Fünf Tipps für Horror-filmer*innen (in Deutschland)

Na also – geht doch! Fürs ZDF erzählt Rainer Matsutani die alte Sage vom Rattenfänger modern. „Es gibt keine existentiellere Form des Filmemachens als den Horrorfilm“, findet der Filmemacher. Mit der Quote von „Hameln“ ist er mehr als zufrieden: „Mit über 2 Millionen Klicks innerhalb von 30 Tagen und einer rekordverdächtigen Completion Rate von 70 Prozent hat sie sich zu einer Binge-Sensation entwickelt.“ | Foto © Roland Guido Marx/ZDF/Red Sun Films
Rund um die Welt werden Filme und TV-Serien in den Genres Horror, Science Fiction und Fantasy produziert. Nur in Deutschland tut man sich immer noch schwer – obwohl es an fantastischen Gruselthemen doch eigentlich nicht mangelt. Die Horror-Serie „Hameln“ auf ZDF Neo ist eine der wenigen Ausnahmen. Creator, Regisseur und Showrunner Rainer Matsutani blickt auf eine 30-jährige Karriere als Genre-Filmemacher zurück und gibt Tipps für Filmemacher*innen, die sich für Horror interessieren:
#1 – Du musst dein Genre kennen
Wenn du jemand bist, der/die im Kino ausschließlich deutsches Arthouse oder Komödien anschaut, bist du wahrscheinlich nicht der/die Richtige für das Genre. Es gibt ein etabliertes Horror-Universum, das reich ist an Codes, Mustern und Referenzen. Horror definiert sich über strenge Regeln und Stereotypen, die man kennen muss, um sie lustvoll zu zitieren, variieren und innovativ zu erweitern: wie gestalte ich einen Jump Scare oder wie kommt das Opfer zu Tode? Horror-Konsumenten haben viel gesehen und eine Erwartungshaltung, die du nicht enttäuschen darfst.
Vor einigen Jahren wurde ein deutscher Horrorfilm bei einem Streamer in Auftrag gegeben. Das Drehbuch war solide, aber der Produzent merkte schnell, dass die Regie sich eigentlich nicht im Genre auskannte. Er stellte ihr einige Wochen vor dem Dreh einen Karton voller DVD mit Horror-Klassikern zur Verfügung. Doch der Crash-Kurs hat nicht ausgereicht. Das filmische Ergebnis war von Ahnungslosigkeit und Langeweile geprägt, so dass der Streamer seither keinen deutschen Horror mehr in Auftrag gab.
Also: das Genre muss bereits in deinen Adern fließen, bevor du dich an ein Projekt machst.
#2 – Mache dich darauf gefasst, dass du ein Outsider bleibst
Werde dir bewußt, dass du nie einen „Grimme-Preis“ oder eine „Lola“ gewinnen wirst. Dass man dich bei Preisverleihungen als Horrorfilmer*in vollkommen ignoriert. Auch gute Kritiken sind selten. Denn die meisten Kritiker tragen ihr kulturbürgerliches Anspruchsdenken vor sich her und kennen sich im Horror nicht nur nicht aus – schlimmer: sie blicken auf das Genre, also auch dich, herab.
Bei all der offenen Verachtung kann dir nur deine unbedingte Leidenschaft für das Genre helfen. Und maximal das Feedback von Gleichgesinnten.
Ich bin in den 1980ern filmisch sozialisiert worden, als Horrorfilme in den Videotheken streng zensiert waren und direkt neben den Pornos standen. Sie galten als jugendgefährdend und vor allem als Schund. Das wirkt in Deutschland gesellschaftlich heute noch nach. In den angelsächsischen und asiatischen Ländern, aber auch zum Beispiel in Spanien hat Horror eine ganz andere Wertschätzung. Sie nehmen Horror als das, was es ist: der künstlerische direkteste Ausdruck der eigenen Sterblichkeit und der Angst vor dem Tod. Wenn du also hierzulande Kritikerliebling werden willst, musst du wie all die anderen sozialkritischen Schwermut in deine „Tatort“-Krimis reinbasteln oder gleich pures Arthouse machen. Aber wenn du die Leidenschaft zum Horror hast, dann trage die schlechten Kritiken als Auszeichnung vor dir her. Mache dir klar, dass eine gute Besprechung deines Horror-Werkes in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ oder den „Kulturnews“ eher ein Zeichen dafür ist, dass du etwas falsch gemacht hast.
#3 – Mache Mainstream-Horror für das Fernsehen, wenn du in Deutschland erfolgreich sein willst
Ich bewundere Horrorfilmer wie Jörg Buttgereit, Olaf Ittenbach, Andreas Marschall und andere, die mit zum Teil sehr hartem Horror in der Independent-Szene außergewöhnliche Filme erschaffen haben. Doch du kannst mit Gore nur eine bestimmte Fan-Gemeinde erreichen. Vor allem sind die Independent-Horror-Filme mit viel Selbstausbeutung entstanden, was einen irgendwann wirtschaftlich auslaugt. Beim Fernsehen ist die Lage etwas anders:
Die Vampir-Serien „Love Sucks“ und „Oderbruch“, aber auch unsere Geisterserie „Hameln“ müssen für den Mainstream-Bereich produziert werden. Im Gegensatz zum Spielfilm baut man hier mehr auf Suspense und Atmosphäre, die Schocker sind weniger drastisch. Fokussiere dich auf gute Charaktere und eine tiefe Geschichte. Dann kannst du dein Werk finanzieren und sogar davon leben.
