Kurz hinter Limburg beginnt der Urwald

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Klassenkampf in der Weimarer Republik. Mit der Serie „Babylon Berlin“ begeistert die Produktionsfirma X Filme Kritiker wie Publikum und sieht das als „Aufbruch in eine neue Ära der TV-Produktion“. Gegenüber ihren Mitarbeitern bleibt sie aber eher alten Traditionen verhaftet. | Foto © Frédéric Batier, X Filme Creative Pool, Degeto, Beta Film, Sky

Klassenkampf in der Weimarer Republik. Mit der Serie „Babylon Berlin“ begeistert die Produktionsfirma X Filme Kritiker wie Publikum und sieht das als „Aufbruch in eine neue Ära der TV-Produktion“. Gegenüber ihren Mitarbeitern bleibt sie aber eher alten Traditionen verhaftet. | Foto © Frédéric Batier, X Filme Creative Pool, Degeto, Beta Film, Sky

So schön kann Fernsehen sein: Mit einer Traumquote startete die Serie „Babylon Berlin“ diesen Herbst in der ARD. 7,83 Millionen Zuschauer schalteten die ersten drei Folgen ein, die der Sender in einem Block zeigte. Ein Marktanteil von 24,5 Prozent – und das, obwohl die Serie schon ein Jahr zuvor auf dem Bezahlsender Sky zu sehen gewesen war.

40 Millionen Euro soll das Budget der ersten beiden, jeweils sechs Stunden langen Staffeln betragen. Der Verschwörungsthriller lässt die letzten Jahre der Weimarer Republik wieder auferstehen und begeistert Kritiker und Publikum gleichermaßen. Mit vier „Deutschen Fernsehpreisen“wurde „Babylon Berlin“ ausgezeichnet und in die halbe Welt verkauft, eine dritte Staffel ist in Arbeit.

Die Berliner Produktionsfirma X Filme hat also allen Grund, stolz zu sein und lässt auch keinen Zweifel, wer den Erfolg mit ermöglicht hat:„Dank unseres starken Teams mit über 400 Mitarbeitern konnten wir das Berlin der 20er Jahre im Jahr 2017 lebendig werden lassen“, sagt der Produzent Uwe Schott. Tom Tykwer, einer der Regisseure, staunte: „Im Nachhinein ist kaum vorstellbar, wie wir das alle zusammen geschafft haben.“ Und der Produzent Stefan Arndt meint: „Es war eine unglaubliche Herausforderung, die Welt der 20er Jahre in einer TV-Serie zum Leben zu erwecken, was nur durch unsere herausragenden Kreativen zum Erfolg wurde. Eine gemeinsame Anstrengung auf Augenhöhe aller Partner und Förderer war nötig, und rückblickend kann ich sagen: es war eine großartige Erfahrung. Dieses Projekt ist ein Aufbruch in eine neue Ära der TV-Produktion.“

Das passt zum Image der Produktionsfirma, die Arndt und Tykwer mit den den Regisseuren Wolfgang Becker und Dani Levy 1994 nach dem Vorbild der United Artists gegründet hatten, um andere, bessere Filme drehen zu können: Publikums- und Kritikererfolge wie „Lola rennt“, „Alles auf Zucker“ oder „Good Bye, Lenin“, internationale Koproduktionen wie „Das weiße Band“ oder „Cloud Atlas“, „der teuerste unabhängig finanzierte europäische Film aller Zeiten“. „X Filme sind keine x-beliebigen Filme, sondern das genaue Gegenteil“, hat das Unternehmen auf seine Website geschrieben.

Doch ganz so heil scheint diese Welt doch nicht zu sein, zumindest was das gefeierte Serienprojekt angeht. Bei der Bewertung der Arbeitsbedingungen zum „Fair Film Award“gaben die Mitarbeiter der ersten Staffel eine Durchschnittsnote von 2,94 – Rang 60 von 76 bewerteten Produktionen des Jahres 2016.

