Berlinale: Ein Festival ohne Publikum

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Goldenes Bärengießen für die Berlinale. Die Trophäen sind vergeben, das Festival war zufrieden, der Filmmarkt auch. Nur der Wettbewerb im Stream machte nicht den gewohnten Spaß. | Foto © Berlinale/Pablo Ocqueteau

Die Berlinale ist erstmal gelaufen. Teil 2 folgt vielleicht im Sommer. Dann soll auch das Publikum die Filme sehen können. So ist der Rückblick auf den Wettbewerb zugleich eine Vorschau.

Kurz mal zurückspulen. 2020. Die letzte Festival-Filmvorführung für die Presse war am 28. Februar 2020. In meiner kleinen Gruppe waren wir uns weitgehend einig, es war doch eine gute Berlinale gewesen. Es war sehr entspannt, sowohl bei den Wartezeiten vor dem Einlass zu den Vorführungen, als auch in der Organisation. Covid-19 war bereits Thema, man desinfizierte seine Hände an jedem zweiten Spender. Mit einer Kollegin tauschte ich mich am Nachmittag aus. „Pass auf, das war wahrscheinlich das letzte Festival für lange, lange Zeit“, sagte sie. Sie sollte recht behalten. Am gleichen Tag wurde hier in Berlin die Internationale Tourismusbörse abgesagt. Internationale Events könnten Hotspots sein. Über Ecken habe ich viel später erfahren, dass es damals doch zu Ansteckungen bei Festival-Besuchern kam. 

Im Forum-Programm dieses Jahrgangs habe ich einen Film einer Regisseurin gesehen, die in den USA lebt und arbeitet, deren Heimatstadt allerdings Wuhan ist. Die Stadt, die für lange Zeit mit dem Ausbruch der Sars-2-Pandemie asoziieren werden wird. Dabei kaschiert diese Festlegung nur die Verantwortungslosigkeit unserer Gesellschaft, die den Tieren ihren Lebensraum nimmt und die, nicht zu vergessen, ungerne Verantwortung übernimmt. Shengze Zhu zeigt in „A River Runs, Turns, Erases, Replaces“ [Trailer]

Bilder eine Überwachungskamera zu Zeiten des Lockdowns im März und wie im April die Bevölkerung die Stadt wieder zurückerobert. Sie zeigt die Stadt vor der Pandemie und blendet in Form von Briefen persönliche Schicksale des Verlusts und des Bedauerns aus der Zeit weit in dem Herbst des Jahres ein. Durch Wuhan fließt der Jangtse, und er fließt unberührt vom Schicksal der Städter.

In dem Jahr seit der letzten Berlinale haben manche von uns die Krankheit überwunden, andere haben Angehörige verloren. Viele haben ihre Arbeit verloren und für andere haben sich die Arbeitsbedingungen geändert. Zum Beispiel, als man wieder drehen konnte. Mit dem Gebot der Maske und/oder des Abstandhalten änderten sich Geschichten, die man erzählen wollte und konnte. Der Wettbewerbsgewinner, Rade Judes Beitrag „Bad Luck Banging or Loony Porn“, wäre ohne die Masken ein anderer. Alle Darsteller*innen tragen rundum Maske, dem Schauspiel war das sicherlich nicht zuträglich. Der Aufhänger ist aber ein Heimporno, der viral geht, und die Lehrerin, die darin erkannt wird, sieht sich von der Elternschaft der Schule, in der sie unterrichtet, von einem Shitstorm überzogen. Rade Jude führt dem Publikum unsere Gesellschaft nicht in Zeiten von Corona, sondern in Zeiten öffentlicher Empörung, dem Übermaß an Social Media und der selbstverschuldeten Reizüberflutung auf allen Kanälen vor. Mehr noch als das Konzept und die Handlung sticht eine lange Sequenz heraus, in der die Hauptfigur durch ihr Bukarest läuft und uns damit auch die Maßnahmen zeigt, im Spagat zwischen Prinzip und Einhaltung.

