„Rust“ 2: Riesige rote Warnflaggen
Bei den Untersuchungen zum Todesfall beim Dreh des US-Westerns „Rust“ vermuten die Ermittler scharfe Munition am Set. Unterdessen hatten mehrere Filmschaffende ihre Erfahrungen geteilt: Sie werfen der Produktion vor, auf Kosten der Sicherheit gespart zu haben.
Nach dem tödlichen Schuss am Filmset des Western „Rust“ gehen die Ermittler davon aus, dass die von dem Schauspieler Alec Baldwin benutzte Waffe mit einer echten Kugel geladen war, berichtet die „Tagesschau“. Dies gaben die Ermittler bei einer Pressekonferenz in Santa Fe im US-Bundesstaat New Mexico bekannt. „Nach Angaben des Sheriffs gibt es Hinweise, dass sich noch mehr scharfe Munition am Set befand. Dazu seien weitere Untersuchungen in einem Waffenlabor nötig. Demnach stellte die Polizei am Filmset 500 Kugeln sicher – eine ,Mischung’ aus Platzpatronen, Patronenattrappen und vermutlich auch echten Kugeln. ,Wir werden feststellen, wie sie (die echten Kugeln) dort hingekommen sind, warum sie da waren, denn sie hätten nicht dort sein sollen’, so [Sheriff] Mendoza. Die Ermittler ließen auch durchblicken, dass ihnen Berichte bekannt seien, wonach Crewmitglieder einige Stunden vor dem tödlichen Vorfall Waffen mit scharfer Munition für Schießübungen benutzt hätten. Auch diesen Berichten gehe man nach.“
Im Visier der Ermittlungen stehen zwei Mitarbeiter*innen am Set: die 24-jährige Waffenmeisterin und der 1st AD, der Baldwin die Waffe gereicht hatte. Der 1st AD „sei 2019 wegen eines ähnlichen Vorfalls bei einem Film entlassen worden, hatten zuvor zahlreiche US-Medien berichtet. Bei dem Dreh zu ,Freedom’s Path‘ sei damals ein Tontechnik-Mitarbeiter leicht verletzt worden, nachdem unerwartet eine Waffe am Set losgegangen sei, hieß es unter Berufung auf die Produktionsfirma des Films.“ Die Waffenmeisterin habe den Ermittlern gesagt, „dass sie am Tag des Zwischenfalls die Patronen-Attrappen geprüft habe, um sicherzustellen, dass keine scharfe Munition dabei sei. Die für Filmaufnahmen genutzten Waffen seien während der Mittagspause eingeschlossen worden. Die Munition habe jedoch auf einem ungesicherten Wagen gelegen, allerdings sei nie scharfe Munition am Set aufbewahrt worden.“
Auch die „Frankfurter Rundschau“ berichtet.
Rund 60 Credits listet die IMdB für Neal W. Zoromski. Auch für „Rust“ sei er als Außenrequisiteur angefragt worden und hatte Interesse, erzählt Zoromski der „Los Angeles Times“ [auf Englisch] – dies wäre in 30 Jahren sein erster Western gewesen. Doch nach vier Tagen der Vorgespräche hatte er ein „schlechtes Gefühl“, das dies ein „Pfusch-Produktion“ sei, die vorrangig darauf achte, Geld zu sparen, statt sich um die Sicherheit der Menschen zu kümmern. Die Produktionsleiter*innen schienen Erfahrung nicht zu schätzen und hätten seine Fragen abgebürstet, sagte er der Zeitung. „Es gab riesige rote Warnflaggen.“ Letztlich sagte er ab: „Nachdem ich bei dieser letzten E-Mail auf ‚Senden‘ gedrückt hatte, fühlte ich in der Magengegend: ‚Das ist ein Unfall, der darauf wartet, zu passieren.‘“
Erleichtert ist Zoromski deshalb nicht: Hätte er angenommen, wäre es anders gekommen, glaubt er. „Ich nehme meinen Job unglaublich ernst“, sagt er. „Als Requisiteur müssen Sie sich um die Sicherheit sorgen. Ich bin der Typ, der den Leuten am Set die Waffen überreicht.“
Serge Svetnoy arbeitete als Oberbeleuchter am Set des Westerns. An neun Filmen hatte er mit Halyna Hutchins gearbeitet, er stand „Schulter an Schulter mit Halyna, als der tödliche Schuss fiel […]. Ich habe sie in meinen Armen gehalten, als sie im Sterben lag“, schrieb er vorigen Freitag auf Facebook und erhob schwere Vorwürfe, berichten die „Stuttgarter Nachrichten“: „Es ist die Schuld von Fahrlässigkeit und Unprofessionalität“, schrieb Swetnoy. „Die Person, die die Waffe auf dem Gelände überprüfen sollte, hat dies nicht getan; die Person, die hätte sagen müssen, dass die geladene Waffe auf dem Gelände ist, hat dies nicht getan; die Person, die diese Waffe hätte überprüfen müssen, bevor sie zum Set gebracht wurde, hat dies nicht getan. Und der Tod des Menschen ist das Ergebnis!“
Hutchins’ Tod war nicht bloß ein Unfall – Schuld seien vor allem die Arbeitsbedingungen beim Film, schreibt Alex N. Press im US-Magazin „Jacobin“: „Schon vor dem tödlichen Vorfall gab es Probleme am Set; die Produktionsfirma wollte ihr niedriges Budget und den 21-tägigen Drehplan einhalten und sparte deshalb an allen Ecken. Sechs Mitglieder der Kameracrew, die der International Alliance of Theatrical Stage Employees (der Film-Gewerkschaft IATSE) angehören, hatten den Drehort verlassen, nachdem niemand auf ihre Bedenken bezüglich der Sicherheit und Arbeitsbedingungen am Set reagiert hatte. Sie kündigten nur sechs Stunden bevor sich der tödliche Schusswechsel ereignete und wurden durch Crewmitglieder ersetzt, die keiner Gewerkschaft angehören. Ein Produzent drohte, den Sicherheitsdienst zu rufen, wenn die gewerkschaftlich organisierten Crewmitglieder das Gelände nicht freiwillig verlassen würden. […] Viele in der Branche sehen den Vorfall bei Rust als tragische Folge der Einsparungen bei den Lohnkosten, um die straffen Budgetpläne einzuhalten. […] Nachdem die Kameraassistentin Sarah Jones […] bei den Dreharbeiten zu ,Midnight Rider’ im Jahr 2014 in Georgia tödlich von einem Güterzug erfasst wurde, sprachen viele in der Branche von notwendigen Veränderungen. Bei diesem Vorfall wurde Hillary Schwartz, die Produktionsassistentin des Films, wegen Totschlag und Hausfriedensbruch zu zehn Jahren Haft auf Bewährung verurteilt. Allerdings wurde nicht genug getan, um die Produktionsfirmen dazu zu bringen, die Mittel für bessere und sichere Arbeitsbedingungen bereitzustellen: Hutchins ist bereits die vierte Kamerafrau, die in den letzten zehn Jahren in den USA bei Dreharbeiten getötet wurde.“
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