Die dritte Staffel sorgt nun sogar schon vor dem Drehstart für Unruhe. Nach Informationen der Künstlerkanzlei, die Filmschaffende betreut, weigert sich X Filme, für die Teammitglieder Beiträge an die Pensionskasse Rundfunk zu zahlen. „Damit unterläuft X Filme die Sozialstandards der Branche“, meint der Rechtsanwalt Steffen Schmidt-Hug von der Künstlerkanzlei. „Mit der Pensionskasse Rundfunk erhalten die Filmschaffenden, welche ohnehin nur einige Wochen oder Monate im Jahr sozialversichert arbeiten, eine dringend erforderliche ergänzende Altersvorsorge.“

Die Pensionskasse Rundfunk(PKR) war 1971 gegründet worden, um auch für die Freien Mitarbeiter der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten eine betriebliche Altersversorgung zu schaffen. Die Mitgliedschaft ist freiwillig. Wer auf Rechnung arbeitet, zahlt 7 Prozent seines Honorars in die Kasse, wer auf Lohnsteuerkarte arbeitet (also auch in die gesetzliche Rentenversicherung einbezahlt), 4 Prozent. Die Arbeitgeber zahlen den selben Betrag dazu. Bei voll- und teilfinanzierten Auftragsproduktionen übernehmen das die öffentlich-öffentlich-rechtlichen Sender voll, bei (geförderten) Koproduktionen wird das zwischen Sendern und Produzenten entsprechend ihres Finanzierungsanteils aufgeteilt. Letztere stehen allerdings nur in der Pflicht, wenn sie ebenfalls Mitglied in der Pensionskasse sind.

X Filme bestätigt die Informationen der Künstlerkanzlei, beruft sich aber auf die Satzung der PKR: „X Filme ist nicht Mitglied der Pensionskasse der Rundfunkanstalten. ,Babylon Berlin‘ ist eine Koproduktion von X Filme in Koproduktion mit ARD Degeto, Sky und Beta Film, keine voll- oder teilfinanzierte Auftragsproduktion. Daher wurden diese Beiträge im Rahmen der Koproduktion nicht kalkuliert, denn sie würden in diesem Finanzierungsrahmen zu Mehrkosten führen.“

Die PKR-Beiträge waren lange ein Streitpunkt im Lager der Arbeit- und Auftraggeber. Die Produzenten sahen sich gegenüber den Sendern im Nachteil – ein Hauptproblem war, dass die Förderinstitutionen diese Aufwendungen nicht anerkannten. Im vorigen Jahr stand sogar die Existenz der Pensionskasse selbst in Gefahr – und damit die Altersversorgung der Arbeitnehmer. Mit der sogenannten „Limburger Lösung“, die seit Anfang dieses Jahres in Kraft ist, sollten die Unsicherheiten ausgeräumt sein.

Dafür hatten sich die Sender und Förderer bewegt, und auch die Filmschaffenden mussten Abstriche machen: Für Kinoproduktionen gilt keine Beitragspflicht, selbst wenn die öffentlich-rechtlichen Sender mitproduzieren. Für Fernseh-Koproduktionen erkennen die regionalen Fördereinrichtungen die Beiträge in den Kalkulationen an (die Filmförderungsanstalt ist davon nicht betroffen, denn sie subventioniert nur Kinofilme).

„Babylon Berlin“ ist eine solche geförderte Koproduktionen und daher nach der „Limburger Lösung“ beitragspflichtig. Eigentlich. Denn weiterhin gilt (auch nach den Satzungsänderungen in diesem Sommer): Nur Mitglieder der PKR sind verpflichtet, diese Beiträge zu zahlen. X Filme gehört nicht dazu, auch wenn die Vertragsparteien in die „Limburger Lösung“ geschrieben hatten:„ARD, ZDF und die Gewerkschaft Verdi und der Bundesverband Schauspiel erwarten von allen Produktionsunternehmen, Anstaltsmitglieder der Pensionskasse Rundfunk zu werden bzw. zu bleiben. Die Allianz deutscher Produzenten empfiehlt ihren Mitgliedern, die noch nicht Anstaltsmitglied der PKR sind, dies zu werden.“

Dass X Filme „(noch immer) nicht Mitglied der Pensionskasse Rundfunk geworden ist, spricht zwar nicht für die Firma, aber auch nicht gegen die Bezahlung der Beiträge, da die Anstalten bei der ›Limburger Lösung‹ zugesagt haben, auch den Nicht-Mitgliedern die Beiträge zu erstatten“, sagt dazu Schmidt-Hug. Nach seinen Informationen habe die ARD-Degeto die Produktionsfirma sogar wiederholt aufgefordert, die Beiträge in die Kalkulation einzustellen, jedoch habe X Filme das verweigert. „Diese mangelnde Bereitschaft zur sozialen Absicherung soll nun auf dem Rücken der Filmschaffenden ausgetragen werden.“

