Bären im Umbruch! Sparzwang bei der Berlinale

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Vor drei Jahren war die Welt vorm Berlinale-Palast noch in Ordnung. Dann kamen Seuche, Krieg und Inflation … | Foto © Alex Janetzko/Berlinale

Das Budget bleibt gleich, die Kosten explodieren. Deshalb soll die Berlinale kleiner werden. Am Dienstag verkündete das Führungsduo sein Einsparkonzept. 

Der Berlinale offenbar harte Einschnitte bevor: Ganze Bereiche des Programms könnten wegen Kostendrucks gestrichen werden, berichtete vorige Woche Hannah Pilarczyk im „Spiegel“. Der Artikel steht hinter der Bezahlschranke, wurde aber sogleich weitererzählt: „Dem Magazin zufolge hat Kulturstaatsministerin Claudia Roth der Berlinale ein ,indirektes Sparprogramm’ auferlegt, deshalb könnten drei der zwölf Sektionen künftig wegfallen: die Reihe für deutsche Nachwuchsfilme ,Perspektive Deutsches Kino’, diejenige für die Serien ,Berlinale Series’ und sogar die umfängliche Retrospektive mitsamt der meist zehnteiligen ,Hommage’, die Filme des jeweiligen Ehrenpreis-Gewinners präsentiert“, erklärt Christiane Peitz im „Tagesspiegel“. „Dass die Berlinale mit weniger Geld auskommen muss als vor der Pandemie, ist schon länger eine traurige Gewissheit. […] Auf Nachfrage heißt es nun aus dem Festivalbüro: ,Es gibt keine externe Sparvorgabe der BKM, vielmehr sehen wir als Festival angesichts stagnierender Budgets und steigender Kosten die Notwendigkeit, ressourcenschonende Maßnahmen zu ergreifen, um langfristig ein starkes Festival und eine gute Plattform für die Filmindustrie garantieren zu können’. Deshalb, so Geschäftsführerin Rissenbeek, ,wollen wir die Anzahl der Filme im Gesamtprogramm weiter straffen’.“

In der „Berliner Zeitung“ glaubt auch Susanne Lenz an eine Entwarnung: „Statt Sektionen abzuschaffen, möchte die Berlinale offenbar überall sparen.“

Von wegen! Am Dienstag meldeten sich die Geschäftsführerin Mariette Rissenbeek und der Künstlerische Leiter Carlo Chatrian mit einem etwas konkreteren Einsparkonzept. Insgesamt sollen nur noch 200 Filme in den Sektionen laufen. In diesem Jahr seien es 287 gewesen. Der Wettbewerb ist davon nicht betroffen. Das Leitungsduo sieht das als „Chance, mit einem konzentrierteren Programm die Präsentation und Wahrnehmung der eingeladenen Filme zu optimieren.“ Ganz aufgelöst wird die Sektion Perspektive Deutsches Kino, die Filme deutscher Nachwuchsregisseure präsentierte. Die sollen künftig in den anderen Sektionen laufen –  damit „soll eine stärkere internationale Wahrnehmung für die in Deutschland produzierten Debüt- und Zweitfilme ermöglicht werden.“

In der „Berliner Zeitung“ widerspricht Ulrich Seidler: „Die Perspektive war 2002 genau zu diesem Zweck ins Leben gerufen worden. Dieter Kosslik habe, so kann man es noch auf der Website der Berlinale lesen, bei seinem Debüt als Festivaldirektor eine Sektion schaffen wollen, mit der sich dem Nachwuchs des deutschen Films eine Möglichkeit zur Präsentation auf einem der wichtigsten Filmfestivals der Welt biete. Sowohl die nationale als auch die generationelle Einhegung in eine Nebensektion werden nun aufgehoben.“

„Eine kulturpolitische Blamage“ nennt Bert Rebhandl den Sparzwang durch die BKM im „Tip Berlin“ [Bezahlschranke]. „Berlin ist im Februar durch die Berlinale mehr Weltstadt als sonst. Jeder dieser Filme, die nicht gezeigt werden, ist auch ein Verlust an Horizont für eine Stadt, die nach der letzten Wahl ohnehin einen großen Schritt Richtung Kleingeistigkeit gemacht hat.“ Auch das Ende der Sektion „Perspektive Deutsches Kino“ habe Folgen: So „fehlt gerade den Debütierenden ein Forum, und das internationale Publikum, die angereisten Kritiker und Produzenten, werden weniger mitbekommen.“