Automatisch sucht man dieses Jahr in den Filmen nach Hinweisen. Wurde der Film im Lockdown gedreht? Hält man Abstand? Verändern die Gesundheitsauflagen die Geschichten und wie sie erzählt werden? Verändert sich unser Blick auf Filme, die egal wann sie gedreht wurden, nun anders wahrgenommen werden?

Man kann auch falsch liegen. „Sozialhygiene“ [Trailer] heißt die Komödie von Denis Côté („Vic + Flo haben einen Bären gesehen“, Berlinale 2012), die in der Programmreihe „Encounters“ den Regiepreis (ex-aequo) erhielt. Ein Dandy trifft auf die Frauen in seinem Leben. Côté ordnet die Figuren Tableau mäßig in der Landschaft an, der Abstand der Figuren zueinander ist jedoch Konzept, und stand weit vor Drehbeginn fest. Sogar für den Titel hatte sich Côté bereits 2015 entschieden.

Noch einmal zurückspulen, in den August 2020. Es war Sommer, wir verbrachten viel Zeit im Freien. Die Berlinale-Leitung verkündete, das Festival werde „physisch stattfinden“. Dann, am 12. November, damals waren die Kinos bereits zu und Pressevorführungen schon gar nicht mehr möglich, gingen die Akkreditierungseinladungen an die Presse raus. Immer noch wollte man das Festival als „Ort des Austauschs und der Begegnung“ stattfinden lassen, mit allen erforderlichen Maßnahmen zum Schutz der Teilnehmenden. 

Im Dezember zog man dann doch die Reißleine. Die Berlinale-Leitung verkündete ein neues Konzept, um das Festival auch in Covid-19-Zeiten vollziehen zu können. Das Festival wurde in zwei Akte geteilt. Im März sollte die Branche Zugang zu einer digitalen Variante erhalten, das Publikum sollte dann im Sommer dran kommen. Der künstlerische Leiter der Berlinale, Carlo Chatrian, erklärte: „Als Antwort auf die Zeit, in der wir gerade leben, haben wir beschlossen, unser Angebot in zwei unterschiedliche und doch zusammenhängende Veranstaltungen aufzuteilen und damit den Auftrag der Berlinale zu erfüllen. Während im März die Filmindustrie (online) versammelt sein wird und unsere Auswahl unterstützen und ins Licht rücken wird, kann unser Publikum im Sommer – wie ein Neustart, 70 Jahre nach der ersten Ausgabe des Festivals – in Kinos und unter freiem Himmel die Filmemacher*innen und ihre Teams feiern. Damit erhält es die Gelegenheit, die unterschiedlichen Sektionen und Profile des Festivals zu erfahren, die Filme des internationalen Wettbewerbs zu sehen und die Gewinner*innen des Goldenen und der Silbernen Bären in einer heiteren Atmosphäre zu feiern.“ Die Akkreditierung der Presse war allerdings deaktiviert worden.

Um es kurz zu machen. Die Presse wurde dann doch einbezogen. Im Januar öffnete man das Akkreditierungsportal, allerdings wurde das nicht breitflächig kommuniziert. Die Anzahl der Akkreditierungen wurde um etwa die Hälfte gedeckelt. Die Presse sollte die Filme nun online sichten können, wobei den Rechteinhaber*innen freigestellt wurde, ob sie ihre Filme auch der Presse zugänglich machen werden. In der Tat wurden dann auch nicht alle Filme angeboten. Dazu später mehr. Die Berufsvereinigung Deutscher Medienjournalisten schrieb gleichzeitig einen Offenen Brief an Monika Grütters, Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien, und Olaf Scholz, Bundesminister für Finanzen. Wie kann es angehen, dass die Teilnahmegebühren für Marktteilnehmer reduziert wurden, während die Presse den regulären Beitrag zahlen sollte? Obwohl man durch die Verkürzung der Festivaldauer in der ersten Etappe wesentlich weniger Zeit haben würde, Beiträge zu sichten und Beiträge zu verkaufen. Das allerdings ist eine Ungleichbehandlung. Über die finanzielle Lage der PressevertreterInnen in Pandemie-Zeiten möchte ich hier gar nicht groß eingehen.