Denn es geht nicht nur um den Beitrag der Produktionsfirma: Auch die ARD-Tochter Degeto kann ihren Anteil nicht zahlen, obwohl sie das will. Das bestätigte die Degeto auf Nachfrage: Sie sei jedoch auf die Regelungen der „Limburger Lösung“ zu Koproduktionen verpflichtet: Die Altersvorsorge wird nämlich, wie in der betrieblichen Altersversorgung üblich, über die Arbeitgeber abgewickelt. Die Produzenten fungieren nach den Regeln der PKR als Zahlstelle und führen ihre Beiträge und die der Filmschaffenden sowie die Anteile von Sendern und Fernsehförderinstitutionen an die Pensionskasse ab. Die Sender erstatten dann ihren Anteil auf Nachweis. „Die Filmschaffenden schließen in diesem Fall ihren Vertrag ja nicht mit dem Sender, sondern mit der Produktionsfirma“, erklärt Iris Gebing von der PKR das System.

Wenn aber die Produktionsfirma keine Beiträge abführt, gibt es auch keinen Nachweis, welchen der Sender erstatten könnte. Den anderen Parteien sind da die Hände gebunden: Ein Grundrecht auf die PKR-Beiträge haben die Filmschaffenden nicht, sondern nur, wenn alle Voraussetzungen erfüllt sind – zum Beispiel, dass die Produktionsfirma, für die sie arbeiten, ordentliches Mitglied der PKR ist.

Sollten dann vielleicht die Sender ihre Auftragnehmer und Koproduzenten einfach dazu verpflichten? „Die Sender dürfen die Vergabe von Produktionen laut eigenen Angaben nicht an eine Anstaltsmitgliedschaft bei der PKR koppeln. Das wäre wettbewerbsrechtlich problematisch“, sagt Gebing.

Doch „Wettbewerbsverzerrung“ ist anscheinend eine flexible Größe. In anderen Fällen haben die Sender jedenfalls weniger Hemmungen, Vorschriften zu machen. Um gleichbleibende Qualitätsstandards zu sichern, schreibt die ARD ihren Auftragsproduzenten vor, in welchen Formaten Bild und Ton aufzunehmen sind. Eine andere Richtlinie regelt Product Placement, Sponsoring und Schleichwerbung. Die Degeto selbst hat sich 2015 für die Regie eine Frauenquote von 20 Prozent vorgeschrieben. Auch für den Nachwuchs gibt es Sonderregeln, und beim Thema „Grünes Drehen“ ist wohl auch noch einiges zu erwarten. Wer für die oder mit den Öffentlich-Rechtlichen arbeitet, muss sich auf allerlei Vorgaben einlassen, die sinnvoll sind, aber auch nicht gerade im Geiste eines freien Wettbewerbs. Das wäre eine PKR-Pflicht auch. Schließlich ist ja die Pensionskasse selbst geschaffen worden, um die Ungleichheit zwischen freien und festangestellten Mitarbeitern auszugleichen – erst Chancengleichheit macht den Wettbewerb wirklich frei. Denn wo bleibt der freie Wettbewerb zwischen den Produktionsfirmen, wenn die eine Mitglied ist und zahlen muss, die andere aber nicht?

An dieser Stelle sei noch einmal zu erwähnen, dass viele Produzenten sich für eine Mitgliedschaft in der Pensionskasse Rundfunk entschieden haben – obwohl sie das nicht müssten und obwohl es Geld kostet. Freiwillig also, denn zwar hat die Produzentenallianz die „Limburger Lösung“ im Namen der Produzenten ausgehandelt, sie bindet ihre Mitglieder aber nicht daran. So wie sie es übrigens auch in der Frage der Tarifvertrags tut.

Bei „Babylon Berlin“ geht dieses Geld den Mitarbeitern verloren. Schmidt-Hug veranschlagt das auf „mehrere Tausend Euro“ – pro Kopf. Er empfiehlt den Filmschaffenden, in den anstehenden Vertragsverhandlungen auf die Beiträge an die Pensionskasse zu bestehen oder eine um 4 beziehungsweise 7 Prozent höhere Gage zu verlangen und das zur Sicherung des Lebensabends selbst in die Pensionskasse einzuzahlen. Die Zeiten sind günstig: Die Branche klagt immer lauter über den Fachkräftemangel.

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