Corona: Brancheninfo 50

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Kinos im Stillstand 17: Der „Filmrauschpalast“ in Berlin. | Foto © Elisabeth Nagy

Die 50. Ausgabe! So richtig freuen wollen wir uns nicht über dieses Jubiläum. Weil wir   aber gefragt wurden, schildern wir am Ende dieser Ausgabe unsere Eindrücke von der Filmbranche in der Corona-Krise.

Wir danken Ihnen für Ihre Informationen, Ergänzungen und Korrekturen, Fragen und Kommentare, auch wenn wir leider nicht alle persönlich beantworten können. 

 

Vor dem Virus sind nicht alle Erwerbstätigen gleich. Dies ist ein Ergebnis einer Studie zu den Folgen der Pandemie in Deutschland. Wissenschaftler*innen der Universität Bielefeld und des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) befragen seit Anfang April am Telefon eine Stichprobe von mehr als 12.000 Menschen, die Ergebnisse werden kontinuierlich veröffentlicht: „Mit den ungleichen ökonomischen und alltäglichen Lebenssituationen entstehen und wachsen auch die Sorgen in unterschiedlicher Weise. Schon jetzt zeichnet sich ab, dass einzelne Bevölkerungsgruppen die Krise leichter bewältigen werden als andere“, heißt es im Kurzbericht.
Dennoch sorgten sich die Beschäftigten um die gesamtwirtschaftliche Situation, aber kaum um die eigene wirtschaftliche Lage: Die erste Sorge hat sich gegenüber dem Vorjahr verdreifacht, die zweite ist sogar gesunken – lediglich die Niedrigverdiener*innen blicken auch etwas weniger zuversichtlich in die eigene Zukunft.

 

Einen „Offenen Brief aus der Risikogruppe“ haben 80 Schauspieler*innen, Filmemacher*innen und andere am 17. Mau ans Bundeskanzleramt und die Staatskanzleien der Bundesländer geschickt. Anlass war der „vom RKI etwas pauschal definierte“ Begriff der „Risikogruppe“ und seine möglichen Auswirkungen auf Teile des gesellschaftlichen Lebens in Deutschland und auf Menschen in kreativen Berufen:

„Wir, die Unterzeichnenden, bedanken uns bei Politik und Wissenschaft für die Umsicht und Entschiedenheit, mit der bisher in der Corona-Krise vorgegangen wurde, möchten aber auf folgende Problematik aufmerksam machen.
Beim Beginn der Pandemie wurde vom Robert-Koch-Institut der Begriff ,Risikogruppe’ so definiert, dass darunter auch sämtliche Personen über 60 fallen.
Wir, die Unterzeichnenden, sind alle über 60 und plädieren dafür, den Begriff ,Risikogruppe’ genauer zu definieren. Denn er birgt die Gefahr der Diskriminierung und kann leicht missbraucht werden.
Viele Menschen über 60 arbeiten sehr erfolgreich in Bereichen wie Architektur, Erziehung, Film, Handwerk, Journalismus, Kunst, Medizin, Musik, Lehre, Pflege, Politik, Recht, Theater usw. Sie sitzen in Aufsichtsräten, Beratergremien, Vorständen etc. oder arbeiten ehrenamtlich. Sie leisten einen bedeutenden gesamtgesellschaftlichen Beitrag, der nicht gefährdet werden sollte. Diese Menschen sind in der Lage, sich selbst zu versorgen und benötigen keine Hilfe. Viele von ihnen haben keine schwerwiegenden Vorerkrankungen.
Selbstverständlich müssen Menschen mit schweren Vorerkrankungen geschützt werden.
Selbstverständlich müssen Menschen, die nicht in der Lage sind, sich selbst zu versorgen, geschützt werden, aber Menschen, die keine Hilfe benötigen, können unserer Meinung nach die Verantwortung für ihren Schutz selbst übernehmen.
In dem zur Zeit verwendeten Begriff ,Risikogruppe’ sehen wir, die Unterzeichnenden, folgende Gefahren:
1.  Berufsversicherungen könnten Menschen über 60 generell als Risiko einstufen, sie für ihre berufliche Tätigkeit nicht mehr versichern und ihnen somit die Ausübung ihres Berufes unmöglich machen. Erste Entwicklungen dieser Art zeichnen sich bereits ab.
2. Die Gesellschaft verlöre dadurch wertvolle Qualifikationen und Erfahrungen der 60plus-Generation.
3. Die Solidarität der Gesellschaft könnte Schaden nehmen, indem es zu einer Spaltung zwischen Jung und Alt kommt. Denn während die Gruppe der Älteren durch die jeweilige Maßnahme geschützt werden soll, wird den Jüngeren ihre Arbeit erschwert oder sogar genommen (Home-Office ohne Kinderbetreuung, Kurzarbeit oder das Wegbrechen von Aufträgen).
Wir bitten daher Politiker und Wissenschaftler, sich erneut und intensiv mit dem Begriff ,Risikogruppe’ auseinanderzusetzen, auch im Hinblick darauf, ob er in der aktuellen, veränderten Situation noch hilfreich ist.“