Vorbei ist es auch für die „Berlinale Series“. Mit der Einführung 2015, war die Berlinale das erste A-Festival mit einer eigenen Serien-Programmreihe. In Berlin hatte man verstanden, dass die Sehgewohnheiten des Publikums sich verändert haben und Serien Filmen in nichts nachstehen“, schreibt Carolina Schwarz in der „Taz“. Schuld sei nicht allein die Inflation – die Kulturstaatsministerin Claudia Roth habe dem Festival ein indirektes Sparprogramm auferlegt: „Die jetzigen Sparmaßnahmen und Umstrukturierungen sind hart und stoßen auch bei Teilen der Belegschaft auf Kritik. In einer schriftlichen Erfassung der Stimmungslage der Mitarbeiter*innenschaft der Berlinale, die der ,Taz’ vorliegt, heißt es: ,Die Zukunft des Festivals erscheint gerade komplett richtungs- und planlos, es fühlt sich an wie die letzten Stunden auf der ,Titanic’ mit hoffnungslos überforderten Kapitän*innen, die nicht genau wissen, wo die Rettungsboote zu finden sind.’ In dem Schreiben werden dann recht ausführlich suboptimale und prekäre Arbeitsbedingungen, fehlende Transparenz im Zuge der Umstrukturierungen sowie fehlendes Vertrauen in die Führungsqualitäten der Leitung kritisiert. […]  Lange wird es die auch nicht mehr geben. Chatrians Vertrag läuft im März 2024 aus. Ebenso der der Niederländerin Rissenbeek. Die hat schon im März bekannt gegeben, ihren Vertrag nicht zu verlängern. Ob ihre Stelle nachbesetzt oder auch hier gespart wird, ist nicht bekannt.“

Dass das Festival schlanker wird, findet Andreas Kilb in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ [Bezahlschranke] gut so. „Allerdings wundert man sich, dass Kulturstaatsministerin Claudia Roth, die als politisch Verantwortliche über den Bundeszuschuss für die Berlinale ent­schei­det, offenbar nicht den Hauch einer eigenen Idee für die Zukunft des Festivals hat. Seit März steht bereits fest, dass Mariette Rissenbeek im kommenden Jahr als Geschäftsführerin ausscheidet. Auch der Vertrag des künstlerischen Leiters Chatrian steht zur Verlängerung an. Aber eine Personalentscheidung, sei es für eine weitere Doppelspitze oder für eine gänzliche Neubesetzung der Festivalleitung, ist nicht in Sicht. Der Aufsichtsrat der Trägergesellschaft KBB, so hört man, wolle sich Ende Au­gust mit der Frage befassen. Das klingt nach Business as usual. Aber die Berlinale braucht jetzt keine kulturpolitische Routine. Sie braucht Un­ter­stüt­zung bei ihrem Kurswechsel.“

Über die fehlende Perspektive ärgert sich auch Christiane Peitz im „Tagesspiegel“. Die BKM zeige keine Eile, eine Nachfolge für Rissenbeek zu finden oder Chatrians Vertrag zu verlängern. „Menschen, die ein Festival von der Größenordnung der Berlinale geschäftsführend oder künstlerisch leiten können, sind rar gesät in der internationalen Kulturlandschaft. Den oder die beste zu finden, ist eine immense Herausforderung. Will heißen: So fahrlässig ist noch kein*e Amtsvorgänger*in Roths mit dem größten deutschen Kulturevent umgegangen.“ Fragwürdig findet sie auch die Budgetgründe: „Dann schrumpft halt mal: Es klingt fast zynisch, bedenkt man, wie leidenschaftlich Claudia Roth bei den Berlinale-Eröffnungen für das Kino, das Festivals und die Sache des Films geworben hatte. Die Politik lässt die Berlinale im Regen stehen.“

Es gibt zwar weniger Geld, aber daran allein kann es wohl nicht liegen, rechnen Tobias Kniebe und Susan Vahabzadeh in der „Süddeutschen Zeitung“ [Bezahlschranke] nach. „Eine entsprechende Zusatzförderung, die sie von der Kulturstaatsministerin in den beiden vergangenen Jahren bekommen haben, wird es 2024 nicht mehr geben. 2,2 Millionen Euro pro Festival waren das, zusätzlich zu den 10,7 Millionen, mit denen der Bund das Festival ohnehin fördert und die leicht steigen sollen. Diese Zusatzmillionen aber fehlen so sehr, dass die Berlinale-Leitung nun bekanntgab, wie sie sich die Zukunft ohne diesen Zuschuss vorstellt: mit weniger Filmen. […] Zwar erhält das Festival von Venedig etwas mehr dauerhafte Unterstützung aus öffentlichen Mitteln als die Berlinale, letztes Jahr waren es 13,8 Millionen Euro. Das Budget der Berlinale ist im Vergleich der großen Drei aber schon jetzt keineswegs klein. Mit allen angeschlossenen Märkten und Programmen betrug es im vergangenen Jahr 35,1 Millionen Euro. Das Gesamtbudget von Cannes, auch hier der Filmmarkt mit eingerechnet, liegt mit 34 Millionen Euro sogar knapp darunter. Noch erstaunlicher ist, dass auch Cannes nur zwischen neun und zehn Millionen Euro Förderung aus öffentlichen Töpfen bekommt, dort wird nur eine ungefähre Prozentzahl angegeben. Eigene Einnahmen aus Ticketverkäufen, von denen die Berlinale erheblich profitiert, gibt es dort nicht, genauso wenig allerdings wie einen Sparzwang. Die Erklärung ist schlicht, dass sie in Frankreich wahre Meister des Sponsoring und der medialen Selbstdarstellung sind – das ist die Baustelle, an der die Berlinale derzeit wohl am meisten krankt.“

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