ShareDoc: Mehr Wirkung für den Dokumentarfilm

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Mehr als 30.000 Euro hat „Daughters of the Sun“ an Spenden gesammelt, das Geld ging an die neun Protagonistinnen des Dokumentarfilms. | Foto © Mokum

Dokumentarfilme zeigen uns die Welt, und hinterher fühlen wir uns manchmal hilflos. ShareDoc will das ändern: Mit einem QR-Code können Dokumentarfilme Spenden sammeln und zugleich für sich selber werben.

Ein QR-Code macht den Unterschied. So wirbt ShareDoc für sein Anliegen unter Dokumentarfilmer*innen: Die Welt nicht nur zu zeigen, sondern auch beim Helfen zu helfen. Denn „nichts ist frustrierender, als helfen zu wollen, aber nicht können.“ 

Anne-Marie Borsboom nennt das den „postdokumentarischen Blues“, wenn auf die Erkenntnis ein Gefühl der Ohnmacht folgt. Das Dilemma ist bekannt. Viele Dokumentarfilme verraten jetzt schon im Abspann oder auf der Website, wo es Möglichkeiten gibt, zu spenden oder sich gar persönlich zu engagieren. ShareDoc macht das zum Programm: 54 Dokumentarfilme sind inzwischen auf der Website vertreten – nicht als Stream, sondern vor allem mit einem Zweck: weiterzuwirken. 

Auf ShareDoc können Dokumentarfilme Spenden sammeln oder Petitionen starten. Dafür erhält jedes Projekt einen QR-Code, der im Abspann oder auf der Kinokarte verwendet werden kann. Das alles ist kostenlos, der Zugang betont offen. Die einzige Mindestanforderung seien die 17 Nachhaltigkeitsziele der UN [auf Englisch], sagt Borsboom. „Über Qualität entscheidet das Publikum, nicht ShareDoc.“ . Allerdings liefen viele der Filme auf der Plattform auch auf Festivals – die seien eine Art Torwächter. 

Hinter der Vision auf der Website steht ein vierköpfiges Team aus der Praxis. Die Idee hatte Borsboom, die erste Kamerafrau in den Niederlanden und selbst Dokumentarfilmerin. Vor fünf Jahren wurde ShareDoc als Non-Profit-Organisation gegründet, im Jahr darauf war der Testlauf beim Internationalen Dokumentarfilmfestival in Amsterdam (IDFA). Die Ergebnisse waren nach etwas mehr als sechs Monaten „erstaunlich“, sagte Borsboom damals im Interview auf „Cineuropa“ [auf Englisch]. „Mit nur wenigen Dokumentarfilmen haben wir seit dem IDFA bereits mehr als 42.000 Euro an Spenden und mehr als 38.000 Besuche auf nur wenigen Festivals erhalten.“

Viele fanden das schonmal eine schöne Idee, inzwischen entdecken sie die weiteren Vorteile, sagt Barenboom. Denn in ihrer schönen Idee stecken durchaus auch wirtschaftliche Überlegungen: ShareDoc soll zwar „die soziale Wirkung von Dokumentarfilmen“ verstärken – durch die Verknüpfung von Publikum und Filmemacher*innen aber auch die Filme selbst sichtbarer machen. Und durch die gemeinsame Plattform verschaffen sich die Filme gegenseitig Aufmerksamkeit; theoretisch jedenfalls. 

Seit November 2022 ist ShareDoc online, und die Förderung durch die EU verrät das größere Ziel. Vier Sprachen beherrscht die Plattform zurzeit, und gesucht werden nicht nur Film- und Festivalmacher*innen, sondern auch Freiwillige, die als „Botschafter“ ShareDoc in anderen Ländern vertreten oder andere Fachkenntnisse einbringen. Hilfe für die Filmemacher*innen in Rechtsfragen oder bei der Social-Media-Kampagne stehen auch noch auf dem Plan.  

Wie es läuft mit den Spenden, lässt sich auf der Website verfolgen. Berichtet wird auch, wie das Geld verwendet wurde. Ganz vorne auf der Liste der 54 Dokumentarfilme steht „Daughters of the Sun“: Mehr als 30.000 Euro verbucht der Film über junge Frauen, die im Irak von IS-Kämpfern entführt und als Sexsklavinnen gehalten wurden. Ein Rekordergebnis, das räumt auch Barenboom ein. Bei den übrigen Filmen ist das Spendenaufkommen bestenfalls vierstellig. 

Eine starke Geschichte oder starke Protagonist*innen machten da schon einen Unterschied, erklärt Borsboom. Sie nennt aber noch andere Gründe: Beigetragen habe auch, dass „Daughters of the Sun“ gerade in den Niederlanden im Kino lief. Andere Filme kamen erst später dazu, als ihr „Peak“ schon vorüber war, wieder andere erreichten jenseits der Festivals gar kein Publikum – nicht unbedingt wegen des Themas, sondern weil etwa ein Verleih oder eine Agentur fehlte. 

Andererseits sind schon 5.000 Euro eine Menge Geld in Afghanistan, erklärt Borsboom. Soviel kamen (nur durch die Filmfestivals) bei dem Animationsfilm „Inside Kabul“ zusammen, der von zwei jungen Frauen nach der Rückkehr der Taliban erzählt. Gesammelt wurde, um ihre Familie nach Frankreich auszufliegen. 

Bleibt noch ein letzter Einwand: Ist das noch die „Fliege an der Wand“, die Dokumentarfilmer*innen einst mal sein sollten? Oder doch schon Aktivismus? Auch das ist kein Kriterium, findet Borsboom: „Diese Linie zieht das Publikum.“