 

Wie der Ausbruch der Spanischen Grippe 1918 direkt mit dem Entstehen des Hollywood-Systems zusammenhing, hatten im April mehrere US-Medien geschildert. Die Geschichte wurde auch in Deutschland aufgegriffen. Der MDR fasst sie zusammen.

Die Kinos wollen wieder spielen: Die Berliner Yorck-Gruppe hat sich mit dem 2. Juli ein Datum gesetzt, wann sie wieder öffnen möchte. Nun hoffen die Kinos auf den entsprechenden Senatsbeschluss, berichtet die „Berliner Zeitung“.

Seit einigen Tagen werden wieder Drehgenehmigungen erteilt, wie auf den Homepages der Filmförderungen beziehungsweise Film Commissions in Bayern, Berlin-Brandenburg und Hamburg-Schleswig-Holstein hingewiesen wird, meldet „Blickpunkt Film“.

In Österreich kann wieder gedreht werden, melden der „Standard“ und „Blickpunkt Film“. Die Regierung stellt bis zu 25 Millionen Euro für corona-bedingte Dreh-Abbrüche zur Verfügung, der ORF übernimmt erhöhte Sicherheitskosten. Die Zusage gilt bis Ende 2021 und rückwirkend ab 16. März. 

Auch in Italien hat sich die Branche auf Sicherheitsstandards beim Dreh geeinigt, berichtet „Variety“: „Schauspieler, die sich aufgrund ihrer Rolle nicht an soziale Distanzierung am Set halten können, werden sich vor Drehbeginn auf Corona-Viren testen lassen und die Tests dann während der Dreharbeiten mindestens einmal wöchentlich wiederholen.“

 

Wir haben mal getestet, wie es ist, nach den aktuellen Richtlinien einen Film zu drehen, schreibt die WTP International Filmproduktion. In sechs Minuten schildern Antje Nikola Mönning, Mira Gittner und Marina Anna Eich ihre Erfahrungen mit Musik. Nur Roland Reber habe sich geweigert, unter solchen Umständen Regie zu führen, heißt es im Vorspann von „Coronoia“. 

Nachhaltige Arbeitsprozesse für die einzelnen Gewerke vermittelt das Netzwerk der German Film Commissions in Webinaren. Die Veranstaltungsreihe „Keen to be green“ läuft noch bis Ende kommender Woche.

 

Wegen der Pandemie wird die auch die Cinec verschoben. Die internationale Fachmesse für Cine Equipment und Technologie sollte im September in München stattfinden. Ein neuer Termin soll „schnellstmöglich“ gefunden werden, teilen die Veranstalter mit.

Das Filmfest Bremen wird wegen der Corona-Pandemie vom Herbst auf den Frühling 2021 verschoben. Das teilten die Veranstalter am Dienstag mit. 

Eigentlich wollte der ehrwürdige „Grimme-Preis“ seine Gala im August nachholen, doch auch der Ersatz-Termin kann nicht gehalten werden. Eine feierliche Preisverleihung wird dadurch in diesem Jahr nicht stattfinden, meldet DWDL.