Würde es nach Radu Jude gehen, könnte man die Festivals gerne von all dem Zirkus wie den Roten Teppich, die Berichterstattung um die Garderoben und dergleichen befreien. Er vertraut, so sagte er es dem „Hollywood Reporter“, ganz dem Film. Er kann unmöglich gemeint haben, dass wir Filme ausschließlich durch die Leitung und auf dem heimischen Monitor sichten. Nicht wahr?

Die Berlinale-Leitung war da auch nicht konsequent. Das heißt, sie fühlte sich den Filmen verpflichtet und lud die Jury nach Berlin ein, wo sie die Filme im Wettbewerb in einem Kinosaal sehen konnten. Nur ein Mitglied der Jury, der Iraner Mohammad Rasoulof, Gewinner der Berlinale 2020 mit „Doch das Böse gibt es nicht“, konnte nicht persönlich anreisen, da er Iran nicht verlassen darf. Gut für die Filme, gut für die Jurymitglieder. Zur Jury gehörten Ildikó Enyedi (Ungarn, „Körper und Seele“, „Goldener Bär“ 2017), Nadav Lapid (Israel, „Synonyme“, „Goldener Bär“ 2019), Adina Pintilie (Rumänien, „Touch Me not“, „Goldener Bär“ 2018), Gianfranco Rosi (Italien, „Fuocoammare“, „Goldener Bär“ 2016) und Jasmila Žbani? (Bosnien und Herzegowina, „Grbavica“, „Goldener Bär“ 2006). Alle anderen sahen die Filme und sahen eventuell nichts. Der Preis für die beste Regie sprach die Jury 2021 Dénes Nagy für seinen Film „Natural Light“ [Trailer] zu, eine deutsche Koproduktion mit Propellerfilm und dem ZDF/Arte. Die Erzählung aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges folgt ungarischen Soldaten, die als Sondereinheit der deutschen Armee unterstellt, in der Sowjetunion Partisanen aufstöbern sollen. Nagy verfilmte Teile der Literaturvorlage von Pál Závodas gleichnamigen Roman mit dem Kameramann Tamás Dobos und ebenjenen Bedingugnen, bei natürlich Licht. Die Handlung spielt weitgehend im dunklen Wald. Die Farbpalette wird von Braun und Grau bestimmt und teilweise saß ich frustriert vor dem Monitor und sah: Nichts. Keinen Wald, keine Gesichter, schon gar nicht die Feinheiten. Es fühlte sich falsch an. Wie soll man so einen Eindruck gewinnen und vermitteln? 

Es gab übrigens, das erfuhr ich so um paar Ecken, Pressevorführungen. In einem sehr kleinen Rahmen. Die Ungleichbehandlung bei den Arbeitsbedingungen muss man im Hinterkopf behalten, denn die Sichtungsumstände sind elementar. Es ist ja nicht nur der Umstand, dass dunkel gehaltene Filme es per Stream schwer haben. Ein Monitor kann nie die Bildqualität und die Farbabstufungen zeigen, die es im Kino gibt. Es ist auch eine Frage der Konzentration. Nun sind Screener inzwischen nichts Neues, sozusagen Alltag. Aber so geballt ist das eine Zumutung. Eine Woche lang Film um Film um Film? Nein, ideal war das nicht. Es war aber auch nicht nur eine Frage der Konzentration. Es litt auch das Gemeinschaftserlebnis. Logisch. Man sitzt alleine zu Hause und sichtet einen Film. Macht sich so Gedanken und schaltet dann den nächsten ein. Was wegfällt, ist das direkte Gespräch mit den Kolleg*innen. Mitunter muss man seinen Eindruck verteidigen und dabei feilt man das, was man empfindet noch deutlicher heraus. Man erkennt in der Reaktion der anderen auch seine eigene und versteht sie besser. Oder man teilt schlichtweg die Freude, die man bei einem Film empfindet.

