„Rust“ 3: Filmemachen für die Steuer?
Die Ermittlungen zum tödlichen Zwischenfall beim Dreh in den USA laufen weiter – ebenso die Berichte zu Zwischenfällen bei früheren Produktionen. Das Branchenmagazin „Variety“ hat sich eingehender mit einigen der Produzent*innen des Low-Budget-Western befasst.
Bei den Dreharbeiten zum Film „Rust“ wurde am 21. Oktober die Kamerafrau Halyna Hutchins mit einer Requisitenwaffe erschossen. Bandar Albuliwi, der vor ihr am American Film Institute (AFI) studierte, hat nun eine Petition gestartet, in der er das Verbot von echten Waffen an Filmsets fordert: „Wie jeder in der ,AFI-Familie’ kannten wir uns alle untereinander. AFI ist eine sehr kleine Gemeinschaft von Filmemacher*innen, die alles daran setzen, nach dem Abschluss des Programms ihren ,großen Durchbruch’ in der Filmindustrie zu schaffen. Diese aufstrebende Kamerafrau wurde 2019 zum ,Rising Star Cinematographer’ ernannt und schaffte endlich den Durchbruch in der Hollywood-Filmindustrie, nachdem sie sich ein halbes Jahrzehnt lang abgemüht und tolle Inhalte gedreht hatte. Vor ,Rust’ hat sie drei Spielfilme gedreht, aber dies wäre der Film gewesen, der sie in Hollywood als talentierte Kamerafrau bekannt gemacht hätte, die mit einem A-Promi zusammenarbeitet. Wir müssen dafür sorgen, dass sich diese vermeidbare Tragödie nie wieder ereignet! Im 21. Jahrhundert gibt es keine Entschuldigung dafür, dass so etwas passieren kann. Echte Waffen werden an den Drehorten von Filmproduktionen nicht mehr benötigt. Wir befinden uns nicht mehr in den frühen 90er Jahren, als Brandon Lee auf die gleiche Weise getötet wurde.“
Hätte sowas auch in Deutschland passieren können? Etwa beim Dreh eines „Tatorts“? Das „Redaktionsnetzwerk Deutschland“ fragt beim SWR nach, der Sender hält das für ausgeschlossen und verweist auf strenge Regeln: „,In Deutschland dürfen am Set laut Waffengesetz nur Schreckschusswaffen eingesetzt werden. Die sind durch einen im Lauf eingeschweißten Stift so manipuliert, dass gar kein Projektil durch den Lauf ginge’, teilte SWR-Sprecherin Annette Gilcher […] mit. Durch den Lauf würden nur Partikelchen passen, dadurch sei es möglich, beim Abfeuern der Platzpatronen eine Art Mündungsfeuer zu simulieren. Der Sicherheitsabstand zu Personen betrage dann drei Meter und es sei vorgeschrieben, dass ein Waffenmeister am Set ist. ,Ohne Waffenmeister keine Platzpatronen’, so Gilcher. Alle eingesetzten Requisitenwaffen müssen laut SWR außerdem ein eingeprägtes Siegel der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt tragen, das sie als Schreckschusswaffe freigibt. ,Im eigentlichen Sinn sind das gar keine Schusswaffen’, betont Gilcher. Auch entspreche die Größe des Magazins nicht der von scharfer Munition, so dass sich die Waffen gar nicht laden ließen.“
Die Waffenmeisterin Hannah Gutierrez-Reed ließ über ihre Anwälte ein Stellungnahme verbreiten, berichtete „Deadline“ [auf Englisch] am Freitag. Darin beklagen sie „einige Unwahrheiten, die den Medien erzählt wurden“ und sehen die Schuld bei der Produktionsfirma: „Hannah wurde in diesem Film auf zwei Positionen eingestellt, was es extrem schwierig machte, sich auf ihren Job als Waffenmeisterin zu konzentrieren. Sie kämpfte um Trainings, Tage für die Wartung der Waffen und ausreichend Zeit, um sich auf Schüsse vorzubereiten, wurde aber letztlich von der Produktion und ihrem Department überstimmt. Das gesamte Produktionsset wurde aufgrund verschiedener Faktoren, einschließlich fehlender Sicherheitsbesprechungen, unsicher.“
„Variety“ [auf Englisch] führte unterdessen weitere Zeugen an, die dem 1st AD Dave Halls einen laxen Umgang mit Sicherheitsregeln bei einer früheren Produktion vorwerfen – und findet Verbindungen: „Zu den Produktionsfirmen bei ,Rust’ gehören unter anderem Thomasville Pictures, geführt von Ryan Smith und Allen Cheney, wie auch Short Porch Pictures, geführt von Nathan Klingher und Ryan Winterstern. Dieselben beiden Firmen produzierten auch ,One Way’, ein anderer Independent-Film, der im Februar in Georgia gedreht wurde.“
