Grund zur Aufregung – Netflix, Verdi und der BVR

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Hinter den Kulissen wird wieder gestritten. Gewerkschaft und Schauspielverband haben mit Netflix verhandelt – mehrere Berufsverbände sehen sich ausgegrenzt. | Foto © Adobe Stock

Gleich dreimal in zwei Wochen hat der Regieverband gegen die Abmachungen zwischen Netflix und Verdi protestiert: Die Berufsverbände würden ausgegrenzt, das Ergebnis sei „ziemlich mau“. Statt der Gewerkschaft antwortete jetzt der Schauspielverband. 

Der Zank um Netflix geht weiter. Der Bundesverband Schauspiel (BFFS) und die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (Verdi) hatten mit dem Streamer vor zwei Jahren Gemeinsame Vergütungsregeln (GVR) bei Netflix-Serien ausgehandelt. Vor zwei Wochen meldete Verdi: Netflix zahlt jetzt bei Serien nach Tarif. Und, ach ja, „außerdem werden auch Mindestgagen für Regisseur*innen geregelt, diese fügen sich in die bestehende GVR ein.“

Der Bundesverband Regie (BVR) protestierte. Und das gleich dreimal. Wobei die Vorwürfe gleich bleiben – sie werden aber zunehmend heftiger und ausführlicher vorgebracht.  Verdi repräsentiere nicht die Regie, und das Ergebnis sei „noch dazu ziemlich mau“, hieß es in einer ersten Reaktion (wir berichteten auf „Outtakes“). 

Sechs Tage später wurde der BVR heftiger: „Die Gewerkschaft verkauft die deutschen Regisseurinnen und Regisseure an Netflix“, schrieb der Verband über seine Stellungnahme. Und noch größer darüber: „Raus aus Verdi“. Der Berufsverband, dem rund 450 Fiction-Regisseur*innen angehören, hatte selbst zwei Jahre lang mit Netflix verhandelt. Die Verhandlungen waren vor wenigen Wochen gescheitert, die verpflichtende Schlichtung steht noch an. „Dass Verdi ohne Beteiligung des BVR nun Tarifgagen für die Regie festlege, sei „ein starkes Stück, das dieses Prozedere direkt angreift.“ Was die Regie betrifft, seien die bisherigen Verhandlungsergebnisse von Verdi in Deutschland die schlechtesten in ganz Europa, so der Regieverband. „Offenbar ist es Verdis Ziel, Deutschland als Billiglohnland gegen die europäischen Nachbarn zu positionieren.“ 

Und nochmal sechs Tage drauf wurde nachgelegt – vorgestern war das: Was Verdi und Netflix vereinbart haben, sei ein „Tabubruch“ und „rechtlich fragwürdig“, so der BVR: „Es fehlt alles, was eine Regievergütung in der Regel ausmacht: Angemessene und proportionale Beteiligungsregelung an den Verwertungserlösen, Zahlungstermine entsprechend dem Fortschritt der Werkschöpfung, Festlegung einer proportionalen Vergütung entsprechend der Filmlänge oder des Arbeitsaufwands und anderes mehr. […] Die Höhe dieser ausgehandelten Regiegagen ist bescheiden, und es sind die schlechtesten Ergebnisse in ganz Europa. Nur knapp reichen sie zudem über das Niveau der Erstvergütung deutscher Vorabendserien von 2016 im Privatfernsehen, die für einen Bruchteil der Netflix-Etats hergestellt werden – für eine weltweite und zeitlich unbegrenzte Nutzung.“

Verdi greife damit das Schlichtungsbegehren des BVR direkt an – und spiele damit Netflix in die Hände, meint der Regieverband und verweist aufs Nachbarland: „In Dänemark erpresst Netflix die Regisseure, Regisseurinnen und Kreativen direkt, weil ihnen die dort zwischen dänischen Verbänden und Produzenten verabschiedeten Vergütungsregelungen nicht passen. Um die Kreativen am Boden zu halten, drohten sie mit Produktionsstopp.“ 

Verdi hat auf die Vorwürfe noch nicht reagiert. Stattdessen meldete sich ebenfalls am Dienstag der BFFS zu Wort: „Kein Grund zur Aufregung – im Gegenteil“. Da muss man kurz überlegen, wie das wohl gemeint ist nach der doppelten Verneinung, aber nein, alles ist gut, erklärt der Verband seinen Mitgliedern: „Wir Schauspieler*innen profitieren zwar nicht von diesem Verdi-Netflix-Vertrag, sind aber nicht benachteiligt.“  

An dem neuen Vertrag sei der BFFS zwar nicht beteiligt, er gratuliere aber „zu diesem außerordentlichen Erfolg zugunsten des gesamten Teams hinter der Kamera.“ Die Netflix-GVR kämen nämlich „allen Kreativgewerken am Set zugute, nicht nur denen mit Berufsverbänden, die finanziell, personell und juristisch genügend gerüstet sind, auf eigene Faust übermächtige Verwerter herauszufordern und ihnen gegenüber Folgevergütungen durchzusetzen.“ Folgevergütung würden hier schneller und zuverlässiger fließen und käme mehr Projekten zugute. Und auch der BFFS verweist aufs Ausland: „Die deutschen Netflix-GVR sind neben entsprechenden schwedischen Netflix-Vereinbarungen mit der dortigen Gewerkschaft die ersten und bisher einzigen Gemeinsamen Vergütungsregeln EU-weit. So fließen in Deutschland und Schweden schon Folgevergütungen, während die Kreativen in anderen Ländern noch auf Abschlüsse mit Netflix warten müssen.“

Zu Rivalitäten unter den Berufsverbänden oder mit Verdi komme es immer wieder, das sei wohl unvermeidlich. Die inzwischen zwölfjährige Zusammenarbeit mit der Gewerkschaft sei aber „vertrauensvoll, verlässlich“ und voller Erfolge: „Der BFFS schätzt an Verdi vor allem ihr ständiges Bestreben, sich für Branchenlösungen starkzumachen, die für die Gesamtheit der Filmschaffenden fair sind und den einzelnen Gewerken ausgewogen zugutekommen.“   

Auf den Hauptvorwurf freilich geht auch der BFFS nicht ein. Dass diese fairen Branchenlösungen nicht fair zustande kämen, hatte nicht nur die Regie kritisiert. Auch andere Urheber-Verbände hatten beklagt, dass Netflix ihnen Gespräche verweigere und Verdi ohne sie über ihre Interessen verhandelte. 

Nun gibt es erneuten Anlass für die Kritik, verrät die letzte Mitteilung des Regieverbands: „BVR, VDD, AG Dok, BVK, BFS und VSK, also die gesamten Urheberverbände der Branche, haben bereits im April Verdi in einem Brief um Abstimmung für zukünftige Verhandlungen gebeten, um genau solche branchenschädigenden Alleingänge zu vermeiden. Verdi hat noch nicht einmal geantwortet.“