Mein Lieblingsfilm war „Petite maman“ von Céline Sciamma („Porträt einer jungen Frau in Flammen“). Ein Film, den man mit dem Herzen sieht. Sciamma versteht es ein sehr persönliches Gefühl auch in mir auszulösen. Sie erzählt vom Abschiednehmen. Vom Abschied nehmen von jemandem, den man liebt und vom Abschied nehmen von einer Lebensspanne. Von dem Kind sein und von dem Mutter sein. Wer sind wir, wenn wir Mutter sind? Wer sind wir, wenn wir unsere Mutter verlieren? Nelly, die gerade ihre Großmutter verloren hat, begleitet ihre Eltern, die das Haus der Verstorbenen auflösen. Doch ihre Mutter reist ab, weil sie zu stark den Schmerz des Verlustes empfindet. Gleichzeitig begegnet das Kind im Wald einem Mädchen, dass sie auffordert, ihr doch dabei zu helfen, eine Hütte zu bauen. Eine Hütte, so wie ihre Mutter das einst getan hatte. Im Rahmen ist diese Geschichte eine Zeitreise, in der das Kind ihre Mutter in just der Phase ihres Lebens kennenlernt, in der diese ihre Großmutter verloren hatte. Sciamma hebt diesen Umstand nicht hervor, sie zeigt zwei Kinder, gespielt von den Zwillingen Joséphine Sanz und Gabrielle Sanz, die sich kennen und verstehen lernen, die gemeinsam ausgelassen spielen und gemeinsam schweigen können. 

„Petite maman“ ist ein sehr leiser Film, der Herz und Seele berührt und über den man sich austauschen möchte. Hätte ich ihn im Berlinale Palast gesehen, hätte ich auf den Treppen hinunter die Kollegen und Kolleginnen angelächelt und sie hätten sicherlich zurückgelächelt. Mit dem Gefühl, dass einen ein Film so stark berüht, alleine zu bleiben, das ist die Essenz unserer Lockdown-Zeit und all das, was man als Eindruck weitergeben möchte, verpufft ein wenig.

Dann gibt es da noch die Filme, über die ich nicht schreiben kann. Weil ich nicht zu den wenigen Auserwählten gehöre, die Dominik Grafs Erich Kästner-Verfilmung „Fabian oder Der Gang vor die Hunde“ [Trailer] oder Daniel Brühls Regiedebüt „Nebenan“ sehen konnten. Diese Filme waren nicht im Online-Angebot, das wurde auch so kommuniziert. Andere Filme hatten ein Geo-Blocking. Dazu gehörte zum Beispiel im Berlinale Special der Film „The Mauritanian“ von Kevin Macdonald mit Jodie Foster in der Hauptrolle. Ein Politthriller und „Guantánamo-Tagebuch“. Während der Film andernorts bereits auf Streamingportalen zum Einsatz kam, hält die deutschen Kino-Auswertungsrechte die Tobis. Die deutschen Akkreditierten wurden somit ausgesperrt. Warum Julian Radlmaier, der mit „Selbstkritik eines bürgerlichen Hundes“ 2017 in der Perspektive Deutsches Kino auf sich aufmerksam machen konnte, jetzt im Encounters-Wettbewerb seinen Nachfolgefilm „Blutsauger“ für die deutsche Presse blockte, bleibt mir ein Rätsel. Zwar hatte ich meinen Sichtungswunsch der Presseagentur angetragen, bevor ich von der Blockade wußte, aber eine Antwort habe ich nie erhalten. „Blutsauger“ wird zu einem späteren Zeitpunkt von dem engagierten Verleih Grandfilm in die Kinos gebracht werden.

