Demokratie unter Druck

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Es braucht keine Diktatur, um die Kultur zu zähmen, findet Agnieszka Holland (rechts), die Präsidentin der Europäischen Filmakademie: „Ich sehe an keinem Ort wirklich mutige Filme spielen. Wir leben in einer Welt, in der die Filmemacher keine Rebellen sein können, weil sie kein Geld finden, um ihre Filme zu machen.“ | Screenshot

23 Verbände und Institutionen der Branche haben sich im „Netzwerk Film & Demokratie“ zusammengeschlossen. Vorige Woche stellte sich das Netzwerk mit einer Online-Konferenz vor. Was passiert, wenn Kultur und Demokratie unter Druck geraten, schilderte die polnische Regisseurin Agnieszka Holland. Und der Soziologe Matthias Quent beleuchtete die Probleme der extremen Rechten mit der Kultur.

Auch in Europa sind rechtsextreme und nationalistische Parteien auf dem Vormarsch. In Deutschland kämpft die AfD gegen einen „linksgrün-versifften“ Kulturbetrieb, in Polen oder Ungarn ist man mit der Zähmung der Kultur schon viel weiter – eine Mahnung für das übrige Europa. In Deutschland ist der Widerstand gegen solche Entwicklungen noch wenig ausgeprägt. Es gibt wohl klare Haltungen und Kampagnen gegen die Angriffe von rechts außen. Und sogar wirkungsvolle Proteste: der Chef der hessischen Filmförderung musste vor vier Jahren abtreten, nachdem er sich mit AFD-Chef Jörg Meuthen auf Instagram präsentiert hatte. Doch insgesamt wußte die Kultur dem noch wenig entgegenzusetzen – und kurz darauf ganz andere Sorgen mit der Pandemie. 

Darum riefen im Herbst 2020 die Filmunion in Verdi und Crew United das „Netzwerk Film & Demokratie“ ins Leben. Inzwischen sind 23 Verbände und Institutionen der Branche dabei. Am vorigen Dienstag stellte sich das Netzwerk in einer Online-Konferenz vor. Die Aufzeichnung ist auf dem Youtube-Kanal zu sehen.

Den letzten Anstoss hatte damals die Affäre in Hessen gegeben, berichtete Rüdiger Suchsland, der die Proteste dagegen mit initiiert hatte. Trotzdem fehle es der Branche noch immer an „Awareness“, das Bewusstsein der Gefahr von rechts sei weiterhin „diffus“. Um das zu ändern, wollte man „weg von Alarmismus, hin zu einem strukturierten Austausch“, setzte Johannes Kagerer von der Produzentenallianz fort – mit Expert*innen, Filmemacher*innen und den Organisationen untereinander. Immerhin seien in dem breiten Bündnissen Partner dabei, die sonst gegensätzliche Interessen vertreten. Für die Deutsche Filmakademie stellte Anne Leppin die „Filmarbeit zur Stärkung der Demokratie“ in den Mittelpunkt. Das Projekt „Spots“ etwa bringt seit anderthalb Jahren aktive Filmarbeit in die Provinz. 

Was passiert, wenn die Kultur und Demokratie unter Druck geraten? Moderatorin Lisa Basten fragte die polnische Regisseurin Agnieszka Holland, die auch Präsidentin der Europäischen Filmakademie ist. „Seit sieben Jahren leben wir unter den Regeln einer ziemlich populistischen Regierung. Einer nationalistischen mit einigen autoritären Tendenzen. Sie haben die bekannten populistischen Werkzeuge eingesetzt, um die Macht zu behalten und auszubauen. Diese Werkzeuge sind effizient, und die demokratische Opposition ist ziemlich gespalten und schwach“, schildert die Regisseurin die Lage in Polen. „Die Situation verschlechtert sich, aus der Sicht von Rede- und Meinungsfreiheit … Es ist nicht so dramatisch, dass ich es ein ,völlig totalitäres’ oder ,autoritäres’ Regime nennen würde. Für die Filmemacher*innen ist die Situation grau. Einige Institutionen wurden von der Regierung angegriffen, und die Änderungen in diesen Institutionen waren nicht völlig legal. Einige haben ihren Job verloren, um neuen Menschen Platz zu machen, denen meist die Kompetenzen fehlen.“ 