 

Die großen Filme der Renate Krößner: Der Journalist, Filmhistoriker und Defa-Stiftungsvorstand Ralf Schenk wirft einen liebevollen Blick in die schaffens- und hürdenreiche Filmografie der am Montag gestorbenen Schauspielerin. Und die „Berliner Zeitung“ bringt dazu eine Werkschau mit Defa-Trailern.

In der Krise wurde das Corona Short Film Festival für Filmemacher*innen aus aller Welt geschaffen. In der Reihe #BeCreativeAtHome! sprach Casting-Network mit dem Initiator Dejan Bu?in über die Idee, das Konzept und die Umsetzung des Festivals.

Steffi Ackermann wechselt von der Warner Bros. Entertainment zu Netflix, wie der Streamingdienst heute bestätigte. Sie betreut dort die deutschen Serien, das deutsche Team wird damit weiter ausgebaut.

„Ist das ,Modell KSK Plus’ endlich der Durchbruch für uns Schauspieler*innen?“ fragt der BFFS. Verbands-Schatzmeister Heinrich Schafmeister hat Hoffnung. 

 

Albert Camus’ Roman „Die Pest“ wird zurzeit (nicht nur vom SWR) immer wieder gerne empfohlen. Das Theater Oberhausen hat den Klassiker als Miniserie auf die virtuelle Bühne gebracht. Der Videokünstler und Regisseur Bert Zander inszenierte mit Ensemble und Bürger*innen gemäß der Kontaktbeschränkungen alleine zu Hause oder im Freien, die einzelnen Szenen wurden später im Schnitt zu je 20-minütigen Folgen zusammengefügt. Auf 3sat und ZDF Kultur stehen die fünf Folgen bis November online. Die letzte Folge erscheint am kommenden Samstag um 19.30 Uhr.

Dominik Utz und Martin Schwimmer betreiben zusammen schon ihre Produktionsfirma Domar Film. Mit dem Frankfurter Regisseur Enkelejd Lluca und dem Münchner Produzenten Marvin Rößler wagten sie sich vor kurzem auch an die Verwertung. Das erste Verleihprojekt ihrer Four Guys Film Distribution ist „La Palma“ von Erec Brehmer. Der Regisseur ist Absolvent der HFF München, sein Film eine lockerleichte Sommer-Beziehungskomödie. Bundesweiter Kinostart (wo die Kinos offen sind) ist heute in einer Woche. Damit, vermuten die vier Kerle, „sind wir anscheinend der erste Verleih, der einen neuen Film ins Kino bringt, der nicht bereits vor dem Corona-Lockdown im Kino lief oder via VOD veröffentlicht wurde.“ Bereits morgen gibt es aber Hafenkino in Offenbach am Main eine Open-Air-Vorführung.

 

„Männer erklären, wie systemrelevant Frauen sind“: 22 Prozent aller Experten, die Corona-Folgen erklären, sind einer aktuellen Studie zufolge weiblich. Die Forscherin Elizabeth Prommer erklärt dem „Spiegel“, wieso – und was das für die Gesellschaft bedeutet.

Die „Bild“-Zeitung wirft Christian Drosten „«fragwürdige Methoden“ vor, doch im Artikel zitierte Forscher distanzieren sich von dem Blatt. Warum Kritik an der Studie trotzdem legitim ist? „Der Spiegel“ hat den Überblick.

Hans Söllner wird von seinen Fans für seine systemkritischen Texte in bayerischem Dialekt gefeiert. Doch jüngste Kommentare bei Facebook irritieren Fans und auch sein Plattenlabel Trikont. Dessen Chefin distanziert sich im Deutschlandfunk deutlich von den Äußerungen.

Mit Verschwörungsfragen kennt sich Edward Snowden aus. Und zwar nicht theoretisch, sondern ganz praktisch. Der ehemalige Spion und Whistleblower sprach schon im April von den Gefahren, die der Demokratie durch die Pandemie drohen [auf Englisch].

Eine Version mit deutschen Untertiteln ist leider grob verkürzt.