Grandfilm hatte noch zwei weitere Filme im Programm, ja sogar im Hauptwettbewerb, beides Filme mit Überlänge, die ich sehr gerne auf einer großen Leinwand gesehen hätte. „Was sehen wir, wenn wir zum Himmel schauen“ [Trailer] handelt von Zufällen und Begegnungen. Er und sie treffen aufeinander, zufällig, wir sehen nur ihre Schuhe und ein Buch und einen Schritt in die eine Richtung und eine Kehrtwende und dann geht es weiter. Die zwei verabreden sich. Das wäre so einfach, würde nicht ein Fluch auf ihnen liegen. Alexandre Koberidze stammt aus Tiflis, dort spielt der Film auch. Er studierte an der DFFB, und die Filmhochschule ist Ko-Produzent.

Ganz großes Kino und der „Silberne-Bär“-Preis der Jury (nicht zu verwechseln mit dem „Großen Preis der Jury“) ist auch die Dokumentation „Herr Bachmann und seine Klasse“ [Trailer] von Maria Speth („9 Leben“), die das Konzept mit ihrem Kameramann Reinhold Vorschneider gemeinsam erarbeitet hat. Dieter Bachmann steht kurz vor der Rente, auch wenn man ihm das nicht ansieht. Er unterrichtet eine Integrationsklasse in Nordhessen. Stadtallendorf, eine Stadt mit einem Einwanderungsanteil von 70 Prozent. Die Industriewerke wie die Eisengießerei Fritz Winter riefen einst die Gastarbeiter, die auch kamen. Wobei die Geschichte der Zuwanderer bereits noch früher einsetzte, als für die Sprengstoffproduktion der Nazis Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene hinzugezogen wurden. Maria Speth kennt Dieter Bachmann seit langem, und kurz vor seiner Pensionierung schaute sie sich seine Schule doch einmal an. Herr Bachmann unterrichtet Sechsklässler, für die mit Abschluss der Grundschule Weichen gestellt werden. Einige haben Schwierigkeiten mit der Sprache, andere mit den unterschiedlichen Mentalitäten. Dieter Bachmann kriegt sie unter einen Hut und vermittelt jedem, jeder Einzelen, dass sie es wert sind und dass sie etwas gut können. Er begegnet ihnen auf Augenhöhe, mit Respekt und schafft in seiner Klasse eine Atmosphäre, in der sich jeder und jede Einzelne entfalten kann. Dafür braucht es dann auch die Filmlänge, denn eine Entwicklung wird nicht in Höhepunkten vermittelt, sondern ganz organisch. Dabei ist man sich der Kamera nicht einmal bewußt, die die Kinder quasi wie Herr Bachmann in ihrem Wesen wahr nimmt. Über die Publikums-Berlinale hinaus ist ein Kinostart für den September anvisiert.

Eine weitere deutsche Produktion im Wettbewerb wurde mit dem (erstmals genderneutralen) Schauspiel-Preis ausgezeichnet. Maren Eggert, wir kennen sie aus zahlreichen Schanelec-Filmen, spielt in Maria Schraders „Ich bin dein Mensch“ [Trailer] eine Wissenschaftlerin, die um Fördergelder an Land zu ziehen dazu verdonnert wurde, mal eben für ein paar Wochen einen humanoiden Roboter auszutesten. Tom, gespielt von Dan Stevens, ist ab Werk so eingestellt, sie glücklich zu machen. Auch wenn ihre Vorstellungen von Glück andere sind. Maria Schrader umgeht die Einordnung als Science Fiction, setzt auch nicht auf eine Romanze, sondern tariert aus, was KI vermag und was nicht. Wobei Humor die Erkenntnisse an das Publikumt bringt. Alma, also die Figur die Eggert spielt, weiß doch sicherlich besser, was sie will und was sie braucht. Oder nicht? Die Kamera führte Benedict Neuenfels und die Montage lag in den Händen von Hansjörg Weißbrich. Der Verleih Majestic wird „Ich bin dein Mensch“ voraussichtlich gleich im Anschluß an die Sommer-Berlinale in die Kinos bringen.