Die Anpassung sei groß – wie überall in Europa hänge der Film am öffentliche Geld, betont Holland. „Bisher ist es nicht so, dass die Filmemacher, die von der Macht nicht ,gut’ angesehen werden, nicht drehen können oder ihnen das Geld verweigert wird. Aber sie müssen umsichtig und selbstzensiert sein. Sie sollten besser keine Themen präsentieren, die umstritten sind. Wenn jemand kontroverse Filme machen will – wie es einige meiner Kollegen versucht haben – kann er sich nicht auf öffentliche Mittel verlassen. Ich kenne nur zwei Fälle von Zensur, mit Dokumentarfilmen, die in Koproduktion gemacht wurden. Sie wurden vom Polnischen Filminstitut oder seinem Ausschuss abgelehnt. Sie wurden aufgefordert, entweder das Geld zurückzugeben oder die beanstandeten Szenen zu schneiden: die   sogenannten ,antipolnischen’. Diese Dokumentarfilme waren ,antipolnischen’, basierend auf populärem nationalistischem Grund: Alles, was kritisch ist, ist ,antipolnisch’.“ Holland erinnert das an kommunistische Zeiten, doch „die Anpassung ist heute tiefer als damals.“

Aber nicht nur in Polen: „Ich sehe an keinem Ort wirklich mutige Filme spielen. Und die Streaming-Plattformen, die auch in Europa immer mehr an der Finanzierung der Filme interessiert sind, mögen keine Kontroversen. Sie wissen, dass die Gesellschaft sehr polarisiert ist, und wenn sie sich kontroversen politischen Themen nähern, verlieren sie potenzielles Publikum. Sie ziehen es vor, im Mittelweg zu sein und gehen nicht das Risiko ein, zu provozieren. Und wenn Sie das nicht tun, verlieren Sie meiner Meinung nach den Grund, da zu sein. Wir leben also in der Welt, in der die Filmemacher keine Rebellen sein können, weil sie kein Geld finden, um ihre Filme zu machen.“

Der Preis dafür: „Wir verlieren das Publikum. Wir sind nicht gut genug in der Unterhaltung, nicht so gut wie die Amerikaner“, sagte die Europäische-Filmakademie-Präsidentin. „Wir machen die Filme, die einige Beispiele „der schönen Mittelmäßigkeit“ sind. Einer der Gründe, warum das Publikum das europäische unabhängige Kino verlässt, ist, dass es nicht mutig genug ist. Es ist „klein-bourgeois“. Schön. Niedlich. Empfindsam. Aber es ist nicht wirklich auf dem Niveau der Herausforderungen der Zeit. Wir müssen mutiger sein, nicht nur die Filmemacher*innen, sondern auch die Menschen, die das Geld ausgeben.“

In der Ukraine führe Putin einen Krieg gegen den gesamten Westen, die Folgen der Klimakatastrophe kommen erst noch auf uns zu, warnt Holland. „Wir werden sehr bald nicht eine, zwei oder drei Millionen fliehen sehen, wir werden Dutzende von Millionen haben! Aber was tun wir? Wir weigern uns, darüber zu sprechen. Wenn Sie sich ukrainische Filme des letzten Jahres ansehen, werden Sie sehen, dass sie zu den mutigsten gehören, die in Europa hergestellt wurden. Gut, sie stehen vor dem Krieg, aber sie berühren tiefere Impulse, die sie in ihrer Gesellschaft haben. So wie es vor Jahren in Israel passiert ist, nicht mehr heute – aufgrund der Zensur. In Europa haben wir noch keine vollständige Zensur. Aber das nutzen wir nicht aus.“

Den wissenschaftlichen Blick bot anschließend der Soziologe und  Rechtsextremismusforscher Matthias Quent. Er warnte davor, die Vergangenheit zu verklären. Rechtsextremismus habe es bereits vor der Wiedervereinigung gegeben – letztlich sei nun sichtbar, was doch schon immer da war. Allerdings, stellt Quent fest: Es gibt keine Brandmauer mehr. Er verweist auf Thüringen, wo der FDP-Kandidat 2020 mit Stimmen von AfD und CDU zum Ministerpräsidenten gekürt wurde. Damals wurde er zurückgepfiffen. Im vorigen November brachte die CDU-Fraktion einen Antrag ein: Sie wollte der rot-rot-grünen Landesregierung das Gendern verbieten. Der Antrag ging durch – mit den Stimmen der AfD, berichtete unter anderem die „Süddeutsche Zeitung“. Ein Sternchen reicht, um die Demokraten ins Wanken zu bringen. „Was  vor Wochen noch undenkbar schien, das passiert jetzt“, warnte Quent. „Und es gibt keine gesellschaftliche Empörung.“

Dass Narrativ der AfD schildere einen Niedergang – alles wird schlechter, weil es anders wird. Im Fernsehen werde das zurzeit noch verstärkt, sagte Quent: Überall Dystopien, Krimis und Konflikte. „Es geht darum, die tatsächlichen gesellschaftlichen Probleme zu behandeln. damit man nicht der Kritik leere Felder hinterlässt, die dann von Rechten besetzt werden. Und es geht darum, die gesellschaftlichen Missstände zu thematisieren, aus denen sie sich schöpfen.“ 

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