Zuvor hatte sich das Branchenmagazin [auf Englisch] eingehender mit den Produzent*innen beschäftigt. Smith (inzwischen 36), und Cheney (33) waren vor fünf Jahren von einer Investorin verklagt worden, weil sie mit deren Geld zum Teil Kreditkartenschulden abbezahlt hatten. Die Klage beschreibe die beiden als überfordert und als „unreife Filmproduzenten mit praktisch keinerlei kreativen oder geschäftlichen Errungenschaften in der Filmindustrie“. Auch die Executive Producer Emily Salveson (36) stieg „vor relativ kurzer Zeit mit Unterstützung ihres Vaters, einem Anwalt mit Erfahrung in der Finanzierung von Steuergutschriften, in das Geschäft ein. Salveson hat ausgiebig von Section 181 Gebrauch gemacht, einer Bestimmung des Steuergesetzes, die es wohlhabenden Leuten erlaubt, ihre Investitionen in Low-Budget-Filme abzuschreiben.“ Genauer: Investition in ein Filmprojekt von bis zu 15 Millionen US-Dollar wirken sich bereits in dem Moment aus, wenn sie getätigt werden. „In Kombination mit staatlichen Steueranreizen – wie dem in New Mexico gewährten Kredit von 25 bis 35 Prozent – können Investoren den größten Teil ihres Geldes zurückerhalten, bevor der Film überhaupt vertrieben wird.“ Den Vorteil habe Salveson auf einem Panel in Cannes so erklärt: „Bei 181 ist es egal, ob der Film komplett fertig ist. Der Investor erhält seinen Bonus auf jeden Fall am ersten Tag.“
„Rust“ wurde im Rahmen des Low-Budget-Abkommens mit der Gewerkschaft IATSE gedreht. Der Film wurde laut „Variety“ zwischen 6 und 7 Millionen US-Dollar veranschlagt und damit als „Tier-1“-Produktion (mit einem Budget zwischen 2,75 und 7,5 Millionen US-Dollar) – „was die niedrigste Budgetkategorie im Vertrag mit Ausnahme von ,Ultra-Low’-Budget-Filmen ist.“
„Schreckschusswaffen“ ist ein bißchen irreführend, das sind speziell konstruierte SRS-Waffen, die werden bestimmt in D bei Produktionen gelegentlich eingesetzt, aber von denen gibt’s bei weitem nicht für alle Waffentypen und -modelle authentische filmtaugliche Nachbauten. Auch in den USA werden scharfe Waffen natürlich nur mit Blanks und Dummy Rounds am Set eingesetzt, die Sicherheitsstandards für den Umgang mit scharfen Filmwaffen sind sehr streng! Halb-und vollautomatische Waffen funktionieren überhaupt nicht mit Platzpatronen, wenn dieser erwähnte Stift (wie bei SRS-Waffen) nicht in den Lauf eingesetzt ist und können nach diesem Umbau auf blank-firing gar keine scharfen Patronen mehr verschießen. Anders bei Revolvern, hier ist ein Umbau nicht unbedingt nötig. Zudem ist scharfe Munition am Set in den USA nach branchenüblichen Sicherheitsstandards und bundesstaatlichen Gesetzen ausgeschlossen! Wie eine scharfe Patrone zwischen die Patronenattrappen kam, ist bisher völlig ungeklärt. Hier wurden einfach zuviele Sicherheitsregeln mißachtet.
Nun schauen wir gerade wieder in die USA, weil ein Mensch am Filmset während Dreharbeiten erschossen wurde. Lasst uns doch schauen, wie sicher deutsche Sets sind und hier gerne auch bei Low Budget und Debütfilmen, an denen die TV Sender wie der SWR beteiligt sind. Nicht nur Waffen sind gefährlich. Auch hier wird Personal eingespart und extrem unerfahrene Personen auf Positionen gesetzt die angemessene Erfahrung vorraussetzen. Der Bereich Aufnahmeleitung ist bei Debüt gerne extrem unterbesetzt, oder es fehlt ein Set AL generell wie gerade erlebt. Was daraus so alles resultiert, kann sich jeder Filmschaffende am Set vorstellen. Ich mag jetzt keine Produktionsfirma an den Pranger stellen, denn auch diese müssen mit dem Geld hantieren, welches sie vom Sender und der Förderung bekommen. Dennoch bin ich der Meinung, sollte kein Film gedreht werden, wenn die Sicherheit der Crew nicht gewährleistet werden kann und die Positionen, die dafür verantwortlich sind, nicht eingestellt werden können. Ich finde, wir sollten dieses Unglück bei Rust zum Anlass nehmen, da mal genauer hinzuschauen.
Nochmal nicht nur Schusswaffen sind am Set gefährlich…!