Große Hollywood-Produktionen fehlten dieses Jahr sowohl im Wettbewerb, als auch in den Nebensektionen. Der dsytopische Science-Fictioner „Tides“ [Trailer] fühlte sich allerdings an, als käme es von über dem großen Teich. Vielleicht weil der Kameramann Markus Förderer inzwischen ebendort gut im Geschäft ist. Sowohl „I Origins“ als auch „Independence Day: Resurgence“ sind Großproduktionen, und seit Februar kann man seine Arbeit mit Mark Cahill bei „Bliss“ auf Amazon Prime anschauen. Den ersten größeren Film hat er jedoch mit Tim Fehlbaum gedreht. „Hell“ kam 2011 in die Kinos, war ebenfalls ein Endzeitthriller. Auch Editor Andreas Menn war bereits bei „Hell“ mit von der Partie. „Tides“ hat Tim Fehlbaum zusammen mit Mariko Minoguchi geschrieben, deren Regiedebüt „Mein Ende. Dein Anfang“ 2019 in die Kinos kam. Als Inspiration nennt Tim Fehlbaum Michael Glawoggers „The Workingman’s Death“ und die Tomasz Gudzowatys Fotoarbeiten der Serie „Keiko“ über sogenannte „Shipbreakers“. „Tides“ besticht von den breit angelegten Bilder des Wattenmeers. Vieles wurde dann aber doch in den Bavaria Studios gedreht, wo man ein riesiges Wasserbecken baute, das man nach Bedarf fluten konnte. Eine nette Anekdote gibt es ebenfalls zu der Produktionszeit, laut Presseheft. Und zwar brauchte es für den Schluß einen Nachdreh, nur dass eben Corona und Lockdown da Steine in den Weg legten. Schließlich drehte man die Szene mit nur einem Darsteller in Markus Förderers Wohnzimmer und Tim Fehlbaum war per Skype zugeschaltet. Würde man nicht drauf kommen. „Tides“ ist eine deutsch-schweizerische Produktion von Berghaus Wöbke und Vega Film. Constantin wird den Film voraussichtlich, also irgendwann ins Kino bringen.

Solange wird X-Verleih mit dem Dokumentarfilm „Wer wir waren“ [Trailer] nicht warten. Ursprünglich sollte der „Berlinale-Special“-Beitrag bereits am 22. April ins Kino kommen. Zur Zeit ist der 6. Mai anvisiert und das nicht von ungefähr. Der Tag markiert den „weltweiten Erdüberlastungstag“ – sprich: ab dem 7. Mai leben wir über unsere Verhältnisse. Regisseur Marc Bauder („Master of the Universe“, „Dead Man Working“) blickt auf den Zustand unseres Planeten aus der Sicht zukünftiger Generationen. Sein Ansatz ist wissenschaftlich und philosophisch. Wie klein und doch so groß unser Heimatplanet ist, zeigt uns der Astronaut Alexander Gerst. Wobei ich schmunzeln musste, angesichts der Tatsache, dass man in der Schwerelosigkeit auch mal die Kamera los lassen kann. Oder man kann das Licht ausschalten, um uns zu zeigen, wie das aussieht, wenn die Sensoren von der Strahlung getroffen werden. Handfest geht es natürlich um die großen Fragen unserer Gegenwart und wie wir leben wollen. Dabei sieht Bauder den Filmtitel als Referenz an den viel zu früh verstorbenen Roger Willemsen und er zitiert ihn: „Wir waren jene, die wussten, aber nicht verstanden, voller Informationen, aber ohne Erkenntnis, randvoll mit Wissen, aber mager an Erfahrung. So gingen wir, von uns selbst nicht aufgehalten.“