Wenn du als Filmemacher*in auf harten Horror stehst und die Spielfilmlänge bevorzugst, dann rate ich dir, ins Ausland zu gehen. Ansonsten bleibt dir nur, auf das Haus deiner Oma zu warten, das du eines Tages erben wirst, um deine Leidenschaft zu finanzieren.
#4 – Sei mutig, einfallsreich und technisch versiert im filmischen Ausdruck
Bei Arthouse-Dramen sind die guten Schauspieler*innen und Dialoge bestimmend. Bei Horror musst du hingegen die Filmsprache aus dem Effeff kennen. Mit raffinierten Kamerabewegungen, überraschenden Effekten und ausgetüfteltem Sounddesign musst du für maximale Suspense und Schrecken sorgen.
Akribische Storyboards sowie Abstimmung mit Kamera, Stuntkoordination, VFX, SFX und entsprechende Vorkenntnisse sind unabdingbar. Im Gegenzug darfst du dich austoben wie in keinem anderen Genre. Hab also keine Angst vor der vielen Technik. Die kannst du erlernen.
#5 – Blicke in deinen Abgrund
Warum gibt es Horrorfilme? Horror adressiert wie kein anderes Genre das Unterbewusstsein der Zuschauer*innen. Menschen verdrängen gern die Tatsache, dass sie sterblich sind. Dass eines Tages der Tod kommt und einen für immer holt. Jeder hat in seiner genetischen Linie Vorfahren, die Schlimmes erleben mussten. Der Tod war allgegenwärtig in Form von Seuchen, Krieg oder einer anderen Form von Gewalt. Nur selten durften unsere Vorfahren die Gnade des friedlichen Entschlafens im Sterbebett und im hohen Alter erfahren. Der Tod kam oft plötzlich und brutal. Diese Erfahrungen unserer Vorfahren sind tief in unsere Seelen-DNA eingebrannt. Und wir, die modernen Zuschauer*innen des 21. Jahrhunderts, haben den Schrecken der eigenen Endlichkeit ins Unterbewusstsein verbannt, genau dort, wo uns der Horrorfilm abholt. Der gegenwärtige weltweiten Boom des Horrorfilms ist darauf zurückzuführen, dass das kollektive Unterbewusstsein weiß, dass die lange Zeit des Friedens und des Wohlstandes vorbei ist und wir unruhigen Zeiten entgegensehen. Ich schrieb die ersten Zeilen zu „Hameln“, als der erste Lockdown während der Corona-Pandemie verhängt wurde. Ich gab dem Schock und den Pessimismus dieser Zeit in mir kreativen Raum – und traf wohl einen Nerv.
Es gibt noch einen anderen Aspekt: Die Psychologie spricht vom „Schatten“ als dunklen Anteil in der Seele, den jeder Mensch hat. Wenn du also ein Horror-Projekt beginnst, dann schau dir diesen Schatten genau an. Wenn du so willst: entfessle deinen inneren Serienkiller – aber bitte nur auf den Tasten deines Laptops. Dein fiktionaler Horror spiegelt den „bösen“ Anteil in dir, aber auch den wahren Schrecken der Welt.
Es gibt keine existentiellere Form des Filmemachens als den Horrorfilm.
Der Autor: Rainer Matsutani erregte bereits 1995 Aufsehen mit der schrägen Fantasy-Komödie „Nur über meine Leiche“ (mit Katja Riemann und Christoph Ohrt in den Hauptrollen). Es folgte eine Episode der Mini-Serie „Lexx – The Dark Zone“ für den US-Sender Showtime mit Rutger Hauer als Bösewicht und die Horror-Anthologie „Geisterstunde“ (RTL), sowie das Mystery-Event „Feuerläufer – Der Fluch des Vulkans“ (ProSieben). Ebenfalls für ProSieben drehte er den ersten Martial-Arts-Film fürs deutsche Fernsehen: „Fighter“ (a.k.a „Romantic Fighter“) und den Katastrophen-Actioner „Inferno – Flammen über Berlin“ von 2007. Weitere Eventfilme für das Privatfernsehen waren der Thriller „Das Papstattentat“ und 2013 der Western „In einem wilden Land“ für Sat1. Im selben Jahr kehrte er zum Horror-Genre zurück mit dem Kinofilm „Zimmer 205-Traust du dich rein“. Für die internationale SciFi-Serie „Spides“ (NBC Universal, 2020) war er erstmals als Showrunner tätig.
Aktuell ist seine TV-Horror-Serie „Hameln“ in der ZDF Mediathek zu sehen. Zwischen seinen Genre-Arbeiten ist er hauptsächlich als Auftragsregisseur für Krimis und Komödien unterwegs.