Mehr Sichtbarkeit beim Dokfest

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„Wir holen mit großem logistischen Aufwand internationale Filme auf das Festival, die im Anschluss weder im Kino noch im TV zu sehen sind. Mit unserer dualen Edition öffnen wir unser Programm bundesweit für ein breites Publikum und bauen so Barrieren zu dieser Filmkultur ab“, sagt Dokfest-Leiter Daniel Sponsel. | Foto © Dokfest München

Rund 35.000 Gäste meldet das diesjährige Dokfest München zum Abschluss. Das erreicht zwar noch nicht den Stand vor Corona, doch das Festival läuft auch weiterhin dual. Und erreichte damit insgesamt 56.000 Zuschauer*innen – so viele wie noch nie. Die Kombination von Heim und Kino habe sich bewährt, findet der Festivalleiter Daniel Sponsel.

Herr Sponsel, zwei Jahre lang fand das Dokfest München virtuell statt, im vorigen Jahr lief es dual, dieses Jahr scheint alles wieder normal. Was ist geblieben vom Ausflug ins Virtuelle?
Das Freizeit- und das Rezeptionsverhalten, nicht nur unseres Publikums, hat sich durch die zwei Jahre der Pandemie relevant verändert – das ist die eine Erkenntnis. Die andere Erfahrung, die wir dank der rein digitalen Editionen gewinnen konnten, ist der Gewinn des bedingungsloseren Zugangs zu dem sorgfältig kuratierten Filmprogramm, das wir anbieten. Die jeweils drei bis vier Filmvorführungen, die wir im Kino in München anbieten, haben eine Kapazität von maximal 500 bis 600 Plätzen, das ist ganz schön exklusiv. Wir holen mit großem logistischen Aufwand internationale Filme auf das Festival, die im Anschluss weder im Kino noch im TV zu sehen sind. Mit unserer dualen Edition öffnen wir unser Programm bundesweit für ein breites Publikum, das nicht zu den Vorführungen im Kino erscheinen kann, und bauen auf diese Weise Barrieren für die Zugänge zu dieser Filmkultur ab.

Und wie wird das angenommen?
Wir erhalten sowohl von Seiten des Publikums als auch von Seiten der Rechtinhaber*innen viel positives Feedback für unseren dualen Weg. Dieses Modell ist für den internationalen Dokumentarfilm, der sowohl im Kino als auch im TV, als auch bei den Streamern nicht über die nötige Präsenz verfügt, besonders dankbar.

Erhalten haben sich jedenfalls die Online-Filmgespräche, die Sie voriges Jahr gestartet haben. Als „Filmbildung für alle“ preisen Sie es auf der Website an.
Wir sind unter diesem Aspekt durch den Kulturfonds Bayern gefördert, wofür wir sehr dankbar sind. In den letzten vier Editionen, bei denen wir online Filmgespräche führten, sind knapp 250 Gespräche aufgezeichnet worden. Diese stehen weiterhin zur Verfügung und bilden sowohl im Einzelnen als auch in der Summe ein einzigartiges Reden über Film – ein wahrer Schatz an Filmbildung zum Dokumentarfilm …

… der auch gesehen wird?
Oh ja, das registrieren wir an der Gesamtzahl der Views – sie liegt aktuell bei über 27.000.

Mit der Filmbildung hat Lars Henrik Gass vorige Woche hart abgerechnet: Es gibt am Kino nichts zu lernen, meint Ihr Kollege von den Oberhausener Kurzfilmtagen: „Progressiv am Kino war, mediengeschichtlich wie gesellschaftlich gesehen, dass Bildung nicht nötig war, um Zugang zu einer fremden, sprachlosen Welt zu erlangen, die weder durch Kultur noch Schule vertreten wurde und nicht nur jenen Wenigen vorbehalten war, denen Voraussetzungen vererbt sind. Man musste im Kino nichts wissen; es war voraussetzungslos.“

Der Film ist von jeher eine bedingungslose Kunst, doch wie bei der Musik macht es die Freude des Erlebnisses noch intensiver, wenn man dazu etwas Hintergrundwissen hat. Das ist der eine Aspekt, darum geht es bei der Film- oder Medienbildung zentral jedoch nicht. Die Medien, inklusive des Films, sind spätestens seit der Etablierung von Social Media mittlerweile mehr als die vierte Gewalt im Staat, und hier geht es um grundlegende demokratische Aufklärung im besten Sinne. Medien und Film, alle Arten von Bewegtbildern wollen richtig gelesen werden können, nur dann können wir uns auf ihre Grundwerte verständigen.
Das gilt auch für den narrativen Film: Wie arbeitet die Dramaturgie, was wird nicht erzählt oder gezeigt, und warum ist in dieser Szene Musik zu hören? Wie also funktioniert die Führung der Wahrnehmung des Publikums in jeglicher Hinsicht?
Wir jedenfalls reden bei der Filmbildung über das essentielle Potenzial, mündige und eigenverantwortliche Mediennutzer*innen zu bilden, und nicht nur darüber, den cineastischen Nachwuchs zu pflegen – das ist ein wünschenswerter Beifang, den wir allerdings nicht erzwingen können.