Die Berlinale hat den Ruf, ein Augenmerk auf politische Themen zu werfen. Ein wichtiger Beitrag ist „Courage“ [Trailer], eine Living Pictures Production, die von Rise and Shine ebenfalls Ende Juni in die Kinos gebracht werden wird. Regisseur ist Aliaksei Paluyan, der 1989 in Belarus geboren wurde und in Deutschland, in Kassel, Film- und Fernsehregie studierte. Nach seinem Kurzfilm „Lake of Happiness“ ist „Courage“ seiner Debüt in der Langform. „Courage“ stellt dem Weltpublikum drei Schauspieler*innen der Truppe „Belarus Free Theatre“vor. Die Theaterkunst kann in dem Regime nur eingeschränkt funktionieren. Die Akteure beziehen Stellung und gehen, wie viele andere, auf die Straße. Paluyan gibt einen Blick ins Innere des Protestwillens, der ständige Gefahr bedeutet. Das geht näher als alle Nachrichtenbilder.

Jetzt mache ich mal einen großen Sprung in die Sektion Generation. Stichwort Belarus. In dem Kinderfilm „Mission Ulja Funk“ fällt immer wieder die Bezeichnung „Weißrussland“. Eine Benennung, seit dem letzten Sommer umstritten ist. In „Mission Ulja Funk“ büchst die 12-jährige Ulja mit ihrem Klassenkameraden Henk aus, um mit einem ausrangierten Leichenwagen nach Belarus, knapp hinter der polnischen Grenze zu fahren, wo ein Asteroid einschlagen soll, den sie entdeckt hat. In Belarus wurde nicht gedreht. Die Deutsch-Polnisch-Luxemburger Produktion wurde vielmehr in Nordrhein-Westfalen, Thüringen, Sachsen-Anhalt, Sachsen, Luxemburg und Polen gedreht und zwar vor dem ersten Lockdown. Barbara Kronenbergs Langspieldebüt zeichnet sich als Pojekt der Reihe „Der besondere Kinderfilm“ aus. Ulja, gespielt von Romy Lou Janinhoff, interessiert sich für die Wissenschaften und speziell für die Sternkunde. Ihre Oma, die als Deutschrussin nicht vorhat, jemals wieder einen Fuß in die alte Heimat zu setzen, ist streng gläubig. Das zeigt sich zum Beispiel, als sie mit dem Freikirchen-Pastor Uljas Zimmer ausräumt, weil kluge Mädchen später keinen Mann abbekommen würden. Wer sich jetzt die Haare rauft: Achtung. „Mission Ulja Funk“ ist eine wilde Fahrt quer durch Deutschland und Polen. Die Figuren wachsen mit der Handlung und in der Oma steckt mehr als man denkt und Ulja kann ganz schön fies sein. Barbara Kronenberg, die an der Kunsthochschule für Medien in Köln Regie und Drehbuch studiert hat, beweist in ihrem Langspielfilmdebüt ihren Sinn für Witz und Tempo.

Etwas skurril und definitiv anders ist der österreichisch-deutsche Beitrag im Wettbewerb der Serienproduktionen. „Ich und die Anderen“ [Trailer] von Regisseur, Drehbuchautor und Produzent David Schalko („Braunschlag“) wird dann wohl demnächst bei Sky im Programm sein. Dem Ensemble von Katharina Schüttler (Ehefrau), Sophie Rois (Mutter), Martin Wuttke (Vater) und Lars Eidinger (Chef) steht Tom Schilling vor, der mit seinem Namen und anderen Begebenheiten hadert, bis er plötzlich damit konfrontiert wird, dass sich die anderen so verhalten, wie er sich das innerlich wünschen würde. Was ihn dann vollends aus der Bahn wirft. Die Berlinale stellte alle sechs Episoden zur Verfügung. Leider reichte die Zeit nicht aus, um die Gesamtlänge wahrzunehmen.

