Kino in Zeiten von Corona 8
Die Streams der Woche. Von Elisabeth Nagy
Einen Tipp möchte ich heute voranschicken. Arte stellt in seiner Mediathek Rainer Werner Fassbinders 14-teilige Serie „Berlin Alexanderplatz“ zur Sichtung bereit. Statt dem Fassbinder-Biopic oder der neuen Döblin-Verfilmung kann man auf dem Portal die Serie um Franz Biberkopf in der restaurierten Fassung anschauen.
Zwei Monate steht das Hamsterrad an Pressevorführungen schon still. Wöchentlich erdrückten sich bis zu 20 Filmtitel in den Startplänen. Das war mal anders. Um den Startplan für eine Besprechungsübersicht abzudecken gab es früher, in meinem Fall waren das die 90er, täglich zwei Pressevorführungen, vielleicht auch mal einen dritten Termin. Dann waren drei Termine durchaus die Regel und inzwischen sind die Presseplanungen auf Monate hin dicht mit vier, manchmal auch fünf Vorführungen am Tag und mitunter gibt es parallel Vorführungen. Da sind die ganzen Kleinverleiher gar nicht mitgerechnet, die sich gar nicht erst eine Pressevorführung leisten, sondern der Presse von vornherein Streams anbieten. Selbst wenn man keinen Wert auf Vollständigkeit legt, ist das nicht mehr zu bewältigen gewesen. Als diese Flut an Terminen ausblieb, ja, da atmete ich auch erst einmal auf.
Nein, ich möchte die Corona-Zeit nicht als normal empfinden. Der Mensch gewöhnt sich ja an alles. Vieles, was ich in den letzten Wochen erlebt habe, oder nicht erlebt habe, getan oder gelassen habe, empfinde ich als Impuls, der auch gute Seiten hat. Aber ich möchte mich nicht an einen Ausnahmezustand gewöhnen. Doch möchte ich in den Zustand zurückfallen, der einmal war? Darüber machen sich viele Leute aus verschiedenen Blickwinkeln Gedanken.
Antworten habe ich längst nicht auf die Fragen, die mir immer wieder durch den Kopf gehen. Aber das Rad, das setzt sich langsam wieder in Bewegung. Zum einen trudeln neue Startverschiebungen ein. Der Start von „Berlin Alexanderplatz“ ist nun doch nicht am 21. Mai (ursprünglich sollte es der 16. April sein) sondern am 25. Juni. Mit der Option, auch diesen Termin kippen zu lassen. „Die Unbeugsamen“, eine hoch spannende Dokumentation über Politikerinnen der Bonner Republik wird vom 18. Juni in den September geschoben. Zum Beispiel. Der Verleih Splendid nutzt die angekündigten Lockerungen in einzelnen Bundesländern und meldet den Start des Animationsfilms „Mina und die Traumzauberer“ für den 4. Juni. Vorerst in Nordrhein-Westfalen, Hessen, Schleswig-Holstein und Sachsen. In Berlin öffnen die Kinos nicht vor dem 5. Juni, das ist der Stand der Dinge.
Einen bundesweiten Start hatte „die perfekte Kandidatin“ von Neue Visionen wenige Tage vor dem Shutdown. Jetzt kündigt man sogleich an, auf die Leinwand zurückzukehren, „je nach Eröffnungslage“. Die Status-Liste bei VDF Kino ist von einem Tag zum anderen gut aufgefüllt worden. Ganz neue Startmeldungen trudeln auch schon ein. Capelight Pictures verspricht mit einer koreanischen Komödie, „Rettet den Zoo“, einen Neuanfang zu feiern. Ich frage mich allerdings, ob ich es richtig finden soll, dass sich die Neuankündigungen nun auch noch in den Stau an verschobenen Filmen einfädeln müssen. Oder ob ein „Aufgeschobene zuerst“ überhaupt gerechtfertig wäre.
