Der Masterplan zum Fachkräftemangel

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Die Fachkräfte sind da. Die Qualifizierung ist das Problem. Die Münchner Filmwerkstatt hat ein eigenes Konzept entwickelt – für Filmschaffende mit Berufserfahrung. | Foto © Adobe Stock

Einen neuen Studiengang startet die Münchner Filmwerkstatt im Oktober: In zwei Jahren sollen Praktiker mit Berufserfahrung zum „Master of Arts in Film & Digital Media“ werden. 

Seit es der Branche an Fachkräfte mangelt, ist auch die Ausbildung in Bewegung geraten. Filmhochschulen und Studiengänge gibt es in Deutschland zwar zuhauf, doch gelehrt werden fast ausschließlich die Gewerke, die im Vorspann stehen: Regie, Drehbuch, Produktion, Bildgestaltung, Szenenbild … Die Fachkräfte jedoch fehlen im Abspann: Betroffen ist vor allem der Mittelbau, hatte zuletzt wieder der Produzent Uli Aselmann auf Deutschlandfunk Kultur erklärt. 

Das Problem ist selbstgemacht. Jahrzehnte lang konnte sich die Branche auf ihren Glamour-Effekt verlassen. Wer „zum Film“ wollte, nahm den unsicheren Weg über Praktika und lange Assistenzzeit und vielleicht auch Weiterbildungen in Kauf. Dieser Weg hat auch seinen Reiz: Er scheint allen offen zu stehen, die Ausbildung erfolgt so nah an der Praxis, wie man es sich nur wünschen kann: „Learning by doing“.

Doch die Qualifizierung wurde bislang vernachlässigt. In erster Linie waren es Filmhäuser und ähnliche Initiativen, die sich um Weiterbildungsangebote kümmerten. Inzwischen wurde reagiert – und wieder backt ein jedes seine eigenen Brötchen: An der Hochschule Zittau/Görlitz bekommt man nach sechs Wochen Theorie und zwei- bis drei Monaten Praktikum ein Zertifikat „Assistenz Filmproduktion“. An der FH Ansbach geht’s seit dem Frühjahr in sieben Semestern zum Bachelor-Abschluss im „Produktionsmanagement Film und TV“. Übersichtlicher wird es dadurch nicht. Im Gegenteil: Ab Oktober will die Münchner Filmwerkstatt in zwei Jahren zum „Master of Arts in Film & Digital Media“ führen. 

Der Titel verrät es schon: Es handelt sich um eine Weiterqualifikation – Voraussetzung ist normalerweise ein Bachelor-Titel, der B.A.. Doch hier beginnen schon die Besonderheiten des Konzepts. „Wir richten uns an Filmschaffende, die im Beruf stehen und sich weiterentwickeln wollen“, sagt Carl Schönfeld, der das Konzept entwickelt hat. „Und besonders an solche, die nicht ins Schema Filmhochschule passen, und vielleicht auch nie dahin wollten. Die selbst am Set schon alles Mögliche gemacht haben. Für uns ist es ideal, wenn die Teilnehmer*innen schon Erfahrung und ein Ziel vor Augen haben.“

Deshalb sind Ausnahmen vorgesehen. „Eine Berufsausbildung und dahingehende Erfahrung kann auch reichen, wenn durch praktische Arbeit die üblichen B.A.-Ziele erreicht werden. Wer über Jahre kreative Teams geleitet, Kamera geführt, geschnitten oder Budgets verwaltet hat, kann das“, erklärt der Studiengangskoordinator Tamás Joó. „Wir wollen erfahrenen Profis die Möglichkeit für eine akademische Qualifikation bieten, auch wenn sie die gängigen Voraussetzungen für ein Hochschulstudium nicht erfüllen. Und die erweitert auch die Karrieremöglichkeiten. Nicht nur in der Filmbranche.“ 

Der offene Zugang ist Teil des Konzepts. Dessen Kurzform: Wir lernen ein Leben lang, die Arbeitswelt verändert sich, im Alltag ist viel Praxis, aber wenig Zeit für die Theorie … kurz: es geht darum, das eigene Wissen und die Kompetenzen zu erweitern und vertiefen. Während man mitten im Beruf steht. „Work-based Learning“, zu Deutsch „arbeitsbasiertes Lernen“, stehe seit Jahren „verstärkt im Interesse der Öffentlichkeit“, heißt es zum Beispiel bei Epale, der Fachkräfte-Plattform der Europäischen Union. Es soll die Kluft zwischen Theorie und Praxis überbrücken – gewissermaßen die praktische Erfahrung auch theoretisch in Form bringen und beides laufend erweitern. In Deutschland mit seinem Dualen Ausbildungssystem sollte der Gedanke eigentlich vertraut sein. Die deutsche Wikipedia kennt den Begriff aber noch nicht. Die englische schon. In Australien und England etwa seien das Konzept und die Kriterien schon etabliert, erklärt Schönfeld.