Denn jeder Beitrag wurde nur für 24 Stunden zur Verfügung gestellt. Jeden Morgen um 7 Uhr hieß es wieder „auf die Plätze fertig los“. Kann man da eigentlich noch außerhalb des sich selbst gesteckten Programms Entdeckungen machen? Man kann. Wenn man sich denn von den selbst gesetzten Prioritäten löst. Täglich waren in etwas 20 bis 30 Titel verfügbar. Meine Watchlist konnte ich auf ungefähr fünf bis sechs Titel am Tag beschränken. Auch wenn es Zeit sparte, dass man nicht das Kino wechseln musste und auch das Schlange und im Einlasspulk stehen fiel weg, aber mehr ging wirklich nicht. Und doch machte ich Entdeckungen. Dazu gehörte eben der besagte Wuhan-Film im Forum. 

Oder im „Forum Expanded“ wurden in 330 Minuten die Alltagsaufnahmen vom Leben in Städten am Nil-Delta gezeigt. In „Seven Years Around the Nile Delta“ reiste Sharief Zohairy mit einer Videokamera die Route über einen Zeitraum von acht Jahren ab. Ganz bestimmt werden auch die Bilder von uralten Bäumen hängen bleiben, die ein reicher Politiker wie Briefmarken sammelt. In „Taming the Garden“ [Trailer] von Salomé Jashi, übrigens eine georgisch-schweizer-deutsche Koproduktion an der sich Corso Film- und Fernsehproduktion beteiligt hat, beobachten wir, was es für eine Gemeinschaft bedeutet, wenn ihnen ein Baum, den wohlmöglich ein Großvater gepflanzt hat, genommen wird. Ein Stück weit Identität. Andererseits, geben andere zu bedenken, werden Straßen gebraut, um einen Baum abtransportieren zu können, wovon man dann profitiere. Vor allem aber zeugt das Projekt von der menschlichen Überheblichkeit, sich die Natur anzueignen.

Und noch eine Entdeckung:  „From where They Stood“ [Trailer]. Der Franzose Christophe Cogner veröffentlichte 2019 ein Buch, mit dem Titel „Eclats – Prises de vue clandestines des camps nazis“, über in den Konzentrationlagern von Häftlingen heimlich aufgenommene Fotografien. Die Photos hat er nun auf Glasplatten vergrößert, und zusammen mit Historikern und Archivaren versucht er herauszufinden, wo die Bilder aufgenommen wurden. Er besucht denn auch Dachau, Dora, Buchenwald, Auschwitz Birkenau, Ravensbrück. Seine Arbeit ähnelt dabei einer archäologischen Bergung, die Schicht um Schicht Erkenntnisse freilegt.

Blicke ich zurück auf diesen ersten Teil der Berlinale, dann hat die Intensität des Zu-Hause-Sichtens Vor- und Nachteile offenbart. Aber für wen schreibe ich eigentlich über die Filme? Kann ich für Filme begeistern, die ein Publikum erst in einigen Monaten sehen kann? Der Europäische Filmmarkt zog eine positive Bilanz. Die Berlinale-Leitung ebenso. Den „Bären“-Gewinner, Radu Judes „Bad Luck Banging or Loony Porn“ [Trailer] zum Beispiel, wurde nach Festivalende in Deutschland vom Verleih Neue Visionen in dessen Programm aufgenommen. Die zweite Hälfte, das Publikumsfestival wird nun im Juni folgen, sofern die Lage es zulässt. Die Daten für die 72. Berlinale stehen übrigens auch schon fest. Man ist optimistisch und terminiert für den 10. bis 20. Februar 2022.

 

 

 

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