Ganz real luden Sie in diesem Jahr gleich zu zwei neuen Konferenzen. „It’s a Match!“ sollte an zwei Tagen klären, wie man „Formate ans richtige Publikum bringt.“ Klingt verlockend, aber das Programm klingt erstmal nach Medientagen für Entscheider*innen. Von „Publikumsforschung“, „Vorlieben“ und „Monetarisierungsstrategien“ ist die Rede – fehlen nur noch „Content“ und „Format“. Was ist da für die erwähnten Kreativschaffenden interessant?
Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist nach wie vor der wichtigste Koproduktionspartner für narrative, abendfüllende Dokumentarfilme. Gleichzeitig produzieren die Streaminganbieter und jetzt auch zunehmend die privaten Sender Formate dieser Art. Von den öffentlich-rechtlichen Sendern erwarten wir Filme, die entweder der Kunstfreiheit und/oder dem Bildungsauftrag entsprechen – und doch müssen diese auch den Wettbewerb mit allen anderen Anbietern bestehen.
Um diesen Spagat ging es bei der Konferenz bei uns in München. In mehreren Workshops wurde sich intensiv über das heikle Gleichgewicht zwischen kommerzieller Rentabilität und künstlerischer Integrität ausgetauscht. Und darüber, was den kreativen Dokumentarfilm, die Vielfalt und das inklusive Geschichtenerzählen ausmacht. Im Bereich der Formate hatten wir das Glück, eine Gruppe hervorragender Expert*innen vor Ort zu haben, die ihr Wissen über die verschiedenen Kanäle, neue Formate und neue Technik mit uns geteilt haben. Serien und Kurzfilm etwa, VR oder KI …

Auch die andere Seite kam nicht zu kurz: Die zweite Konferenz suchte nach Konzepten für die Zukunft des Kinos. Ist das jetzt auch noch Ihre Aufgabe als Festival?
Die meisten Filmfestivals sind seit jeher eng mit dem jeweiligen Kino vor Ort und auch mit der Auswertung des Filmkultur verknüpft. In den letzten Jahren, und sicher durch die Pandemie noch einmal verstärkt, sind Festivals ein noch relevanterer Teil des Ökosystems Kino geworden. Festivals leben von guten Filmen und attraktiven und authentischen Spielorten, und das sind Kinos. Diese Konferenz war uns eine Herzensangelegenheit, die durch eine Förderung des Programms „Neustart Kultur“ seitens des BKM möglich wurde. 

Acht Themenschwerpunkte sollen den Stand der Dinge und die die „Perspektive Kino!“ erörtern. Dabei gehen Sie es positiv an und stellen zu jedem ein Beispiel vor, was bereits läuft.
Wir haben zuletzt umfassend und klug über die Bedeutung des Films und des Kinos in verschiedenen Medien philosophiert. Mein Anliegen für diese Konferenz war es, eine größere Anzahl relevanter Mancher*innen zusammenzubringen die tagtäglich die Kinokultur vor Ort praktizieren. Wir wollten ihre Erfahrungen und Stimmen sichtbar machen, mit der Erkenntnis: An engagierten Leuten mit guten Ideen mangelt es nicht, doch die Strukturen und die Förderungen lassen Luft nach oben.

Wie haben Sie die Vorbilder gefunden? Und wie ausgewählt?
Wir sind durch unsere langjährige Arbeit tatsächlich mittlerweile sehr gut mit den Vertreter*innen der verschiedenen Gewerke vernetzt, das haben wir bei dem umfassenden Einladungsprozedere feststellen können. Es sollten unbedingt vor allem Kinobetreiber*innen, Verleiher*innen, Festivals, Filmbildungsinitiativen und Förderungen vertreten sein. Das Feedback der Branchenplayer war sehr positiv: „… endlich eine Veranstaltung, in der wir uns untereinander konkret austauschen und updaten können …“ war ein Großteil der Reaktionen. 

Bislang diskutiert die Branche die Zukunft meist unter sich. Sie hoffen zur Konferenz auch eine „interessierte Öffentlichkeit“. Mal ehrlich: Wie sehen Sie die Chancen, dass „das Publikum“ mitmacht?
Verschiedene Publikumsgruppen nehmen großen Anteil an den Entwicklungen. Das ist ein wesentlicher Aspekt für die weitere Perspektive des Kinos, die Frage der programmatischen Ausrichtung der Kinos liegt in der Partizipation verschiedenster Akteure. Eine wesentliche Forderung an die Filmkultur generell ist mehr Diversität, mehr Sichtbarkeit.   

Es scheint, dass die Welt so langsam Afrika bemerkt. Das Dokfest München tut das schon seit zehn Jahren und hielt nun eine Retrospektive. Bemerken Sie Veränderungen bei der Diversität und Sichtbarkeit?
Die Aspekte der diversen narrativen Kultur – wer erzählt wem was – sind viel zentraler geworden als noch vor zehn Jahren, zu Beginn unserer Kooperationen im Network Africa. Wir erfahren dabei viel mehr über den Blick der afrikanischen Filmemacher*innen auf die eigene Kultur in Afrika und die Selbstermächtigung diese zu interpretieren und zu vermitteln. Das ist uns für das Projekt ein wichtiges Anliegen, dem wir in diesem Jahr, zum zehnten Jubiläum, mit einer Retrospektive, die ausschließlich Filme aus afrikanischen Ländern der letzten fünf Jahrzehnte zeigt, nachgekommen sind.

Das klingt fast wie ein Abschlussbericht, nicht wie ein Ausblick?
Doch, unser Projekt geht Dok Network Africa setzen wir natürlich fort, wie haben dazu Unterstützung durch Engagement Global und das Goethe-Institut. Der Rückblick auf die Entwicklungen ist wichtig, weil wir hier ablesen können, wie sensibel der Umgang mit den Fragen der Erzählperspektiven ist – gut nachzusehen in unserer Aufzeichnung der Paneldiskussion, die auf unser Website zu finden ist.

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