Das freilich verlangt auch andere Strukturen. Das Studium kann Vollzeit oder aber berufsbegleitend in Teilzeit absolviert werden. Und es läuft online ab. Also frei von Raum und Zeit. Damit das klappt, wird mit Modulen gearbeitet, erklärt Joó, „Dadurch sind wir flexibel und nicht zwingend an lineare Studieninhalte gebunden.“ Die Inhalte werden im Laufe des ersten Moduls individuell mit den einzelnen Studierenden erarbeitet und in einem „Lernvertrag“ festgehalten. Damit sollen sie den Schwerpunkt ihres Studiums (und die damit verbundenen Berufsziele) festlegen. 

Dass der Titel etwas beliebig klingt, ist gewollt, erklärt Martin Blankemeyer, Vereinsvorstand der Filmwerkstatt. „Aus- und Weiterbildungen zu Regie, Produktion und so weiter gibt es schon viele. Und alle sind schon auf bestimmte Einsatzbereiche ausgerichtet. Das noch weiterzudrehen, finden wir nicht sinnvoll und auch nicht praxisgerecht.“ Eine weitere Überlegung: „Alle träumen vom Film und denken dabei an die Regie. Was der Branche aber fehlt, sind nicht Regisseur*innen, sondern ganz andere Berufe – Filmgeschäftsführung etwa. Sowas ist aber nicht sexy. Nun kommen wir alle aus der Praxis und wissen: Auf der Reise über die Sets lernen wir viele Berufe kennen, von denen wir nichts ahnten, und mancher Traum sortiert sich neu und ist oft sogar besser.“ Zudem seien gerade im Medienbereich viele Aufgaben unklar und manches anders, ergänzt Markus Vogelbacher. Er ist als Kooperationspartner der Filmwerkstatt der Ansprechpartner für Unternehmen zum Thema Fachkräfteentwicklung und -bindung. „Programmplanung beim Fernsehen oder Verleih etwa – das ist kein reines Marketing, sondern ein Zwischending – da braucht’s auch einen Hang zur Filmwelt.“

Jede*r Studierende bekommt zwei Mentor*innen zur Seite gestellt – eine*r aus der Praxis, eine*r akademisch. Als eine Art Karriereberatung, um die eigenen Interessen und Stärken herauszuarbeiten. „Wir haben uns beim Konzept auf den Prozess konzentriert“, erklärt Schönfeld. „Deshalb kombinieren wir gerne unterschiedliche Schwerpunkte und Perspektiven. Es geht ja immer auch um Fragestellungen – zum Beispiel: Wie verleiht die Kamera der Szene visuellen Ausdruck? Und mit jeder Antwort hat man seine Qualifikation ein bisschen erweitert – und nicht nur beruflich. Jedes neue Wissen zeigt neue Möglichkeiten, es ist gewissermaßen eine ständige Selbstbefruchtung. Und das ist sogar mehr wert als der Master-Titel. Wir wollen auch andere Kompetenzen.“

Das Konzept hat zwar die Münchner Filmwerkstatt entwickelt, den Titel aber vergibt die John Moores University in Liverpool. Nur für die Filmbranche ist das neu – britische Hochschulen exportieren seit einigen Jahren ihre Titel über Kooperationen. Auch die müssen allerdings den akademischen Standards entsprechen. Den Unterricht selbst gestaltet die Filmwerkstatt, sagt Schönfeld. „Natürlich müssen wir uns auch verantworten, und die Abschlussprüfungen werden durch Externe abgenommen.“

Mit einer britischen Hochschule sei solch eine Kooperation einfacher zu Wege zu bringen, sie seien aufgeschlossen für solche Konzepte von außen aus der Praxis, erklärt Schönfeld. Die Idee vom „Work-based Learning“ sei verbreiteter, das Bildungssystem sozial offener: Die Hochschulen müssten sich bemühen, Menschen aus „non-traditional“ Haushalten zu einer akademischen Ausbildung zu verhelfen. Das Wissen hat allerdings seinen Preis: 790 Euro pro Monat kostet das zweijährige Studium. Die Filmwerkstatt informiert über Fördermöglichkeiten.

Er befinde sich durchaus im Zwiespalt, räumt Blankemeyer ein: „Ich kritisiere ja immer wieder die allmähliche Akademisierung der Filmbranche – und nun machen wir selber mit. Aber wir brauchen auch in unserer Branche Standards in der Ausbildung.“ Das Konzept zeige, wie es gehen könnte. „Es löst nicht alle Probleme der Branche, es ist aber ein Angebot.“

So wie es bisher lief, sei es jedenfalls „keine ideale Situation“, sagt Vogelbacher. „Uns geht’s darum, beides zusammenzubringen: die berufliche Erfahrung und die theoretische Kompetenz. Und dieses Konzept ist die umfassendste Idee, die ich in Deutschland sehe.“