Wie gesagt, langsam setzt sich da etwas in Bewegung. Eine Pressemeldung titelte in der Betreffzeile: „Kinostart, Pressevorführungen“. In der Mitteilung hieß es dann aber doch „Sobald der Kinobetrieb wieder anläuft, bieten wir selbstverständlich Pressevorführungen an.“. Innerhalb einer Minute war ich zuerst erschrocken und dann ein bißchen enttäuscht.
Auch der feine Verleih Grandfilm hat diese Woche neue Starttermine ab Anfang Juni bekannt gegeben und wird dann „Eine Geschichte von drei Schwestern“ von Emin Alper ins Kino bringen. Soweit der Plan. Inzwischen hat Grandfilm 39 Filme aus seinem Programm online verfügbar gemacht. An den Einnahmen sollen auch die Independent-Kinos beteiligt werden. Bisher sind für diesen Zweck mehr als 5.000 Euro zusammengekommen, die demnächst ausgezahlt werden sollen. Die Aktion wird derweil weiterlaufen. Mit einigen Veränderungen. Seit dem 11. Mai kann man die Filme, die online angeboten werden, für 4,99 Euro ausleihen, und die Leihdauer beträgt nun 72 Stunden. Ein Download eines Titels kostet 9,99 Euro.
Um das Angebot an Filmen interessant aufzustellen, schauen die Verleiher von Grandfilm über den Tellerrand ihres eigenen Kataloges und wollen auf ihrem Channel befreundeten Filmemacher*innen und Verleiherfirmen zu mehr Sichtbarkeit verhelfen. Und so zeigt man jetzt auch Filme, die man zum Beispiel auf Festivals gesehen hat, und deren Filmteams den Kino solidarischen Ansatz unterstützen.
Den Anfang macht ab morgen, 15. Mai, das Debüt von Helena Wittmann: „Drift“. Der Film wurde zuerst in Venedig in der Sektion Woche der Kritik vorgestellt, lief aber unter anderem auch in Hamburg in der Festivalsektion Kaleidoskop und in Rotterdam und in Wien. „Drift“ ist kein narrativer Film. Hauptdarsteller ist das Meer, die Wellen, der Wind. Die Regisseurin Helena Wittmann, die auch die Kamera führt, bleibt zuerst auf Distanz zu dem Meer, bis das Meer zuerst die beiden Figuren, zwei Frauen, die gemeinsam vielleicht Urlaub machen begleitet, bis eine von ihnen in die Ferne zieht, das große Meer die beiden also trennt, so dass sie über eine Distanz hinweg kommunizieren. Das Meer ist dabei einfach ein Zustand, in den man auch die eigene Stimmung hineinlegen kann. Das Meer ist dabei eine elementare Kraft, Sehnsuchtsort und Möglichkeit. Erklärt wird nichts, man muss sich darauf einlassen können.
Die On-Demand-Verfügbarkeit ist dabei zeitlich begrenzt, die Leihgebühr beträgt 9,99 Euro. Denn, und das ist Grandfilm wichtig, reine On-Demand-Starts werde es bei ihnen nicht geben.
Genau das wird der Verleih Drop-out Cinema anders handhaben, die ab heute in ihrem „Virtual-Cinema“-Kanal „After Midnight“ anbieten. In der Ankündigung schreibt man: „Künftig werden wir Kino und Virtual Cinema immer parallel starten.“ „After Midnight“ ist ein psychologisches Drama mit Horror-Elementen. Das Herz kann Freude und Schmerz bringen. Hank (Jeremy Gardner) wird auf sich selbst zurückgeworfen, muss mit sich alleine klar kommen. Seine Abby (Brea Grant) hat nur eine kurze Nachricht zurückgelassen und ist dann verschwunden. Einfach so. Eben noch haben wir die beiden in trauter Zweisamkeit erlebt. Ist „After Midnight“ gar eine Romanze? Immer wieder werden wir Zeugen von ein Rückblenden auf die Liebe. Jetzt bedroht etwas das Heim von Hank und die Abwesenheit von Geborgenheit wäre noch eine freundliche Umschreibung dafür, was Hank durchmacht. Aber scheinbar ist er der einzige, der an die Existenz von etwas Monströsen glaubt. Gardner, der hier die Hauptrolle spielt, spielt mit den Erwartungen der Zuschauer.