 

Deutschland macht sich locker, der Neustart ist angekündigt. Nach den Pfingstfeiertagen werden wir den Takt unserer Brancheninfos in der Krise auf drei Tage die Woche senken. Zur heutigen 50. Ausgabe hat mich Crew United um eine Zwischenbilanz gebeten:
Lieber Peter, Du schreibst seit 17 Jahren für das Magazin „cinearte“ Nachrichten für Filmschaffende. Seit 16. März dieses Jahres, also seit 73 Tagen,  verfasst Du wegen Corona nun werktäglich die Branchennews für Crew United: Welche Erfahrungen hast Du damit gemacht und hat es Deinen Blick auf die Branche verändert?“

Eigentlich sind das zwei Fragen – ich fasse mich kurz:

Überrascht war ich vor allem über die Reaktionen: Wir haben auf die tägliche Brancheninfo in zwei Wochen mehr Zuschriften erhalten als in vielen Jahren „cinearte“. Das schmerzt ein bisschen, spornt aber auch an. Offenbar haben wir einen Nerv getroffen – das Echo war überwältigend, Kritik fast ausnahmslos konstruktiv, und ich möchte allen Leser*innen an dieser Stelle danken. Bemerkenswert dabei: Die Antworten kamen direkt auf die Newsletter, die zeitgleich auch auf unserem Blog out-takes.de erschienen. Das „altmodische“ E-Mail-Format hat anscheinend verkannte Vorzüge.

An Initiativen, Projekten und neuen Ideen gab es in den 73 Tagen bisher viel zu sehen. Viele zeigen, wie viele Einzelkämpfer sich zusammentun, um gemeinsam etwas auf die Beine zu stellen. Und dass mitunter dieses Engagement auch bewirkt, dass Hilfsprogramme nachgebessert und angepasst werden – auch wenn noch immer nicht alles stimmt. Klar ist aber auch, dass die meisten Filmschaffenden (und damit meine ich tatsächlich alle, vom Produktionsfahrer bis zur Produzentin) gerade andere Sorgen umtreiben. Es wäre schön, wenn von dem Einsatz etwas bleibt in der Zeit danach. Besser noch, wenn er wächst: Die Beteiligung an Petitionen und Umfragen, die in dieser Zeit liefen, hätte reger sein dürfen.

Die Krise wirkt wie ein Brennglas, das die Probleme deutlich zeigt, heißt es oft. Das stimmt zum Teil: Die Branche und ihre Nöte haben in wenigen Wochen mehr Aufmerksamkeit in Fernsehen und Zeitschriften gefunden als in vielen Jahren zuvor. Streamingdienste fahren mit Filmen und Serien Traumgewinne ein, während diejenigen, die das produziert haben, um ihre Existenz bangen. Filmproduzent*innen werden mit dem Risiko und den Kosten des Drehabbruchs allein gelassen. An vielen Beschäftigten in der Branche gehen die Soforthilfen vorbei. All das und mehr weiß nun auch das aufmerksame Publikum und hat es wahrscheinlich auch bald wieder vergessen.  

Wer schon vorher etwas Aufmerksamkeit für die Branche hatte, braucht kein Brennglas: In der Krise setzt sich fort, was schon seit 17 Jahren zu sehen ist – die immer selben Lager und Fraktionen, die sich misstrauisch beäugen und die alten Kämpfe für ihre Interessen weiterführen, obwohl doch alle im selben lecken Boot sitzen. Die vielbeschworene Solidarität, um gemeinsam einen Ausweg aus der Krise zu finden, stelle ich mir anders vor. 

„Nach der Krise“ (wann immer dieser Zeitpunkt sein mag) warten nämlich die alten Probleme auf uns, und die waren auch nicht klein. Muss ich sie alle aufzählen? Soweit ich mich erinnere, war das Drängendste, dass die deutsche Filmbranche zu wenig Geld hat und es nicht schafft, genügend Leute ins Kino zu locken. 

Das ist ein großes Thema, wenn es gerade ums eigene Überleben geht. Also hoffe ich einfach mal, dass dies nicht vergessen geht. Und dass außer Wettbewerben für Filme aus der Isolation  schließlich doch aus der Branche selbst ein Runder Tisch entsteht, wo dann endlich und tatsächlich alle Filmschaffenden (siehe oben) gemeinsam die grundsätzlichen Fragen diskutieren, die das Brennglas zeigte.

Herzlich, Ihr

Peter Hartig