WDR-Themenabend: Nur halbwegs gelungen
Nach dem Eklat um seinen Talk „Die letzte Distanz“ übte der WDR Besserung: Ein Themenabend widmete sich dem alltäglichen Rassismus im Land. Der Ansatz war gut, sind sich die Besprechungen einig – nur an der Umsetzung haperte es für viele noch.
Im November hatte der WDR in seinem Meinungstalk „Die letzte Instanz“ über „Das Ende der Zigeunersauce“ diskutieren lassen. Der Shitstorm kam erst nach der Wiederholung der unbedarften Äußerungen Ende Januar, dann aber gewaltig. Der Sender gelobte Besserung und versprach einen Themenabend. Die Reparatur sei nur halbwegs gelungen, meint „Der Tagesspiegel“: „Den stärksten Eindruck machte die Reportage, in der unter anderem ein Schauspieler, eine Altenpflegerin, ein WDR-Mitarbeiter schilderten, welche Diskriminierungen und Demütigungen sie in Deutschland erfahren. Das war eindrücklich, weil erkennbar vor Augen und Ohren gebracht wurde, dass Rassismus kein randständiges, sondern ein zentrales Thema für die Gesellschaft sein muss. Die Diskussion blieb dahinter zurück: Zu abgehoben, zu akademisch, zu sehr ins Definitorische verstrickt.“ Immerhin: „Der WDR hat sich seiner Verantwortung gestellt – was der frühere WDR nicht getan hätte. Da herrschte in den Funkhäusern (wie in den Verlagen) Selbstgewissheit bis zur Arroganz.“
Die „Berliner Zeitung“, fand es insgesamt ein „unangenehmes Erlebnis“: „So laut der öffentlich-rechtliche Sender diesen Titel zunächst in der Programmvorschau ankündigte, so unklar blieb die Intention bis zum Ende der über zweieinhalb-stündigen Sendezeit.“ Die Sendung „las sich wie ein Symptom kollektiver Verunsicherung. Das muss nichts Schlechtes sein. Ja, Hut ab vor einem Sender, der sich den eigenen Verfehlungen stellt. Doch dass eine kritische Auseinandersetzung auch auf weniger gezwungene Weise stattfinden kann, hatte die Komikerin Enissa Amani mit ihrer Replik ,Die beste Instanz‘ im Januar längst vorgemacht.“
Nur „beinahe“ hatte der Sender sein Vorhaben schon im Vorfeld verpatzt, schreibt „Der Spiegel“. „Tatsächlich fehlte den Reden und Gegenreden an diesem Abend in wesentlichen Punkten der stets sprungbereite Empörungswillen, wie man ihn aus anderen Zusammenhängen fast schon gewohnt ist. Anders als Enissa Amanis ,Die beste Instanz‘ war es auch kein Selbstgespräch betroffener Gruppen. Sondern seitens des WDR der aufklärerische Versuch, dazu beizutragen, ein gemeinsames Problem gemeinsam aus der Welt zu schaffen – und nebenbei die eigene Lernbereitschaft zu betonen. Mit Reden allein wird sich dieses Problem nicht aus der Welt schaffen lassen. Wenn aber ein Schlachtschiff wie der WDR – und mit ihm ein Teil seines Publikums – glaubhaft den Kurs ändert, ist das ein erster Schritt.“
Die Schauspielerin Samira El Ouassil erhoffte „ein mehrstündiges Feuerwerk der Fernsehaufklärung“ und fürchtete, „dass das Ganze scheitern muss.“ Es wurde „alles viel unaufgeregter, als ich zuvor befürchtet oder erhofft hatte. Die Diskussion war nicht als Debatte angelegt, es war der Versuch eines kooperativen Austauschs, keine Konfrontation“, schreibt sie auf „Übermedien“. Dennoch ließ sie der Abend „etwas ratlos zurück. Weder die Optimistin noch die Pessimistin in mir konnte wirklich etwas aussetzen oder feiern. Immerhin wurde der Elefant im Raum mal ausführlicher adressiert und beschrieben, ohne dabei noch mehr Porzellan zu zerstören. Die Sendung machte vielleicht deutlich, was wir ja heimlich schon über jede Talkshow wissen: Es werden dort keine Lösungen gefunden, und die Welt wird höchstens aus Versehen ein bisschen besser.“
Der WDR wollte mit seinem Themenabend irgendetwas besser machen. Stattdessen zementierte er das eigene Fehlverhalten und sein mangelndes Einfühlungsvermögen, meint „Die Zeit“ und erkennt bereits in Konzept und Vorbereitung der Sendung „die – eben: rassistischen – Dominanzverhältnisse, mit denen sich die Sendung doch eigentlich beschäftigen wollte.“
Die Journalistin Kemi Fatoba sah sich den Themenabend für den Deutschlandfunk an: „Sie habe ein generelles Problem damit, dass bei solchen Runden komplexe Themen wie Rassismus innerhalb einer Diskussion ,abgefrühstückt‘ würden. Das passiere meistens auf der Basis von Betroffenheitsgeschichten. Grundsätzlich würden dann ,schwarze Leute oder People of Colour nach Lösungsansätzen gefragt‘. Das allein finde sie absurd, sagt Fatoba. ,Denn Rassismus ist ein komplexes, hierarchisches, diskriminierendes System und wir haben das nicht erfunden. Wir profitieren nicht davon. Und wir sind auch nicht die richtigen Ansprechpartner, die gefragt werden sollten, wie das System wieder abgeschafft werden kann. Denn wir haben dazu keine Macht, wir profitieren in keinster Weise davon. Es sind weiße Menschen, die das System abschaffen können.‘“
Lediglich die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ sah eine „erstaunlich gute Sendung“: „Den anderen in einem rationalen, von Argumenten geprägten Diskurs verstehen und sich in ihn hineinversetzen zu wollen. […] dieses Wohlwollen, die Bereitschaft zuzuhören und seinen eigenen Standpunkt zu hinterfragen, war in der Sendung (bei fast allen) zu spüren. Das darf sich der WDR, auch wenn es in der hierzulande tonangebenden Twitterblase bestimmt wieder ganz anders ankommt, zu Gute halten. So kann und sollte man über Rassismus reden.“