„After Midnight“ sollte ursprünglich am 14. Mai ins Kino kommen. Gewissermaßen hält der Verleih Drop-Out Cinema an dem Termin fest. Man wählt allerdings die On-Demand-Veröffentlichung. Für 13,90 Euro kann man den Film als Stream kaufen. Von dem Erlös werden Kinos, die zusagen, den Film später zumindest einmal zu spielen, beteiligt. Ende Mai erscheint die Silberscheibe – ein Zeitpunkt, der bereits feststand und nun nach eigenen Aussagen nicht mehr veränderbar sei. Ab 16. Juli, wenn denn alles klappt, wird der Film regulär in den Kinos eingesetzt.
Der Salzgeber Club nutzt diese Rubrik für eine weitere Wiederveröffentlichung in digital restaurierter Fassung: „Bent“ von 1996 nach einem Theaterstück von Martin Sherman. Regie führte Sean Mathias, die Hauptrollen spielen Clive Owen und Lothaire Bluteau, und in den Nebenrollen gibt es zahlreiche bekannte Gesichter, die vor 24 Jahren noch gänzlich unbekannt waren. Unter anderem Nikolaj Coster-Waldau, den inzwischen dank „Game of Thrones“ praktisch alle kennen. Hier spielt er einen blonden SA-Mann. „Bent“ gilt zu recht als Klassiker, nicht nur des queeren Kinos, er erzählt von einer Beziehung dort, wo es keine geben darf, in einem Konzentrationslager. Der eine, Max, will sein Schwulsein auslöschen, um zu überleben, der andere, Horst, steht zu seiner Sexualität. Dabei geht um die menschliche Natur, über Missbrauch von Macht, von Sinnlosigkeit von Strafmaßnahmen, von Verstellung und von Identität.
Auch Rapid Eye Movies greift bis in die Mitt-90er zurück und stellt Sabus Debütfilm „D.A.N.G.A.N Runner“ auf seinem Vimeo-Kanal zur Ausleihe oder zum Download zur Verfügung. Seine internationale Premiere feierte der Film in der Panorama-Sektion der Berlinale 1997. Die Lieblingsthemen bei Sabu, das Rennen, der Zufall, das Karma, das hatte er damals schon genial umgesetzt. Ein Loser vermasselt einen Banküberfall, schießt dabei eine Supermarkt-Aushilfe an, der verfolgt ersteren, bis auch ein Yakuza-Mitglied ins Spiel kommt.
Nach einem kurzen Einsatz als Video-on-Demand im Rahmen von Sondervorführungen, startet jetzt „Die Liebe frisst das Leben“ über den Musiker Tobias Truben regulär auf dem Vimeo-Channel von Mindjazz Pictures (bitte kurz zu unserem Blogbeitrag vom 23. April wechseln. Die Dokumentation ist eine kleine Perle in dem Angebot an Musikerporträts.
Die Deutsche Kinemathek in Berlin hat ab heute wieder geöffnet. Donnerstags hat man ab 12 Uhr bis 20 Uhr geöffnet, Freitag bis Sonntag sind die Räume, mit allen üblichen Vorkehrungsmaßnahmen und Abstand halten, bis 18 Uhr zugänglich. Der Eintritt zu den ständigen Ausstellungen ist bis 14. Juni 2020 frei. Die Sonderausstellungen wie „Brandspuren – Filmplakate aus dem Salzstock“ und „Du musst Caligari werden! – Das virtuelle Kabinett“ werden ab dem 18. Juni geöffnet.
Hinterlasse einen Kommentar
An der Diskussion beteiligen?Hinterlasse uns deinen Kommentar!