anderem auch eine ,strukturelle Erneuerung in der Kulturförderung‘: Die ,Ressourcenverschwendung durch viel zu kurze Projektlaufzeiten‘ müsse ein Ende haben. […] Mit der Nominierung von Roth setzt sich ein Trend fort: Über lange Jahre hat sich die einstige kulturpolitische Großmacht SPD vom Feld der Kultur auf Bundesebene verabschiedet. […] Dass in den Verhandlungen der Ampel dieses ursprünglich für das sozialdemokratische Politik- und Gesellschaftsverständnis so zentrale Thema Kultur letztendlich den Grünen überlassen und der als künftiger Kulturstaatsminister lange als gesetzt geltende Hamburger Kultursenator Carsten Brosda (SPD) nicht berücksichtigt wurde, markiert einen mindestens vorläufigen Schlussstrich unter eine Geschichte der schleichenden Entfremdung der SPD von der Kultur. Die war den Sozialdemokraten personalpolitisch bei den Ampel-Verhandlungen offenbar nicht wichtig genug. Als SPD, Grüne und FDP in Berlin am Mittwoch ihren Koalitionsvertrag präsentierten, fiel das Wort ,Kultur‘ auch kein einziges Mal. In dem 177 Seiten starken Dokument …] nimmt der entsprechende Passus mit der Überschrift ,Kultur- und Medienpolitik‘ gerade mal knapp sechs Seiten ein.“ 

Der Bereich Film taucht daher in der langen Analyse gar nicht auf – im Koalitionsvertrag erhält er einen Absatz: „Mit der Filmförderungsnovelle wollen wir die Filmförderinstrumente des Bundes und die Rahmenbedingungen des Filmmarktes neu ordnen, vereinfachen und transparenter machen, in enger Abstimmung mit der Filmbranche und den Ländern. Wir prüfen die Einführung von Investitionsverpflichtungen und steuerlichen Anreizmodellen und schaffen gesetzliche Rahmenbedingungen, um die steuerliche Behandlung von Filmkoproduktionen rechtssicher zu gestalten. Kinos und Festivals fördern wir verlässlich und bewahren unser nationales Filmerbe.“

In einer ersten Reaktion gibt die Produzentenallianz diesen filmpolitischen Passagen gute Noten – gingen sie doch auf drei Kernforderungen des Verbandes ein, schreibt Marc Mensch in „Blickpunkt Film“: „Konkret geht es dabei um die Schaffung rechtssicherer, gesetzlicher Rahmenbedingungen für die steuerliche Behandlung von Koproduktionen (etwas, das nicht zuletzt die BKM schon in der alten Koalition vom SPD-geführten Bundesfinanzministerium unter Kanzlerkandidat Olaf Scholz einforderte) sowie die Prüfung der Einführung von steuerlichen Anreizmodellen und einer Investitionsverpflichtung für in- und ausländische On-Demand-Dienste zur Herstellung europäischer audiovisueller Werke durch unabhängige europäische Produktionsfirmen bei fairer Rechteteilung und Erlösbeteiligung.“ 

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